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Ausgabe:

1964

Spalte:

711

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Punge, Manfred

Titel/Untertitel:

Endgeschehen und Heilsgeschichte im Matthäusevangelium 1964

Rezensent:

Punge, Manfred

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711

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 9

712

P u n g e, Manfred: Endgeschehen und Heilsgeschichte im Matthäus-
Evangelium. Diss. Greifswald 1961. 220 S.

Recht und Notwendigkeit einer gesonderten Betrachtung der
Theologie eines synoptischen Evangeliums bedürfen heute — bei allen
Unterschieden und Unsicherheiten hinsichtlich der Methode — keiner
besonderen Begründung mehr. Die Orientierung auf das Problem der
Enderwartung im Matthäus-Evangelium legte sich aus einem doppelten
Grund nahe. Einmal nahm diese Frage in der vor allem durch
Conzelmann und Marxsen eingeleiteten Synoptiker-Diskussion der
letzten Jahre eine zentrale Stelle ein. Zum anderen ist gerade an
diesem Punkt eine Unsicherheit der Forschung zu konstatieren, die
— um den Spielraum an einigen Beispielen zu veranschaulichen — von
der Annahme einer „Tendenz zur Mehrung der Orakelworte vom
nahen Weltende" (E. Stauffer) über die Konstatierung eines unreflek-
tierten Nebeneinanders von Naherwartungs- und Verzögerungsaussagen
(E. Haenchen; E. Grässer) bis zu dem Urteil reicht, Matthäus rechne
damit, „daß der Herr .verzieht' . . . und wohl noch lange verziehen
wird" (J.Weiß).

Bei der Untersuchung der eschatologischen Rede Mt 24/2 5 ergab
sich, daß deren Zielpunkt nicht — wie bei Markus (13,24—27) — das
machtvolle Erscheinen des Menschensohnes bildet, sondern der Komplex
von Aussagen über Gericht und Scheidung Mt 24, 37— 25,46. In
ihnen wird das in Mt 24,36 (par Mk 13,32) begegnende Motiv des
Nichtwissens von Tag und Stunde weitergeführt und zugespitzt
(24,39. 42—44. 50; 25,13), so daß sowohl die Nähe (24,45—51) als
auch die Ferne des Endes (2 5, 1—13) in Rechnung gestellt werden muß.

Infolgedessen empfängt die Gegenwart des Matthäus und seiner
Gemeinde ihre Bestimmung nicht von der drängenden Nähe des Endes
her, sondern durch die Einordnung in das periodisch gegliederte Bild
einer „Heilsgeschichte", die in dreifacher Weise auf das Ende ausgerichtet
ist:

1. Als das zentrale Motiv der heilsgeschichtlichen Periodisierung
erweist sich der Begriff des Königtums Gottes. Der formalen Nähe
zum Rabbinat (ßaadeta xü>v ovQavcöv) entspricht eine sachliche. Die
basileia ist die Herrschaft Gottes, die dem Menschen als Forderung
des Willens Gottes entgegentritt (21,43; 23,13; 6,10.33), die darum
Gegenstand des Wissens und der Unterweisung sein kann (13, 11. 19.
52; 16, 19), die Wirklichkeit ist, wo Gottes Wille getan wird. Blieb
sie in Israel, dem Volk der Söhne der basileia (8, 12), lediglich Ankündigung
(11,13: ETtooipr/rsvaar), so ist mit dem Wirken Johannes
des Täufers und Jesu von Nazareth ein „anderes" Volk konstituiert,
das „die Früchte der Gottesherrschaft" bringt (21,43; vgl. 13,38).
Die Gegenwart des Matthäus ist daher die Zeit der durch den Täufer
und Jesus eingeleiteten „Erfüllung" (11, 12 f.; vgl. 5,17), d.h. Verwirklichung
der Gottesherrschaft. Diese geschieht progressiv und universal
(13, 31 f. 33; 13,24—30; 47—50; 22, 8f.), ohne jedoch ihr Ziel
in einer perfektionistisch erreichbaren Totalität zu haben (13,36—43;
vgl. 22, 14; 13, 18—32); erst mit der am Ende vollzogenen Scheidung
(13,41—43; 25,31—46) wird der Gegensatz aufgehoben zwischen
Tätern der Gesetzlosigkeit und Tätern des Willens Gottes, wird der
Weg frei zur reinen Verwirklichung der Herrschaft Gottes. Der Begriff
der ßaoiXeia %S>v ovgarcöv erweist sich damit nicht dem Bereich
der eschatologischen Terminologie, sondern einem weiteren Zusammenhang
zugehörig, dessen Teil, oder besser Ziel, die Eschatologie
ist: dem der Heilsgeschichte.

2. Weiter ist der Bezug auf das Ende dadurch gegeben, daß
Matthäus die in der eschatologischen Rede angekündigten Zeichen für
die Zeit vor dem Ende (24,4—14) schon geschehen oder in Erfüllung
gehen sieht. Seine Gegenwart ist daher Anfang des Endes, allerdings
nicht als kurzes Zwischenstadium, sondern als eigenständige heilsgeschichtliche
Epoche. Sie ist als Zeit vor dem Ende zugleich die Zeit
der weltweiten basileia des Menschensohnes (13, 41; vgl. 16, 28;
20,21; ferner die reflektierte Anwendung der Bezeichnung ßaadsve
auf Jesus 2,1—12; 21,5; 27,11. 29. 37. 42) — möglicherweise in
Anlehnung an das zu jener Zeit im Judentum ausgebildete apokalyptische
Schema, das zwischen das Kommen des endzeitlichen Heilbrin-
gers und die Äonenwende die Periode eines „Zwischenreiches" einschiebt
.

3. Vor allem wird mit Hilfe des im Matthäus-Evangeliums besonders
herausgearbeiteten Gerichts- und Scheidungsgedankens, der
den Ruf zum Tun des Willens Gottes begründet (z.B. 6,1. 4. 6. 18;
16,27; 19,21), erreicht, daß das Ende trotz bzw. angesichts des offenen
Termins stets im Blick bleibt.

Damit repräsentiert der heilsge6chichtliche Entwurf des Matthäus-
Evangeliums, dem gegenüber die Alternative Naherwartung — Fernerwartung
versagt, nicht nur eine unausgeglichene und provisorische
Zwischenstufe, sondern einen auch „mit der Zeit" nicht revisionsbedürftigen
Typ der Enderwartung.

S c h m i d, Friedrich: Hermeneutik und Ontologie in einer Theologie
des Wortes Gottes. Eine Untersuchung über den Zusammenhang
von Verkündigung und Dogmatik in der Theologie Karl Barths.
Diss. Tübingen 1963. 260 S.

Die Arbeit versucht, die in der Theologie der Gegenwart so
schwer zu überblickende Verflechtung der hermeneutischen und onto-
logischen Frage an einem Punkt, nämlich bei der Theologie Karl
Barths, wieder auf die Fragestellungen, in denen man sich beim
Aufbruch einig war, zurückzuführen, vor allem auf die Frage nach
dem Wort Gottes als dem unverfügbaren Ereignis von Gottes Selbstoffenbarung
und nach dem dieses Geschehen bezeugenden Dienst der
Verkündigung. Der Ansatz bei dieser durch die Predigtaufgabe gestellten
Frage führt zunächst in der damit gegebenen Radikalisierung
des hermeneutischen und ontologischen Problems gegenüber Neuprotestantismus
und Katholizismus zu einer Aporie, die sich in der
ersten Epoche von Barths Denken in mannigfachen Abgrenzungen
gegen anthropologische Wirklichkeitsentwürfe und einer Verifizierung
des Wortes Gottes an diesen darstellt. Ohne Berücksichtigung dieser
kritischen Phase der Barthschen Theologie mit ihrer durch die Predigtsituation
ausgelösten Frage nach der Möglichkeit theologischer Aussagen
überhaupt läßt sich sein späterer Weg nicht sachgerecht und
kritisch beurteilen. „Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir
sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir
6ollen Beides, unser Sollen und Nicht-Können, wissen und eben damit
Gott die Ehre geben. Das ist unsere Bedrängnis. Alles Andere ist
daneben Kinderspiel." Aber so sehr die Theologie um die Gefahr
apriorischer oder aposteriorischer Abstraktion von dem unverfügbaren
Ereignis des Wortes Gottes in der Verkündigung wissen muß, der
ontologische Hohlraum, die Feststellung eines hermeneutischen Sprungs
kann für die theologische Aufgabe nicht das letzte Wort sein. Der
Theologie ist zwischen geschehener und verheißener Seibstbezeugung
Gottes in seinem Wort das Zeugnis von Gottes Handeln aufgetragen.
Wie soll von diesem Handeln Gottes s o gesprochen werden, daß es
beim hermeneutischen Versuch und der in ihm sich stellenden ontologischen
Frage nicht zu einer Abstraktion von der in Gang befindlichen
Geschichte der Selbstbezeugung Gottes und damit zu einem
dem Wort Gottes vorgeordneten, geschlossenen, restriktiven Wirklichkeitsentwurf
kommt, und daß dabei doch der Wahrheits- und Wirk-
lichkeitsscharakter, die Freiheit und Konkretion des Wortes Gottes
zum Ausdruck kommen? Dies ist nach Darstellung der grundsätzlich
kritischen Ausgangsposition das Thema des zweiten Abschnitts der
Arbeit, der das Ringen Barths mit diesem Problem in der Auseinandersetzung
mit F. Gogarten, im Entwurf der „Christlichen Dogmatik
" von 1927 und schließlich in seinem Anselmbuch von 1931 behandelt
, in dem es zu einer neuen ontologischen Grundlegung der
hermeneutischen Frage kommt. Die Problematik differenziert sich hier
gegenüber der Frühzeit. Es geht auf beiden Seiten um ein neues Verständnis
dessen, was Ereignis des Wortes Gottes eigentlich
meint, und wie die Theologie von diesem den Menschen betreffenden
Ereignis als wahr — nicht von ihm gewirkt, kontingent — und wirklich
— ihn meinend, konkret — sachgemäß zu reden, es zu bezeugen
habe. In dieser Zeit des Übergangs wird von Barth die ontologische
Relevanz hermeneutischer Versuche immer deutlicher erkannt, und es
werden Ort und Verfahrensweise einer theologischen, am Geschehen
des Wortes Gottes orientierten Ontologie und Hermeneutik herausgearbeitet
als die Voraussetzungen, von denen aus dann das Werk
der KD möglich und verständlich wird. Nach der diastatischen Dialektik
des Anfangs, die dem theologischen Denken keinen Standort erlaubte
, bietet sich jetzt im Anselmbuch ein solcher für die ontologische
Frage und die hermeneutische Aufgabe an. Die Theologie weiß
sich mit ihrem Fragen innerhalb des Zirkels, der vom bereits bezeugten
Wort Gottes herkommt und darum wieder nach dessen Bezeugung
fragt; darum hat die Ontologie, um die es hier geht, bezogen auf
das Wort Gottes den in diesem sich selbst bezeugenden trinitarischen
Gott zum Gegenstand. Die argumentatio ad extra wird sich von hier
aus grundsätzlich nicht von der argumentatio ad intra unterscheiden
können; sie bleibt angewiesen auf die Selbstbezeugung des trinitarischen
Gottes in seinem Wort in der Relation von Wort und Glaube,
Anrede und Gehorsam. Daß von diesen Prämissen aus die KD nicht
als eine Art neuer theologischer Metaphysik, als aposteriorische Abstraktion
zu verstehen ist, will im dritten Teil der Arbeit der kurze
Gang durch das Werk der KD bis Band III, 4 ausweisen. Der hermeneutische
Versuch, der hier vorliegt, ist von den ontologischen Voraussetzungen
des Anselmbuchs aus nicht anders anzugehen als in Form
einer Interpretation der Trinitätslehre. Die Ansätze zu eineT vielfältigen
Gliederung der ontologischen Frage („Weil Gott da ist, darum
gibt es Dasein überhaupt". Anselm S. 178) werden hier in immer neuer
Durchbrechung restriktiver Alternativen exemplarisch ausgezogen. Die
Arbeit möchte durch den Rückgriff auf die gemeinsamen Ausgangsfragen
der gegenwärtigen Theologie zu einer erneuten Überprüfung
der heutigen Positionen besonders hinsichtlich der Möglichkeit und
Funktion einer an der Frage nach dem Wort Gottes ausgerichteten
theologischen Ontologie und Hermeneutik anregen.