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Ausgabe:

1964

Spalte:

694-696

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Fuchs, Ernst

Titel/Untertitel:

Zum hermeneutischen Problem in der Theologie 1964

Rezensent:

Buri, Fritz

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693

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 9

694

Kap. VI (15 7—204) durch seine drei Phasen (Krisis, Dialektik
und Analogie) hindurch verfolgt und gründlich analysiert. In
der abschließenden, treffenden Kritik (201—205) beanstandet er
an Barth die fehlende Relation der rein christologisch und
aktualistisch verstandenen Kirche auf eine geschichtliche Gestalt
und phänomenale Erscheinungsweise. „Weil Karl Barths Theologie
mit der Offenbarung oberhalb der Geschichte ansetzt, wird
die konkrete, empirische Gestalt der Kirche aus der theologischen
Erwägung herausgenommen und die Kirche im Ereignis
der Verkündigung als reiner Akt definiert, dessen Bezogenheit
auf konkrete, geschichtliche, ontisch vorfindliche menschliche
Gemeinschaft zurücktritt" (202 f.). Und dieser .aktualistische"
Kirchenbegriff Barths ist es eigentlich, von dem aus sich dem
Verf. sein Themaproblem stellt und in dessen grundsätzlicher
Perspektive er sich um eine „Lösung" müht. Das geheime
Thema der Arbeit ist das Bemühen, die reine Aktualität des
Barthschen Kirchenbegriffs zu überwinden, wobei doch dessen
Grundsicht der Kirche geteilt wird. (So wird in der Einleitung,
11 ff., der Kirchenbegriff von CA VII ganz aktualistisch interpretiert
: „Die Kirche als eschatologisches Ereignis inmitten einer
menschlichen Gemeinschaft besteht allein im Handeln Gottes,
der ihr durch das Wort (das „Verkündigungsgeschehen") den
Geist gibt „ubi et quando visum est Deo" (11)). Es ist die
Frage, ob das innerlich befriedigend möglich ist! Immerhin sind
die Vorstöße des Verf., von diesem aktualistischen Kirchenbegriff
aus doch zu einer positiven theologischen Wertung der
Struktur der Kirche im Empirischen zu kommen (vgl. besonders
die Betonung der Grundstruktur von Amt und Gemeinde,
S. 212 ff.!) ernsthafter Beachtung und Würdigung wert.

Im ganzen Pathos stärker betont ist freilich die R e 1 a t i -
vierung aller geschichtlichen Gestalt der Kirche von ihrem
Eigentlichen, dem „eschatologischen Ereignis" der Gegenwart
Gottes kraft des unverfügbaren ganz akthaften „Verkündigungsgeschehens
" her, so sehr dieses auch auf das „Daß" eines geschichtlichen
Sozialgebildes .Kirche" aus ist. Dies wird sehr
deutlich in der Auseinandersetzung mit dem römisch-
katholischen Kirchenbegriff besonders nach den Enzykliken
„Satis cognitum" (1896) und „Mystici Corporis" (1943)
(Kap. III, S. 56-91) und dem Kirchenbegriff Hans Asmus-
s e n s nach seinen Veröffentlichungen seit Ende des II. Weltkriegs
(Kap. IV, A, S. 82—108). So besteht im ersteren Falle
die Gefahr einer vereinseitigenden Schematisierung, gegen die
sich das ungemein differenzierte katholische Kirchendenken immer
wehrt, und im letzten Falle, bei Asmussen, wird übersehen,
daß alle seine herangezogenen Veröffentlichungen ausgesprochene
Streitschriften sind in Reaktion auf bestimmte
bedenkliche Erscheinungen im heutigen deutschen Protestantismus
, die darum nur d i e Seiten besonders akzentuieren
, die heute vermißt werden. (Der Asmussen des Kirchen-
kampfcs, zu dem der Verf. einen völligen Bruch konstatiert,
stand eben in einer anderen Front!)

Die Typisierungen des römisch-katholischen und des As-
mussenschen Kirchenverständnisses, die der Verf. übrigens recht
scharfsinnig und geistvoll und unter Beziehung von viel treffendem
Material entwirft, stellen zusammen mit seinen sonstigen
Typisicrungen für das Verhältnis von „Wesen" und Gestalt der
Kirche (Troeltsch (Kap. II, S. 31—55), E. Brunner (Kap. IV, B,
S. 109-123), Bonhoeffer (Kap. V, S. 124-156) und Barth (Kap.
VI, S. 157—204) das Hauptkorpus der Arbeit dar. Sie alle sind
recht aufschlußreich und stellen in ihrer Konfrontation ein
forschungsmäßiges Verdienst dar. Jeder herausgearbeitete Typ
bildet nach einer bestimmten Seite hin eine Gegenfolie für die
rechte Verhältnisbestimmung, um die der Verf. sich müht:
Troeltsch faßt die Kirche rein nur als geschichtliches Gebilde
auf und läßt die entscheidende transzendente Komponente
in ihr ganz außer Betracht, der Katholizismus und
Asmussen sanktionieren zu unmittelbar ihre Gestalt, während
E. Brunner diese ganz im Gegensatz zu ihrem eigentlichen
„Wesen" sieht. Bonhoeffer sucht die Verbindung
zwischen beiden fälschlich durch sozialphilosophische Kategorien
spätidealisrischer Herkunft zu bestimmen, und Barth bleibt
bei dem reinen, christologisch begründeten Aktualismus.

Und wie die Arbeit mit einer Phänomenologie der gegenwärtigen
Krisensituation einsetzte, so schließt sie auch mit
einigen wichtigen helfenden Hinweisen von der systematischtheologischen
Besinnung her für die Bewältigung der Problematik
in der heutigen Situation (221—230).

Alles in allem eine sehr aufschlußreiche und lehrreiche
Studie, an der das uns heute ernsthaft aufgegebene neue Durchdenken
des grundsätzlichen Kirchenproblems nicht vorübergehen
kann.

Münster/Westf. Ernst Kinder

Fuchs, Ernst, Prof. D.: Zum hermeneutischen Problem in der Theologie
. Die existentiale Interpretation. Tübingen: Mohr 1959. X, 365 S.
8". DM 17.20; Lw. DM 21.-.
— Zur Frage nach dem historischen Jesus. Tübingen: Mohr 1960. X,
458 S. gr. 8° = Gesammelte Aufsätze II. Lw. DM 25.50.

Schon aus den Titeln der beiden Bände geht hervor, daß
die hier gesammelten Arbeiten sich mit den Problemen der Diskussion
befassen, die vor nunmehr bald einem Vierteljahrhundert
durch Bultmanns Entmythologisierungsthese ausgelöst worden
ist. Die Reihenfolge entspricht denn auch dem Verlauf dieser
Diskussion, in der sich über der Erörterung des hermeneutischen
Problems einer existentialen Auslegung des Kerygmas
das Interesse erneut der Frage nach dem historischen Jesus zugewendet
hat. Wenn Fuchs im Vorwort des zweiten Bandes auch
erklärt: „Interpretierten wir früher den historischen Jesus mit
Hilfe des urchristlichen Kerygmas, so interpretieren wir heute
dieses Kerygma mit Hilfe des historischen Jesus", so ist die
bei ihm vorliegende Problemlage doch bereits durch das Verschlungensein
beider Gesichtspunkte charakterisiert. Schon in
seinen Abhandlungen zur existentialen Interpretation taucht die
Frage des historischen Jesus auf. Wo dann aber diese Frage zum
Thema erhoben wird, wird jenem hermeneutischen Prinzip
keineswegs der Abschied gegeben, sondern eine Antwort in
seinem Sinne gesucht. In bezug auf das „früher" und „jetzt"
verhält es sich also eher umgekehrt, als Fuchs in dem zitierten
Satz sagt. Von Anfang an greift er in den hier vorliegenden
Darstellungen der existentialen Interpretation auf den historischen
Jesus zurück. Nach wie vor ist dieser für ihn aber auch
heute kein anderer als „der gepredigte Jesus". Die systematische
Begründung dieser kerygmatischen Auffassung des Historischen
sucht Fuchs in einer ebenfalls mit seiner philosophischen und
theologischen Herkunft zusammenhängenden Lehre vom „Sprachereignis
". Davon zeugen die jüngsten der hier veröffentlichten
Beiträge.

In der Entmythologisierungsdebatte geht es Fuchs vor
allem darum, den zweiten Teil von Bultmanns bekannter These
zur Geltung zu bringen, daß es sich darin also nicht so sehr um
eine Preisgabe von mythologischen weltbildlichen Vorstellungen
handle, die mit unserem Weltverständnis nicht mehr zu vereinbaren
sind, sondern vielmehr um die Erkenntnis, daß der wesentliche
Inhalt dieser Mythologien, d. h. Gott und der Mensch,
das Selbstverständnis des Glaubens, überhaupt nicht Gegenstände
des vorstellungsmäßigen Denkens sein können und deshalb
aus diesem Gefängnis zu befreien seien, in dem der Mensch
sich diese „Objekte" fälschlicherweise verfügbar zu machen
versuche. •

Vom negativen Teil dieser Sicht aus gelangt Fuchs sowohl
zu einem Verständnis des modernen Nihilismus als auch zu
einer Erklärung der von ihm auffallend häufig erwähnten „eschatologischen
Verlegenheit" des Urchristentums. Wegen der Un-
gegenständlichkeit Gottes und des Wesens des Menschen kann
eine vorstellungsmäßige Weltanschauung nur bei einem leeren
Himmel und einem im natürlichen Kausalzusammenhang gefangenen
Menschen endigen. Desgleichen stellt aber auch die Enttäuschung
über das Ausbleiben der Parusie eine Folge der
„Rechenkunst" der Apokalyptik dar. Unter diesem Aspekt gelangt
Fuchs nicht nur zu einer Anerkennung der sog. „konsequenten
Eschatologie", sondern auch zu deren Überwindung
durch existentiale Interpretation, d. h. durch eine Auslegung der
neutestamentlichen Aussagen auf das in ihnen sich aussprechende
Selbstverständnis des Glaubens hin.