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Ausgabe:

1964

Spalte:

691-692

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Titel/Untertitel:

Die gotischen Bildfenster im Dom zu Erfurt 1964

Rezensent:

Thulin, Oskar

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 9

692

der Einleitung entsprechenden Teile Römerzeit, Merowinger-
zeit, Karolingerzeit, Ottonenzeit aufgegliedert ist. Besonders
dankbar ist der Benutzer für die jedem Abschnitt vorausgehende
Übersichtskarte. Weiteres Kartenmaterial findet sich im Katalog
der Ausstellung und konnte leider in den Tafelband nicht
übernommen werden. Die technische Wiedergabe der Denkmäler
ist vorzüglich und macht dem Verlag alle Ehre. Neben
Bekanntem und Liebgewordenem findet sich mancherlei Seltenes
und Unbekanntes aus den Museen und den Kunstsammlungen
in aller Welt. Manche Stücke gleicher Herkunft, die heute weit
voneinander getrennt aufbewahrt werden, sind sich in der Ausstellung
nach Jahrhunderten wieder begegnet. Fast alle Gebiete
der Kleinkunst sind vertreten, Gegenstände profaner und sakraler
Herkunft werden gezeigt. Daß die Miniaturmalerei einen
großen Anteil beisteuert, ist das Resultat intensiver Forschung
in den letzten Jahrzehnten. Daß aber manche Datierungen immer
noch um Jahrhunderte schwanken, ist Beweis dafür, wieviel
auf diesem Gebiet noch zu erforschen ist. Die Anordnung des
Bildmaterials in den einzelnen Abschnitten vollzieht sich nicht
chronologisch, auch nicht nach Sachgruppen — vielleicht ist der
Aufbau während der Ausstellung maßgebend. Nur wenige Einordnungen
muten anachronistisch an — z. B. die Göttinger Miniatur
T. 190 möchte man lieber bei ihren Geschwistern
T. 437 ff. sehen, da sie ja das Bonifatiusbild der Ottonischen
und nicht das der fränkischen Zeit vermittelt. Ebenso steht es
mit der Darstellung der karolingischen Herrscher T. 243, die
die Sicht des frühen 12. Jahrhunderts zeigt.

Der ausführliche Kommentar zu den Bildtafeln ist ein ausgezeichneter
Führer durch das gesamte Material. Die präzisen Beschreibungen
ermöglichen ein schnelles Eindringen in das Verständnis jedes Bildes,
das der Leser durch den Hinweis auf die Literatur jederzeit vertiefen
kann. Daß auch noch ein Register der abgebildeten Werke nach Orten
und Sammlungen beigegeben ist, erhöht die Brauchbarkeit des Bandes
für wissenschaftliche Zwecke.

Jena Hanna Juisch

Goern, Hermann: Die gotischen Bildfenster im Dom zu Erfurt. Mit

Aufnahmen v. Fr. Hege. Dresden: Verlag der Kunst 1961. 216 S.
m. 128 z.T. färb. Taf. u. 1 Grundriß. 4°. Lw. DM 65.—.

In den letzten Jahren sind erstaunlich viel Veröffentlichungen
über mittelalterliche Glasmalereien erschienen. Wahrscheinlich
hat die Notsituation des letzten Weltkrieges, in dem überall
die kostbarsten Glasfenster herausgenommen und gesichert
wurden, den äußeren Anlaß dazu gegeben. Nun waren diese oft
an entlegenen Stellen nur schwer erkennbaren Farbfenster, auch
der farbigen Großaufnahme praktisch fast unerreichbar, in unmittelbare
Nähe gerückt. Es ergaben sich einmalige Möglichkeiten
zu Atelieraufnahmen, so daß die bisher stiefmütterlich
behandelte Welt der Glasmalerei in überwältigender Fülle und
in exaktesten Großaufnahmen der Forschung zur Verfügung
stand. Im „Corpus Vitrearum Medii Aevi" wird jetzt auf internationaler
Basis eine Edition der Hauptbestände mittelalterlicher
Glasmalerei durchgeführt.

Das Goernsche Buch befaßt sich mit den im genannten
Zusammenhang fotografierten Fenstern des Erfurter Domchors.
In 90 einfarbigen und 40 farbigen Tafeln wird erstmalig dieser
unzerstörte mittelalterliche Raum, der durch die wie selbst leuchtenden
Fenster von einem schwebenden Lichtglanz erfüllt ist,
in seinen Einzelteilen erlebbar, aber auch erkennbar. Denn nun
zeigen sich die Unterschiede in der geschichtlichen Folge der
Fenster, ihrer Technik und ihres Stils ebenso wie die ikono-
graphische Weisheit ihrer Thematik. Beidem ist Hermann Goern
in seinem ausführlichen Textteil in gleicher Klarheit der Forschung
und Darstellung nachgegangen. Es ergeben sich hier
auch für die anderen Kirchen und Kunstwerkstätten des mittelalterlichen
Erfurt, nicht nur für den Dom, manche wichtigen
Erkenntnisse.

Da nur in wenigen mittelalterlichen Kirchen sich die Glasfenster
vollständig in 6itu erhalten haben (wie z. B. Chartres),
ist der Erfurter Domchor eines der ganz seltenen Beispiele, die
uns einen Eindruck vermitteln, wie solche Farbfenster den
Raum zum abgeschlossenen Innenraum machten, der durch farbig
verwandeltes Licht den Raum selbst verwandelt und den

Betrachter nicht nur vom Sehen, sondern mit Leib und Seele
in sich hineinbezieht. In 13 großen, 18 m hohen Fenstern umschließt
den Chor eine strahlende Bilderwelt, die vom Alten
Testament (Genesis, Abraham, Jakob, Joseph) zum Neuen Testament
(Passion Christi, Apostelmartyrien, Maria u.a.) und zur
Legenda aurea der Heiligen führt. Für zahlreiche Einzelfragen
der Theologie und Kunst des Mittelalters (z. B. Concordia ve-
teris et novi testamenti) ist neues Material erschlossen. Verfasser
und Verlag schufen hier ein in Inhalt und Ausstattung
besonders wertvolles Buch.

Lutherstadt Wittenberg Oskar Thulin

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Honecker, Martin: Kirche als Gestalt und Ereignis. Die sichtbare
Gestalt der Kirche als dogmatisches Problem. München: Chr. Kaiser
1963. 238 S. gr. 8° = Forschungen zur Geschichte und Lehre des
Protestantismus, hrsg. von E. Wolf, 10. Reihe, Bd. XXV. Kart.
DM 14.50.

Diese wichtige Arbeit des jungen Tübinger Stiftsrepetenten
aus der Schule H. Diems, eine „leicht veränderte und gekürzte
Fassung" (Vorwort) seiner Tübinger Dissertation (1960/61),
fragt systematisch-theologisch nach dem Verhältnis von Kirche
„als freiem Ereignis der Gegenwart Gottes in einer menschlichen
Gemeinschaft" und Kirche „als sichtbarer Religionsgemeinschaft"
(205) oder äußerer „Religionsgesellschaft, in welcher sie sich
vor der Welt als Sozialgebilde darstellt" (206). Die Problematik
dieses Verhältnisses ist durch die gegenwärtigen Krisen der
volkskirchlichen Strukturen und die daraus resultierenden Bemühungen
um neue Formen (statt der bisherigen Parochial-
gemeinden „Paragemeinden" und Bekenntnisgemeinschaften)
akut geworden. Dementsprechend setzt die Arbeit mit einer
kurzen soziologisch-phänomenologischen Betrachtung „Die Kri-
sis der Volkskirche" (16—30) ein, in der Ergebnisse einschlägiger
Untersuchungen vor allem von J. Freytag, H. D. Wendland,
E. Müller, T. Rendtorff, H. O. Wölber u. a. aufgenommen werden
. In dieser Situation bedarf es grundsätzlich theologischer,
dogmatischer Besinnung auf das Verhältnis von „Wesen" und
Gestalt der Kirche (wie man früher sagte) oder von Kirche als
„Ereignis" (wie der Verf. immer sagt) und ihrer Gestalt. Hierin
besteht sein eigenes eigentliches Thema, das er in erhellender
und fruchtbarer Weise behandelt.

Die grundsätzliche Verhältnisbestimmung findet sich am
Schluß (Kap. VII, S. 205—230), wo in abgewogener Weise von
einer „dialektische(n) Polarität von geschichtlichem Sozialgebilde
und durch den Heiligen Geist im Verkündigungsgeschehen versammelter
eschatologischer Gemeinde" (205) gesprochen wird,
von der weder das eine (das rein eschatologische Geschehen)
noch das andere (die geschichtliche Gestalt) für sich verabsolutiert
werden darf. Wenn auch das Eigentliche der Kirche das
akthafte und ganz kontingente, unverfügbare Sichereignen der
die Gemeinde sammelnden Gegenwart Gottes ist, so hat dieses
doch wesentlich Beziehung auf eine empirische Sozialgestalt.
Der Verf. spricht hier von einer notwendigen „Korrelation
": „Der Begriff der Korrelation vermag den Bezug
des eschatologischen Ereignisses der Gegenwart Gottes auf eine
empirische Sozialgestalt als wesentlich zu erfassen. In der Korrelation
der Religionsgemeinschaft als eines Sozialkörpers in der
Welt zu dem Ereignis der Kirche wird die Notwendigkeit des
Bestandes der Kirche als geschichtlicher und sozialer Gestalt in
der Welt theologisch behauptet" (206 f.). Die Sozialgestalt der
Kirche, die für sich weltlicher Natur ist, wird „nur je neu im
Ereignis der Verkündigung als lebendige Gemeinde des lebendigen
Herrn Jesus Christus konstituiert . . . und aus einem
weltlichen Sozialkörper zum Leib Christi" (207). In dem immer
neu sich ereignenden und in seiner Wirkung ganz unverfügbarem
Verkündigungsgeschehen allein ist die Kontinuität der
Kirche gegeben (209—212). Darum ist z.B. ein Gegenüber, ein
„Dual" von Amt und Gemeinde erforderlich (212—215) usw.

Daß der Verfasser das Eigentliche der Kirche immer als
„Ereignis" bezeichnet (11 ff., 205 ff., 209 ff., 215 ff. u.a.),
ist aus dem Kirchenbegriff K. Barths zu verstehen, den er im