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Ausgabe:

1964

Spalte:

652-654

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kitagawa, Joseph Mitsuo

Titel/Untertitel:

Gibt es ein Verstehen fremder Religionen? 1964

Rezensent:

Rudolph, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 9

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setzen, unzureichend, weil damit nur die schon im Abendland
bewußt gewordenen und formulierten Aspekte der christlichen
Botschaft in abgeschwächter Weise wiederholt würden, ohne
neue Seiten der Heilswahrheit zu entfalten und ohne die spezifische
Situation des Christentums in Indien zu berücksichtigen
. . . Bisher haben platonische und aristotelische Philosophien
ihre konkrete Idee vom Menschen angeboten zum Ausdruck
der Menschwerdungs-, Erlösungs- und Gnadenlehre, so daß, was
diese Philosophien gültig über den Menschen aussagten, in der
Formulierung dieser Dogmen verwendbar war. Aber man darf
mit Recht erwarten, daß andere Philosophien weitere Seiten des
Menschseins ausdrücklich erfaßt und dargestellt haben, die in
dieselben Dogmen hineingehören, nicht als Änderungen oder
Zusätze zu ihrem Gehalt, sondern als Ermöglichung entfalteterer
Aussage über das, was der Mensch ist." Als Beispiele nennt
Neuner die indische Karma-Lehre und das Yoga-System. Schon
der Titel seines Buches legt es nahe, diese Sätze im Blick zu
behalten, zumal es das Ergebnis einer Gruppenarbeit ist.

Zunächst einige Bemerkungen und Wünsche zur äußeren
Gestalt des Buches! Seine Beiträge nennen, mit Ausnahme des
Geleitwortes, das die Unterschrift seines Verfassers Gerhard
Oberhammer - Utrecht trägt, keine Verfassernamen. Die Verfasser
sind europäische, seit Jahren in Indien tätige Jesuiten.
Eine kurze Notiz vor dem Inhaltsverzeichnis nennt sie, leider
ohne nähere Angaben über ihre Tätigkeit. „Der Zweck dieses
Buches ... ist ein eminent praktischer", schreibt G. Oberhammer.
,,Es sollte vor allem Priestern und Ordensleuten helfen, dem
Hindu als Menschen in seiner Eigenart und Geistigkeit begegnen
zu können, ohne jenen modernen Irrweg der Relativierung
der Wahrheit zu gehen. Darüber hinaus ist dieses Buch für alle
jene geschrieben, die in analoger Situation als Arzt, Techniker
und Wissenschaftler, selbst als ernsthafte Reisende unter den
Menschen Indiens leben" (S. VIII). Eine solche Einführung in
den Hinduismus, heute in der Tat kaum zu entbehren, hätte,
zumal sie auch für Laien bestimmt ist und in der Dichte ihrer
Darstellung das schwere Gewicht umfangreicher wissenschaftlicher
Vorarbeit trägt, eines Index, eines Literaturverzeichnisses
und der Anmerkungen bedurft.

Die Verfasser wollen ,,den modernen Hinduismus in der
Auseinandersetzung mit jenen alten Schichten seines historischen
Werdens beurteilen und verstehen" und „jene philosophischen
Leistungen . . . , in denen hinduistische Denker, welcher Zeit
auch immer, ihre Erfahrungen von Sein und Seiendem methodisch
erfaßt und in Systeme gebracht haben", würdigen (S. X).
Sie wollen also, und das ist zu begrüßen, die innere Kontinuität
einer Religion herausarbeiten, die von außen gesehen ein Bündel
von Religionen und Philosophien darstellt. Wie umfassend
sie sich religions- und philosophiegeschichtlich darum bemühen,
zeigen schon die Titel ihrer 24 Beiträge. Es ist nicht möglich,
sie hier wiederzugeben. Jeder Beitrag ist zuverlässig und klar,
so daß das Buch für den, der mit dem Hinduismus in Geschichte
und Gegenwart vertraut ist, ein willkommenes Kompendium
ist; für jeden aber, der diese Vorkenntnisse nicht mitbringt,
wird es mit seiner Anhäufung von Tatsachen, Termini und Namen
zu einem Irrgarten, in dem er sehr bald rat- und hilflos
stehen wird.

Die meisten Kapitel schließen mit einer „Christlichen
Würdigung" ihres Inhalts oder mit einer „Zusammenfassenden
Beurteilung", die das Dargestellte ebenfalls der „Kraft der Kirche
", ihrer ,,in sich geschlossenen Lehre" unterwirft, „die in
einer großen lebendigen Synthese alle Aspekte der menschlichen
Existenz in sich aufnimmt und integriert" (S. 244). Wer diese
Lehre nicht teilt, wird nicht nur Einzelheiten der Darstellung,
sondern ihre römisch-katholische „Würdigung" von Grund aus
anders sehen. Dazu kommt wiederum, daß die Knappheit der
dogmatischen Aussagen ebenso wie die durch den Pluralismus
der Verfasser bedingte Variation der Wertung vor allem für
den Laien erhebliche Unklarheiten bewirkt. Die Grundthese des
Buches lautet: „Die Tatsache, daß der Hinduismus noch nicht
fähig war, einen einzigen Weg zu Gott auszuarbeiten und solch
eine^Vielfalt der religiösen Konzeption aufweist, zeigt, daß es
ein Suchen ist, das noch keine definitive Antwort gefunden hat.

Die Antwort ist natürlich Christus . . ." (S. 7). Dieses „Natürlich
" — eine reine, durch keinen religionswissenschaftlichen Befund
zu belegende Glaubensaussage — wird erhärtet, indem
einerseits das Wort Jesu in Mt. 5, 17, er sei nicht gekommen
aufzulösen, sondern zu erfüllen, in textlich unzulässiger Weise
auf den Hinduismus bezogen wird, und indem andererseits der
religionswissenschaftliche Befund so gedeutet wird, daß „die
göttliche Vorsehung hier am Werk" erscheint, obschon „sich
einige ernsthafte Fehler eingeschlichen haben" (S. 169), daß z.B.
„der hinduistische Glaube an Avatäras" als „eine Vorwegnahme
, eine schattenhafte, aber echte Vorabbildung des christlichen
Mysteriums" (S. 167) verstanden wird. Daß „diese von
Christus angebotene Erfüllung", in solcher Weise zu Grunde
gelegt, „immer Opfer und Demut mit sich bringt", und „hierin
das große Hindernis liegt" (S. 7), wird immer wieder mit Nachdruck
betont. Aber letztlich geht doch alles in Christus auf.
Das lautet z.B. so: „Die indische Philosophie verweigert dem
Menschen seinen wirklichen Status als Kreatur; die indische
Theologie kann den Menschen nicht als ein Wesen an sich, das
von Gott zur übernatürlichen Bestimmung des göttlichen Lebens
gerufen ist, begreifen. Dadurch, daß sie den Menschen von Natur
aus göttlich denkt, nimmt sie der Realität der Sünde ihre
tiefe Angst und der Realität der Gnade ihre Macht, einen
>neuen Menschen< zu schaffen. Doch wenn die Seele des Hindu
ihre Philosophie und Theologie vergißt, bringt sie ihre menschlichen
Ziele und Bestrebungen so nahe der christlichen Seele,
daß man das Echo des allen Menschen gemeinsamen Rufes, ihre
Seele zu verlieren, um sie zu finden, hören kann."

Im Geleitwort findet sich der Satz: „Dieses Buch ist mit
anderen seiner Art ein Anfang, und zwar ein Anfang auf praktischer
Ebene" (S. XI). Die Zahl der „anderen" ist — audi auf
evangelischer Seite — so beträchtlich, daß wir es bibliographisch
nicht mit einem Anfang zu tun haben. Um einen höchst wichtigen
Anfang würde es sich handeln, wenn sich in dem Buch
entsprechend der oben wiedergegebenen Wegweisung des
Herausgebers „entfaltetere Aussagen über das, was der Mensch
ist", fänden und somit „neue Seiten der Heilswahrheit entfaltet
" würden. Das ist nicht der Fall. Es ist das auch wohl nicht
die Aufgabe europäischer Jesuiten, sondern, soweit es „Hinduismus
und Christentum" betrifft, die große Möglichkeit der
Christen in Indien selbst.

Tübingen Gerhard R o s en k ra n z

K i t a g a w a, Joseph M.: Gibt es ein Verstehen fremder Religionen?

Mit einer Biographie Joachim Wachs und einer vollständigen Bibliographie
seiner Werke. Leiden: Brill 1963. VIII, 66 S. gr. 8" = Beihefte
d. Zeitschrift f. Religions- u. Geistesgeschichte, VI: Joachim-
Wach-Vorlesungen, hrsg. v. E. Benz, I. Lw. hfl. 8.—.

Drei Jahre nach dem frühen Tode J.Wachs sind 1958 an
der Theol. Fakultät der Philipps-Universität Marburg/Lahn die
„Joachim-Wach-Vorlesungen" durch eine Stiftung der Schwester
Wachs ins Leben gerufen worden. Sie sollen dem Themenkreis
„Begegnung und Auseinandersetzung des Christentums mit den
nicht-christlichen Religionen" gewidmet sein. Als erster Sprecher
hat diese Reihe der Schüler und Nachfolger Wachs, J. M. Kita-
gawa von der Federal Theological Faculty der Universität
Chicago, eröffnet. Seine zwei Vorträge sind in der vorliegenden
Schrift durch E. Benz aus dem Amerikanischen übersetzt und
veröffentlicht worden.

Es handelt sich zunächst um die bereits bekannten Ausführungen
K.s über Leben, Forschung und Lehre J. Wachs (1—31).
Sie entsprechen der Einleitung zu den postum herausgegebenen
Vorlesungen Wachs über „The Comparative Study of Religions",
N. Y. 1958, S. X-XLVIII; dt. Ausgabe: „Vergleichende Religionsforschung
", Stuttgart 1962 (Urban-Bücher 52), S. 10—34
(vgl. ThLZ 1964, Sp. 346). Die Darstellung umreißt die wesentlichsten
Phasen von Wachs Leben und Denken. Für den
Theologen dürften besonders die Abschnitte über W.s Religionsbegriff
(18 ff.) und „irenisches Bemühen" (24 ff.) lesenswert sein.
W. hat sich ja zusehends auch theologischen Fragen zugewandt
und die Bedeutung der Religionsgeschichte für die Theologie
nicht nur im Raum der Apologetik gesehen, sondern vor allem
auch „in der Bestimmung von Wesen und Ausmaß von Gottes