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1964

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Systematische Theologie: Ethik

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459

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 6

460

darum in Hoffnung auf Vergebung handeln. Wenn Gott die
Autorität der Staatsmacht ist, könnte ein Recht auf Vollzug der
Todesstrafe begründet werden. Soweit ich sehe, folgt der Verf.
bis hierher der Staatsmetaphysik Künneths, um nun aber eine
fast entgegengesetzte Folgerung zu ziehen. Denn die Bindung
der Gewissen der Machthaber an Gott gibt zwar der Strafe
überhaupt einen ethischen Sinn, nämlich den der Erhaltung des
Lebens im Auftrage Gottes; von der Rechtfertigung des Sünders
her — dem Kriterium christlicher Anthropologie — kann
aber nur die Liebe zum Nächsten konkret zur Sinngebung der
Strafe führen. Darum geht es jetzt nur noch um Anwendung
der Liebe im Einzelfall, nicht jedoch um irgendeine metaphysische
Sühne. Der Verf. meint, dieser Weg des Glaubens beruhe
zugleich auf der Erkenntnis der Vernunft. Unter solchen Umständen
bleibt nach Überprüfung aller Möglichkeiten nur die
Grenzsituation des Staates, eine Situation, in der das Chaos
droht, als Raum, in dem ein verantwortlicher Machtträger die
Todesstrafe anwenden kann, weil und wenn die Liebe ihn zur
Abwendung des Chaos verpflichtet. Von solchen „Grenzsituationen
" abgesehen, ist heute die Nichtanwendung der Todesstrafe
geboten und ihre Abschaffung sittliche Aufgabe.

Angesichts der schier unübersehbaren Komplexität des Problems
dürfen wir wohl dankbar sein, daß der Verf. einen Pfad,
und gerade diesen Pfad!, durch das Dickicht gebahnt hat. Jedoch
ist sein Buch noch nicht die große fällige Aufarbeitung der
kirchlichen Entscheidungen und theologischen Anschauungen durch
die Geschichte hindurch und in der Gegenwart. Das wird jedem
deutlich, der etwa die 1960 erschienene Studie „Zum Thema
Todesstrafe" von Ernst Wolf oder die entsprechenden RGG-
Artikel von F. Horst, E. Schmidhäuser und T. Rendtorff liest.

Rostock Heinrich Benckert

Noll, Peter, Prof. Dr.: Die ethische Begründung der Strafe. Tübingen:
Mohr 1962. 30 S. 8° = Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart
, eine Sammlung v. Vorträgen u. Schriften a. d. Gebiet d. gesamten
Staatswissenschaften, 244. DM 2.40.

Diese Antrittsvorlesung des Mainzer Strafrechtlers verdient
eine Anzeige im Fachgebiet der theologischen Ethik nicht nur,
weil das Thema dies nahelegt, sondern auch, weil der Verf.
sich ausdrücklich mit der evangelischen Theologie ins Benehmen
zu setzen sucht. Die evangelische Lehrtradition in Sachen Strafe
liebt ja besonders die Todesstrafe und die absolute Vergeltungstheorie
. Diese für das juristische wie das allgemeine
Bewußtsein durch Kant und Hegel vermittelte Straftheorie läßt
N. mit Recht nur als historische Realität gelten, die in Rechnung
zu stellen, aber in ihrer starren Einseitigkeit wegzuarbeiten
ist. Nicht zufällig wird Verf. im Blick auf die lutherischen
Ethiker darauf aufmerksam, daß die Straftheorie unlöslich
mit der Staatslehre verknüpft ist, ein Gedanke, der den
absoluten Straflehren ohnehin entgegensteht. Von dieser Zusammengehörigkeit
her drängt sich heute in der Tat eine sehr
andere, differenziertere Konzeption der Strafe und des Strafhandelns
auf. N. findet in Barths Andeutungen zur Strafe
(wiederum im Zusammenhang der Todesstrafe in KD III, 4) die
erstrebenswerte Relativierung der Vergeltungstheorien. Er selbst
möchte „die Strafe ethisch am Gedanken der Mitverantwortung"
orientieren (14), die die ursprüngliche Mitmenschlichkeit des
Menschen, seine politisch gemeinte Freiheit, aber auch die Solidarität
der Gesellschaft mit ihren Gliedern erfassen soll. Diese
vom Verf. sehr kurz gehaltene Skizze zeigt wieder einmal deutlich
, daß ein ethisches Problem nur definiert werden kann, wenn
zuvor der Wirklichkeitszusammenhang für sich bestimmt ist,
auf den bezogen ethische Aussagen dann gemacht werden können
. Hier geht es, wenn man N.s Gedanken auszieht, um die
politische Theorie der Demokratie als Voraussetzung der Strafe.
Denn es ist nun die „Gemeinschaftsordnung", um deretwillen
die Strafe als „Mißbilligung des Rechtsbruchs und des Rechtsbrechers
" (17) definiert wird. Wie schwierig es ist, sich dem
Sog soziologistischer Argumente zu entziehen, zeigt N., wenn
er dann meint, die Strafe sei „in der sozialen Notwendigkeit"
begründet, und die schöne Feststellung „Nicht jede Schuld fordert
Strafe", die das öffentliche Strafhandeln zum Maß nötiger

Strafe nimmt, durch die andere entwertet „Nicht wegen der
Schuld wird gestraft" (21). Hier zeigt sich noch eine Alternative
, die N. im Grunde nicht nötig hätte. Im übrigen darf man
mit Interesse verfolgen, wie in diesen gegenüber der hergebrachten
Terminologie und Fragestellung sehr aufgelockerten und unkomplizierten
Überlegungen manche scheinbar gegensätzlichen
Aspekte sehr wohl zu vereinbaren sind, wenn nur nicht falscher
Systemwille am Werk ist, sondern das Bemühen zu verstehen,
was wir tun und was wir tun können, wenn wir strafen.

Münster/Westf. Trutz Rendtorff

Bruch, Richard: Die Ausbildung der Lehre von den Erkenntnisquellen
der Moraltheologie im 17. und 18. Jahrhundert (ZkTh 85,
1963 S. 440—459).

D e m m e r, Klaus: Die moraltheologische Diskussion um die Anwendung
sterilisierender Medikamente (ThGl 53, 1963 S. 415—436).

Dunst an, G. R.: Family Planning: An Irenical Approach (The Ex-
pository Times 75, 1963 S. 81—85).

Klug, Eugene F.: The Will of God in the Life of a Christian (Con-
cordia Theological Monthly 33, 1962 S. 453—468).

L o c h m a n, M.: Die Bedeutung geschichtlicher Ereignisse für ethische
Entscheidungen. Zürich: EVZ-Verlag [1963]. 17 S. 8° = Theologisdie
Studien, hrsg. v. K. Barth u. M. Geiger, 72. DM 2.20.

Lochmann, Jan M.: Die Bedeutung geschichtlicher Ereignisse für
ethische Entscheidungen (ZdZ 17, 1963 S. 396—404).

Müller, Georg: Luther und die deutsche Angst vor der Revolution
(ZW 34, 1963 S. 667—678).

Nell-Breuning, Oswald von: Christliche Sozialbewegung (StZ
173, 89. Jg. 1963/64 S. 1—9).

— Christliche Soziallehre (StZ 173, 89. Jg. 1963/64 S. 208—220).

P 1 a c h t e, Kurt: Die vierte Dimension. Gedanken zum Selbstmord
(DtPfrBl 64, 1964 S. 9-10).

Rehr, Wilhelm: Der Christ und die Arbeit unter dem Ersten Gebot
[Sdiluß] (Igreja Luterana 24, 1963 S. 88—93).

Reu ss, Josef Maria: Eheliche Hingabe und Zeugung (ThQ 143,
1963 S. 454—476).

Schweitzer, Albert: Die Entstehung der Lehre der Ehrfurcht vor
dem Leben und ihre Bedeutung für unsere Kultur (Universitas 18,
1963 S. 1145—1160).

Seil, A. P. F.: Christian Ethics and Moral Philosophy: Somc Reflec-
tions on the Contemporary Situation (Scottish Journal of Theology
16, 1963 S. 337—351).

S t o e c k 1 e, Bernhard: Erbsündige Begierlichkeit (MThZ 14, 1963
S. 225—242).

L1TVRGIEWISSENSCHAFT

KI aus er, Theodor: Die abendländische Liturgie von Aeneas Silvius
Piccolomini bis heute. Erbe und Aufgabe. Mit einer Einführung des
Rector Magnificus. Basel-Stuttgart: Helbing & Lichtenhahn [1962].
46 S. gr. 8° = Vorträge der Aeneas Silvius Stiftung a. d. Universität
Basel, I. Kart. sfr. 5.50.

Diese Veröffentlichung erscheint als Nr. I in der Reihe der
„Vorträge der Aeneas Silvius Stiftung an der Universität Basel".
Die Stiftung ist von den Katholiken der Kantone Basel-Stadt und
Basel-Land zur 500-Jahr-Feier der Universität 1960 errichtet
worden, damit während der Dauer mindestens einer Generation jährlich
einmal von einem hervorragenden schweizerischen oder ausländischen
Wissenschaftler eine öffentliche Vorlesung gehalten und in angemessener
Weise publiziert werden soll. Ihr Gegenstand soll auf dem
Gebiet der allgemeinen Geistesgeschichte des 15. und des beginnenden
16. Jahrhunderts liegen; e6 können aber auch Probleme allgemeiner
Bedeutung von der Gründungszeit der Universität bis zur Gegenwart
behandelt werden. Wer etwas von der Verbindung der Konzilsstadt
Basel mit Aeneas Silvius Piccolomini weiß, der dann als Pius II. am
12. 1 1. 1459 auch das Universitätsprivileg erteilte, wird verstehen,
weshalb man von katholischer Seite diese Tatsache in einer Stiftung
unter seinem Namen im Bewußtsein der Öffentlichkeit verankern
wollte. Als erster Vortragender wurde nun zum 5. 12. 61 vom
Stiftungsrat der Bonner Ordinarius und Direktor des Franz-Joseph -
Dölger-lnstituts Dr. Theodor Klauser gebeten; er wird in der einleitenden
Rede des Basler Rektors Professor Dr. phil. E. Salin, die uns
mit Wesen und Aufgabe der Stiftung bekannt macht, in seinen
wissensdiaftlichen Leistungen vorgestellt.

KI. konstatiert in der Gegenwart einen Wendepunkt der
abendländischen Liturgiegeschichte. Dies scheint ihm einerseits
darin begründet, daß in Auswirkung der 6eit 1909 in Gang
gekommenen „Liturgischen Bewegung" die römische Kirche weit-