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Ausgabe:

1964

Spalte:

552-553

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Hanisch, Günter

Titel/Untertitel:

Die zu Gott rufen 1964

Rezensent:

Fischer, Martin

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 7

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hängen. Zugleich wird seine überragende Meisterschaft offenbar,
«eine Einmaligkeit in der Bewältigung künstlerischer Probleme.

Die Verf.in verfügt über ausgezeichnete Kenntnisse der
allgemeinen und speziellen kunsthistorischen Fragen. Sie entwirft
ihr Rublev-Bild, wie überhaupt ihre Vorstellung von der
altrussischen Kunst als Marxistin. Es wäre falsch, die in der
Sovjetunion publizierten marxistischen kunsthistorischen Werke
als eine homogene Einheitlichkeit aufzufassen. Gerade die Untersuchung
Ls. zeigt im Gegenteil, daß über eine Reihe von Fragen
und Gegenstände sehr kontroverse Meinungen bestehen.
So setzt sich L. verschiedentlich mit V. Lazarev auseinander. Bei
einem der interessantesten und für die Datierung wie Charakterisierung
der Arbeiten Rublevs wichtigen Denkmal, den Fresken
vom „schrecklichen Gericht" (strasnyj sud) in der Uspenie-
Kathedrale vorn Vladimir an der Kljazma bestreitet L. die s. Z.
von I. Grabar' gemachten Unterscheidungen von Graphischem
und Malerischem in der Ausführung, wobei sie noch auf den
schlechten Erhaltungszustand der Fresken hinweist. Sie meint,
daß man Daniii Cernyj kaum noch etwas an den Malereien zuschreiben
könne. Von Stil und Farbgebung der Fresken in
Vladimir gewinnt Verf.in neue Einsichten in die Bedeutung
des berühmten Chitrovo-Evangeliars, dessen Miniaturen sie, im
Gegensatz zu Lazarev, nicht der Werkstatt Feofan Greks, sondern
der Rublevs zuweisen möchte (Lazarev jetzt ausführlich in:
Feofan Grek i ego skola, Moskau 1961). Man wird darüber
streiten können. Mich haben Ls. Ausführungen nicht restlos
überzeugt. Zwar würde ich nicht, wie Lazarev, die Evangelistenporträts
der Miniaturen des Chitrovo-Evangeliars mit der Troica
in der Spasa Preobrazenie-Kirche, wohl aber mit einigen prägnanten
Figuren der Kirche auf dem Volotovo-Felde in Novgo-
rod vergleichen. Wie dem auch sei, L. bringt eine Reihe von
neuen Gesichtspunkten und Neudatierungen, die erst noch
gründlich nachgeprüft werden müßten. Problematisch scheinen
mir dabei einige mehr oder weniger subjektive Eindrücke oder
Beobachtungen der Verf.in zu sein. Ich 6timme mit ihr sehr
überein in der Auffassung, daß sich in der altrussischen Malerei
eine zunehmende Humanisierung byzantinisch - orientalischen
Formengutes bemerkbar macht. Wenn sie aber (S. 15) „das finstere
und grobe Gesicht des Christus aus der Kachrieh-Djami"
dem russischen Christus gegenüberstellt, mit seiner hohen Stirn,
den großen Augen, einem energischen, klar umrissenen Mund,
dann wird man dasselbe auch von dem Christus mit Maria und
Isaak II. Angelos im Endonarthex derselben Kirche sagen dürfen
(L. bringt auf Tafel 2 den Christus über dem Eingang zum
Endonarthex). Ich gestehe, daß ich auch mit der Analyse der
berühmten Troica (S. 77—81) in manchen Partien nur wenig anfangen
kann, so sehr ich in anderen Einzelheiten mit der Verf.in
übereinstimme. M. E. wird die tiefe Dialektik, die der Komposition
und, weit mehr noch, der Farbengebung innewohnt, nivelliert
, wenn man ihren Bedeutungsinhalt auf menschliche Gefühle
reduziert. Die Genialität Rublevs besteht, wie ich meine,
vielmehr darin, daß er es verstand — vielleicht zum letzten
Male in der altrussischen Ikonenmalerei? —, die Spannung zwischen
dem rein Ästhetischen — wozu dann allerdinigs die vollendete
künstlerische Wiedergabe hoher und edler menschlicher
Gefühle gehört — und der kirchlichen Lehre von der Trinität
zu trägen2. Die herrliche Schöpfung der Rublevschen Troica steht
in einem noch weiteren, als von der Verf.in aufgewiesenen
kulturgeschichtlichen Zusammenhang: mit der neuen Auffassung
vom Menschen und seinem Seelenleben, mit der damit zusammenhängenden
Frage der Bildung eines neuen Wortschatzes, der
dieser neuen Auffassung auch literarisch Ausdruck zu geben
vermag u. v. a.3. Auch die enge Verbindung Rublevs mit den

2) Vgl. K. Onasch, Das Problem des Lichtes in der Ikonenmalerei
Andrej Rublevs, Berlin 1962 ( = Berliner Byzantinistische
Arbeiten, Bd. 28).

3) Hierüber jetzt in der alle Kulturerscheinungen, mit dem Hauptgewicht
auf der Literatur, umfassenden Studie von D. S. Lichacev,
Kul'tura Rusi vremeni Andreja Rubleva i Epifanija Premudrogo,
Moskau - Leningrad 1962. Die deutsche Übersetzung unter dem Titel
„Die Kultur Rußlands während der osteuropäischen Frührenaissance
vom 14. bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts, Dresden 1962 bringt
diese Arbeit auch deutschen Lesern dankenswerterweise nahe. Sie versagt
allerdings bei einer Reihe spezieller Fadhausdrücke.

theologischen Ideen eines Epifanij Premudrij gerade über das
Geheimnis der Trinität4 hätte der Interpretation dieser Ikone
mehr sachliche und konkrete Kontur gegeben. So aber verliert
sich ein Teil der Deutung in Allgemeinheiten, die nicht überzeugen
können. Die stilistisch-ästhetischen Besonderheiten der
Gesamtkomposition sind dagegen sicher und treffend von L.
dargestellt worden. Ihnen nachzuspüren erweist sich überhaupt
als eine Stärke der Verf.in auch in anderen Kompositionsanalysen
.

Wir sind dem Verlag dankbar, daß er uns durch die deutsche
Übersetzung dieser Arbeit mit einem Stück intensiver und
sehr mannigfaltiger kunsthistorischer Forschung in der UdSSR
bekannt gemacht hat. Frau Lebedewas Untersuchung ist überaus
anregend. Sie zwingt den Leser, zahlreiche Probleme gerade
hinsichtlich der Meisterschaft Rublevs, aber auch seiner Zeitgenossen
unter den Künstlern, neu zu überdenken und manche
allzu festgefahrene Vorstellungen kritisch zu sichten. Man wird
in Zukunft nicht mehr über diesen Gegenstand schreiben können
, ohne auf ihre Untersuchung einzugehen. Sehr hilfreich ist
eine ausführliche Zeittafel und ein Übersichtsschema der Bilderwand
in der Troica-Kathedrale des Sergius-Klosters in Zagorsk,
die dem Buch beigegeben sind. In der ersteren besitzen wir
erstmalig eine klare Übersicht der Datierungen von Werken
Feofan Greks, Daniii Cernyjs, Prochors, Rublevs und Dionisijs.

Halle/Saale Konrad Onasch

4) Vgl. A. I. Klibanov, Reformacionnye dvizenija v Rossii v
XIV—pervoj polovine XVI v. v., Moskau 1960, S. 160.

Hanisch, Günter, u. Kurt Kallensee: Die zu Gott rufen. Weg

und Werk des Bildhauers Wilhelm Groß. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt
[1962]. 96 S. m. 76 Abb. gr. 8°. Lw. DM 10.80.

Gerade rechtzeitig zum 80. Geburtstag ist der vorliegende
schöne Band erschienen. Während des Kirchenkampfes erschien
das unvergeßliche „Ars crucis", im Verlag Kaufmann in Lahr
1956 „Kunst im Heiligtum", — aber das waren nur Kostproben.
Erstmalig ist ein einigermaßen umfassender Überblick über das
Schaffen von Wilhelm Groß gegeben. In 76 meist gut geglückten
Wiedergaben sind Plastiken und Reliefs, Holzschnitte und Zeichnungen
geboten, dazu durch die beiden Herausgeber eine liebevolle
Darstellung des Werdeganges des Künstlers und eine eingehende
Interpretation der Bilder. Dies führt über frühere Darstellung
und Interpretation durch Hans Möhle, Curt Horn, Heinrich
Vogel und Martin Fischer erheblich hinaus — mindestens
was die Zahl der berücksichtigten Arbeiten angeht. Auch meine
Darstellung zu seinem 70. Geburtstag in „Der Fels, der mitfolgte
, Christus im Alten Testament, 18 Kohleskizzen von WG",
Lettner-Verlag Berlin 1953, wird als Deutungsversuch nicht nur
bestätigt, sondern glücklich weitergeführt.

Was für eine junge akademische Generation der dreißiger
Jahre ein oft einschneidendes Erlebnis war, der Kunst und dem
Künstler Groß zu begegnen, hat an Wirkung nichts eingebüßt,
wie eine neue Durchsicht der wiedergegebenen Arbeiten erweist.
Groß hat mit dem griechisch-humanistischen Schönheitsideal gebrochen
, aber er ist den Weg in die ungegenständliche Kunst
nicht mitgegangen. Ihm hat es das Material angetan, dessen
vordenkender Struktur er nachdenkt, und er sucht dem Ausdruck
zu geben, was ihm zu seinem nimmermüden Erstaunen
begegnet ist in den alttestamentlichen Propheten, im Kreuz
Christi und in den Zeugen des Kreuzes. Von den geschichtlich
vermittelten Botschaften und Botschaftern abstrakt zu zeugen,
hätte ihn stumm machen müssen. Hierhin gehört die Deutung,
die Heinrich Vogel dem „Gestaltgeheimnis in der Kunst von
WG" (abgedruckt in seinem Buch: Der Christ und das Schöne,
Lettner-Verlag Berlin, 1955, S. 229 ff.) gegeben hat. Groß — ein
Altersgenosse von Rudolf Alexander Schröder — ist wie dieser
in tief wurzelnder Erkenntnis Christ geworden, hat in Kraft
dieser Erkenntnis schwere Zeiten im 3. Reich bestehen müssen,
aber gerade in dieser Zeit der Bekennenden Kirche Dienste leisten
können wie wenige. Seine Werke sind in die gottesdienstlichen
Räume der Gemeinde und (besonders die Holzschnitte)
in die Stuben der Christen eingegangen, bezeugend, aufrufend,
rühmend. Seine intensiv sehenden Augen sind durch Anfech-