Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1964

Titel/Untertitel:

Praktische Theologie

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

625

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 8

626

seibst opfernden Gnade, ist das primäre Datum der menschlichen
Existenz" (60). „Diese Herrschaft ist nicht eine religiöse Angelegenheit
, ist mit keiner Religion oder religiösen Gestalt verbunden. Sie
ist eine Realität jenseits aller religiösen oder kultischen oder sakralen
Bildungen, jenseits aller Ideologien und jenseits aller geschichtlich
gewordenen kulturellen oder rassischen, nationalen oder sozialpolitischen
Systeme" (60 f.). „Unter der Herrschaft Jesu Christi zerschmilzt
alles, was nicht mehr tragfähig, relevant und schöpferisch ist" (65).

Den umfassendsten Beitrag zum Generalthema gibt E. Wolf,
der von der klärenden Sachfragc ausgeht: „Ist die Herrschaft Christi
als des .Herrn der Welt' der Kirche oder der Christenheit zur Verwirklichung
aufgegeben, oder ist vom Christen gefordert, die
Herrschaft Christi im Ganzen seines irdischen Daseins wirksam zu
bezeugen?" (68). Nach Auseinandersetzung mit den „Ordnungstheologen
" (69) Thielicke, Gegarten und P. Brunner (69—72) entscheidet
W.: „Der Christ kann nicht einen Ordnungskosmos christlichen
Ursprungs als Herrschaft Christi proklamieren ... Er hat vielmehr
nach dem Gebotscharaktcr der ihm in Christus ge-
sdienkten neuen Wirklichkeit innerhalb seines Daseins unter den
Nöten dieser Welt zu fragen" (72). Dies Verhalten wird 6odann anhand
von „drei Begriffen von grundlegender Wichtigkeit und wegweisender
Bedeutung", nämlich als Nachfolge, Gehorsam und Solidarität
(ebda.) dargelegt.

Zum Abschluß durchdenkt H. Gollwitzer das Verhältnis
von Theologie und Kirche, wie es sich seit 1919 in Deutschland gestaltet
hat. Was hier unter den Stichworten: Theologie als Funktion
der Kirdie, wissenschaftlich-kritischer und kirchlicher Charakter der
Fakultätstheologie, heutiger Konsensus und axiomatisdies Credo abgehandelt
wird, bedeutet eine teils behutsame teils kräftige Skizzierung
der heutigen Lage; aber es ist nicht mehr ein gezielter Beitrag
zum Gcneralthema.

Der Sanimelband bekundet eine weitgehende Einheitlichkeit
der Gesamtschau. Nur Käsemanns Auslegung von Römer 13, 1—7
fügt sich kaum in die durchgängige Ableitung eines evangelischen
Gehorsams-Glaubens aus der verborgenen Gnadenherrschaft
Christi über die Welt. Wenn Rö 13 ,,in einer Anschauung von
der Schöpfung basiert" (44), die nicht christologisiert werden
kann, so setzt dieser exegetische Befund hinter diesen Band
ein Fragezeichen, das zu sorgsamem Überdenken der wertvollen
Einzelbeiträge verhelfen möchte.

Leipzig August K i in m e

Bartsch, Hans-Werner: Hermeneutik, Technik und Kasuistik (Dt

PfrBl 64, 1964 S. 173 f.).
Fries, Heinridi: Um Bultmanns Glaubenstheologie (MThZ 15, 1964

S. 58—62).

Geiselmann, Josef Rupert: Zur neuesten Kontroverse über die
Heilige Schrift und die Tradition (ThQ 144, 1964 S. 31—68).

K o 1 p i n g, Adolf: Zehn Jahre einer neuen Fundamentaltheologie
(MThZ 15, 1964 S. 62-69).

P 1 a c h t e, Kurt: Die Grunderfahrung der Transzendenz (PB1 104,
1964 S. 201—204).

Preus, Robert: Schriftautorität, Offenbarungsverständnis und historisch
- kritisdic Methode (Teil II) (Lutherischer Rundblick 12, 1964
S. 2-12).

Scheffczyk, Leo: Ausblicke und Folgerungen einer Geschichte
des Schöpfungsdogmas (ThQ 144, 1964 S. 69—89).

— Die Erbschuld zwischen Naturalismus und Existentialismus (MThZ 15,
1964 S. 17—57).

Wolf, Ernst: Kirche zwischen Gericht und Gnade (ZdZ 18, 1964
S. 162—180).

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Arnold, Franz X.: Wort des Heils als Wort in der Zeit. Gesammelte
Reden und Aufsätze. Trier: Paulinus-Verlag 1961. 304 S. 8°.
Lw. DM 15.80.

Der Band enthält 19 Aufsätze des Tübinger Pastoraltheologen
; den Schwerpunkt bilden theologische Erörterungen
über das Verhältnis von Wort Gottes zu Predigt, Seelsorge
und Unterricht, ferner über den Begriff der Pastoraltheologie
überhaupt. Die grundsätzlichen theologischen Feststellungen erscheinen
sodann, angewandt, in einer Anzahl Äußerungen zu
modernen sozialen und politischen Fragen wie Mitbestimmungsrecht
, Säkularismus, Antisemitismus, Konfessionspolitik u. a.
Dabei sind die Aufsätze durchaus keine zufällige Nachlese von
Einzelarbeiten, sondern sie geben einen eindrucksvollen Überblick
über das Lebenswerk ihres Verfassers, das eine Reihe bedeutsamer
Neuansätze gegenwärtigen katholischen Denkens
aufweist. Theologiegeschichtlich gesehen ist hier erstens konsequent
die überkommene spamnungslose Kirche-Staat-Verbindung
aufgelöst und der Kirche eine — „präkonstantinische" — Selbständigkeit
und Selbstverfaßtheit wiedergegeben; so hat z. B.
die Seelsorge im Grunde „missionarischen" Charakter. Zweitens
meint der Verfasser, in den letzten Jahrhunderten dieser nun
zu Ende gehenden konstantinischen Periode habe die katholische
Theologie zu einseitig Gesichtspunkte der Gegenreformation
geltend gemacht und daher das Gesamtbild der Kirche verzerrt
; aber die Gegenreformation sei, wie auch die „neue Theologie
" der französischen Dominikaner betont (Congar, Chenu,
Thils u.a.), zu Ende, und die Theologie müsse einen neuen,
das Ganze der Kirche im ihren Ursprüngen erfassenden Ausgangspunkt
gewinnen. So orientiert sich der Verfasser, systematisch
gesehen, — und dabei werden die tiefen Einwirkungen
der katholischen Bibelbewegung und der liturgischen Erneuerung
offenbar — am NT, zumal an Johannes, und an den ersten drei
Jahrhunderten, „wo die Entwürfe noch einfach und klar, wesentlich
und sinnerfüllt waren". Das ist keine „romantische Repri-
stination", sondern „regenerative Erneuerung vom Ursprünglichen
und Wesentlichen her". Schon in den „pastoraltheologischen
Durchblicken" (Seelsorge aus der Mitte der Heilsgeschichte,
Freiburg 1956) zeigte sich, wie rein diese Theologie diristozen-
trisch bestimmt ist. Nimmt man, philosophisch gesehen, hinzu,
daß der Verfasser seine Positionen in einiem organisch-dynamischen
Denken gewinnt, so dürften die Elemente, von denen
das wissenschaftliche Eigenleben dieser Erörterungen getragen
wird, beisammen sein. Bedeutend sind die Ergebnisse: bezüglich
der „Kirche" gelangt er, „im Vollsinn ihres dogmatischen Verstandes
" und „nach ursprünglicher und bester katholischer Tradition
", unter Überwindung der seit der Gegenreformation zu
einseitig hierarchischen Sicht der Kirche zur „wahrhaft ganzheitlichen
Schau der liturgisch, kerygmatisch und seelsorgerlich
handelnden Kirche, die im Anschluß an das paulinisch-patri-
stische Bild vom Leibe Christi nicht so sehr . . . Über- und
Unterordnung unterstreicht, als vielmehr Einheit, Gliedschaft
und Verantwortung aller Getauften an dem einen Leib und
Priestertum des verklärten Herrn". — Pastoraltheologie ist ihm
Theorie, „theologische Lehre von den Wirkformen der Kirche",
wobei aber „das hartnäckige Mißverständnis" zu vermeiden ist,
„als erschöpfe sie sich „in der Anleitung nur der kirchlichen
Amtsträger zur seelsorgerlichen Praxis". „In Wahrheit sind
grundsätzlich alle Getauften Subjekt kirchlichen Handelns und
verantwortlich Träger ihrer Wirkformen", und auch der Laie
ist einzubeziehen „in den Dienst an Wort und Altar, also in
das Sakrament der Kirche". Damit sind Positionen bezogen, wie
sie sich seit 1 1h Jahrhunderten in der Pastoraltheorie kaum
mehr fanden; der Anschluß geht dicht an jene süddeutschen
Kreise heran, wo Schleiermachers Einfluß sich mit dem Wirken
Sailers verband1. — Predigt ist nicht nur, wie es Gegenreformation
(so noch J.Kuhn 1855) und Aufklärung sahen, Belehrung,
Unterricht, Moralunterweisung, so daß allein das Sakrament
Gnadenmittel wäre, sondern „auch die Predigt ist Gnadenmittel",
wie das Sakrament auch Verkündigung ist; Predigt ist Verkündigung
, etwa im Sinn von Wyngren und Asting. — Die Reformation
sieht der Verfasser in erster Linie religiös bedingt;
die zahlreichen Hinweise auf Luther dürften vielfach auf Anregungen
Erich Seebergs zurückgehen, dessen Arbeiten überhaupt
auf katholischer Seite neu beachtet werden (z.B. bei E. Przywara).

Mit alledem erweist sich der Verfasser als ein membrum
praeeipuum jener Gruppe moderner katholischer theologischer
Denker, wie sie sich etwa in den Kreisen um die Innsbrucker
Verkündigungstheologie (Jungmann, Hugo und Karl Rahner,
Lakner u. a.), um die französische „Theologie der Wirklichkeiten
", oder um die deutsche Gruppe um Geiselmann und Arbeiten
jüngerer Theologen wie Hünermann, Burkhart, Ruf, Weindel

') Die katholischen Parallelen zu Schleiermacher, Nitzsdie und

zumal Liebner habe ich in meinen „Theologischen Wandlungen von

Schleicrmacher bis Karl Barth" nachgewiesen (Tübingen 1963, cf.
bes. S. 83—92).