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1964

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Allgemeines, Festschriften

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581

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 8

582

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

IWolf, Ernst:] Hören und Handeln. Festschrift für Ernst Wolf zum
60. Geburtstag, hrsg. v. H. Gollwitzer u. H. Traub. München: Kaiser
1962. 418 S., 3 Tat. gr. 8°. DM 20.—; Lw. DM 23.50.

Gewidmet dem in Bedrängnis erprobten Freund und Bruder
(Spr. 17, 17), wird hier ein Band vorgelegt, der gut und gern
mehrere Jahrgänge einer 6ehr gewichtigen theologischen Zeitschrift
aufzuwiegen vermag. Zu den 22 Aufsätzen dieses Bandes
kommen noch etwa 10 Arbeiten, die das Nachwort angibt —
eine schöne Geburtstagsgabe für den, der ja selbst in besonderer
Weise ein Meister des Aufsatzes ist. S. 399 — 416 steht die
Bibliographie Ernst Wolf, die darum so wichtig ist, weil seine
vielen, oft die Substanz eines Buches enthaltenden Aufsätze 6ehr
verstreut erschienen sind.

Die alphabetisch geordneten Beiträge umgreifen das Gebiet
der gesamten Theologie mit Ausnahme der alttestamentlichen
Wissenschaft. Die dem Jubilar so am Herzen liegende Sozialethik
ist nur mit einem Beitrag, dem Beitrag eines Juristen
vertreten.

Das Neue Testament vertreten G. E i c h h o 1 z. Bewahren
und Bewahren des Evangeliums: Der Leitfaden von Philipper 1—2;
E. Schweizer, Aufnahme und Korrektur jüdischer Sophiatheologie
im Neuen Testament; und J. B. S o u c e k, Der Bruder und der
Nächste. Ein biblisch-theologischer Beitrag zur Frage der Grenzen von
Kirche und Welt.

E i c h h o 1 z zeichnet den Gedankengang Phil. 1 — 2 nach und
erweist so seine innere Einheitlichkeit, damit zugleich die literarische
Einheit bestätigend: Den Hymnus 2, 6 ff. interpretiere Paulus durch
seine Kreuzestheologie; er ordne ihn durch paränetische Sinngebung
dem Zusammenhang ein; 2, 12 f. enthalte keine Paradoxie, sondern
betone im Zusammenhang mit der nötigen Demutshaltung des nur
empfangenden Glaubens da6 „Furcht und Zittern" und begründe es
mit dem Evangelium von der freien Gnadentat Gottes. — Schweizer
zeigt an Paulus (4 Präexistenzstellen), an Kol. 1,15 — 23 und an
Joh. l, 1—18, daß die Sophia - Theologie zwar benutzt wird, um die
Bedeutung Jesu Christi auszusagen, aber nur, indem sie zugleich
korrigiert wird: Der Satz von der Präexistenz diene nun dazu, die
Befreiung vom Gesetz als Tat Gottes in der Zeit zu beschreiben; Leib
Christi sei nun die Gemeinde und nicht die Welt, die allein durch
die Botschaft vom Gekreuzigten mit der Herrschaft Christi durchdrungen
werden könne; und die Aussage vom Logos werde nun zum
Bekenntnis des Handelns Gottes in der Geschichte Jesu Christi. So
steht die Theologie des Wortes Gottes in der Verkündigung wider
die Theologie der Tatsachen und die Theologie der Gnosis. —
S o u c e k handelt von der Unbegrenzthcit der Liebesverpflichtung in
den Synoptikern und von der Unterscheidung von „Bruder" und
..Nächster" bei Joh. und in den Briefen. „Unsere Liebe zum Nächsten
ist mit der Hoffnung verbunden, daß auch er unser Bruder werden
wird." Demgemäß ist die Kirche gegenüber der Welt grundsätzlich
im Sinne der Sendung (nicht der Anpassung) offen.

Vielleicht muß man in diese Gruppe auch noch Ernst Fuchs,
Alte und neue Hermeneutik, rechnen. Wie immer bei F. sind auch in
diesem Beitrag Philosophie, Dogmatik und Theologie sowie Exegese
des Neuen Testamentes so eng ineinander verschlungen, daß man mit
der üblichen Einteilung der Fächer zuschanden wird. Das ist denn ja
auch das Ziel dieses Beitrages. Wo man „versteht", ist die historische
Distanzierung aufgehoben. In letzter Verfeinerung der Reflexion werden
die Theologie des Paulus und die Verkündigung Jesu nach-gedacht
und das Sprachproblem aus dem theologischen Sachanliegen selbst abgeleitet
: „Die neue Hermeneutik folgt in der Theologie ganz einfach
dem inneren Zug der Sprache, wie ihn die Verkündigung Jesu vorgibt
."

Die nächste Gruppe umfaßt die Arbeiten zur Kirchen-
und Theologiegeschichte: E. Kähler, Beobachtungen
zum Problem Schrift und Tradition in der Leipziger Disputation von
1519, macht die Situation in Leipzig lebendig und untersucht mit
Recht nicht die prinzipiellen Äußerungen über das Problem, sondern
wie in der Disputation tatsächlich von der Schrift und von der Tradition
Gebrauch gemacht worden ist. Dabei stellt sich heraus, daß
Luther auch von der Tradition Gebrauch macht und durchaus kein
Schrift p r i n z i p vertritt, sondern von theologischen Grundentscheidungen
ausgeht. Ich füge hinzu: Diese Grundvoraussetzungen entziehen
sich bei Luther nie dem Forum der Schrift.

O. Weber hebt in seinen „Vorerwägungen zu einer neuen
Ausgabe reformierter Bekenntnisschriften" die Schwierigkeiten hervor,
die einer solchen Ausgabe entgegenstehen: Es gibt kein reformiertes
corpus doctrinae, jede einzelne Bekenntnisschrift hat ihren jeweiligen
historischen Ort, das Verhältnis von Bekenntnis zu Kirchenordnung

ist kompliziert, der Prozeß der Bekenntnisbildung geht weiter, die
reformierten Bekenntnisschriften, denen auch die C. A. zugerechnet
werden muß, sind den lutherischen gegenüber keineswegs nur exklusiv
.

F. D e 1 e k a t und K. G. Steck beschäftigen sich mit Themen
aus dem allmählich wieder zu Ehren kommenden 19. Jahrhundert.
D e 1 e k a t, Zum Geschichtsverständnis im Marxismus, folgt der Entstehung
und Fortbildung des historischen Materialismus von Hegel
über Marx und Engels zu Stalin. Steck weist mit Nachdruck auf
„Heinrich Julius Holtzmanns Beitrag zur Kontroverse über Schrift und
Tradition" in dessen vergessenem Werk von 1859 .Kanon und Tradition
' hin: H. habe die Kontroverse historisch und systematisch mit
bedeutendem Tiefgang dargestellt und sei dabei besonders dem Verhältnis
von Schriftzeugnis und Glaube des Einzelnen gründlich nachgegangen
. Übrigens: Noch im Lehrbuch der Evangelischen Dogmatik
von F. Nitzsch (2. Aufl. 1896) referieren die §§48 und 49 der
Prinzipienlehre ausdrücklich und ausführlich Holtzmann über Tradition
und Kanon I

2 Kapitel aus der Geschichte des Kampfes der Bekennenden Kirche
bieten K. K u p i s c h, Karl Barths Entlassung, und Wilhelm
N i e m ö 11 e r, Zur Geschichte der Kirchenausschüsse. Unermüdlich
werden Bausteine zusammengetragen. Ob wir nadi 30 Jahren zu einer
soliden Geschichte des Kirchenkampfes kommen, die doch so dringend
nötig ist? Die beiden hier gebotenen Kapitel sind gediegene Quellenstudien
bewährter Verfasser, die spannend das Geschehen in kleinsten
Schritten nachzeichnen und auch dem, der alles miterlebte, Neues zu
sagen vermögen.

W. Fürst untersucht „Motive der theologischen Arbeit Dietrich
Bonhoeffers" und steht damit auf der Schwelle zur Gegenwart und
zu aktueller systematisdier Problematik. Das eigentliche Thema ist
„Welt und Kirche". Es wird in Auseinandersetzung mit H. Müllers
Bonhoeffer-Buch „Von der Kirche zur Welt" behandelt. Müller habe
mit Recht den christologisch-soteriologischen Ansatz B.s dargestellt,
aber dann übersehen, daß es bei B. keine Welt ohne Christus gebe.
Gewiß: Echte Weltlichkeit der Kirche, aber eben der Kirche Jesu
Christi und des christlichen Lebens sei das Ziel der Theologie B.s,
dieses „Zeugen Jesu Christi unter seinen Brüdern" (Gedenktafel in der
Kirche zu Flossenbürg). Mündigkeit sei nicht gegenüber Gott, sondern
gegenüber einer christlichen Weltanschauung geboten. Das Verhältnis
zwischen Letztem und Vorletztem löse sich nur in Christus,
wie ja auch die Mandate den Herrschaftsbereich Christi in der Welt
absteckten. So gäbe B. auf keinen Fall den Menschen für irgendeine
eigengesetzliche säkulare Entwicklung frei.

Aus dem Gebiet der Systematischen Theologie begegnen
uns 8 Aufsätze. Karl Barths kurze Ausführungen über
„Extra nos — pro nobis — in nobis" sind eine deutliche Zurückweisung
jeder Art von Christomonismus. Die Geschichte Jesu Christi
(extra nos) ist Gottes Tat pro nobis und wirkt in nobis neues Sein.
Dabei fordert Gottes Treue unsere Treue heraus, so daß es einen
echten Verkehr zwischen Gott und Mensch gibt. Hoffentlich nehmen
die Theologen das bald zur Kenntnis, die aus dem „frühen" Barth
Folgerungen ziehen und ihm in die Schuhe schieben, die er selbst
meist nie gezogen hat, jedenfalls heute nicht zieht.

H. D i e m, Eine kontroverstheologisdie Bestandsaufnahme: Hier
wird gezeigt, daß auch bei einer gewissen Übereinstimmung in der
Formulierung doch schon auf römisch-katholischer Seite eine Vorentscheidung
für die Lehre von der gratia perficiens naturam und
ihrem objektiven Ermöglichungsgrund in der Lehre von der allem
Natürlichen innewohnenden potentia oboedientialis gefallen ist. Die
Umwandlung der Verkündigungsaussagen in ein umfassendes ontolo-
gisches System gestattet durchaus die Hereinnahme evangelischer Aussagen
, deren Grundsubstanz (Gottes freie Gnadentat) dabei freilich
ausgeklammert wird. Immerhin bedeuten Namen wie K. Rahner und
H. Küng eine Wendung in der Kontroverstheologie. Es besteht eine
gewisse Hoffnung, daß aus der Kontroverstheologie das ökumenische
Gespräch wird.

H. Gollwitzer veröffentlicht seinen umgearbeiteten Vortrag
vor den theologischen Kommissionen der EKU und der VELKD „Die
Bedeutung des Bekenntnisses für die Kirche". Es ist dies eine eindringende
differenzierende Analyse der Situation, die durch das
Nebeneinander von Schrift, altkirchlichen und reformatorischen Bekenntnissen
, Richtungen und Konfessionen in Luthertum, Ökumene,
EKD und Unionskirchen in aller Welt entstanden ist. Die Schrift
allein bleibt stets das Gegenüber der Kirche, der Theologie und jedes
Christen, und zwar als die Bezeugung des evangelischen Geschehens.
Das Bekenntnis darf darum nie gegen die angreifenden Fragen abschirmen
, die durch andere Kirchen oder einzelne Theologen von der
Schrift her gestellt werden. Zugleich sind die überlieferten Bekenntnisformulierungen
Zeugnisse der Väter, in deren Gemeinschaft auch
wir leben, und zwar im gemeinsamen Gegenüber zur Schrift. Als
.Dienstanweisungen' der Kirche sind sie praktisch (nicht dogmatisch
) unentbehrlich. Da es sich nicht um zeitlose Wahrheiten, sondern