Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1964

Spalte:

695-698

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Glauben und Wissen 1964

Rezensent:

Søe, Niels H.

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

695

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 9

696

An diesem Punkte setzt Fuchs nun „das Bild" Jesu ein als
derjenigen Gestalt, durch die uns Gottes Wille als Liebe, d. h.
daß Gott uns liebt und wir lieben sollen, mitgeteilt wird, nicht
als Vorstellung eines objektiven Sachverhalts, als Lehre oder
System, sondern als ein „Winken", das uns in unserer verzweifelten
Selbstbehauptung begegnet und uns die Freiheit schenkt,
zu 6ein, was wir sind. So interpretiert er etwa Rom. 10, 9 f.:
„Der unerbittlichen geschichtlichen Agonie, der hoffnungslosen
Todesmacht der Geschichte, wie sie bisher verlief, wird also das
erleuchtete Herz des glaubenden Menschen entgegengestellt"
(I. 245). In diesem Sinne möchte Fuchs auch nicht an „eine
zweifelhafte Vorstellung von der Auferstehung" glauben, sondern
an „die Auferstehung selbst" (I. 238), und diese Auferstehung
will er „einüben" (I. 250). Solche Einübung geschieht nach
ihm dadurch, daß wir uns von dem „Bild" des gepredigten Christus
„gefangen nehmen" lassen, „mitmachen" und uns so als
in Gottes Liebe geborgen erfahren. In solcher Geborgenheit
würden wir frei von der Angst, weil wir uns im Sinne der
lutherischen Rechtfertigungslehre von Gott so angenommen
wissen dürften, wie wir sind, aber auch frei zur Leidensbereitschaft
und zur Nächstenliebe.

In einem Osterartikel der Neuen Zürcher Zeitung aus dem
Jahre 1960 meint Fuchs, daß „alle, die so glauben", „ein wenig
auferstanden und neue Menschen geworden" seien. Er bekennt
in bezug auf diesen „Auferstehungsglauben" aber auch: „Es ist
doch ein Skandal, daß wir, wenn wir die Liebe Gottes klarmachen
wollen, derartige Umwege einschlagen müssen!" (II.
439 f.).

Wie dem auch immer sei — und wir haben den Eindruck,
daß es bei Fuchs so sei! — ist der „historische Jesus", den er im
zweiten Band in mehreren umfangreichen Abhandlungen herausarbeitet
, jedenfalls kein anderer als der „gepredigte Christus",
d. h. der Jesus, mit dem wir in der Predigt, die „das hermeneu-
tische Prinzip des Neuen Testaments" sein soll (I. 179), immer
wieder bekannt gemacht werden, so daß wir dadurch zum Glauben
im Sinne von „echtem Gottvertrauen" gelangen. In dieser
Wirkung zeige sich aber auch, „daß erst der Glaube an Jesus
in der Lage ist, den historischen Jesus ganz zu würdigen"
(IL 241).

Bei allem Richtigen, das Fuchs von hier aus gegen Cull-
manns und Kümmels Heilsgeschichte, aber auch in der Auseinandersetzung
mit Bornkamm vorbringt, wird man nicht sagen
können, daß er darin grundsätzlich über die Position Martin
Kählers hinausgelangt wäre. Es überrascht dann nicht, daß er
gelegentlich 60gar zu einer Neubesinnung auf Ritsehl und
W. Herrmann auffordert (I. 61). Ob freilich das, was er mit
Hilfe Heideggerscher Ontologie als „Sprachereignis" zu fassen
versucht, dem unzureichend formulierten und verfolgten Anliegen
einer früheren Marburgertheologie besser gerecht werde,
muß ebenfalls bezweifelt werden. Zwar meint Fuchs zu wissen,
daß Gott „nicht aristotelisch, sondern sakral" denkt (I. 37).
Wenn die Sprache das Sein bestimmt, „Sein ohne Sprache"
„nichts" ist, „nicht einmal Natur" und „erst das konkrete Wort"
„das Sein in das Sein" „hebt", „die Verkündigung" darüber
„entscheidet, ob Christus als der uns Versammelnde anwesend
ist", so begreift man, daß er das „Sprachereignis" als „Sakrament
" bezeichnen kann (II. 427). Aber ob er dann nicht in Gefahr
ist, gerade das zu tun, wovor er Paulus in Schutz nehmen
möchte, nämlich den Theologen mit Gott zu verwechseln
(I. 311)?

Ein Denken, das sich nicht in Vorstellungen über seinen
Gegenstand vollziehen darf, ist wohl nicht mehr in der Lage,
dieser Gefahr zu begegnen. Vielleicht wird es sich aber von
seinem Denken, das sich, wenn es sich in seiner Begrifflichkeit
vollzieht, bewußt ist, was es tut, doch darauf aufmerksam raadien
lassen, daß es sich auch noch dort, wo es sich von einem
solchen Denken unterscheidet, der von ihm als Sünde (II. 428)
verworfenen Begrifflichkeit bedient, aber dies nun in einer Art
und Weise, daß der Sprechende und die Sprache nicht mehr
unterschieden werden können und darum alles „behauptet"
werden kann. Solches Behaupten scheint aber bei Fuchs von Anfang
an der Sinn der Theologie zu sein, wenn er erklärt, es sei

ihre Aufgabe, sich „zu einer methodisch denkenden Wissenschaft
zu machen, die uns vor einer viel zu viel beweisenden, aber viel
zu wenig behauptenden Christusverkündigung in Schutz nehmen
kann" (I. 89). Bloß kontrastiert dann diese Behauptungstheologie
seltsam mit ihrem Dringen auf Unverfügbarkeit des Wortes
und Hingabe an Gott. In der Heideggerschen Ontologie wird
dieser Widerspruch behoben durch die Mythisierung der Sprache
— bei Fuchs durch das Reden vom „Sprachereignis", nur daß
bei ihm in diesem Begriff stets auch noch das existenzielle
Betroffensein (im Sinne des früheren, aber nicht des späteren
Heidegger) mitschwingt. Das Verstehen der neutestamentlichen
Eschatologie als Sprachereignis ist deshalb nicht, wie Fuchs
meint (II. 427), der Weg zu ihrer Entmythologisierung, sondern
führt zu einer Art romantischer Remythologisierung der Historie
, in der der Reichtum an Einfällen und Intuition jedoch nicht
über den Mangel an wissenschaftlicher Klarheit und Konsequenz
hinwegzutäuschen vermag.

Summa: Fuchs erweist sich in diesen Aufsätzen vom Anfang
bis zum Schluß ebenso vielseitig angeregt und höchst anregend
— wie erstaunlich verwirrt und bedrohlich verwirrend.
Aber vielleicht verdankt seine Theologie gerade dieser Eigentümlichkeit
ihr starkes Echo.

Basel Fritz B u rä

[wand, Hans Joachim: Nachgelassene Werke. Hrsg. v. H. Gollwitzer,
W. Kreck, K. G. Steck u. E. Wolf. I. Bd.: Glauben und Wissen, hrsg.
v. H. Gollwitzer. München: Kaiser 1962. 31 5 S. 8°. DM
14.30; Lw. DM 16.80.

Der am 29. April 1960 verstorbene Professor Iwand, seit
1952 in Bonn, hat wenig veröffentlicht. Nun hat aber ein Kreis
von Freunden, vor allem Professor Helmut Gollwitzer, beschlossen
, aus seinen nachgelassenen Manuskripten alles das
drucken zu lassen, was irgendwie veröffentlicht werden kann.
Der erste Band, der hauptsächlich Vorlesungskonzepte enthält,
zunächst über das Thema „Glauben und Wissen", dann auch
über „Theologie als Beruf" und schließlich einige „Thesen" aus
sehr verschiedener Zeit, soll hier besprochen werden.

Es ist schwer, einem solchen Buch gerecht zu werden. Einmal
muß man feststellen, daß die Arbeit eigentlich nicht druckreif
war. Es sind eben erste Entwürfe, bisweilen doch auch zwei-
oder dreimal durchgearbeitete, für mündlichen Vortrag. Vieles
ist noch unfertig, ziemlich sorglos hingeworfen. Und vor allem
ist es wenigstens dem Rezensenten schwierig geworden, den
Gedankengang genau zu verfolgen. Ansätze werden nicht
immer folgerichtig durchgeführt, und dieselben Themen werden
in verschiedenen Zusammenhängen aufgegriffen, ohne daß der
Fortschritt im Gedankengang deutlich wird. Man versteht, daß
Professor Gollwitzer in seinem Vorwort sagen kann, daß der
Verfasser die Veröffentlichung dieser Arbeiten in ihrem gegenwärtigen
Zustand nicht würde gebilligt haben. Denn gerade
Iwand stellte sehr hohe Anforderungen an seine Arbeiten.

Aber dann, und das ist viel wichtiger, muß man mit
größter Dankbarkeit begrüßen, daß man doch die Veröffentlichung
gewagt hat. In all seiner Unfertigkeit ist es ein sehr
wesentliches Buch geworden. Vielleicht ist es zu viel, wenn eine
Verlagsanzeige voraussagt, „daß von seinen Schriften eine
ähnliche Wirkung wie von dem theologischen Vermächtnis
Dietrich Bonhoeffers ausgehen wird". Das aber ist sicher, mit
einem Buch wie demjenigen, das uns hier geschenkt wurde,
wird man nicht fertig. Hier wird in origineller Gedanken
führung mit den ganz entscheidenden Problemen gerungen. Das
merkwürdige ist, daß dies gilt, trotzdem der Verfasser eigentlich
ganz und gar unter dem Einfluß Karl Barths steht. Es ist
aber kein Nachklang, sondern ein höchst eigenartiges Ringen
mit den schwersten Fragen.

Der eigentliche Gegner ist wohl der Existentialismus, wie
Iwand ihn bei Bultmann und Gogarten, aber auch bei Kierkegaard
fand, die rein „existentielle" Theologie, wo alles auf das
Subjekt, die aktuelle Begegnung, das pro me, bezogen wird, wo
die alte Wert-Theologie in neuer Form weiterlebt und man sich
schließlich fragen muß, ob uns auf diesem Wege doch nicht „Ich
und Gott vertauschbar werden, daß wir nicht wissen, ob wir