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Ausgabe:

1964

Spalte:

556

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Lønning, Per

Titel/Untertitel:

The dilemma of contemporary theology 1964

Rezensent:

Dilschneider, Otto A.

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Theologische Literatlirzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 7

556

tage, in welche Richtung Geiselmanns eigene Gedanken gehen.
Hier ist es von größter Bedeutung, den ersten Abschnitt des
Buches zu beachten „Die Tradition als eine allgemein menschliche
Erscheinung", der in gewisser Weise als eine Art Prolego-
mena für das folgende betrachtet werden kann. Hier gibt
Geiselmann eine Art Prinzipienlehre für seine eigene Traditionstheologie
. Phänomenologische Schilderung und systematische
Beurteilung gehen hier Hand in Hand. Hier spiegelt sich ein
bestimmtes Muster, das für die ganze Betrachtung eine entscheidende
Bedeutung gewinnt.

Tradition gehört zusammen mit „der Geschichtlichkeit
unseres menschlichen und gläubigen Daseins" (S. 33). Geiselmann
spricht über eine Urtradition, die wiederum mit
einer Uroffenbarung verknüpft ist. Im Anschluß an Gerhard
Krüger unterscheidet Geiselmann zwischen Geschichte und Tradition
. Tradition bedeutet das Ewige, Unveränderliche, die
geistige Substanz, während Geschichte das Wandelbare, Unstabile
, das „Revolutionäre" bezeichnet. Die Urtradition konnte
sich nicht rein erhalten, sondern wurde verfälscht. Die „geschichtlich
" entfaltete Tradition ist eine Verfälschung der
Tradition, weil sie getragen ist von der eigenmächtigen
Freiheit des Menschen. Doch ist es möglich, die „Existenti-
alen" der Tradition anzugeben, ihre Struktur und ihre Gesetze
. Die christliche Offenbarungstradition hat gemeinsame
Züge mit der allgemeinen religiösen Tradition. Auch hier gilt
es: gratia perficit naturam. Und doch ist die Offenbarungstradition
etwas ganz Neues, nicht bloß dem Inhalt nach, sondern
auch als actus tradendi. Ganz gewiß ist auch sie eine g e-
schichtliche Tradition, aber sie leidet nicht unter den
Unvollkommenheiten der geschichtlichen Traditionen. Im Unterschied
zu allen anderen Traditionen wird diese Tradition rein
und unverfälscht bewahrt, weil sie nicht von einer rebellischen
Freiheit gestört wird, sondern von einer „echten Freiheit" getragen
ist, die von dem Wirken des Heiligen Geistes bestimmt
ist und von einem Lehramt, das die Gabe der Unfehlbarkeit
empfangen hat. „Sie ist daher, und sie allein, nicht eine zur
Ruhe gekommene Revolution, sondern setzt allen Revolutionen
ein Ende. An der Stelle der Revolution tritt bei ihr die Evolution
des mit Christus gesetzten, absolut neuen geschichtlichen
Anfangs: Jesus Christus, von dem wirklich gilt, was einst ein
Papst von sich gesagt hat: Die Tradition bin ich" (S. 83).

Mit diesem Ausspruch sind wir im eigentlichsten Sinne bei
der kontroverstheologischen Situation von heute. In einem ganz
kurzen Kapitel — „Die gegenwärtige kontroverstheologische
Lage in der Frage nach Schrift und Tradition" — berichtet Geiselmann
über den Umbruch, der sich sowohl innerhalb der römischkatholischen
Theologie wie auch in der evangelischen Theologie
im Laufe der letzten Generationen vollzogen hat. „Die Wende
der katholischen Theologie zur heiligen Schrift und die Hinkehr
evangelischer Theologen zur Tradition gibt uns die Hoffnung
zu einem fruchtbaren Gespräch über die Frage Schrift und Tradition
" (S. 90). Hiermit ist das Problem jedoch nur schattenhaft
umrissen. Es ist eine Frage, ob wir mit dieser ziemlich allgemeinen
Konstatierung sehr viel weiter gekommen sind und ob
es nicht gerade jetzt notwendig sein würde, zu dem Problem in
dessen ganzer Schärfe vorzudringen. Birgt nicht Geiselmanns
Traditionsverständnis das ganze Problem in einer Nußschale?
Wir sind hier weit entfernt von einem abstrakten, statischen
Traditionsbegriff, bei dem der Schwerpunkt einseitig auf dem
magisterium ecclesiae liegt, zusammengefaßt im Primat des Papstes
. Es ist die ganze Kirche, die — wenn auch auf verschiedene
Weise — Träger der Tradition ist. Bei solcher Sicht wird der
Schrift ein notwendiger und wesentlicher Platz eingeräumt; aber
auch sie ist umgeben von der Tradition als dem übergeordneten
Begriff. In letzter Instanz ist hier alles zu Tradition geworden.
Diese Lösung der Frage von Schrift und Tradition stellt die evangelischen
Theologen in* Wahrheit vor ein Problem, auf das sie
sich noch nicht eingehend genug besonnen und mit dem sie sich
noch nicht genug auseinandergesetzt haben.

Es dreht sich nicht um die Frage: Schrift oder Tradition,
sondern um ein Verständnis der Tradition, in welchem die
Stimme der Schrift wirklich das Übergeordnete bleibt. Es muß

zu einer evangelischen Auffassung des „sola scriptura in ore
Ecclesiae" kommen! Das Problem wird nicht durch eine sozusagen
„immanente" Behandlung der beiden Größen Schrift und
Tradition gelöst, sondern erfordert die Einführung eines ihnen
beiden übergeordneten Begriffes. Kann dieser ein anderer sein
als das Wort Gottes, das in Jesus Christus Fleisch wurde und
in der ganzen Welt gepredigt wird? Ist es nicht dieses Wort
allein, von dem aus wir bestimmen können, was letztlich Tradition
ist? Diese Frage wird nicht durch historische und hermeneu-
tische Untersuchungen allein gelöst, sondern setzt eine letzte
Entscheidung voraus, die tiefer geht als allein phänomenologische
Erwägungen. Das schwierige, aber notwendige Gespräch zwischen
den beiden Partnern kann es nicht umgehen, zu der Stelle vorzudringen
, wo diese Entscheidung fällt.

Kopenhagen Kristen Ejner Skydsgaord

Lönning, Per, Ph. D., Th. D.: The Dilemma of Contemporary
Theology. Prefigured in Luther, Pascal, Kierkegaard, Nietzsche.
Oslo: Universitetsforlaget; New York: Humanities Press 1962.
140 S. gr. 8°.

Per Lönning, 1928 in Bergen/Norwegen geboren, ist Theologe
, Dr. theol. und Dr. phil. Er ist auch Vertreter öffentlicher
Interessen und gehörte dem norwegischen Parlament von
195 8/59 an. Seine Arbeit bringt zunächst Einzelstudien über
Luther, Blaise Pascal, Sören Kierkegaard und Nietzsche. Daran
schließt sich eine grundsätzliche Betrachtung an über die Verlegenheit
der gegenwärtigen theologischen Lage. Damit ist die
heutige Grundlagenkrise der Theologie gemeint. Lönning erblickt
in dem Spannungsfeld zwischen liberaler und positiver
Theologie das heutige theol. Dilemma. Im Blick auf die
liberale Theologie setzt er sich mit Wilhelm Herrmann und
Rudolf Bultmann auseinander. Die Position der positiven
Theologie zeigt er an Karl Barth und seiner Gefolgschaft auf.
Lönnings eigene Stellung ließe sich etwa mit folgendem Gedanken
wiedergeben: Was wir von der Theologie erwarten
können, ist keine Befreiung von allen Problemen, sondern eine
grundsätzliche Klarheit, welche es uns ermöglicht, in den Problemen
zu existieren, ohne Vertrauen und Mut zu verlieren. —

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