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Ausgabe:

1964

Spalte:

455-457

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Grelot, Pierre

Titel/Untertitel:

Sens Chrétien de l'Ancien Testament 1964

Rezensent:

Schmidt, Werner H.

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 6

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vermieden. Veranlaßt zu dieser Studie, die gekürzt auch in
Mainz als Gastvorlesung vorgetragen wurde, sah sich Verf.
nicht nur durch die Konzilsdebatten, sondern durch die in der
Thematik enthaltene Alternative und durch eine Verwässerung
dieser Unterscheidung durch neuere Tendenzen, wie sie etwa
in J. L. Leubas Thesen1 und dem Institutionalismus erscheinen.
Dabei scheidet sich ja erst „durch Reformation und Gegenreformation
" Kirche des Wortes und Kirche des Lehramts! —
„Tu in verbum intende et mitte larvam personae — Achte du
nur auf das Wort Gottes und laß dich durch den äußeren Schein
der Person nicht stören", dieser Satz Luthers (S. 12) aus den
Erläuterungen zu den 95 Thesen (1517) ist Ausgangspunkt für
das reformatorische Kirchenverständnis. Kirche ist creatura
verbi, nur so ist der göttliche Geist in ihr. Selbst beim Gleichklang
der Aussagen über die Kirche „ist die Begründung der
Vollmacht der Kirche derjenigen Begründung, wie wir sie in
der Kirche des Lehramts finden, allerdings völlig entgegengesetzt
" (S. 19). Verf. belegt das an Luthertexten zur „Erkennt-
nisvoHmacht der Kirche" (S. 20), zur „Autorität des Konzils"
(S. 22 ff.), zum Schriftverständnis und dem Problem der „Identität
von Gotteswort und Schriftwort" (S. 26—29). Für die
Frage nach der Kirche ist dabei entscheidend, daß Luther nicht
in Konflikt kommt mit der Kirchlichkeit, denn „Gottes Wort
kann nicht ohne Gottes Volk sein" (S. 32), wohl aber mit der
gängigen Ansicht über die Autorität von Lehrtradition, Kirche
und Evangelium. Der „kirchliche" Aufbruch zu einer Überzeugung
, bei der Vernunft und Gewissen „nur als gebunden im
Worte heiliger Schrift zu Ruhe kommen" kann (S. 29), ist bemerkenswertestes
Ereignis in der Reformation. Dabei handelt
es sich nicht wirklich um „Subjektivismus" reformatorifecher
Schriftausglegung, denn: „Doctrina non est nostra sed Domini
...: das gilt, weil vom Glauben gilt, daß er opus dei in no-
bis et sine nobis ist" (S. 43). — Man kann in der gegenwärtigen
Lage die klar profilierte Stellung des Verf.s, der zuletzt auf die
katholische Formel „von der gegenseitigen Abhängigkeit von
Schrift und Lehramt" (S. 45) und auf den „Weg des Evangeliums
in beiden Konfessionen" zu sprechen kommt, nur unterstreichen.
Denn „Luthers Erkenntnis des Offcnbarungs- als Rechtfertigungsgeschehen
" (S. 44) hebt im Tiefsten wirklich alle Subjektivität
als solche auf, weil der Glaubende extra persona
m in Christus vor Gott als Glied der wahren allgemeinen
Kirche wandelt. Und das erfordert kein institutionelles
Lehramt.

jena Horst Beinlker

*) In welchem Sinne haben evangelische Christen die röm.-kath.
Kirche ernst zu nehmen? Materialdienst des konf.-kundl. Instituts 11,

1960, H. 6, S. 101—110, vgl. Herder-Korrespondenz IS, 1961, 240.

Crclot, Pierre, Prof.: Sens chretien de I'Ancien Testament. Esquisse
d'un traite dogmatique. Tournai: Desclee & Cie [1962]. XI, 540 S.
gr.8° = Bibliotheque de Theologie, Serie I; Theologie Dogmatique,
sous la direction de P. Gloricux, A. Chavasse, Ch. Baumgartner, Vol. 3.
Dieser „dogmatische Abriß" möchte eine Lücke in der
katholischen Dogmatik und Ethik schließen, die beide seit dem
Tridentinum nach der Lehre von der Erbsünde unmittelbar zur
Inkarnation übergehen und die vorbereitende Heilsgeschichte des
AT völlig vernachlässigen (V. 78 ). So lautet das Thema:
Welche Stelle nimmt das AT im gesamten Heilsplan und in der
christlichen Theologie ein (4)? Dabei will die an Literaturangaben
sehr reiche Abhandlung die Ergebnisse der nur dem
Wortsinn zugewandten Exegese und der theologischen Lehrtradition
verbinden, ohne eins von beiden aufzugeben (VI. 88).
Das 1. Kap. „An den Quellen der Lehre" behandelt zunächst
das Zeugnis des NT, das nach den drei Prinzipien: Erfüllung,
Überbietung und Präfiguration mit dem AT umgeht (4—27).
Es folgt ein Überblick über das Verständnis des AT in Altertum
(Allegorie der alexandrinischen Schule), Mittelalter, Gegenreformation
(Aufkommen der kritischen Exegese seit dem
17. Jhdt.) und Neuzeit (27-88)1.

') In dem Abschnitt geht es eigentlich um die jeweilige Methodik
der Schriftauslegung, vgl. G. Ebeling, RGG3 III (1959), 242-262,
Art.: Hermeneutik.

In Auseinandersetzung mit der historischen Kritik, die sich allmählich
, oft unter Aufgabe des katholischen Glaubens, durchsetzte
(73), ist jetzt die Einheit beider Testamente zu sehen (81). Die
historische Kritik, die von der Enzyklika Divino Atflante Spiritu
zum Studium des Wortsinns freigegeben wurde (83), findet im Prinzip
göttlicher Pädagogik ihre lehrmäßige Begründung und prinzipielle
Rechtfertigung, zumal sie die biblischen Präfigurationen klarer aufdeckt
. Hauptsächlich unter diesem doppelten Gesiditspunkt: göttliche
Pädagogik (das AT führt zum Heil hin) und Präfiguration (das AT
bildet das Heil ab) betrachtet G. das AT (88. 498, vgl. Reg.).
Kriterium der Typologie (der Ausdruck wird jedoch gemieden, 82)
ist die Analogie der Glaubenserfahrung im AT und NT (218 f. 299 f.).
Gott führt unter der Herrschaft des Gesetzes die Geschichte seines
Volkes als Heilsgeschichte durch, um a) die Herzen für das Kommen
Christi vorzubereiten und b) den Gläubigen vorweg Kenntnis vom
Mysterium des Heils zu geben (249). Wie das (Kult- und Moral-)
Gesetz so bereitet auch Israels Geschichte das Heil in Christus vor
und bildet es ab (209 ff. 275 ff. 389).

Das 2. Kap., das zusammenfassend den Ort des AT in der
Heilsgeschichte bestimmt (91 — 124), entwickelt die christliche
Heilsidee im Unterschied zur griechischen und buddhistischen
Religion (93 ff.) als Erlösung von außen (101 f.) und deren Bezug
zur Geschichte (102 ff.).

Im voraus wird die Lehre festgestellt: Die Heilsgeschichte ver-
wirklidit sidi in Etappen: in Gott von Ewigkeit verborgen, beginnt
sie, sich im AT zu enthüllen, bis Christus sie in der Fülle der Zeit
vollendet (91). Später (115 ff.) wird die vorläufige, aber sich vervollkommnende
Heilsgeschichte des AT noch in zwei Stadien gegliedert:
Von Adam bis Abraham (Urgeschichte) und von Abraham bis Jesus.
— Soll die Geschichte ihr letztes Ziel erreichen, zu dem die Entwicklung
des Menschengeschlechtes selbst nicht gelangt (107), so muß
die (Profan-) Geschichte überboten werden (103). Am Ende der Geschichte
, an dem die Heilsgeschichte die gesamte Profangcschichtc in
sich aufnimmt (112), steht nicht die Selbstverwirklichung des Menschen
, sondern seine übernatürliche Einheit mit dem lebendigen Gott
(109). Mit seinem freien Heilsratschluß ermöglicht Gott es dem Men-
sdien, dies Ziel zu erreichen, indem er die Wunden der menschlichen
Natur heilt (110). Die Profangeschichte stellt den Vordergrund, die
Heilsgeschichte den Hintergrund der Weltbühnc dar: zwei Wirklichkeiten
in einer menschlichen Geschichte (110 f.). Besondere Ereignisse
der übernatürlichen Vorsehung Gottes (wie die Eroberung Kanaans
oder Jerusalems) verwirklichen das Heil auf Erden. Hinter ihrem
menschlichen Antlitz erkennt der Glaube ihre höhere Bedeutung,
Taten Gottes in der menschlichen Geschichte zu sein (112). Die Haltung
moderner (materialistischer oder idealistischer) Philosophen, die
sich weigern, die Geschichte zu transzendieren, erweist, wie tief die
menschliche Natur verletzt ist, und ist letztlich Hybris (109).

Nachdem das 3. Kap. „Das AT und das Mysterium Christi"
kurz Wort Gottes, Gottesvolk und Bund im AT und ausführlicher
„Israels Leben im Mysterium Christi" behandelt hat
(125—165), möchte der Hauptteil des Buches in Kap. 4—6 „Das
AT als Gesetz, Geschichte und Verheißung" (167—403) entfalten
, wie Christus im AT gegenwärtig ist.

Das Heil Christi, an dem Israel vorweg teil hat (125), ist schon
im AT gelebte, wenn auch unvollkommen vorausgenommene Wirklichkeit
(141. 300. 363). In Wort, Volk und Bund Gottes ist das
Mysterium Christi jeweils schon eingeschlossen (139), die Gottes-
gemeinschaft in Christus ist der einzige Gegenstand der Schrift (459),
aber Christus ist nur vorbereitend, verborgen im AT gegenwärtig
(159 ff. 325 f. u. ö.). Zwar spricht das AT für den, der das Innere zu
hören versteht, unablässig von Jesus Christus (325), aber die Sprache
des AT bildet ihn nur unvollkommen und mehrdeutig ab (363). Der
bleibende Wert der Symbolsprache läßt sich kritisch herausfinden
(364), indem man die wesentlichen, allgemein menschlichen Gottcs-
erfahrungen von den nur akzidentellen, besonderen israelitischen ablöst
(395 f.). Zugleich ent- und verhüllt sich die geistliche Wirklichkeit
des NT unter den Bildern des AT (397).

Glaube heißt: die Verwirklichung von Gottes Heilsplan in der
Geschichte und somit Gottes Gegenwart in der Geschichte als Tatsache
anerkennen. In diesem Sinne hat geschichtliche Erfahrung als
solche den Wert religiöser Erfahrung (258 f.). Die Geschichtsereignisse
sind verständlich, aber sie bedürfen der inspirierten Interpreten
(267). Gottes Taten erweisen sich in (innerhalb der natürlichen Kausalität
unerklärbaren) Wundern oder Zeichen, die das Wort beglaubigen
und zum Glauben führen (264/6). Im AT entwickelte sich die
individuelle Eschatologie zur kollektiven, die irdische zur metahistorischen
(346). In den eschatologischen Verheißungen kündigt das AT
eine Überbietung der Gesetzesordnung durch einen kommenden
Gnadenbund an (328. 3 89). Erst die Erfüllung in einer Geschichtstatsache
enthüllt den wahren Inhalt der Weissagungen (328. 388 ff.).