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Ausgabe:

1964

Spalte:

499-518

Autor/Hrsg.:

Mezger, Manfred

Titel/Untertitel:

Die Verbindlichkeit des Textes in der Predigt 1964

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499

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 7

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6. Im Zusammenhang mit dieser Entscheidungssituation
treffen wir auf den letzten Punkt. Die Propheten fordern die
gegenwärtige Entscheidung, weil Jahwe in Korrelation
dazu handelt — falls er nicht einmal ausdrücklich davon absieht
und etwas tut oder unterläßt um seiner Ehre oder Liebe
willen. Gewöhnlich aber vollzieht sich das göttliche Handeln in
aller Zeit nicht ohne Absehen vom Menschen, obschon Gott
gewiß nicht davon abhängig ist. So geht Jesaja mehrfach von
dem Einklang aus, der zwischen dem Tun Gottes und des Menschen
herrscht (vgl. oben Jes 1, 19, ferner z.B. Jer 7, 1—15;
18,1—11; 22,1—5). Die Vergebungsbereitschaft Gottes und
die Willigkeit des Menschen gehören zusammen und bilden
letztlich zwei Aspekte oder Teile eines einzigen Vorgangs: der
Rettung des sündigen und todverfallenen Menschen, der das
Angebot der Umkehr ergreift. Umgekehrt herrscht ein solcher
Einklang in der tödlichen Krise des Nichtglaubenden und Nicht-
wollenden: Die Unwilligkeit des Menschen und die von Gott
gewirkte Verblendung und Betäubung lassen den zur Umkehr
Unwilligen sich immer tiefer ins Verderben verstricken (vgl.
Jes 6, 9 f.; 29, 9 f.). Das ist weder Synergismus noch ein Lohn-
und Verdienstdenken, sondern macht deutlich, welches schwere
Gewicht der Entscheidung des Menschen für oder gegen Gott
beigemessen wird: Es beeinflußt das Handeln Gottes und damit
wieder das Geschick des Menschen.

VI.

Fordert die gegenwartsbezogene Verkündigung der Propheten
eine Entscheidung des Menschen für Gott, weil dieser
in Korrelation dazu handelt, so stellt sich abschließend die
Frage nach einem übergreifenden, alles durchwaltenden Ziel des
Geschehens wie überhaupt des gesamten Handelns Gottes an
Völkern und Menschen. Sind es zusammenhanglose Einzelakte
oder lassen sie sich als eine letzte Einheit begreifen? Das ist
zugleich die Frage nach einer Mitte nicht nur der in sich verschiedenartigen
prophetischen Verkündigung, sondern auch des
ganzen Alten Testaments in der Vielfalt seiner Erscheinungen.
Denn wie wir uns bei der Betrachtung des Alten Testaments
nicht auf einen Teilaspekt des Lebens wie „Geschichte" oder
Kultus beschränken, sondern bei allen Einzelfragen die Ganzheit
des Lebens im Auge behalten sollten, so haben wir doch
wohl auch nach der Ganzheit zu fragen, die die religiösen und
theologischen Richtungen und Strömungen, die sich in den
Schriften des Alten Testaments niedergeschlagen haben und
außer denen es vermutlich noch manche andere gegeben hat,
übergreifend zusammenschließt.

Das gesamte Handeln Gottes im Leben der Völker und
Menschen, insbesondere an Israel, und darüber hinaus letztlich
alles, was auf ihn zurückgeht, ist auf ein zweifaches Ziel gerichtet
. Einerseits ist es ein Ausdruck seiner verfügungsmächtigen
Herrschaft über Welt und Natur, Mensch und Tier,
ein Bemühen um das Durchsetzen seines Herrscherwillens und
Herrschaftsanspruchs im Ausüben der Sorgepflicht des Herrschers
, der Regierungsgewalt und des strafenden Richtens und
ein Kampf gegen die Widerspenstigen und Abtrünnigen bis zu
ihrer Vernichtung. Andererseits übt Gott diese Herrschaft nicht

um ihrer selbst willen aus; vielmehr bildet sie die Voraussetzung
und Grundlage für eine enge Verbindung zwischen Jahwe
und Israel, zwischen Gott und Mensch, die ein personhaftes
Gemein Schaftsverhältnis erstrebt, wie es in
Hos 6, 6 die beiden parallelen Ausdrücke Ion „Gemeinschaftspflicht
", „Verbundenheit" und E^ribN rOH „Gottesvertrautheit,
Gottesgemeinschaft" umschreiben. Das zweifache Ziel des göttlichen
Denkens und Wollens, Tuns und Lassens in bezug auf
Welt und Mensch ist die Gottesherrschaft und
Gottesgemeinschaft, denen sich alles andere — auch
der Bundesgedanke — ein- und unterordnet37. Wie sie gleich
den beiden Polen einer Ellipse zusammengehören, so bilden sie
den Grundzug des alttestamentlichen Glaubens. In ihnen gipfelt
auch die prophetische Verkündigung, die in den vergangenen
Ereignissen das Bemühen des göttlichen Ehemanns und Vaters
erblickt, für seine Frau Israel und seine Söhne zu sorgen, die
Anerkennung seines Herrschafts- und Gemeinschaftswillens in
dieser „Familie" (er) zu erreichen oder durch Strafen zu erzwingen
; die die Gegenwart zur Entscheidung für die bisher
verweigerte Anerkennung des Herrschaftsanspruchs und Aufnahme
der Gemeinschaft auffordert; und die für die Zukunft
entweder die Vernichtung durch den Herrn und König Jahwe
bei weiterem Beharren in der Ablehnung drohen sieht oder
die Umwandlung der Unwilligen, wenn nicht gar die endzeitliche
Umgestaltung aller Dinge durch das erlösende Handeln
Jahwes erwartet. Was in der Geschichte nach einem ersten
glücklichen Beginn trotz göttlichen Helfens, Mahnens und Stra-
fens verfehlt worden ist — die Durchsetzung und Anerkennung
der Gottesherrschaft und die Herstellung und Hinnahme der
Gottesgemeinschaft —, wird auf Grund der Entscheidung in der
Gegenwart — Vollzug der Umkehr oder Hoffen und Harren
auf die Erlösung — in der unmittelbar bevorstehenden Zukunft
entweder durch die Vernichtung der Widerspenstigen als endgültig
verfehlt besiegelt oder dadurch, daß Gott selbst alle
Widerstände beseitigt, dennoch in wunderbarer Weise verwirklicht
. Was die Ganzheit und Fülle des Lebens — und die „geschichtlichen
", vergangenen Ereignisse im Geschick der Völker
und Menschen als einen Teilausschnitt daraus — als einen
Gesamtvorgang erscheinen und begreifen läßt, ist das Ringen
um die Verwirklichung der Gottesherrschaft und der Gottes- •
gemeinschaft.

Dies setzt sich in das Neue Testament hinein fort. Es kündigt
den unmittelbar bevorstehenden Anbruch der Gottesherrschaft
an und verbindet damit den Gedanken der Christusherrschaft
. Es spricht ebenso von der Gemeinschaft mit Gott,
mit Christus und der darin begründeten Gemeinschaft der
Glaubenden untereinander. So mündet die Betrachtung der
Prophetie in ihrem Verhältnis zur Geschichte in die Erkenntnis
einer gesamtbiblischen Botschaft, die es erlaubt, das Alte Testament
in seiner Eigenart ohne Abwertung und ohne Umdeurung
ernstzunehmen.

37) Im einzelnen bedürfen die beiden Vorstellungskreise der inhaltlichen
Näherbestimmung, weil sie mancherlei Einzelgedanken umfassen
; so sind die Vorstellungen von der König6herrsdiaft Jahwes
und von Jahwe als dem eifernden Gott zwei Teilaspekte der Vorstellung
von der Gottesherrschaft.

Die Verbindlichkeit des Textes in der Predigt*

Von Manfred M e z g e r, Mainz Herbert Braun zum 60. Geburtstag

I. Die Frage geschieht, im Unterschied zur Belehrung, die Stoff vermittelt.

Predigt, die ihren Auftrag erfüllt, hat ein Woher und ein Predigt geschieht mit dem Anspruch, daß jetzt entscheidende
Wohin; sie lebt nicht aus sich selbst, und sie meint nicht sich Wahrheit mitgeteilt werde, zu Glauben oder Ärgernis, Heil oder
selbst. Sie lebt aus der empfangenen Botschaft, und sie meint Anstoß. Soll das begründet sein, so muß gesagt werden, wer
den Hörer, dem sie die Botschaft ausrichtet. Man kann die Pre- die Predigt auf den Weg schickt und woher sie das Recht
digt auch anders beschreiben; das Bild vom Herkommen und nimmt, über den Hörer in solcher Weise zu befinden. Formal
Hingehen aber hat den Vorzug der Bewegung. Und man tut ist die Antwort leicht zu geben, inhaltlich schwer. Der Prediger
gut, die Predigt als Begegnung zu verstehen, durch die etwas kann! auf Amt und Dienst verweisen, die auf Stiftung und Sen-
_ dung beruhen, nicht auf Willkür; er kann erklären, daß sein

*) Hauptreferat, gehalten auf dem Wiener Evang. Theologen- Wort ihm aufgetragen sei, nicht von ihm erfunden; daß die

kongreß Oktober 1963. Botschaft zu ihm gekommen sei, nicht aus ihm. Ob man