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1964

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Neues Testament

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 9

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schiedene Traditionen zerfallende Denkweise seit dem Ausgang
des 3. Jhdts. (S. 33—38), ja, als jüdische Ausprägung einer
„gesamt-antiken, . . . epochalen Denkweise" (S. 40), in der in
universaler Weise Glauben und Wissen ineins verschmolzen
und zur Erkenntnis der „Finalität und Katastrophalität alles
Geschehens auf dieser Erde und im Universum" (S. 41) geworden
sei. Deswegen liege nun auch für die moderne systematische
Theologie „viel daran, daß die Theologie wieder zu einer angemessenen
Würdigung des Phänomens der antiken und spätjüdischen
Apokalyptik findet" (S/42).' Es gilt so, entgegen dem
geschichtsabstrakten Verständnis von Eschatologie und Heilsgeschichte
in der dialektischen Theologie (S. 44 f.) von dem
Satz auszugehen: „Die Offenbarung Gottes ist" (nämlich im
Geschick Jesu) „Geschichte geworden" (S. 45). Verf. schließt
sich darin weitgehend W. Pannenberg an (S. 46), deutet aber
seine eigene Sicht in einigen zusammenfassenden Thesen zu
einer Neuinterpretation von Christologie, Eschatologie, Kosmologie
, Ekklesiologie und Sakramentenlehre an (S. 47—52).

Ein solcher Diskussionsbeitrag ist notgedrungen einseitig
und vom Material her unvollständig; er bleibt so problematisch
in dem doppelten Sinne, daß er, wiewohl wissenschaftlicher Untersuchung
entsprungen, von derselben Betrachtungsweise zugleich
am meisten auch beargwöhnt wird (was Verf., wer i er das erstere
so nachdrücklich betont, vielleicht ebenso nachdrücklich hätte
hinzufügen sollen). Aber auch we. ; c' > berücksichtigt wird,
lassen sich kritische Fragen nich: s i/üc* ~ ten, und zwar gerade
dort, wo man der Zielrichtung des Veifs. grundsätzlich wohl
zustimmen möchte. Nicht nur erscheinen die vom Verf. angegriffenen
Positionen oft allzu unprofiliert. Kaum z. B. würde
sich ein Schüler Bultmanns mit dem Bilde „des (!) heutigen
Exegeten und Kerygmatikers" identifizieren, nach dessen Meinung
Kerygma „den Letztgehalt (?) der neutestamentlichen
Botschaft " bezeichnen soll (S. 7 f.). Es tönt auch ein wenig
mißlich, wenn neutestamentliche Fachkollegen der Reihe nach
„abgehört" werden (S. 10). Und ist es nicht ebenso unschön
wie einseitig, K. Barth „dadaistische Dialektik" vorzuwerfen —
mit nur einem einzigen herausgegriffenen Zitat aus einem Aufsatz
von 1929 (S. 44)? Vor allem aber ist gegenüber der
Skizze des Verfs. selbst nicht Unwesentliches einzuwenden.

So richtig und der Betonung wert es ist, daß Jesus nur
unter dem religionsgeschichtlichen Horizont der jüdisch-apokalyptischen
Tradition richtig beschrieben werden kann, so wenig
überzeugt das vom Verf. herausgearbeitete Bild der Besonderheit
Jesu: Nachdem die gründliche Untersuchung von Tödt vorliegt,
ist es ohne Auseinandersetzung mit ihr kaum mehr möglich,
die präsentischen Menschensohnaussagen als primäre Menschen-
sohntradition Jesus zuzusprechen. Jesus hat sich m. E. nicht
selbst als der Menschensohn behauptet, zumal nicht als der,
den Gott bald erhöhen werde (natürlich auch nicht als der
künftig Wiederkommende, wie Verf. S. 24 richtig ausführt:
aber solches ist weder bei Bultmann noch bei Tödt zu lesen!).
Daß er sich gar als der „gottgesandte Erlöser" gewußt habe
(S. 22), ist angesichts der Quellenlage gänzlich unerfindlich.
Überhaupt besteht das Besondere Jesu nicht einfach darin, daß
er nur in den vorgegebenen Rahmen der traditionellen Enderwartung
6ich selbst sozusagen eingezeichnet hätte, sondern
darin, daß er entgegen der soteriologischen Struktur der traditionellen
Enderwartung das endzeitliche Heil als Geschenk
Gottes an die Frevler verkündete und darum proleptisch an das
Verhältnis zu sich selbst band. Der ausdrückliche Gegensatz
Jesu gegen die Toratradition und ihre Anwälte wird vom Verf.
völlig übergangen. Jesus ist nicht in der Weise, wie Verf. es
vertritt, einfach ein Apokalyptiker mit merkwürdig gesteigerter
Selbsteinschätzung gewesen. Sofern aber die meisten der vom
Verf. angegriffenen Exegeten (aber zumal auch Käsemann!)
wesentlich im Blick auf diesen sachlich entscheidenden Gegensatz
zur apokalyptischen Tradition Jesus von der Apokalyptik
überhaupt (darin gewiß zu Unrecht) distanzieren, sind diese
gegenüber dem Verf. mindestens ebenso wesentlich im Recht
wie er ihnen gegenüber. Es ist also nicht so „einfach", sondern
ein dorniges, z. T. rätselhaftes historisches Problem, Jesus (wie
es in der Tat notwendig ist!) im Rahmen der jüdischen Apokalyptik
zu verstehen, ohne ihn zum Apokalyptiker zu machen.

Im übrigen läßt die weitgehende, unmittelbar historische
Auswertung der synoptischen, ja, sogar der johanneischen Tradition
gegründete traditionsgeschichtliche Kritik vermissen. Daß
es keineswegs so einfach ist, die nicht Jesus zusprechbaren Traditionen
gleichwohl pauschal als sachlich richtige „Wiederspiegelungen
" (S. 21—23) der echten Jesusverkündigung in Anspruch
zu nehmen, sollte uns als den Erben der formgeschieht-
lichen Schule eine unwiderrufliche Erkenntnis sein. Alle Rekonstruktionen
, die Verf. auf solche Weise — zumal im Blick auf
das Endgeschick Jesu in Jerusalem, z. B. „Jesu Haltung vor Gericht
" (S. 23) — errichtet, sind sehr brüchig.

Was Verf. zur Geschichte der jüdischen Apokalyptik andeutet
, bedarf ebenso wesentlich eingehenderer Untersuchung,
als die am Wesentlichen vorbeiführenden kritischen Bemerkungen
zu dem Buch von Rössler. Abwegig erscheint — jedenfalls
in dieser Kürze —, was Verf. über die Apokalyptik als gesamtantike
Strömung ausführt: Wo bleibt bei einer so unbeschränkten
geschichtstypologischen Methode der streng historische Aspekt
, in dessen Namen Verf. zuvor polemisiert hatte?!

So interessant und anregend schließlich die systematischen
Ausführungen des Schlußabschnittes sind, so können doch auch
manche darin auffallenden Unklarheiten nicht übersehen werden
. Es ist z. B. nicht erkennbar, wie es gelingen soll, mit Verf.
geschichtstheologische Gedanken W. Pannenbergs mit Jaspers -
scher Axenzeit (S. 43), Tillichs Symbolbegriff (S. 48), de Char-
dins Kosmologie (S. 49) und Blochs „Prinzip Hoffnung" (S. 51)
zu einem raschen Gedankenkranz zusammenzuwinden.

Und doch ist die eingeschlagene Grundrichtung historischen
wie systematischen Fragens richtig und allen Nachdenkens sowie
gründlicher Diskussion wert: Wie ist Jesus und das älteste
Urchristentum historisch angemessen aus der Tradition jüdischer
Apokalyptik als seiner geschichtlichen Heimat zu beschreiben,
und was bc.::utet die apokalyptische Tradition im Urchristentum
systematisch im Blick auf das Wesen des Christentums?

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