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1964

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Systematische Theologie: Ethik

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703

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 9

704

Kirche für den Protestantismus" (S. 124 ff.). Hier wird in einer
dialektisch gehandhabten Typenlehre die sakramentale und die
eschatologische bzw. die priesterliche und die prophetische Form
christlicher Kirchlichkeit aufeinander bezogen, was natürlich in
alle Wahrheitsaussagen zugleich immer etwas Schwebendes bringen
muß. Überhaupt ist der Begriff des Prophetischen in der
hier vorliegenden Phänomenologie des Protestantismus von
einer zentralen Bedeutung. Er stellt im Bilde der protestantischen
Kritik die eigentliche Überbietung der rationalen zur prophetischen
Kritik dar, wie auch aus der Kraft des Prophetischen die
rationale Gestaltung erst zur „Gestalt der Gnade" hindurchgeläutert
wird. Der Vollzug dieser etwas eigenwilligen Dialektik
weist auf die in jeder neuen Gegenwart, in jedem Kairos
eigene geschichtliche Verwirklichung hin.

Die Gestalt, als Gegenbegriff zur protestantischen Kritik
begriffen, ist ebenso das schicksalsträchtige Problem der Pro-
fanität wie der geschichtlichen Kirche. Am Gestaltproblem kann
man einsichtig machen, wie das Religiöse, also die kirchliche
Gestalt zur Welt hin verfällt und an ihrer Bedingtheit teilnimmt
, obwohl sie doch den Aufruf zur Gestaltwerdung nur aus
der Dimension des Unbedingten vernehmen kann.

Aus diesen Elementen ergibt sich das „protestantische
Prinzip", dessen Herrschaft ein eigenartiges Wirklichkeitsverhältnis
, den gläubigen Realismus, bedeutet, der auch in das
Verständnis der Profanität hineinwirken kann und insgesamt
die „protestantische Ära" bezeichnet. Ihr ist der erste Beitrag
der hier vorliegenden Sammlung gewidmet. Zwei weitere Aufsätze
, beide mit der Frage „Ende der protestantischen Ära?"
überschrieben, ergänzen diese wiederholt einsetzende Thematik.
Die geschichtliche Gestaltung, und demzufolge alles, was als
protestantische Ära geschichtlich zur Verwirklichung kommt, ist
wandlungsfähig und vergänglich. Aber vom protestantischen
Prinzip kann Tillich geradezu sagen, es sei von ewiger Dauer
(S. 28). Im Sinne dieser Zusammenhänge bewährt das protestantische
Prinzip seine kritische Kraft am Protestantismus selbst,
indem es die zu Ende gehende Ära der protestantischen Massenkirche
auf die Ursachen des Verfalls der gestaltenden Kraft hin
prüft. Zu diesen Ursachen rechnet Tillich z. B. die Hereinnahme
des Humanismus. Es ist durchaus damit zu rechnen, daß wir im
Übergang zu einer nachprotestantischen Ära leben. Aber auch
deren Notwendigkeiten und Aporien werden nach Hilfe verlangen
und zu immer neuen Gestaltungen drängen. Und Tillich
sucht eindrucksvoll zu zeigen, wie sich das protestantische Prinzip
auch in einer veränderten Zukunft als gestaltungsmächtig
erweisen kann.

Göttingen Wolfgang T r i 11 h aa s

B o v e t, Theodor: Ehekunde, die jüngste Wissenschaft von der ältesten
Lebensordnung, ein Grundriß für Ärzte, Seelsorger, Eheberater
und denkende Eheleute. II. spezieller Teil. Tübingen: Katzmann, u.
Bern: Haupt [1962]. 363 S. 8° = Schriftenreihe d. christl. Instituts
f. Ehe- und Familienkunde. Bd. V. Lw. DM 16.80.

Wir haben im Jahrg. 88, Sp. 537 den l.Band ausführlich
angezeigt und können uns auf eine kurze Besprechung des 2. beschränken
. Das Buch ist in 7 Teilen aufgebaut: l. Die Zeitgestalt
der Ehe, 2. Das Paar, 3. Fruchtbarkeit, 4. Das Kind
in der Familie, 5. Der Herd und sein Schutz, 6. Soziologie der
Ehe und der Familie und 7. Eheberatung. Wenn man sich vergegenwärtigt
, daß die Behandlung der Probleme dieser Themen
auf 300 Seiten zusammengedrängt wird (die letzten 60 Seiten
geben jeweils Bibliographie zu den Themen), dann ist es erstaunlich
, wieviel lebenswichtige Fragen über Sexus, Eros, Ehe
und Familie hier besprochen und einer möglichen Lösung zugeleitet
werden. Besonders wenn Dr. Bovet aus seiner reichen Erfahrung
heraus schreibt, wie das hier geschieht, ist das Buch
fesselnd zu lesen und die Probleme werden oft mit einem milden
Humor, oft auch mit großer Tapferkeit der Entscheidung
(Homosexualität) erörtert. Manchmal wird die Behandlung der
Thematik auf einer Stufe geführt, die allerdings sehr elementar
ist und wobei man sich als Leser nicht direkt Ärzte, Seelsorger
und Eheberater denken würde. Aber es ist gewiß schwierig, hier
die Grenzen genau zu ziehen; eine Auseinandersetzung mit den

heiklen Problemen erfordert manchmal zunächst ein Eingehen
auf ganz einfache Fragen. Ob gerade hier immer die richtigen
Proportionen getroffen sind, mag dahingestellt bleiben. So wird
etwa S. 51 und 58 unerwartet vom „Tod des Ichs" aus der Perspektive
der „Kindheit der Ehe" auf eine Art und Weise gesprochen
, die überraschend ist. „Das Sterben des Ichs fängt in
der Verlobungszeit an und dauert meist das ganze Leben, aber
während der ersten Ehejahre verursacht es am meisten Schmerzen
." Es wird in Abrede gestellt, daß jeder Ehegatte noch das
Recht habe, einen gewissen Privatbesitz selbstverständlich innezuhaben
. Wir verstehen, daß es Bovet um die Reifung der Person
in der Ehe und um die Ausgrenzung des machthungrigen
Ichs zu tun ist; dennoch wird hier alles dermaßen abrupt und
massiv formuliert, es werden so viele schwierige Fragen, die bei
dieser Ausgrenzung auftauchen, nicht behandelt, daß man es bedauern
kann, daß hier nun nicht tiefer gegraben wurde.

Die sakramentalistische Eheauffa6sung, die Bovet nach Ehekunde
I nachdrücklich befürwortet, kommt in diesem Band besonders
in Sympathie mit katholischen Lösungen der Themen
zum Ausdruck. So namentlich bei der Mischehe, wo Bovet meint
(S. 107): „Bei den heute noch geltenden Bestimmungen wird der
Protestant dann einer katholischen Trauung zustimmen, wenn
er den katholischen Glauben und die katholische Kirche gut
studiert hat und als eine wahre Form christlichen Lebens anerkennen
und ihn mit gutem Gewissen für seine Kinder annehmen
kann." Meine Erfahrung als Pfarrer in einer Diaspora-Gemeinde
hat mich das Gegenteil gelehrt: je tiefer sich der gläubige Protestant
mit der katholischen Lehre und deren Methoden (Beichte!)
vertraut macht, desto unmöglicher wird es ihm sein, seine Kinder
katholisch zu erziehen, während er selber Protestant bleibt.
Es ist die schon im 1. Bd. angekündigte Verwischung der Grenzen
zwischen den Konfessionen, die Bovet zu dieser Äußerung
Anlaß gibt. Ganz aus der katholischen Sicht wird über die
leichte Art der Scheidungsmöglichkeit in der protestantischen
Überlegung gesprochen, als ob es bloß darum ginge, daß jede
Sünde, die „zur Metanoia" führe, vergeben werden könne
(S. 264) und also jede x-beliebige Scheidung protestantischerseits
zur Wiederverheiratung akzeptiert werde. Daß hier noch viele
offene Fragen liegen, ist unbestritten, aber das ist wohl genau
so der Fall mit unseren katholischen Glaubensgenossen. Dennoch
spricht sich der Verf. sehr für die katholische Möglichkeit
(sakramentale Unauflösbarkeit plus Nichtigerklärungsbestimmungen
) aus und empfiehlt diesen Weg auch den protestantischen
Kirchen. Rührend ist geradezu, wie der Verf. hofft, Karl Barth
noch auf seine Seite zu bekommen, wenn er annimmt, trotz
dessen polemischen Ausführungen gegen eine Überschätzung
des Ehesakramentes „scheint es nicht hoffnungslos zu sein,
seine Auffassung schließlich doch mit der katholischen zu versöhnen
, wenn einige Transformationsgleichungen aufgelöst 6ind"
(S. 266). Dabei befürchte ich, daß Barths Auffassungen über
das Verhältnis von Natur und Gnade einer solchen Ausgleichung
im Wege stehen und sich diese nicht sehr leicht werden
ausmerzen lassen.

Die gemachten kritischen Bemerkungen wollten bloß das
Interesse aufzeigen, mit dem wir das Buch gelesen haben und
den Leser auf das konsequente Denken Dr. Bovcts aufmerksam
machen, das sich in Sachen von Ehe und Familie ausgesprochen
in katholischer Richtung bewegt.

Basel Hendrik van O y e n

All wohn, Adolf: Homosexualität und Seelsorge (DtPfrBl 64, 1964
S. 114 f.).

Bockmühl, Klaus: Die Diskussion über Homosexualität in theologischer
Sicht (EvTh 24, 1964 S. 242—266).

E r m e c k e, G.: Probleme der Christlichen Geseüschaftslehre heute
(ThRv 60, 1964 S. 1—12).

Geiger, Max: Christlicher Glaube im atomaren Zeitalter (Zwischenstation
. Festschrift für K. Kupisdi zum 60. Geburtstag. München:
Chr. Kaiser Verlag, 1963 S. 63).

Giese, Gerhardt: Was ist des Deutschen Vaterland heute? (Zwischenstation
. Festschrift für K. Kupisch zum 60. Geburtstag. München:
Chr. Kaiser Verlag, 1963 S. 83—105).