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Ausgabe:

1964

Spalte:

698-700

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Daniélou, Jean

Titel/Untertitel:

Wege zu Christus 1964

Rezensent:

Voigt, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 9

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wirklich Gott erreicht haben, wenn wir Gott sagen, oder nur
ein Spiegelbild unseres Ich, unseres Selbst" (S. 197). Der Leser
erinnert 6ich an die Frage, die Barth am Schluß seines Buches
über Rudolf Bultmann (1952) zögernd und doch eindrucksvoll
stellt, ob nicht hier eine Tradition von Luther über Wilh.
Herrmann, aber auch von Kierkegaard, in verhängnisvoller
Weise fortgeführt werde, die Tradition, wo etwa die Christo-
logie in der Soteriologie nahezu aufzugehen scheint.

Es geht bei Iwand darum, daß Gott wirklich als Gott in
seiner Freiheit erkennbar ist. Glauben und erkennen, wie es die
Bibel hat, und auch die große kirchliche Tradition von Augustin,
über Anselm bis auf Barth, aber ja doch wirklich auch Luther
und Calvin. „Nicht ein: es ist mir so, sondern ein: es ist so!"
(S. 35). Der theologische Agnostizismus, das Resignieren bezügl.
wirklicher Erkenntnis, verträgt sich nur zu gut mit dem heutigen
Agnostizismus der Nicht-Christen. Und das Ergebnis ist, daß
der Gottesleugner den Ansdiein eines Realisten für sich hat,
der Glaubende aber eines Romantikers (S. 3 8). Der Glaubende,
dem der wirkliche Gott begegnet ist, erkennt „ein ,extra nos',
ein Jenseits von uns, das nicht Welt heißt, sondern Gottes Reich,
Gottes Tat, Gottes Botschaft, Gottes Wort und Gottes Wille
(S. 54). Das Wort ist nicht nur Gottes Wort in einem „pro me",
sondern „es steht auf sich selbst, ist durch sich selbst, was es
ist!" (S. 55). „Unsere Theologen von heute sagen: tolle fidem,
et nullum jam restabit verbum. Diese Umkehrung ist es, die das
Vermittelnde aus dem Bewußtsein Gottes in das Selbstbewußtsein
verlagert und damit die Offenbarung verdorben hat"
(S. 207).

Natürlich haben auch andere Theologen wie etwa Gerhard
Gloege („Mythologie und Luthertum", 1952) in ähnlicher Weise
gegen eine existentialistische Theologie Einspruch erhoben. Bei
Iwand wird aber dieser Kampf in besonders energischer Weise
durchgeführt. Und natürlich verweist er, direkt gegen Bultmann,
auf die Weise, in der Karl Barth schon in den Prolegomena der
Kirchlichen Dogmatik von diesen Fragen redet. Bei Barth ist
„das Wort Gott wie ein Ding an sich, nein, nicht nur wie,
sondern wirklich das einzige ,Ding an sich' in dieser. . . höchst
relativen Welt der Vergänglichkeit" (S. 18 5).

Deshalb wendet sich Iwand auch gegen Althaus und andere,
wenn behauptet wird, daß Selbsterkenntnis zunächst da sein
müßte, damit wir den Weg zur Erkenntnis Gottes finden. „Die
Theologie muß also mit der Anthropologie einsetzen", hat
Althaus gesagt. Das ist aber falsch. „Die Selbsterkenntnis und
alles, was damit zusammenhängt, ist eine Folge, ist a posteriori
zur Offenbarung Gottes. Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis
fallen eben nicht, wie Althaus meint, ineinander,
sondern da ist ein p r i u s der Offenbarung vor der Selbsterkenntnis
des Menschen" (S. 103). Dies scheint mir überaus
wichtig. Natürlich hat auch hier Karl Barth den Weg gezeigt.
Es steht aber wohl doch klarer und eindringlicher hier bei
Iwand. Und ich wage hier als Däne folgendes einzuschalten:
Bei uns hört man immer wieder einen Satz, den Grundtvig geprägt
hat: „Zunächst Mensch und dann Christ!" Dies ist genau
das, wogegen Iwand sich hier wendet. Ob er aber gehört werde
— in Deutschland und in Dänemark?

Daß Iwand sich dann auch gegen die Althaussche Lehre
von der Uroffenbarung wenden muß, leuchtet wohl unmittelbar
ein. Man kann nicht mit einem Wissen von Gottes Dasein anfangen
und von dort weitergehen auf ein Glauben an sein Heilswerk
in Christus. „Wenn nicht beides in eins fällt: die Heilsund
die Daseinsgewißeit, dann gibt es keine Gewißheit"
(S. 108). Oder Iwand formuliert den Gegensatz klar und
scharf: „Ich muß irgendwie schon wissen, was ich mit „Gott"
überhaupt meine, ehe ich sagen kann, daß er mir in Christus
begegnet. Das ist die gemeinsame Theorie der verschiedensten
neuprotestantischen Systeme" (S. 101). Daß er von hier aus
sich auch gegen die apologetischen Versuche Karl Heims wenden
muß, ist klar. Es geschieht dann auch direkt.

Dies bedeutet nun aber nicht, daß Iwand sich nicht auch
positiv an Heim anschließt. Eine verhältnismäßig lange Erörterung
über das Problem „Glauben und Wissen" im Mittelalter
verwendet ganz direkt und ausführlich Karl Heims Jugendarbeit
„Das Gewißheitsproblem in der systematischen Theologie
bis Schleiermacher" (1911). Ein kleines Notabene möchte ich
hier einschalten. Der Leser bekommt den Eindruck, daß Heim
der Auffassung sei, daß die Gotteserkenntnis eine dem Menschen
angeborene Möglichkeit wäre. Das meint ja doch wenigstens der
reif gewordene Heim nicht. Er behauptet gerade so eindeutig
wie Iwand (S. 114), daß der Glaube eben Gnade, Wunder, Tat
Gottes ist.

Kleine Beanstandungen sind öfters nötig. So ist es
wenigstens höchst mißverständlich, wenn (S. 134) behauptet
wird, daß Kierkegaard die Angst als „die Wurzel der
Sünde" bezeichnete. Und mir scheint es eine unzulässige
Vergröberung, wenn (S. 241) festgestellt wird, daß der
Existentialismus schließlich „das Ich Jesu Christi mit dem
Ich des Menschen in der Entscheidung" gleichsetze. Wichtiger
scheint mir aber folgendes: Iwand behauptet mit Recht (und dies
ist ihm besonders wichtig), daß Gott uns zur Freiheit ruft, und
zu dieser Freiheit, die wir von ihm aus empfangen, gehört auch
und gerade das Denken. Kann man aber dann wirklich mit
Iwand fortfahren: ,, Gott leugnen und die Freiheit im Denken
leugnen ist darum so gut wie eins!" Kann man einfach feststellen
, daß alles Denken, „solange es wirklich Geist, Vernunft im
höchsten Sinne dieses Wortes ist, auf Seiten der positiven
Antwort" auf die Frage: An Deus sit? stehe? Polemisch ist zwar
ein solcher Satz wohl berechtigt. Hier wären aber, sofern ich
sehe, tiefgreifende Untersuchungen dringend notwendig, etwa
ausgehend von dem, was ein Mann wie Roger Mehl (in „La
Condition d'un Philosophe Chretien", 1941) über die Gebrochenheit
, die Zwiespältigkeit des Wahrheitsbegriffes ausgeführt hat.

Wichtiger ist es aber, auf den fast unerschöpflichen Reichtum
dieses Buches aufmerksam zu machen. Wertvoll sind z. B.
die Ausführungen (S. 132 ff.) über die „drei Typen der Gottes-
leugnung", vor allem die ganz moderne Form, bei der man, wie
vor allem Nicolai Hartmann, Gott leugnet um der menschlichen
Freiheit willen. Oder man lese das, was Iwand (S. 173 ff.) über
„die Theologie des Wortes" zu sagen hat. Zwar führt das alles
nicht wesentlich über Karl Barth hinaus. Und doch liest man es
mit größtem Interesse. Mit ein paar Zeilen klärt Iwand z. B.
das Verhältnis zwischen der Lehre vom Wort Gottes, die auf
Ebner zurückgeht und die idealistische Einsamkeit des Ich zersprengt
, und der Lehre vom Wort, die von der Verkündigung
ausgeht (S. 199). Oder man überlege etwa die kurze These
(S. 289): „Solange die Dogmatik auf der Grundwissenschaft
der Ethik ruht, ist die christliche Botschaft nicht von Wort,
sondern vom Sein her verstanden." Und wie sehr könnte
man wünschen, daß gerade heutige Lutheraner das bedenken
würden, was Iwand so ausdrückt: „Der Unterschied der
sinaitischen Gesetzgebung vom natürlichen Sittengesetz ist darin
gegeben, daß die Gesetzgebung am Sinai innerhalb des
Gnadenbundes und auf seine Erfüllung in Jesus Christus hin
erfolgt" (S. 28 5).

Ich komme zum Schluß. Man wird verstehen, daß dieses
Buch gerade in seiner Unfertigkeit, seiner Vorläufigkeit, ganz
besonders anregend, anspornend wirkt. Zu den entscheidenden
Problemen gerade der heutigen Zeit hat es ganz Wesentliches
zu 6agen.

Kopenhagen N. H. See

Danielou, Jean: Wege zu Christus. Aus dem Franz. übers, v.
H. Broemser. Mainz: Matthias-Grünewald-Verjag [1962], 199 S.
8°. Lw. DM 13.80.

Verf., Professor am Institut catholique in Paris, S. J., stellt
seinem im engeren Sinne „theologischen" Buch „Der Gott der
Heiden, der Juden und der Christen (vgl. ThLZ 1960, Sp. 189ff.)
ein christologisches an die Seite, das jenem in Zuschnitt und
Denkart entspricht und wohl als dessen Fortsetzung angesehen
werden darf. Methodisch ist an dieser Christologie bemerkenswert
, daß hier gegen die Isolierung der einzelnen theologischen
Disziplinen gegeneinander angegangen wird; Verf. versucht, die
verschiedenen „Wege zu Christus" zu gehen — den des Historikers
und den des Theologen, den des Exegeten und den des
Mystikers —, aber nicht so, daß dabei jedesmal ein anderer