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Ausgabe:

1964

Spalte:

660-661

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Baumgartner, Walter

Titel/Untertitel:

Zum Alten Testament und seiner Umwelt 1964

Rezensent:

Jepsen, Alfred

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659

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 9

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gesamten bewußten Verhaltens, insbesondere des psychischen Lebens,
gelten kann, mi wird vom Verf. bestimmt als unsichtbarer, unkörperlicher
Besitz des Menschen, der das Prinzip, den Beweggrund
seines Lebens bildet. Die m*l in diesem Sinne ist Teil des Menschen,
hat also keinen überindividuellen Charakter. Der eigentliche Eigentümer
aber ist Jahwe, dem sie im Grunde mehr als dem menschlichen
Leibe verbunden ist.

Im III. Kapitel (S. 93—9 5) befaßt sich Sch. kurz mit anderen Ableitungen
von der Wurzel m~): mit dem Verbum ml „sich erleichtert
fühlen" (Grundbedeutung „blasen" oder „atmen"), Hi „riechen" und
„erfreuen". Vom Hi ist das Nomen t"P"l „(Wohl)geruch" abgeleitet.

M11 in der Bedeutung „außernatürlicher (buit-natuurlike, extranatural
) Geist" ist das Thema des IV. Kapitels (S. 96—119). Während
nach Kap. II im allgemeinen der Mensch über seinen Geist verfügt,
gibt es auch eine m*l, die über den Menschen verfügt. Statt „Geist"
sollte man in diesem Falle lieber „Kraft", „Mächtigkeit" o. ä. übersetzen
. Dieser Geist ist zwar nicht mit dem im folgenden Kapitel beschriebenen
„Geist Jahwes" identisch, wird aber als ein von Jahwe
kommender Geist beschrieben.

Das sehr ausführliche Kapitel V (S. 120—239) trägt die Überschrift
„Der Geist Jahwes". 95 von den insgesamt 389 m*l-Stellen
werden für diese Bedeutung in Anspruch genommen (davon sind allerdings
15 Stellen, an denen der Wind Jahwes — ein zumeist wiederum
zerstörerisch wirkender Wind — gemeint ist, abzutrennen).

Sch. möchte zuerst die Art und Weise, wie der Geist Jahwes
wirkt, besprechen und teilt dazu nach den verschiedenen Objekten
ein, durch die der Geist sein Werk tut. In früher Zeit schon hat der
Geist Jahwes die Führer Israels bis zur Landnahme und dann vor
allem die Richter zu außergewöhnlichen Taten befähigt. Ähnliches
gilt für Saul, während die Taten Davids mehr auf ein ständiges Wirken
des Geistes zurückzuführen sind. Auch auf dem Messias wird
der Geist beständig bleiben; durch den Geist ist er die Repräsentation
Jahwes auf Erden. Vor allen anderen aber sind die Propheten
als Geistbegabte zu nennen. In Kürze werden einzelne „Erwählte"
anderer Art genannt, bei denen ebenfalls vom Wirken des Jahwegeistes
die Rede ist. Die Tatsache, daß bei den späteren Königen nicht
mehr vom leitenden Geist Jahwes gesprochen wird, führt Sch. auf die
allgemeine Tendenz der „Säkularisation" zurück, von der das Königtum
ergriffen ist. Der Geist Jahwes kann auch über das gesamte Volk
wie seine einzelnen Glieder als lebenbringende, furchtlos machende,
die Erfüllung der Verheißungen wirkende Kraft kommen.

Im folgenden wird — wenigstens im englischsprachigen summary —
der Geist Jahwes als extra-natural spirit bezeichnet, obwohl dieser
nach Kap. IV vom Geiste Jahwes unterschieden werden sollte. Vermutlich
ist der Grund darin zu suchen, daß der alttestamentliche
Sprachgebrauch selbst diesen von Sch. wohl allzu stark herausgehobenen
Unterschied so gar nicht macht (die Unterscheidung zwischen
der Jil!"P ml und einer iTBT nN73 m"l bzw. einer DTI2N ml liegt
m. E. auf einer anderen Ebene). Diesen extra - natural spirit möchte
Sch. vom Menschengeist (Kap. II), nicht aber vom Wind ableiten (über
diese Ableitung und die Art, wie man sie sich vorzustellen habe,
macht Sch. im summary S. 321 f. nähere Ausführungen). Die charakteristischen
Züge des Jahwegeistes sind Körperlosigkeit, Unsichtbarkeit
und dynamischer Charakter. Der Geist Jahwes, nahezu dasselbe wie
Gottes Odem, schafft Leben im Vollsinne des Wortes. Wenn in nachprophetischer
Zeit der Geist hie und da auch als Mittler des Gotteswortes
erscheint, so ist das ebenfalls auf seinen dynamischen Charakter
zurückzuführen.

Bei der Genetiv-Verbindung !T)i"P ml ist !Tl!"P in der Regel
genetivus possessoris. Ex gibt nur einen Geist Jahwes. In späterer
Zeit wird der Geist Jahwes zur Hypostase. Manchmal werden dabei
dem Geist, obwohl er unpersönliche Kraft bleibt, Eigenschaften einer
Person zugeschrieben.

Zusammenfassend kann Sch. feststellen: mi ist zuerst vom
menschlichen Lebewesen ausgesagt worden. Sie ist die den Menschen
bewegende Kraft, speziell sein Atem, eine bewegende Kraft aber auch
in umfassendem Sinne. Von hier aus konnte es zur Ausbildung der
Vorstellung eines „transzendentalen" Geistes kommen. Weil der Wind
dieselben äußeren Merkmale zeigt wie der menschliche Atem, heißt
auch er m~|.

Notwendigkeit und Wert derartiger Begriffsuntersuchungen
— in der gegenwärtigen deutschen alttestamentlichen Forschung
leider nur noch selten betrieben — sind unbestritten. Trotzdem
läßt die Arbeit von Sch., von Einzelheiten abgesehen, über die
man selbstverständlich immer verschiedener Meinung wird sein
können, in zweifacher Hinsicht unbefriedigt:

1. Die Arbeit ist viel zu breit angelegt. Wenn der Verf.
seinen Stoff auf etwa die Hälfte des jetzigen Umfangs komprimiert
hätte, hätte sie m. E. 6ehr gewonnen. Manchmal hat der
Leser den Eindruck, nicht von Ergebnis zu Ergebnis weitergeleitet
, sondern gewissermaßen im Kreise herumgeführt und
immer wieder den gleichen Sachverhalten konfrontiert zu
werden.

2. Verf. faßt die (religions)geschichtliche Entwicklung, die
auch ein Begriff wie m*l durchgemacht hat, in nur recht unzureichender
Weise ins Auge. Gewiß spricht er hie und da von
Bedeutungswandlungen, von später aufkommendem Verständnis,
aber man merkt der Arbeit noch allzu deutlich an, daß ihr Verf.
von der Sammlung und Auswertung der 389 m~-Stellen ausgegangen
ist, ohne von da aus den Weg zu einer religionsgeschichtlich
einleuchtenden Inbeziehungsetzung zu finden. Insbesondere
ist das völlige Absehen von der traditionsgeschichtlichen
Fragestellung und den auf diesem Gebiet bereits gezeitigten
Ergebnissen ein schwerer Schade. Rez. selbst ist weit davon
entfernt, sich die heute weithin übliche Überschätzung des
Wertes traditionsgeschichtlicher Forschung zu eigen zu machen;
ein Werk aber, das heute von den Ergebnissen überlieferungsgeschichtlicher
Arbeit am Alten Testament so gut wie keine
Kenntnis nimmt, scheint mir schon bei 6einem Erscheinen veraltet
. Über die Untersuchungen Albrecht Alts etwa, der der mi
beim Übergang zum Königtum eine sehr charakteristische Rolle
zuweist, die er weiterhin aber nur beim Nordreich-Königtum
fortgesetzt findet (Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes
Israel II, S. 1 ff.; 116 ff.), fällt kein Wort. Der Name A. Alt
taucht im Literaturverzeichnis nicht auf. Das gewiß schwierige,
aber ebenso interessante Thema „Amt und Charisma", dessen
Behandlung unbedingt hätte erfolgen müssen — vgl. den Artikel
G. Gerlemans „Geist und Geistesgaben im AT" in der RGG3 II,
den Verf. kennt und zitiert —, wird völlig ausgeklammert. Auch
eine Auseinandersetzung mit G. Quell, der der ITH im Prophe-
tentum eine sehr erhebliche (und zwar bedenkliche!) Rolle zuweist
(Wahre und falsche Propheten, 1952), ist nicht erfolgt;
nach dem Titel dieses Buches sucht man im Literaturverzeichnis
vergeblich.

Zum Literaturverzeichnis (S. 323): Der Artikel „Geist im AT"
im Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament, Bd. VI, ist nicht
von Bieder, sondern von Baumgärtel.

Miinster/Westf. Franz Hesse.

Baumgartner, Walter, Prof. Dr. theol. et phil.: Zum Alten
Testament und seiner Umwelt. Ausgewählte Aufsätze. Leiden: Brill
1959. VIII, 397 S. m. 3 Abb. gr. 8°. Lw. hfl. 36.—.

Die Theologische Fakultät in Basel hat Walter Baumgartner
zu seinem 70. Geburtstag nicht nur ein Heft der Theologischen
Zeitschrift (XIII, 6) als Festgabe gewidmet, sondern hat auch
die Herausgabe einer Sammlung seiner wichtigsten Aufsätze ermöglicht
. Da er selbst an der Auswahl beteiligt war und die
Sammlung durch eine vollständige Bibliographie seines Schrifttums
eingeleitet wird, ergibt sich im ganzen ein eindrucksvolles
Bild von dem, was Baumgartners wissenschaftliches Leben erfüllt
hat.

Anschaulich erzählt er in 6einem Nachruf auf Hermann
Gunkel (S. 371 ff.), wie er zu ihm gefunden hat und ihm Schüler
und Freund wurde. Von Gunkel hat er wohl auch die Anregung
empfangen, das Alte Testament in die volkskundlichen
Überlieferungen hineinzustellen. Diese Anregungen hat B. aber
völlig selbständig entwickelt und einen großen Teil seiner
Lebensarbeit auf das Studium der volkskundlichen Literatur
verwandt, immer mit dem Ziel, nicht nur biblische Aussagen
verständlich zu machen, sondern auch die Umwelt, etwa die
Aussagen Herodots über Babylon (S. 282 ff.). So sind neun von
den 16 Aufsätzen volkskundlichen Fragen gewidmet, darunter
so grundsätzlich wichtige, wie der über israelitisch-griechische
Sagenbeziehungen (S. 147 ff.) und der bisher noch ungedruckte
über Bibel und Volkskunde (S. 358 ff.).

Deutlich wird aber auch, daß B.s Arbeit weit über die
Volkskunde hinausgeht. Einmal hat er durch seine sorgfältigen
sprachlichen Untersuchungen für die historische Einordnung des
Biblisch-Aramäischen eine feste Grundlage (S. 68 ff.) und damit
auch die Voraussetzung für sein Biblisch - Aramäisches
Wörterbuch geschaffen, wie er auch sonst der Sprachgeschichte
des Hebräischen nachgegangen ist (S. 208 ff.).

Zum andern galt sein Interesse zusammenfassenden For-