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Ausgabe:

1964

Spalte:

535-538

Autor/Hrsg.:

Delius, Walter

Titel/Untertitel:

Probleme, die der evangelischen Kirche in den Kriegen 1864 und 1866 gestellt waren 1964

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 7

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Hauslehrer unterzugehen. Deswegen wandte er die ihm zuteil williges und brauchbares Werkzeug unter, der seine Dienste zu
gewordenen Gaben voller Fleiß an und ordnete sich dem als gebrauchen verstand.

Probleme, die der evangelischen Kirche in den Kriegen 1864 und 1866 gestellt waren*

Von Walter D e 1 i u s, Berlin

Bei dem Thema handelt es sich nicht um die Probleme,
vor welche die Kirche in jedem Krieg gestellt wird, nicht also
um das theologische Problem des Krieges, die Kriegspredigt, die
praktisch-seelsorgerlichen Aufgaben, sondern um solche, die aus
dem politischen Raum kamen. Mit ihnen mußte sich die evangelische
Kirche in ihrer engen Bindung an den Staat auseinandersetzen
. Es ergeben sich drei Problemkreise: 1. Die Obrigkeitsfrage
, 2. die Frage des Religionskrieges, 3. das konfessionelle
Problem im Zusammenhang mit der Frage der altpreußischen
Union.

1. Die Obrigkeitsfrage war bereits im Jahre 1848 akut geworden
, als nach der Erhebung der schleswig-holsteinischen
Bevölkerung zwischen Preußen, dessen Truppen im Auftrag des
Deutschen Bundes zu Hilfe gekommen waren, und Dänemark
ein Vertrag abgeschlossen wurde, als dessen Folge von den Beamten
und den Pfarrern der Eid auf den dänischen König, der
Herzog in Schleswig und Holstein war, abgefordert wurde. Die
meisten Pfarrer leisteten den Eid. Sie weigerten 6ich jedoch, in
einer Abkündigung die Erhebung zu verurteilen. Ferner lehnten
sie die Fürbitte für den dänischen König ab, weil sie in ihr
eine Anerkennung des dänischen Regiments sahen. Eine Reihe
Pfarrer wurden abgesetzt und gingen außer Landes. Damals
machte die Ev. Kirchenzeitung Hengstenbergs1 den deutschen
Theologen den Vorwurf, daß sie die Pfarrer von Schleswig-
Holstein nicht zurechtgewiesen und ihnen deutlich gemacht haben
, daß sie eidbrüchig sind und dem 4. Gebot sowie Rom. 13
zuwidergehandelt haben.

Im zweiten Londoner Protokoll von 18 52 erkannten die
fünf Großmächte England, Frankreich, Rußland, Preußen und
Österreich das Erbfolgerecht des Prinzen Christian von Glücksburg
für Dänemark und Schleswig-Holstein an. Der alte Herzog
von Augustenburg verzichtete auf die Erbnachfolge in Schleswig-
Holstein. Im Jahre 1863 wurde Christian vom Hause Glücksburg
als Christian IX. dänischer König und Herzog von Schleswig
-Holstein. Der alte Herzog von Augustenburg nahm zugunsten
seines Sohnes und Nachfolgers die Verzichterklärung zurück
. Es entstand nunmehr eine verworrene Rechtslage. Die
deutsche Bevölkerung in Schleswig-Holstein sah in dem Augu-
stenburger ihren legitimen Herrscher. Als die Pfarrerschaft den
Eid auf Christian und die Fürbitte für ihn ablehnten, wurde
die Obrigkeitsfrage akut. Die Pfarrer erhielten moralische Unterstützung
aus dem übrigen Deutschland, besonders aus Süddeutschland
. Eine Welle nationaler Begeisterung für den
Augustenburger ging in den letzten Monaten des Jahres 1863
und den ersten Monaten des folgenden Jahres durch die deutschen
Länder. Nur in Preußen war diese Begeisterung gedämpft
und zurückhaltend, da Preußen sich für Christian als Unterzeichner
des zweiten Londoner Protokolls verpflichtet fühlte. Es lag
in der Linie bismarckischer Politik, wenn die Neue Preußische
Zeitung (Kreuzzeitung) am 28. November 1863 „Materialien
zur Erbfolge in Holstein und Schleswig" in objektiver Weise
brachte und auf die juristischen Schwierigkeiten dieser Frage
hinwies. In den außerpreußischen Ländern brach über diese
Dokumentation ein Sturm der Entrüstung los. Besonders empört
war dort die Öffentlichkeit über den Satz der Neuen Preußischen
Zeitung: „ . . . ob diesen deutschen Landen mehr gedient
ist mit der Enge und der Deprimierung eines kleinstaatlichen
Herzogtums oder — bei Wahrung ihrer nationalen Gerechtsame
, — durch eine Verbindung und durch eine Union mit
Dänemark, darüber ließe sich diskutieren".

Der Theologe Ebrard in Erlangen machte sich zum Sprecher
der nationalen Empörung innerhalb der kirchlichen Kreise. In

*) Sektionsreferat, gehalten auf dem Wiener Evang. Theologenkongreß
Oktober 1963.

') EKZ 1850, Nr. 24, 25, 44. 46; 1851, Nr. 1.

wenigen Wochen erreichte seine Broschüre: „Wider die Kreuzzeitung
. An die 6chriftgläubigen evangelischen Geistlichen Preußens
" vier Auflagen. In agressivem Ton spricht Ebrard der
Neuen Preußischen Zeitung das Kreuz im Kopf des Blattes ab.
Sie trage es wegen ihrer „unchristlichen" Ausführungen gegen
den Augustenburger zu Unrecht. Denn fragt er, wo sind die
hervorragenden gläubigen Theologen in Preußen, die ihre
Stimme für den Augustenburger erhoben haben. Offensichtlich
dachte er in erster Linie an Hengstenberg. Ebrard schreibt dann
weiter, in Preußen decke man die Sünden der Junkerpartei mit
dem Mantel schlaffer „Elisliebe" (1. Sam. 2, 22 ff.) zu. Kein
Wunder, daß 6ich das Volk von der Kirche, einer „jesuitischen
Dressuranstalt" abwende. Den preußischen Pfarrern sagt er, daß
sie den Gehorsam gegen den König mit der menschlich ersonne-
nen Staatsrechttheorie (Karl Ludwig v. Haller, 1768—1854) vom
absoluten Königtum vermengt und verquickt haben. Ein solches
Verhalten widerspreche Rom. 13. Wenn sie schon im absoluten
Königtum ein Allerheilmittel sehen, dann sollten sie auch für
die legitime Erbfolge des Augustenburgers eintreten. Ebrard
versteigt sich dann zu der Aussage, daß Gott gerade den
Augustenburger unter den Prinzen oder Prätendenten als den
designiert, welcher von Gottes Gnaden König sein sollte. In
diesem Zusammenhang wendet er sich auch gegen ein Rechtsgutachten
, das der im Jahre 1862 verstorbene Jurist Julius Stahl
in der schleswig-holsteinischen Frage verfaßt hatte. Dieser
„durch kirdiliche Phrasen mehr als durch christliche Tugenden
aufleuchtende Mitbegründer der Kreuzzeitung" habe
das „ebenso perniciose als perfide Wagnis" unternommen, zu
behaupten, die Mutter des Augustenburger sei nicht ebenbürtig.
So fordert dann Ebrard die gläubigen Prediger Preußens auf,
für den Augustenburger Zeugnis abzulegen. Er kann es sich
nicht versagen, an diese Aufforderung die hämische Bemerkung
anzufügen, es sei für die preußischen Prediger freilich bequemer
und gefahrloser, wider die Sünden des Proletariats zu predigen,
als eben für den Augustenburger einzutreten. In dieser Kirche
sei das Geschlecht Elias, Nathans, Ambrosius, Columbanus und
Anseimus so gut wie ausgestorben.

Die Kieler Theologische Fakultät und eine Reihe Pfarrer
nahmen den Angriff Ebrards gegen die Kreuzzeitung auf. Auch
sie sprachen der Zeitung das Kreuz in ihrem Kopf ab und malten
das Gespenst der Revolution und den Sturz der Throne
an die Wand. Diese Erklärung blieb nicht unwidersprochen.
140 lutherische Pfarrer und der Klosterprediger Heinrich Rend-
torff in Preetz wandten sich gegen diese Erklärung. Rendtorff
veröffentlichte eine Schrift: „Die Kreuzzeitung und die holsteinische
Geistlichkeit" 1864. In ihr legt er die Gründe dar, weshalb
er die Kieler Erklärung nicht unterschrieben hat. Auch der
Rostocker Theologe Prof. M. Baumgarten, der im Jahre 1850
aus Schleswig-Holstein fliehen mußte, rief wie Ebrard die Berliner
Pfarrerschaft zur Stellungnahme für den Augustenburger
auf.

Diese Appelle blieben nicht ohne Widerhall. Die Berliner
Pfarrerschaft richtete eine Adresse an König Wilhelm I., in der
sie bat, Schritte gegen die dänischen Unterdrückungsmaßnahmen
zu unternehmen. Sie erhielten eine zusagende Antwort. Aber
weder in der Adresse noch in ihrer Antwort war von einem
Eintreten für den Augustenburger die Rede. In Preußen hielt
man sich auch kirchlicherseits im Sinn der bismarckischen Politik
in der Schleswig-holsteinschen Frage zurück. Sie stand hinter
den Ausführungen, welche Hengstenberg auf der Berliner
Pastoralkonferenz 1864 in seinem Vortrag machte. Er behandelte
das Thema: „Das Verhalten der Kirche in der Schleswig-
Holsteinischen Angelegenheit" und setzte sich mit dem Verhalten
des Pfarrers zur Politik und zur Obrigkeit auseinander.
Er warnte vor dem „modernen unchristlichen Nationalitäts-