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Ausgabe:

1964

Spalte:

467

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Harsch, Helmut

Titel/Untertitel:

Das Schuldproblem in Theologie und Tiefenpsychologie 1964

Rezensent:

Harsch, Helmut

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467

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 6

468

zung von lQH XII, 3b—11; II—V Skizzen: II „Der Weg in die Assoziation
"; III „Gottes Handeln in der Geschichte und des Menschen
Antwort"; IV „Der Aufbau der Qumran-Assoziation"; V „Die
Qumran-Assoziation nach lQS und ihre Umwelt"), S. 336*—445* enthalten
Abkürzungen, Literaturverzeichnis, Sach-, Stellen- und Verfasserregister
.

Harsch, Helmut: Das Schuldproblem in Theologie und Tiefenpsychologie
. Diss. Tübingen 1963. 218 S., 3lS.Anm.

Theologie und Tiefenpsychologie stehen bereits seit Oskar Pfistcr
und der Gründung der Arbeitsgemeinschaften „Arzt und Seelsorger"
in den zwanziger Jahren im Gespräch miteinander, da jede Seite sich
im praktischen Dienst am Menschen in Seelsorge und Psychotherapie
auf die Hilfe des anderen angewiesen fand. Trotz aller Annäherung
konnte aber ein gewisses Mißtrauen zwischen beiden Wissenschaften
nicht überwunden werden. Die Hauptursache dafür liegt in dem für
beide Wissenschaften zentralen Problem der Schuld. Eine Klärung des
Problems wurde aber bisher dadurch erschwert, daß man entweder
einen Zusammenhang zwischen dem theologischen und tiefenpsychologischen
Schuldverständnis überhaupt leugnete, oder aber die Aussagen
aus ihrem jeweiligen Verstehenszusammenhang löste und die
psychologischen Aussagen als theologische behandelte und umgekehrt.

Bei diesem Stand des Gesprächs ist es Ziel der Arbeit, einen
grundsätzlich klärenden Beitrag zu leisten, indem die Schuldverständnisse
der Theologie und der verschiedenen tiefenpsychologischen Schulen
aus ihrem Gesamtzusammenhang heraus dargestellt und dann
durch den Aufweis ihrer Unterschiede und Berührungspunkte in Beziehung
zueinander gesetzt werden, wobei streng darauf geachtet
wird, die verschiedenen Sichtweisen nicht miteinander zu vermischen.

Zunächst wird an Hand einer biblisch - theologischen Untersuchung
des Alten und Neuen Testaments das theologische Schuldverständnis
als Grundlage der Diskussion skizziert. In einem zweiten Hauptteil
werden die Schuldverständnisse Freuds, Adlers, C. G. Jungs und der
seit 1945 entstehenden „Anthropologischen Psychotherapie" dargestellt
, und jedes wird sogleich mit dem theologischen Schuldverständnis
konfrontiert.

Es ergibt sich dabei:

1. Die verschiedenen Schuldverständnisse können nicht in einer
„Synopse" zusammengefaßt werden, da sie aus ganz verschiedenen
Sichtweisen des Menschen stammen. Es lassen 6ich aber gewisse strukturelle
Entsprechungen feststellen, deren inhaltliche Differenzen jedoch
nicht übersehen werden dürfen.

2. Das Gespräch zwischen Theologie und Tiefenpsychologie muß
auf der tieferliegenden Ebene der Anthropologie geführt werden, denn
hier fallen die grundsätzlichen Entscheidungen, die sich dann auch in
der Sichtweise des Schuldproblems auswirken.

3. Daß sich diese Erkenntnis auch in der Tiefenpsychologie immer
mehr durchsetzt, zeigt sich in der Entfaltung der „Anthropologischen
Psychotherapie" (L. Binswangen M.Boß, E.Michel, V. v. Gebsattel,
P. Tournier, A. Maeder u.a.), die zur Bildung einer tragfähigen Anthropologie
Hilfe bei der Philosophie und der Theologie sucht. Die
sich daraus ergebende Überschneidung wird z. B. an dem Begriff der
„Existenzschuld" in seiner theologischen und tiefenpsychologischen
Relevanz deutlich.

4. Für die evangelische Theologie ergibt sich aus dieser Lage die
Forderung nach einer umfassenden, ganzheitlichen theologischen Anthropologie
, wie sie von E. Brunner begonnen wurde, und wozu diese
Arbeit indirekt auch einen Beitrag zu leisten sucht. Aufgabe christlicher
Therapeuten wird es sein, dieses Menschenbild im konkreten
therapeutischen Dienst am Menschen zu bewähren.

Leder, Hans-Günter: Die Auslegung der zentralen theologischen
Aussagen der Paradieseserzählung (Gen. 2, 4b — 3, 24) in der ältesten
Literatur des Judentums und in der Alten Kirche. I: Die Paradiescs-
erzählung im Alten Testament, im Judentum und im Neuen Testament
. Diss. Greifswald i960. XVI, 882 S.

Die Arbeit, 1. Teil einer fortzuführenden großen Auslegungsgeschichte
von Gen. 2 u. 3, die sich über ihren auslegungsgeschichtlichen
Charakter hinaus als Beitrag zur Vorgeschichte des Dogmas von Sünde
und Gnade bei Augustin verstehen möchte, beschäftigt sich mit den
Voraussetzungen der altkirchlichen Auslegung der Paradieseserzählung.
Als solche haben zu gelten: 1. der atl. Text selber, 2. sein Nachklang
im übrigen AT, 3. die vielfältigen, theologisch sehr unterschiedlichen
jüdischen Auslegungen und 4. die Deutung im NT, namentlich bei Pls.

Besondere Aufmerksamkeit ist in der Arbeit den jüdischen Auslegungen
gewidmet, weil die altkirchliche Schriftauslegung und Theologie
— zumindest in ihren Anfängen — von jüdischen Impulsen formal
wie inhaltlich stark mitbestimmt worden sind. Im 1. atl. Abschnitt
bemüht sich die Arbeit zunächst trotz der darin beschlossenen
Probleme aus methodischen Gründen um das Eigenzeugnis der
Paradieseserzählung; die exegetische Diskussion fortführend kommt sie
zu einer geschlossenen theologischen Interpretation von Gen. 2 u. 3:
Der Lebensbaum ist integrierender Bestandteil der jahwistischen Erzählung
(gegen Budde und die weithin ihm folgende Exegese); der
Mensch ist sterblich geschaffen; der Sündcnfall zielt auf Gewinnung
der Autonomie des Menschen; dementsprechend wird die Erkenntnis
von Gut und Böse (mit Stoebe u. a.) interpretiert.

Das 2. Kap. des Abschnitts fragt nach dem Nachklang von Gen. 2
u. 3 im übrigen AT und gelangt zu der Feststellung: Der Jahwist
steht mit seiner Konzeption (Gen. 3 mit 6,5 u. 8,21) relativ einsam
im AT.

In der umfangreichen Darstellung der jüdischen Auslegungen im
2. Abschnitt wird zunächst die orthodoxe jüdische Auslegung
(Targume, Rabbinen) als Hintergrund für die übrigen auch historisch
nahezu sämtlich jüngeren Auslegungen behandelt. Sie ist zentral an
der Thora orientiert, vor der die Geschichte auf einen Punkt zusammenschrumpft
: Adam ist der Prototyp des mit der Thora lebenden
Juden (aus dem „haadam" von Gen. 2 u. 3 wird in der gesamten jüdischen
Auslegung — auch LXX — der Eigenname: Adam). Besonders
hervorgehoben wird die Willens- oder Entscheidungsfreiheit des Menschen
(er unterscheidet zwischen Gut und Böse im Sinne der
Thorafrömmigkeit; die orthodoxe Zweitriebelehre entsteht als Reaktion
auf die radikalisierte Lehre vom bösen Trieb im IV. Esra). Hetero-
doxes Traditionsgut (Adamschriften) wird orthodox uminterpretiert bzw.
(Satanologie) entmythologisiert. Zwei kleinere Unterabschnitte erörtern
die Nachgestaltung der Paradieseserzählung im Buch der Jubiläen
(Versuch der urgeschichtlichen Begründung kultgesetzlicher Bestimmungen
aus Gen. 2 u. 3; Zurücktreten des theol. Zentrums der
Parad.-Erz. bei gleichzeitiger Ableitung von Sünde und Verderben
aus Gen. 6 — Vorstufe zur klassischen Ausgestaltung dieser Anschauung
im l.Hen.), ihre geschichtsthcologische Deutung im IV. Esra (durch
die Katastrophe des Jahres 70 mitveranlaßte Erbsündcnlehre — böser
Trieb — ohne jüdische Parallele) und in der Apoc. Bar. (mißlungener
Versuch einer Korrektur des IV. Esra).

Die Auslegung im hellenistischen Judentum manifestiert sich —
keineswegs homogen — a) in der Septuaginta, die hier keine einheitliche
Konzeption aufweist, aber durch ihre zugleich interpretierende
Übersetzung für die des Hebräischen unkundige alte Kirche vielfach
Festlegung und auch Möglichkeit zum Mißverständnis bedeutet; b) bei
Philo, der in seinem allegor. Kommentar unter grundlegender Anknüpfung
an die piaton. Ideenlehre und Heranziehung sonstiger Traditionen
aus der griech. und hellen. Philosophie mit Hilfe der allegor.
Exegese eine Psychologie der Sünde entwickelt, in De opif. mundi aber
Traditionen aus der Adamspekulation aufnimmt, die seiner ohnehin
von bestimmten jüdischen Elementen unausgeglichen durchbrochenen
hellen, dualistischen Grundkonzeption deutlich widersprechen; und c)
bei Josephus, dessen Auslegung eine Mischform zwischen hellen.
Anthropologie und spezifischen Intentionen des orthodoxen Judentums
bei gleichzeitiger Aufnahme von bei ihm dann entmythologisiertem
Traditionsgut aus den Adamschriften darstellt. — Einen besonderen
theologischen Platz nimmt die Auslegung in jüdischen Pseudepigraphcn
unter dem Einfluß der Adamspekulation (Apoc. Moses, Vita Adae usw.)
ein. Diese apokalyptische geschichtsthcologische Interpretation hat ihr
Zentrum in einem unbiblisch wirkenden, aber primär aus dem AT gespeisten
Adambild und in einer eigentümlich anthropozentrisch umgeformten
Satanologie (2. Hen.) (Theol. Dualismus). Ihr Hauptinteresse
gilt der apokalyptischen Urzeit-Endzeit-Analogie. Sie ist die einzige
jüdische Auslegung mit einer starken Betonung der Person des Versuchers
(Ursprung der Identifizierung von Schlange und Satan).

Mit der paulinischen Deutung des Falles befaßt sich der größte
Teil des 3. Abschnittes (d. Parad.-Erz. im NT). Das paulin.
Verständnis des Falles (parabasis) ist jüdisch interpretierbar. Die Auffassung
vom Wesen und von der Macht der Sünde (hamartia) zeigt
indessen einen denkbar scharfen Gegensatz zu sämtlichen jüdischen
Auffassungen. Mit der Herrschaft der Hamartia (Rom. 5) ist die Entscheidungsfreiheit
des nachadamitischen Menschen geleugnet, ohne jedoch
seine Verantwortlichkeit auszuschließen. Pls hat keine direkte
Sünden lehre entwickelt. — Im letzten Kap. wird das Verhältnis
von Mc. 1,12 f. zu Gen. 3 mit negativem Ergebnis (keine Typologie)
untersucht (vgl. jetzt ZNW 1963, 188 ff.). Ein Schlußabschnitt faßt
die Hauptergebnisse mit dogmengeschichtlichem Ausblick zusammen.