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1964

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Kirchengeschichte: Allgemeines

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603

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 8

604

Buch von G. Mensching, Gut und Böse im Glauben der Völker,
Stuttgart 19502 einmal zur Hand zu nehmen. Grundsätzlich
aber sieht man eich einer solchen Mammutbibliographie gegenüber
in die Frage nach ihrem Sinn gedrängt. Es ist ja gar nicht
alles Literatur zum Thema Ethos oder Paränese! Es ist ja zu den
verschiedensten Nebenthemen Literatur mit darin. Sollte das
nicht aus der Anordnung sichtbar werden? Hier ist lediglich
eine Teilung in Kommentare und anderes vorgenommen. Im
übrigen regiert das Alphabet. Der Leser wird also nicht einmal
in die Lage versetzt, sich einen Überblick über die Literatur
zum Thema Ethos zu verschaffen. Vollständigkeit wird niemand
erwarten, auch nicht, daß alle Literatur vollständig verarbeitet
ist. Ist aber Ordnung eine unangemessene Hoffnung? Ferner
enthält die Bibliographie einige unschöne Fehler. Der Rezensent
hat sich nicht die Mühe gemacht, alle Angaben nachzuprüfen
, aber auf den ersten 4 Seiten (277—280) fanden sich
immerhin 12 bibliographische Fehler, also Unstimmigkeiten in
Titel, Auflage, Erscheinungsjahr, Erscheinungsort.

Das bedeutet aber nicht, daß nicht wirklich eine Unmenge
Literatur verarbeitet ist. Sie ist häufig genannt und ausgiebig,
ja zu ausgiebig ausgeschrieben oder referiert. Schätzungsweise
besteht der Buchtext zu einem Viertel aus Literaturexzerpten
und zu einem weiteren Viertel aus Referaten über die Literatur.
Das dient der Diskussion nicht, ermüdet aber den Leser ungemein
.

Sind wir so bereits bei der Methode des Buches, so werfen
wir noch einen Blick auf die exegetische Methode. Historischkritische
Arbeit wird hier nicht versucht. Traditionsgeschichtliche
, formgeschichtliche Arbeit liegt dem Buche fern. Die Analysen
der Begriffe, soweit sie vorgeführt sind, sind meist zu
einseitig auf die ethische Seite eines Begriffes abgestellt. Daß
z. B. vöjuog weithin bei Paulus gar kein ethischer Begriff ist,
wird im Buche eigentlich nicht deutlich. Im dauernden Hin und
Her der Bibelstellen und der Literatur bewegt sich das Buch auch
exegetisch. Vielleicht könnte man diese Methode am ehesten
dialektisch nennen. Nach Ansicht des Rezensenten ist es nicht
tunlich, solches als exegetische Methode zu betreiben. Freilich
ist sie geeignet, alle Spannungen im Apostel Paulus zu überbrücken
. Sie gleicht die Unterschiede zu Kolosserbrief und
2. Thessalonicherbrief aus. Sie zeitigt einen in sich geschlossenen,
völlig ausgeglichenen Apostel, wie er dem Rezensenten bei der
Lektüre der Texte jedenfalls nicht begegnet. An Spannungen
im Apostel selbst bleibt eigentlich nur noch, daß er in 1. Kor.
14,34 den Frauen Schweigen gebietet, 1. Kor. 11,5 aber mit
betenden und sogar prophezeienden Frauen rechnet. Aber auch
das läßt sich dialektisch auflösen: „Paulus nimmt die grundsätzliche
Anerkennung der prophetischen Begabung der Frau durch
das Schweigegebot wohl nicht zurück, sondern schränkt es um
der Ordnung des korinthischen Gemeindegottesdienstes willen
ein" (126).

Zusammenfassend ergibt sich: Einerseits ist das Buch zu
dick. Es ist unkonzentriert und weitschweifig. Andererseits fehlt
ihm viel. Es ist schade, wenn ein Buch über ein so wichtiges und
interessantes Thema so enttäuscht.

Berlin Karl-Gottfried Ecka r t

B o i s m a r d, M.-E.: Le Lavement des pieds (Jh 13,1—17). (Revue

Biblique 71, 1964 S. 5—24).
Braumann, Georg: Die lukanische Interpretation der Zerstörung

Jerusalems (Novum Testamentum 6, 1963 = XAPIS KAI S0&IA.

Festschrift für K. H. Rengstorf S. 120—127).
Bult mann, Rudolf: Acxatoavvrj -Oeov (JBL 83, 1964 S. 12—16).
Correns, Dietrich: Die Verzehntung der Raute. Luk 11,42 und

M. Scheb. 9, 1 (Novum Testamentum 6, 1963 = XAPIS KAI

SOQIA. Festschrift für K. H. Rengstorf S. 110-112).
Deaut, Roger Le: Actes 7,48 et Matthieu 17, 4 (par.) ä la lumiere

du targum palestinien (RechSR 52, 1964 S. 85—90).
Dewailly, L.-M.: Course et gloire de la Parole (2. Thess. 3, l)

(Revue Biblique 71, 1964 S. 2 5—41).
E ß e r, Hans Helmut: Thesen und Anmerkungen zum exegetischen

Paulusverständnis des Pelagius (Zwischenstation. Festschrift für

K. Kupisch zum 60. Geburtstag. München: Chr. Kaiser Verlag 1963

S. 27-42).

Grant, Robert M.: Causation and "The Ancient World View"
(JBL 83, 1964 S. 34—40).

Guthrie, D.: Recent Literature on the Acts of the Apostles (Vox
Evangelica II. London: The Epworth Press 1963 S. 33—49).

Haenchen, Ernst: Die Komposition von Mk 7,27 — 9,1 und Par.
(Novum Testamentum 6, 1963, = XAPIS KAI SO&IA. Festschrift
für K. H. Rengstorf. S. 81—109).

Heising, Alkuin: Exegese und Theologie der alt- und neutesta-
mentlichen Speisewunder (ZKTh 86, 1964 S. 80—96).

Käsemann, Ernst: Einheit und Vielfalt in der Neutestamentlichcn
Lehre von der Kirche (ZdZ 18, 1964 S. 81—8 5).

Karnetzki, Manfred: Die letzte Redaktion des Markusevangeliums
(Zwischenstation. Festschrift zum 60. Geburtstag von K. Kupisch.
München: Chr. Kaiser Verlag 1963 S. 161—174).

Klein, Günter: Individualgeschichte und Weltgeschichte bei Paulus.
Eine Interpretation ihres Verhältnisses im Galaterbrief (EvTh 24,
1964 S. 126—165).

Knox, John: Romans 15,14 — 33 and Paul's Conception of his
Apo6tolic Mission (JBL 83, 1964 S. 1—ll).

L o h s e, Eduard: Hosianna (Novum Testamentum 6, 1963, = XAPIS
KAI SO<PIA. Festschrift für K. H. Rengstorf. S. 113-119).

Martin, R. P.: Aspects of Worship in the New Testament Church
(Vox Evangelica II. London: The Epworth Press 1963 S. 6—32).

Masson, Charles: La transfiguration de Jesus (Marc 9, 2—13) (Revue
de Theologie et de Philosophie 97, 1964 S. 1—14).

Mussner, Franz: Die Geschichtstheologie des Epheserbriefes (Bibel
und Leben 5, 1964 S. 8—12).

Nielen, Josef Maria: Das Gebet im Neuen Testament (Bibel und
Leben 5, 1964 S. 1—7).

KIRCHENGESCHICHTE: ALLGEMEINES

Neubauer, Ernst, u. Kurt Stegmann von Pritzwald: Ideologische
Geschichtsdeutung? Eine Auseinandersetzung mit Friedrich
Heer. Göttingen: Mustcrschmidt Verlag 1963. 39 S. = Historisch
-Politische Hefte der Ranke - Gesellschaf t, H.II. DM 2.80.

Die Arbeiten von Fr. Heer haben einen großen Leserkreis
gefunden und eine lebhafte Diskussion hervorgerufen. Daß sie
in hohem Maße anregend sind, wird niemand bestreiten. Aber
sind ihre Thesen stichhaltig? Der Beitrag Neubauers (S. 2—26)
beschäftigt sich kritisch mit dem Geschichtsbild Heers. Fällt
schon im Vergleich der einzelnen Veröffentlichungen Heers ein
merkwürdiges Schwanken in der Beurteilung geschichtlicher
Epochen auf, so ist es nach Neubauer allgemein mit der geschichtlichen
Fundierung fraglich bestellt. Das gilt speziell von
der Darstellung Luthers und der Reformation. Wer in Luther
nichts anderes als das Produkt der „deutschen Angst" zu erkennen
vermag, dem muß das Wesen der Reformation verschlossen
bleiben. Die „psychologisdi-analytischen Kategorien"
überdecken weithin die sachliche Beurteilung. Heers Leitbild
ist bestimmt durch ein absolutes Vertrauen zu einer weltimmanenten
Seinsordnung und durch einen ungebrochenen
humanistischen Fortschrittsglauben. Neubauer stellt 6eine Kritik
an Heer unter die Frage: „Ist der Humanismus Friedrich Heers
eine .Kraft'?" Ist Heer Geistesgeschichtler oder Ideologe? Den
Humanismus des gefeierten Erasmus („ein Mensch, der nicht
leicht urteilt") kann Heer schwerlich für sich in Anspruch nehmen
. — Stegmann von Pritzwald nimmt die Sprache Heers kritisch
unter die Lupe. Sein Gesamturteil lautet: „Heers Humanismus
-Bild mag als ethische Forderung für unser friedloses
20. Jahrhundert zu Recht bestehen, aber sein pointierter, poin-
tillistischer Buchstil, der zur Schwarz-Weiß-Zeichnung einer
Ideologie neigt und gern mit Worten operiert, zeigt insgesamt
ein Bild, das mit äußerster Skepsis zu betrachten ist" (39).

Das Heft will keine abschließende Würdigung des Werkes
von Heer bieten und auch sein Anliegen nicht einfach bagatellisieren
. Aber mit seinen kritischen Randbemerkungen tut es
einen nützlichen Dienst entgegen einer weitverbreiteten Neigung
, geistvolle Konzeptionen der nüchternen Historie vorzuziehen
.

Erlangen Walther v. Loe w e n i ch