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Ausgabe:

1964

Spalte:

673-675

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Echternach, Helmut

Titel/Untertitel:

Kirchenväter, Ketzer und Konzilien 1964

Rezensent:

Beyschlag, Karlmann

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673

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 9

674

Winter, Paul: Une lettre de Ponce-Pilate (Foi et Vie 62, 1963
S. 101-108).

Zeitlin, Solomon: The Sadducecs and the Belief in Angels (JBL 83,
1964 S. 67—71).

KIRCHEN GESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Echternach, Helmut: Kirchenväter, Ketzer und Konzilien. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht [1962]. 232 S. 8°. Kart. DM 12.80;
Lw. DM 16.80.

Das Buch „will dem Pfarrer und dem Religionslehrer Hilfen
geben, die großen Gedanken der klassischen Zeit den Heutigen
nahezubringen. Es will hinweisen auf Wahrheiten, die
zeitlos und endgültig sind und unveränderlich über dem Wechsel
der Zeitmeinungen stehen". Unter diesem Motto hat der
Verf. 16 Vorträge über die alte Kirche zusammengestellt, die
bereits in ,,Christ und Welt" (bzw. im „Eckart") erschienen
waren. Gegliedert ist das Ganze in zwei Reihen („Der Westen",
S. 14 ff.; „Der Osten", S. 82 ff.), wobei man sich freilich wundert
, Ignatius von Antiochien an der Spitze des Westens und
Justin an der des Ostens zu erblicken. Der zeitliche Umfang ist
überaus weit gespannt. Er reicht auf der einen Seite über
Irenaus, Tertullian, Cyprian und Augustin bis zu Bonifatius,
auf der anderen über Athanasius, die Kappadozier, Chrysosto-
mus, Kyrill und Nestorius, Chalcedon, Leontius von Byzanz,
Maximus Confessor und Johannes Damascenus bis zum „Untergang
von Byzanz" (1453). Dabei werden auf östlicher Seite die
7 ökumenischen Konzile mitbehandelt, so daß man das Buch
zugleich als einen weiteren Beitrag zu der von K. G. Steck in
Jahrg. 1962, Nr. 10 dieser Zeitschrift besprochenen „Konzilsliteratur
" betrachten kann.

Freilich sind die östlichen Konzile nicht die Hauptsache,
im Gegenteil: Schon die unkonventionelle Voranstellung des
..Westens" vor dem „Osten" in der Gliederung, erst recht die
deutliche Gegenüberstellung der beiden Schlußglieder, dort Bonifatius
, der „Vater des Abendlandes" ( ! ), hier die Katastrophe
von 145 3, zeigen, daß die Sympathien des Verfs. eindeutig auf
der Seite des „Westens" stehen. Gewiß erwärmt er sich von
Irenäus an auch immer wieder für das „Geheimnis der Inkarnation
" (S. 29; 149; 207 u. ö.), also für das „punctum saliens"
östlicher Theologie (vgl. dazu Harnack, DG. III, S. 5 3 f.), allein
die mehr oder weniger offenkundige Mitte des Buches ist weniger
das Dogma als vielmehr die Kirche als „Ort der Freiheit",
will sagen „das schmerzhafte Gegeneinander von geistlicher und
weltlicher Gewalt", in welchem der Verf. „die geheime Kraftquelle
des Westens" (S. 222) erblickt, und dem er — jedenfalls
bis zum Jahre 1054 (S. 212), aber auch darüber hinaus (s. S. 223) —
das östliche Kirchentum in deutlicher Abwertung gegenüberstellt
: „Die Staatskirche war das Verhängnis des Ostens"
(S. 196). „Staatskirchen . . . sterben und werden zu großen
Infektionsherden" (S. 109), ja: „Staatskirche und Häresie" hängen
sogar „wurzclhaft zusammen" (S. 191). Von da aus fühlt
sich der Verf. berechtigt zu schreiben: „Was 1453 geschah,
mußte geschehen; denn in der Geschichte geschieht immer das
Notwendige" (S. 222; vgl. S. 99 u. ö.).

Nicht mäßiger, sondern eher schroffer als das Urteil über
..Kirche und Staat" (s. meine Besprechung J. Moreau in ThLZ
1963, Sp. 119) fällt dasjenige über die Ketzer aus (wobei
Verf. übrigens Häresie und Ketzerei unterscheidet, s. S. 11 f.).
Einige Kostproben: „Ketzer sind immer populär, nicht nur
heute ( ? ), sondern auch im Altertum ... Sie sprechen aus, was
man empfindet. Was im Zuge der Zeit liegt. Was man hören
möchte" (S. 11). Oder: „Der Häretiker . . . hält für gut, was
man anständigerweise für gut zu halten hat (?), wenn man
nicht mit der Umwelt in unangenehmer Weise kollidieren
möchte. Er hat sich dem Diktat des Kollektivs unterworfen (?!).
das sich ebenso in den Tagesmeinungen ausspricht wie in den
angeblich feststehenden Ergebnissen der Wissenschaft" (S. 11 f.).
Daher z.B.: „Marcion besaß das unmittelbare Gefühl des geborenen
Demagogen für das, was die Massen hören wollen".
Seine Lehre ist für den Verf. „simple Alltagsweisheit; nicht
ohne einen Zuschuß von Ressentiment gegen philosophische

und wissenschaftliche Theologie". „Sind wir nicht alle Brüder
und gleich? Marcion weiß, womit man die niederen Instinkte
kitzelt" (S. 26). Überhaupt heißt Häresie nach Echternach nichts
anderes als „mit biblischen Vokabeln sich selbst anbeten"
(S. 110). Es kann wohl kein Zweifel bestehen, daß derartige
Unterstellungen nicht nur sachlich falsch, sondern in dieser Form
auch indiskutabel sind.

Bedenklicher noch als solche Vereinfachungen ist die ausgesprochene
Neigung des Verfs., nicht die Zeit der alten Kirche
„den Heutigen nahezubringen", wie das Vorwort verheißt (das
wäre eine große und ernste Aufgabe gewesen!), sondern statt
dessen die kirchengeschichtlichen Ereignisse „der klassischen
Zeit" mit Hilfe des bekannten Zauberstabes der Analogie mit
angeblichen Parallelen der Neuzeit oder Gegenwart zu bekleiden
und von hier aus zu interpretieren. Nur angedeutet ist die
Parallelisierung z. B., wenn der angebliche „Demagoge" Marcion
(s. o.) als „Drahtzieher" des Weltgeschehens „natürlich die Juden
" verdächtigt und gegen den „Dogmenzwang" ( ? f ) opponiert
. „Wir kennen diese Töne!" (S. 26 f.). Ebenso bedenklich
ist es, wenn Paul von Samosata — „im übrigen ein sehr moderner
Mensch" — mit dem „Titel eines kaiserlichen Geheimrats"
angetan die Losung ausgibt: „Folgt nur dem schlichten Evangelium
Jesu" (S. 95 f.). Dazu kommen die nicht gerade seltenen
ausdrücklichen Unterstreichungen: „Zwischen dem despotischen
Gotenkönig, der seinem Volk den falschen Glauben vorschreibt,
und dem modernen Gelehrten, der die biblische Botschaft dem
Selbstverständnis des neuzeitlichen Menschen angleichen will
und etwa auf Grund der Naturkausalität Wunder für unmöglich
erklärt, besteht nur ein Unterschied der Spielarten" (S. 110).
Oder: Die Geschichte der Kirche ist „von immer neuen Versuchen
durchzogen, das Geheimnis der Inkarnation abzuschwächen
und Gott ins Unverbindliche zu verweisen . . . Heute
nennt man das Entmythologisierung oder dergleichen. Früher
hieß es Vergeistigung, noch früher Aufklärung" (S. 139). Oder
gar: „Der Gott der Monophysiten hat viele Gestalten: Er lebt
fort in dem „gütigen Vater" der Aufklärung, in dem Jesusbild
des 18. und 19. Jahrhunderts: dem großen Menschenfreund"
(S. 176). Und so weiter.

Leider beschränken sich derartige Entgleisungen nicht nur
auf das Urteil des Verfs., sondern vergewaltigen zum Teil auch
die historischen Tatsachen. So behauptet E. z.B. auf S. 14 f.,
das römische Kaiserreich habe zur Zeit des Ignatius von Anti-
och ien „einer sozialistischen Militärdiktatur" geglichen! Man
denke: das Imperium des beginnenden 2. Jahrhunderts! Nicht
minder blind für die Wirklichkeit ist die zum Fall Chrysosto-
mus aufgestellte Maxime: „Überall im Heidentum fallen politische
und geistliche Gewalt grundsätzlich zusammen" (S. 131).
Sind dem Verf. die antiken Mysterienkulte und... die Geschichte
des Papsttums so unbekannt? Irreführend ist weiter
die Behauptung, Bonifatius, der angebliche „Vater des Abendlandes
", habe, indem er die fränkische Landeskirche (deren
„verwesender Leichnam ... die Luft verpestete") mit Rom verband
, „Europa . . . einem Chaos entrissen" (S. 65 und 68).
Wenn überhaupt, so gebührt dieser Ruhm dem Sieger von
Tours und Poitiers. Vollends verfehlt ist schließlich die Gedankenreihe
, wonach säkularer Staat, Revolution und Nationalismus
Formen des „Enthusiasmus" seien (S. 227), der nicht
nur „der wichtigste Verbündete des östlichen Kollektivs"
(S. 228), sondern zugleich auch die „Grundlage der byzantinischen
Staatsidee" (S. 226) gewesen sein soll. Demgegenüber erhebt
sich für den Verf. „Europa" (bzw. die Kirche, s.o.) als
„Ort der Freiheit" (S. 219). „Denn seine Geschichte ist von
jeher die Auseinandersetzung mit der Macht Asiens" (S. 218).
Weder Perser, noch Hunnen, noch Sarazenen, Magyaren, Chinesen
, Türken und — so muß man im Blick auf das „Kollektiv"
wohl ergänzen — die Ketzer haben Europa je übermocht: „Es
lebt bis heute vom Wunder." „Sein Dasein gleicht einer Balance
auf dem Dachfirst — das Kennzeichen aller echten Wahrheit
" (ebda.).

Und wie auf dem staatlichen Sektor, so geraten auch im
engeren Bereich der Kirchengeschichte die historischen Tatsachen
mehr aJs einmal ins Rutschen. Es mag noch hingehen,