Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1964

Spalte:

454-455

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Steck, Karl Gerhard

Titel/Untertitel:

Kirche des Wortes oder Kirche des Lehramts? 1964

Rezensent:

Beintker, Horst

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

453

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 6

454

änderlich sind" (156 mit Anm.). Die Nähe solcher Erkenntnisse
zu denen der modernen Soziologie über die menschlichen Institutionen
als „vorgeformte und sozial eingewöhnte Entscheidungen
" (Gehlen) liegt auf der Hand. Der distanzierten Bejahung
der Konventionen und sogar ethischer Theorien, die in
einer bestimmten Umgebung „heimisch" wurden (163), müßte
doch bei W. eine gleiche Haltung gegenüber dem entsprechen,
was er zu abfällig „Kollektive" nennt; wobei gleich hinzuzufügen
ist, daß aus jener distanzierten Bejahung jeweils dann ein
Nein werden muß, wenn es das Wohl des Nächsten erfordert
(160 f.). Man darf sich aber nie diesen „Nächsten" als isoliertes
Individuum vorstellen; vermutlich will das W. auch gar
nicht... — Kurz: es wird in diesem Buch nicht deutlich genug,
wie W. sich die Grundlagen einer Sozialethik denkt. Die „Gleichgültigkeit
bestehenden sozialen Gebilden gegenüber" darf nicht
nur in eine „allseitige" bzw. einseitige „Kritik an der Machtentfaltung
der Kollektive umschlagen"; und ob hier die „Erneuerung
der Berufslehre" das enscheidende Gegenmittel ist,
ist mir fraglich (122). Fruchtbarer scheint mir das zu sein, was
W. selbst so ausdrückt: „In den Konventionen, die jeweils gelten
, wirkt, da ja in ihnen der Nächste mitgesetzt ist, das Gesetz
Gottes. Geringachtung der Solidaritätsregeln, die in einem
bestimmten Milieu herrschen, bedeutet Geringachtung der Kräfte,
die dem alten Adam gegenüber eine züchtigende und zähmende
Wirkung haben, und insofern Geringachtung des göttlichen Gesetzes
und der göttlichen Schöpfung". Dankbar liest man weiter
, daß nach W. „das Evangelium eine kritische Funktion diesen
Normen gegenüber auszuüben" hat (166 mit Anm. gegen
Logstrup, bei dem W. dies vermißt). Man hätte dies freilich
gern genauer ausgeführt gesehen.

Zuzustimmen ist auch dem Satz, die Kirche dürfe sich
..nicht zu einem eigenen Kollektiv gegenüber anderen Kollektiven
in der Welt machen" (159), wogegen es fraglich erscheint,
°b K. Barth richtig verstanden wurde, wenn ihm die Meinung
unterlegt wird, daß „die Kirche die einzige Größe in der Welt"
sei. „von der eine Initiative des politischen Handelns ausgehen
könne" (157; ähnlich schon 98).

Wie steht es schließlich mit der das ganze Buch durchziehenden
Polemik gegen die Vorordnung des zweiten vor den
ersten Artikel? In den ersten Abschnitten sowohl des ersten
als auch des zweiten Teiles wird zunächst vor allem darauf hingewiesen
, daß man sich an den alttestamentlichen Text ,,in der
Ordnung, wie er uns nun einmal vorliegt — erst Erschaffung der
Welt, dann der Sündenfall, und danach die Geschichte Israels —"
Halten solle, denn „diese Ordnung bedeutet doch etwas" (128);
letzteres ist freilich kaum zu bestreiten: die Anordnung der
biblischen Texte ist offensichtlich im Sinne eines heilsgeschichtlich
-chronologischen Berichtes gedacht. Aber ist die Dogmatik
schon deshalb verpflichtet, den gleichen Weg zu gehen? W.s Argument
klingt zu biblizistisch, um überzeugen zu können.

Nun behauptet W. ständig, daß die schwedischen und kontinentalen
Theologen, die nicht bei der Urgeschichte, sondern
beim Evangelium von Jesus Christus einsetzen, als disponierenden
Faktor „nicht die Reihenfolge der Geschehnisse, sondern
die Ordnung unseres Ganges von mangelnder Klarheit zur gewonnenen
Klarheit" angesehen hätten. Sie meinten, dabei die
Schwächen der liberalen Weise, den ersten Artikel voranzustellen
, überwunden zu haben; aber sie blieben doch in deren
..Anthropozentrizität" stecken (19). Das Interesse der hier gemeinten
Theologen (vor allem K. Barths und A. Nygrens)
ist damit doch wohl auf den Kopf gestellt (in bezug auf Barth
ist zu vgl.: „Methodenfrage" S. 43 — 46). Ihnen liegt alles
am souveränen Offenbarungshandeln Gottes (Barth), an der
Linie, die von oben nach unten führt (Nygren). Anthropozentrisch
ist das nicht, sondern das wird es erst, wenn man mit W.
die „wachsende Klarheit" der menschlichen Erkenntnis zur maßgeblichen
Kategorie macht. Und wenn nun „die Aussagen über
die wachsende Klarheit... in einen fortschreitenden Bericht. . .
über die Taten Gottes eingebaut werden" — dies ist W.s erklärtes
Prinzip (21, ähnlich 47) —, so heißt das doch im Grunde
nichts anderes, als daß man nun nicht nur das Licht, sondern
auch das Halbdunkel und vielleicht auch die anfängliche Finsternis
theologisch zum Thema machen möchte. Tatsächlich war ja
einer der wesentlichen Vorwürfe W.s gegen Barth, daß vom
Bösen und seiner Macht nicht deutlich genug die Rede sei
(Methodenfrage S. 115 u. ö.). W. möchte diesen Fehler ausgleichen
— was aber wird dabei aus Gottes Offenbarungstat in
Christus? Wenn Barths Gefahr darin besteht, daß diese eine
Tat Gottes alle anderen Taten absorbiert (dies scheint mir zum
Teil der Fall zu sein), so beobachtet man bei W. nun, daß sie
in das universale lebenspendende Handeln Gottes eingeordnet
zu werden droht, so daß er dann sagen kann: „Die äußere
Schöpfung, die den Menschen täglich aufs neue beschenkt,
spricht ihn in derselben Sprache an wie Christus, in dem Gott
nicht nur seine Gaben, sondern sich selbst hingibt" (49). Gerade
hier wird dann die „wachsende Klarheit", die eich steigernde
Erkenntnis des Menschen also zum „disponierenden Faktor" der
Darstellung. Denn um der nun drohenden Überbewertung der
natürlichen Gotteserkenntnis, Sündenerkenntnis, Erkenntnis der
Schuld, des Gerichts, des Gesetzes usw. zu wehren, muß W.
immer wieder sagen, daß das Evangelium in diesen Dingen größere
Klarheit vermittle, als sie vorher vorhanden war (36, 58,
66 f., 70, 106, 170 f., 176, 194). Gewiß gehört es zu den fruchtbarsten
Gedanken dieses Buches, daß W. Gott ständig als Handelnden
sieht; mit dem gleichen Recht oder Unrecht, mit dem
er seinen Gegnern vorwirft, Offenbarung Gottes in Christus
habe sich hier in neues Wissen über Gott verwandelt, könnte
man aber auch W. fragen, ob nicht doch wieder der Mensch und
seine Erkenntnis in den Mittelpunkt geraten sind. Er würde
sich dann wohl auch mißverstanden fühlen (obwohl er sein Interesse
an der Anthropologie offen ausspricht, z.B. 23).

Gottes Tat in Christus ist neue Schöpfung, neues Leben,
nicht nur Steigerung dessen, was in der Schöpfung geschah, nicht
nur Wiederherstellung ... — Wie sich nach W. das Neue vom
Alten abhebt, müßte aus einer Besprechung des inzwischen
(1963) erschienenen zweiten Bandes seiner Dogmatik „Evangelium
und Kirche" hervorgehen. Glücklicherweise hat er auch in
diesem ersten Band schon an allen entscheidenden Stellen vom
Evangelium gesprochen. So wäre am Schluß zu fragen: Soll das,
was daneben vorgelegt wurde, nun etwa gepredigt werden?
Oder ist es nicht doch das einzig Sachgemäße, wenn die Predigt,
und dann doch auch die ihr dienende Dogmatik, ausgeht von
dem Licht des Evangeliums? Das schließt ja nicht aus, sondern
es schließt ein, daß man über Schöpfung und Gesetz Wichtiges
und Unentbehrliches sagen muß. Die Reihenfolge ist dabei nicht
so wichtig wie der Ansatz. Wobei auch zugunsten des „doppelten
Ansatzes" einiges zu sagen wäre; allerdings würde dann die
Analyse der menschlichen Wirklichkeit zunächst ein menschliches
(und warum nicht auch philosopisches?) Unternehmen sein.
Die Beschreibung des Lichtes, das vom Evangelium aus darauf
fällt, müßte davon zunächst deutlich abgehoben werden, damit
dann um so deutlicher wird, was diesem Lichte standhält und
was sich als verderbliche Schau oder auch „Gesamtschau" bei
uns immer wieder einnistet. Das Thema wäre dann die Konfrontation
der Tat Gottes in Christus mit dem, was wir vorher tun
und denken — einschließlich unseres Denkens über Gott, Sünde
und Tod. Oft hat man den Eindruck, daß W. dies eigentlich
auch vorhat; seine Kritik an Logstrup ist nur von daher verständlich
(37, 166). Aber deshalb ist eben die Auskunft, daß
da6, was vorher schon da war, in Christus nur gesteigert wird,
leider doch nicht sehr hilfreich.

PS. Schade, daß dem Buch weder ein Bibelstellenregister, noch
andere Verzeichnisse beigegeben wurden.

Bethel b.Bielefeld W. Schweitzer

Steck, Karl Gerhard: Kirche des Wortes oder Kirche des Lehramtes
? Zürich: EVZ-Verlag [1962]. 53 S. 8° = Theologische Studien
, hrsg. v. K.Barth u. M.Geiger, H. 66. DM 5.25.

Es handelt sich um eine sehr gehaltreiche Studie. Das ist
erklärlich, da sie auf ungedruckte Partien der Habil.-Schrift
des Verf.s zurückgeht („Kirche und Lehre bei dem späteren
Luther. Gött. 1952") und hier die reformatorische Position
besonders klar herausgestellt wird. Zum Gegenüber ist die
Kirche des Lehramts gewählt, aber eine ausgeführte Darstellung
des röm.-kath. Lehramtsverständnisses zunächst als entbehrlich