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1964

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Kirchengeschichte: Reformationszeit

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613 Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 8

Bei der Durchführung dieses Programms zeigt sich, daß
die positive Aufgabe der Ermittlung Eckhartschen Einflusses mit
der negativen der Ausschließung anderer auch möglicher Abhängigkeiten
ständig Hand in Hand gehen muß. Diese diffizile
Sonderung wird durch minutiöse Analyse aller „Elemente" der
Formulierungen hier und dort und des jeweiligen Kontextes
erreicht. Gelegentlich erscheint das „Elementen"-Prinzip zu
stark strapaziert, so daß die Ergebnisse nicht durchweg gleich
überzeugend sind. Sie sind auf vier Seiten am Schluß des Buches
übersichtlich zusammengestellt.

Als weiteres Resultat ergibt sich bei diesen Untersuchungen
verständlicherweise die Feststellung der Einflüsse anderer Autoren
auf die Schriften des NvK. Darunter sind die Proklus, den
Areopagiten, Eriugena und die Chartres-Theologen betreffenden
Nachweisungen von besonderem Interesse. Da sie sich ebenfalls
auf die Vergleichung kleinster Elemente in den Formulierungen
und spezifischer Nuancen der Gedankenführung stützen
, erreichen sie einen hohen Sicherheitsgrad, auch dann, wenn
nicht, wie beim Parmenideskommentar des Proklus, NvK.s
eigenes Exemplar (cod. cus. 186) mit seinen Marginalien zur
Verfügung steht.

Alle diese Nachweise sind als Ergänzungen zu den entsprechenden
Editionen der Heidelberger Cusanus-Ausgabe anzusehen
. Sie machen aber noch nicht den wesentlichsten Wert
dieser Untersuchung aus. Dieser besteht

1) in der eindringlichen Herausarbeitung derjenigen ME
und NvK gemeinsamen metaphysischen Lehrgegenstände, in
denen beide der neuplatonischen Einheitsspekulation folgen und
sich von der aristotelisch -thomistischen Seinsmetaphysik entfernen
,

2) im Aufweis der selbständigen Behandlung und
Weiterentwicklung dieser Eckhartschen Positionen
durch NvK, sei es, daß er sie modifiziert oder rektifiziert und
auf diese Weise von Mängeln befreit, die zu Mißdeutungen und
zur Verurteilung Eckhartischer Sätze geführt hatten, sei es, daß
er sie ausbaut und gedanklich weiter verfolgt und erst dadurch
die legitimen oder illegitimen Konsequenzen sichtbar macht, zu
denen sie führen, sei es, daß er sich Eckharts Problemlösungen
gegenüber überhaupt reserviert verhält.

Um welche Gegenstände es sich handelt, kann hier nur ganz
summarisch durch die Angabe der Überschriften der fünf Kapitel, in die
W. den Stoff gliedert, angedeutet werden: 1. Transcendentalien,
2. Seinsprobleme, 3. Einheit und Vielheit, 4. Ewigkeit und Zeitlichkeit
, 5. Gott und Geschöpf. Es geht also im wesentlichen um die Probleme
der Ontologie, speziell der analogia entis.

Lediglich als beispielhafte Verdeutlidiung dessen, was die Unter-
sudiung leistet, seien einige konkrete Hinweise auf den Inhalt der ersten
beiden Kapitel angefügt. Sie beginnen mit der Behandlung der Transzendentalien
, weil Eckhart und Nikolaus diese Gott zuweisen, während
sie „bei Thomas auf die Ebene des ens oder esse commune gehören
" (S. 17). Darum ist für ME Gott das esse ipsum, während bei
Thomas das esse als solches nidit subsistent, also nicht einfach gleich
Gott sein kann. Bei NvK aber „erscheint die Eckhartsche Gleichsetzung
des esse in fremdem Gewände, sie ist hinter dem auf Gott bezogenen
Begriff der entitas verborgen" (S. 21). Für die transzendentalen Vollkommenheiten
der endlichen Dinge ist Gott nach Thomas die Ursache,
bei Eckhart zugleich ihr formaler Grund, denn er setzt auch die transzendentalen
Begriffe mit Gott gleich.

Im zweiten Kapitel wird der Denifle'schen Kritik an Eckharts
Vermischung des esse dei und des esse commune und der darin liegenden
Gefahr des Pantheismus weitgehend recht gegeben. Als ihre
Wurzel wird die platonische Einheits-Metaphysik aufgedeckt, nach der
das Sein eine den Dingen vorausliegende Wirklichkeit statt des von
den Dingen abstrahierten Begriffes der aristot.-thomist. Seins-Meta-
physik ist. NvK habe die Gefahr überwunden, indem er zwischen erkenntnistheoretischen
und ontologischen Aussagen unterschied. Er
„trennt Begriff und Wirklichkeit Gottes" und stellt das esse commune
als esse universale zusammen mit genus und species als intellektuelle
Abstraktionen Gott als dem absolutum gegenüber. Daß NvK diese
Distinktionen „im Hinblick auf Eckhart traf", zeigt W. durch Nebeneinanderstellung
von Texten aus ME's Johanneskommentar und NvK's
Apol. doct. ignor. Da NvK die vier genannten Einheiten aber bereits
in der Docta ignorantia unterscheidet, darf nach W. angenommen
werden, daß ME's Johanneskommentar eben schon zu dieser frühen
Zeit das Denken des Cusancs beeinflußt hat. Denselben Schluß erlaubt
die auch bereits in der Docta ignorantia zu findende Eckhart-
isdie Definition der Kreatur als medium inter deum et nihil.

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J. Koch kann des Dankes der mediaevistischen Forschung
gewiß sein, daß er diese Arbeit seines nur 33 Jahre alt gewordenen
Schülers posthum mit aller Sorgfalt und durch eigene
wertvolle Anmerkungen bereichert veröffentlicht hat. Seine im
Vorwort ausgeprochene Hoffnung, daß das Buch seines Schülers
den vor 70 Jahren von seinem Lehrer Cl. Baeumker begründeten
„Beiträgen" „nicht zur Unehre" gereichen möge, geht gewiß
nicht fehl.

Rostock Konrad Weiß

Trapp, Damasus: Gregorio de Rimini y el nominalismo (Augustinia-
num 4, 1964 S. 5—20).

KIRCHENGESCHICHTE: REFORMATIONSZEIT

Mainka, Rudolf M., CMF: Zinovij von Oten'. Ein russischer Polemiker
und Theolog'; der Mitte des 16. Jahrhunderts. Rom: Pont.
Institutum Orientalium Studiorum 1961. XVI, 226 S. gr. 8° =
Orientalia Christiana Analecta, 160. Lire 2.500.—; $ 4.20.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Zinovij Otens-
kij, einem interessanten Mönchstheologen und Polemiker vor
dem Hintergrund der Freidenkerbewegung im damaligen Rußland
, d. h. neben Matvej Baskin vor allem mit Feodosij Kosoj.
Die Untersuchung ist übersichtlich in folgende Abschnitte eingeteilt
: Je eine profangeschichtliche, kirchengeschichtlidie, theologiegeschichtliche
und bibliographische Einführung (1—7).
Der I. Hauptteil: Zinovijs Leben und Werk (11-113), in
dessen 3. Kap. ausführlich über die durch Kosojs Lehren beeinflußten
, aber kirchentreuen Gesprächspartner Zinovijs sowie
des letzteren Antworten referiert wird. Im II. Haupt teil:
Zinovijs Lehre (123—219) wird diese in fünf Kapiteln entfaltet.
l.Kap.: Zinovijs Fundamentaltheologie, 2. Kap.: Zinovijs Lehre
von der natürlichen Gotteserkenntnis, 3. Kap.: Zinovijs Trini-
tätstheologie, 4. Kap.: Zinovijs Heilslehre und S.Kap.: Zinovijs
Bildertheologie. Ein Schlußwort, Personenverzeichnis und
ein Sachweiser schließen die Arbeit ab. Sie ist, wie bereits bemerkt
, klar und übersichtlich gegliedert, methodisch sowohl in
ihren historischen wie im ihren literaturgeschichtlichen Partien
sicher gegründet. Das gilt auch für den letzten theologischsystematischen
Abschnitt, in dem Verf. natürlich von der katholischen
Dogmatik ausgeht, worüber noch zu reden sein wird.
Nachdem bereits Th. Spidlik in derselben Reihe eine ausgezeichnete
Untersuchung über Josif Volokolamskij veröffentlichte
(vgl. Rezension von F. v. Lilienfeld, in dieser Zeitschr.,
1960, Sp. 760—762), dürfen wir bei der bekannten Schwierigkeit
, an die Quellen heranzukommen, dem Verf. für seine gründliche
und, auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung,
sachlichen Darstellung einer ganz anderen Mönchspersönlichkeit
des ausgehenden russischen Mittelalters nur dankbar sein.

Mein Hauptbedenken richtet sich dagegen, daß Verf. die
theologischen Aussagen Zinovijs nach der katholischen Schul-
dogmatik1, d. h. in der Hauptsache nach Thomas von Aquin,
ausrichtet. Mainka befindet sich in diesem Punkte in Übereinstimmung
mit den meisten sovjetischen Forschern (vgl. etwa
I. U. B u d o v n i c, Russkaja publicistika XVI veka, Moskau-
Leningrad 1947, 279)2. Beide Seiten vereinfachen m. E. die tatsächliche
Problematik in nicht unbedenklicher Weise. Mainkas
saubere Analyse der Werke Zinovijs hat ihm natürlich eine
Reihe von angeblichen Unzulänglichkeiten und sogar, wie er
meint, Unfruchtbarkeit seiner Polemik (S. 222) aufgewiesen,
deren Überwindung es „nur in Verbindung mit dem lebendigen
Lehramt der einen Kirche Christi geben kann" (ebendort). Ich
glaube, daß die Probleme anders liegen. Hier nur ein Beispiel:
M. skizziert S. 147 den 2. Gottesbeweis Zinovijs, leider ohne
den russischen Text zu geben (auch sonst wäre es besser gewesen
, den russischen Originaltext zu bieten!). S. 161 — 162
meint Verf., daß Zinovijs Gedankengängen die scholastische
Konzeption vom „primus motor immobilis" zugrunde liege,

') Statt Scheebens „Handbuch der katholischen Dogmatik" kommt
man den Gedankengängen Zinovijs leichter näher, wenn man Scheebens
„Natur und Gnade" (München 1922) heranzieht.

2) Dieses Buch, das Verf. nicht benutzen konnte (S. XIII), ist
auch in der Sovjetunion eine antiquarische Seltenheit.