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Ausgabe:

1964

Spalte:

458-459

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Alt, Hans-Peter

Titel/Untertitel:

Das Problem der Todesstrafe 1964

Rezensent:

Benckert, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 6

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aber ihre geschichtliche Erfüllung erschöpft niemals ihren Gesamtgehalt
, Israels Geschichte verwirklicht sich erst im Eschaton völlig
(3 31 f.). Mit Christus ist das verheißene Heil historische Tatsache
geworden und überboten (398 f.). — Zwar soll das AT auch nach der
Erfüllung seine pädagogische Bedeutung behalten (246 f. 326), aber
wie kann es uns noch „Anrede" (Zimmerli) sein, wenn es nur Vorbereitung
und Abbildung des Heils ist, das durch das NT erfüllt und
überboten wird? Warum sollten wir in das Halbdunkel zurückkehren,
wenn wir das Licht kennen?

Das Abschlußkapitel (VI) „Die christliche Interpretation
des AT" (407—499) bespricht die heutige Situation der Exegese
: Es gilt die Kritik der Theologie einzufügen, indem man
sie überbietet (409 ff.).

Eine rein wissenschaftliche Exegese dringt nicht bis zum Wesentlichen
vor und erscheint nicht mehr als Funktion der Kirche (418).
Damit erhält die Schrift wieder einen mehrfachen Sinn (443 ff.), so
daß sich Tafeln verschiedener Schriftsinne aufstellen lassen (457.496).
Hauptsächlich werden Wortsinn, den allein die Kritik erreicht, und
Vollsinn (sensus plenior), der die Grenzen der Kritik überschreitet
, unterschieden (448). Den volleren und tieferen Sinn des
AT findet der Theologe von der Kenntnis des NT her (450). —
Zwar soll die christliche Interpretation keinen willkürlichen Überbau
über die Kritik darstellen (432), läßt sich aber überhaupt Geschichte
oder historische Kritik „überbieten" (depasser)? Es geht doch gerade
darum, die historisch-kritische Methode bis zu ihrem eigenen Ende
durchzuhalten, statt sie aufzugeben, wenn es der Theologie ratsam
erscheint. Weiter: Will Exegese auf den Text hören, wie kann sie
selbst ihm einen volleren Sinn geben (450)? Das AT will doch sein
eigenes Wort 6agenl So kann Theologie doch nur den Wortsinn
kennen. — Schließlich führt das Buch an Beispielen vor, wie der Vollsinn
des AT die Gnade Christi, die Passion, die opera ad extra der
Trinität, die Christologie u. a. vorwegnimmt (458—495). Das AT
enthält verborgen die Heikgegenwart, die sich im NT in seiner Fülle
und Vollendung findet — das ist die Einheit der Schrift (498 f.).

Bietet die Besprechung auch nur einen kurzen Einblick in
das umfangreiche Werk, so drängen sich doch einige Fragen auf.
Wird hier nicht das AT in einen dogmatischen Rahmen eingefügt
, obwohl G. dies zu vermeiden trachtet (328)? Leidet das
AT nicht selbst darunter, wenn seine Einzelaussagen so stark
für eine bestimmte, festliegende Linie der Heilsgeschichte
zusammengestellt und in sie eingeordnet werden? So läßt sich
doch kaum sachgemäß eine Lehreinheit gewinnen. Die Thesen
des Buches hängen an der Unterscheidung zweier Wirklichkeiten
: Natur und Übernatur, Geschichte und Übergeschichte,
heilig und profan (bes. 110 f.). Aber ist unsere geschichtliche
Wirklichkeit nicht eine Einheit? G. scheint Offenbarung als
Lehre zu verstehen, wenn er etwa von einem Wachstum der
Offenbarung zu reden vermag (87.498) oder vom NT unter der
Überschrift ,,An den Quellen der Lehre" (Kap. 1) spricht. Wird
nicht erst dadurch möglich, dem AT diese vorbereitende Rolle
zuzuschreiben? Welche Bedeutung auch das Buch für die katholische
Theologie haben mag, es läßt eine Fragestellung neu
dringlich werden: Wie denkt das AT selbst?2

Mainz Werner Sch m idt

2) Ansätze finden sich bei Th. Boman, Das hebräische Denken
im Vergleich mit dem griechischen, Göttingen3 1959.

Weber, Otto, Prof. D.: Karl Barths Kirchliche Dogmatik. Ein einführender
Bericht zu den Bänden I, 1 bis IV, 3, 2. Erweit. Nachdruck
d. 3. Aufl. Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1961] (Lizenzausgabe
d. Verlages d. Buchhandlung d. Erziehungsvereins, Neukirchen/Moers).
348 S. gr. 8°. Lw. DM 17.25.

Nach der Besprechung der 3. Auflage in dieser Zeitschrift
— 1958, Heft 10 — bedarf es für diesmal nur des erneuten nachdrücklichen
Hinweises auf dies Buch, das sich schon längst eingebürgert
hat. Wir sind dem Verfasser, dem Verlag in Neukirchen
und — nicht zuletzt — der Evangelischen Verlagsanstalt
in Berlin dankbaT, daß sie es uns zugänglich gemacht haben und
dazu noch die Erweiterung so frühzeitig. Die beiden neuen Abschnitte
überschreiben die Inhaltsangabe des Bandes IV, 3 mit
-Jesus Christus, der wahrhaftige Zeuge" und „Berufung und
Hoffnung des Menschen in der Gemeinde". Die leisen kritischen
Fragen des Verfassers an die KD würzen nicht nur die Inhaltsdarstellung
, sondern erheben sie sozusagen in den Rang einer
Analyse, die hilft, den Stoff in echter Weise zu verarbeiten.

Rostock Heinrich Ii e n ck er t

A h 1 b e r g, Alf: Den kristna människosynen (Acta Societatis Theo-

logicae Upsaliensis 1, 1963 S. 25—37).
Backes, Ignaz: Tradition und Schrift als Quellen der Offenbarung

(TThZ 72, 1963 S. 321-333).
B e u m e r, Johannes: Schriftbeweis und Traditionsbeweis (ThGl 54,

1964 S. 1—9).

Borovoy, Vitaly: Die Bedeutung der Katholizität (ÖR 13, 1964
S. 40—47).

Breuning, Wilhelm: Der Dienst von Brot und Wein für die
Eucharistie (TThZ 73, 1964 S. 45—49).

Brunner, Peter: Vom Wesen der Kirche (Dienende Kirche. Festschrift
Julius Bender, Karlsruhe 1963 S. 41—53).

B ü r k 1 e, Horst: Der Christus der Geistgemeinschaft (EMZ 20, 1963
S. 161—170).

Combi in, Jose: El misterio de la Iglesia (Teologia y Vida 4, 1963
S. 147—156).

D i e m, Hermann: Kierkegaard und die Nachwelt (Neue Sammlung 4,
1964 S. 38—50).

G ö ß m a n n, Elisabeth: Das Missionarische in der Kirche (MThZ 14,
1963 S. 266—269).

ETHIK

A 11, Hans-Peter, Dr. theol.: Das Problem der Todesstrafe. München:
Kaiser 1960. 168 S. gr. 8°. Kart. DM 8.50.

Diese überarbeitete Erlanger Dissertation hat ihren besonderen
Wert sicher in der Anknüpfung an Althaus und Künneth,
denen sie gewidmet ist, und in der gleichzeitigen Auflösung
der von diesen Theologen gegebenen Argumente für die Anwendung
der Todesstrafe. Sie ist entstanden auf Veranlassung
des Vaters des Verf., der als Seelsorger im Gefängnis München-
Stadelheim die Massenhinrichtungen von 1945 miterlebt hat
und zu der Einsicht gekommen war, „daß das Hinschlachten der
Menschen nicht dem Willen Gottes entspricht". Der Sohn hat
nun das gesammelte Material des Vaters systematisch verarbeitet
.

Die Schwierigkeit des Unternehmens liegt darin, daß sich
in dem neuralgischen Punkt der Todesstrafe die Probleme des
Rechtes und der Macht, der Verantwortung und der Liebe, des
Lebens und des Todes wie in einem Brennpunkt sammeln. Der
Verf. hat recht: Die Abschaffung der Todesstrafe ist ein existentielles
Problem, dessen praktische Lösung nur möglich ist, wenn
der Mensch den anderen mehr liebt als sich selbst. Das hindert
ihn aber nicht, den Begründungen der Todesstrafe als Rechtsmittel
des Staates und ihrer Ablehnung genaustens nachzugehen
.

Zunächst untersucht er die aus der — strafrechtlichen —
Erfahrung erwachsenden Gründe für die Todesstrafe: Abschrek-
kung und Sicherung, um zu zeigen, daß sie nicht stichhaltig
6ind. Ebenso weist er die hier hinzugerechneten ökonomischen
(Ersparnis für die Gesellschaft!) und biologischen (Ausmerzung
unwerten Lebens) Begründungen zurück. In einem zweiten
Abschnitt befragt der Verf. die säkulare Rechtsethik. Hier verdienen
die Daten und Fakten zur Geschichte der Todesstrafe
und ihrer Abschaffung besondere Aufmerksamkeit. Vor allem
aber werden die Gründe abgebaut, die mit den Stichworten
„Volksmeinung", „gerechte Vergeltung" und „Besserung" zusammengefaßt
werden können. Allerdings bedauert der Leser,
daß die differenzierten Analysen, die oft ins Theologische übergehen
, der Disposition nach von dem letzten — theologischen —
Teil getrennt sind. Dort kehren denn auch alle diese Probleme
wieder. Der dritte Teil stellt die eigentlich theologische
Untersuchung dar. Es liegt im Wesen der Sache, daß die Theologie
(oder Metaphysik) allein noch die Todesstrafe begründen
kann, wenn die säkularen Gründe entfallen. So haben hier in
der Tat von jeher die Theologen am meisten mitgeredet; sie
sind in der Sache auch am meisten von Politikern und Juristen
in Anspruch genommen worden. Da alttestamentliche Blutrache
und Todesstrafe und neutestamentliche Worte zur Todesstrafe
kein Gebot Gottes zum Vollzug der Todesstrafe ergeben, liegt
nun die letzte Entscheidung im Raum theologisch-ethischer
Überlegungen. Kein Naturrecht und keine lex Christi begründen
die Macht des Staates über das Leben. Der Staat ist säkular und
Kampfgebiet zwischen Gott und Dämon ( !). Die Träger der
Autorität müssen in persönlicher wagender Verantwortung und