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Ausgabe:

1964

Spalte:

681-682

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Edel, Gottfried

Titel/Untertitel:

Das gemeinkatholische mittelalterliche Erbe beim jungen Luther 1964

Rezensent:

Beintker, Horst

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 9

682

Baut sind, etwas undeutlich und verwirrend sind, etwa S. 191 oben,
193 oben. 304 oben, 331 oben, 377 Zeile 6; außerdem heißt Schlink
in Heidelberg mit dem Vornamen nicht Eduard, sondern Edmund
(S. 398).

Aber auch wenn man, wie ich andeutete, bezüglich der
letzten Konsequenzen aus dem dargelegten Quellenmaterial und
bezüglich der heutigen Vertretbarkeit der Thesen Luthers anders
denken kann als K., so besteht über den hohen historischen
Wert dieses Buches sowohl für die Hermeneutik Luthers wie
auch namentlich für die mittelalterliche Vorgeschichte dieser
Hermeneutik gar kein Zweifel. Und wenn K. einer breiten
Strömung gegenwärtiger theologischer Auffassungen über das
Alte Testament nach Kräften Schwierigkeiten zu machen versucht
, so ist dies von Luther her gesehen und überhaupt sein
gutes Recht.

Wuppertal Erwin M ii 1 h a u p 1

Edel, Gottfried, Dr.: Das gcmcinkatholischc mittelalterliche Erbe
beim jungen Luther. Beiträge zu einer methodischen Grundlegung.
Marburg/L.: Edel [1962]. IX, 127 S. 8° = Oekumenische Texte und
Studien, 21. Kart. DM 7.80.

Die nicht uninteressante Veröffentlichung einer Mainzer
philosophischen Dissertation 1961 (Ref. Joseph Lortz) aus der
Feder eines evangelischen Theologen beschäftigt sich mit der
Stellung Luthers zwischen ,,Katholischem" und „Reformatorischem
". Die ungewöhnlich lange Einleitung (S. 1—22) mit 130
Anmerkungen (S. 54—81) führt mit „kritischen Fragen" auf
Luthers Verständnis der Tradition, auf die sich Edel beschränken
will. Der Hauptteil behandelt: I. Die von Luther benutzten
katholischen Quellen (lateinische Bibelausgaben; exegetische
Hilfsmittel; biblische Kommentare; dogmatische Werke) und
II. Das Verhältnis zwischen dem „Katholischen" und dem ,,Re-
formatorischen" in der Frühlchre Luthers (das Nebeneinander;
die theologische Vielschichtigkeit des einzelnen Begriffs; das
..Noch" und das „Wieder" katholischer Gedanken, gezeigt an
<len Begriffen: Fides caritate formata; Iustitia dei passiva; Infusio
gratiae; Sacramentum ) (S. 23 — 51; 190 Anmerkungen
S. 82-111).

Das eigentlich Bewegende und methodisch Wichtige in dieser
Arbeit und damit darüber hinaus Anregende für die Forschung
ist die Befolgung der Lortzschen These, Luther
habe „den Zentralbesitz der katholischen
Kirche häretisch entdeckt" (zitiert auf S. 5, S. 48,
dazu S. 58 und 107 f.). Im einzelnen ist die vorliegende Arbeit
tatsächlich weithin nur ein Beitrag „zu einer -methodischen
Grundlegung", die protestantische und die neuerdings wieder
vernehmbare römisch-katholische Lutherforschung auf die Herausarbeitung
des katholisch-reformatorischen Gehaltes der Theologie
Luthers hinzuweisen. Sachlich ist es bedauerlich, daß der
Verf. bei aller Belesenheit und Mühe um diesen Gegenstand
doch nicht geübt genug in der Materie ist, um eine sichere Erhellung
der tiefgeschichteten Problematik vorzunehmen. Vergeblich
sucht man nach der methodisch strengen Untersuchung, wie
sie etwa in der Dissertation zum Thema des Lutherschen Verständnisses
der Tradition von Reinhard Schwarz (in Tübingen
bereits 1958 vorgelegt) in bezug auf die fides, spes und
Caritas vorliegt und zugänglich gewesen wäre. Auch andere
grundlegende Forschungen, z. B. über das Verhältnis Luthers zur
Tradition in Augustinus durch Rudolf Hermann oder des
Letzteren direkte Auseinandersetzung mit den Thesen von
Joseph Lortz über „die Reformation", sind nicht berücksichtigt,
ja, nicht einmal erwähnt. Die Verarbeitung von allerlei fraglicher
„Lutherforschung" neben den klassischen älteren Standardwerken
und -forschungsergebnissen belastet die sonst so anregenden
Fragen an die Forschung. Man kann die Frage, ob das
zentral Katholische christlicher Glaubenserkenntnis mit dem
Reformatorischen Luthers sich nicht streitet, nicht so allgemein
wie hier entscheiden wollen. Es muß weit mehr ins Spezielle
hinein geleuchtet werden. Solche Schnitzer, wie die Bezeichnung
der Linterscheidung „peccatum mortale, peccatum
veniale" als reformatorische Begriffe (S. 46) und die
Behauptung, die „Glcichsetzung Sünde = Gerechtigkeit" sei
lutherisch (S. 94), zeigen, wie wenig der Verf. Luther an

einer zentralen Stelle verstanden hat. — Wie weit nun die
Lortzsche These selbst für die Lutherforschung fruchtbar ist,
ob sie nicht vielmehr von vornherein tendenziös wirkt, kann
hier nicht dargelegt, soll aber mindestens als ernste Frage wachgerufen
werden.

Jena Horst B e i n t k e r

I s e r 1 o h, Erwin: Luthers Thescnanschlag Tatsache oder Legende?

Wiesbaden: Franz Steiner 1962. 43 S. kl. 8° = Institut für europäische
Geschichte Mainz, Vorträge Nr. 31. Kart. DM 3.60.

Als ich vor einigen Jahren eine wissenschaftliche Untersuchung
und Darstellung des „Thesenanschlags Martin Luthers"
veröffentlichte', veranlaßte mich dazu einmal die starke Ver-
streutheit und Unübersichtlichkeit des über diesen Gegenstand
vorliegenden Materials, zweitens aber auch die Fülle noch ungelöster
Probleme. Zu ihnen gehörten — jedoch keineswegs (das
sei ausdrücklich betont) als einziger Punkt — die Frage des
(allein von Melanchthon erst 1546 überlieferten) Datums des
31. Oktober 1517 sowie die Unvereinbarkeit der Darstellung
Luthers, der bereits seit 1518 einen Kausalzusammenhang zwischen
dem Mißerfolg seiner Briefaktion bei den Kirchenfürsten
und der Veröffentlichung der 95 Thesen behauptete, mit den
tatsächlichen Vorgängen. An diesen beiden Punkten setzte der
Trierer katholische Kirchenhistoriker Erwin Iserloh ein, indem
er in einer ausführlichen Besprechung meines Buches in der
„Trierer Theologischen Zeitschrift" (Jahrg. 70 [1961], S. 303

— 312) sich nicht, wie ich es getan hatte, auf eine Kritik des
fragwürdigen Datums beschränkte, sondern weit darüberhinaus

— auf dem von mir dargebotenen Material aufbauend — vielmehr
das gesamte (gleichfalls nur von Melanchthon 1546 —
d. h. erst 29 Jahre nach dem Ereignis — überlieferte) Faktum
des Lutherschen Thesenanschlags völlig in Abrede stellte. Damit
glaubte er zugleich auch Luther von dem Vorwurf der Un-
wahrhaftigkeit entlasten zu können — ich selbst hatte die Unvereinbarkeit
der Darstellung des Reformators mit den tatsächlichen
Vorgängen auf eine ihm von seiner Umgebung nahebesondere
Georg Spalatin) aus diplomatischen Gründen nahegelegte
Korrektur zum Zweck der Selbstverteidigung und Rechtfertigung
zurückgeführt.

Seiner auf den ersten Blick durchaus bestechenden, geradezu
sensationellen These, die Iserloh zunächst nur an einer
ziemlich versteckten Stelle vorgetragen hatte, gab er sodann
durch einen am 8. November 1961 in der Mainzer Universität
gehaltenen öffentlichen Vortrag und anschließend durch dessen
Veröffentlichung im Rahmen einer selbständigen Schrift eine
wesentlich größere Publizität. Während der Hauptteil seines
Vortrages — wenn auch in etwas anderem Aufbau — der genannten
Rezension in Material und Darstellung weitgehend
entspricht, liefert er in den ersten Abschnitten noch eine kurze
theologiegeschichtliche und (vom Geiste seines Lehrers Joseph
Lortz getragene) kirchenhistorische Einleitung. Die Bedeutung
seines in geschickt und übersichtlich vorgetragener Beweisführung
erarbeiteten Ergebnisses: „Der Thesenanschlag fand
nicht statt" sieht Verf. darin, daß dadurch auf der einen Seite
Luther vom Vorwurf einer wissentlich vorgetragenen falschen
Darstellung entlastet wird und andererseits „noch deutlicher
wird, daß Luther nicht in Verwegenheit auf einen Bruch
mit der Kirche hingesteuert ist, sondern, wie Joseph Lortz mit
Nachdruck betont, absichtslos zum Reformator wurde" (S. 3 3),
eine Auffasung, wie sie die protestantische Lutherforschung schon
längst vertritt. Verzichtete Luther aber — nach Iserloh — darauf,
mit dem Thesenanschlag „eine Szene zu machen", so war den
kirchlichen Würdenträgern genügend Zeit gegeben, auf seine
Kritik, die — wenn auch teilweise von der Schulmeinung abweichend
— Verf. als durchaus noch „rechtgläubig" bezeichnet, „reli-
giös-seelscrgerlich zu reagieren", und ihr totales Versagen wog
daher um so schwerer.

Steht aber nun die Auffassung Iserlohs, der Luthers
Thesenanschlag als „Legende" erweisen will und damit manche
Schwierigkeit bei der Quelleninterpretation mühelos beseitigt,

') H. Volz, Martin Luthers Thesenanschlag und dessen Vorgeschichte
(Weimar 1959); vgl. Jahrg. 1961, Sp. 676 dieser Zeitschrift.