Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1964

Spalte:

438-439

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Jayne, Sears Reynolds

Titel/Untertitel:

John Colet and Marsilio Ficino 1964

Rezensent:

Delius, Walter

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

437

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 6

438

Diese befanden sich in den Städten bei den Kathedralen und wurden
von Klerikern besucht, die in den freien Künsten schon eine Ausbildung
erfahren hatten; jene hingegen vermittelten „eine nicht zweckgerichtete
Bildung mit .kontemplativer' Tendenz": Petrus Lombardus
und Bernhard von Clairvaux seien zwei bedeutende Repräsentanten
des verschiedenen Schulbetriebs (S. Ii). Aus den Klerikerschulen sei
die Scholastik hervorgegangen. Was da6 Theologietreiben betrifft, so
ging es bei den Klerikerschulen und später in der Scholastik um
quaestio und scientia, im Mönchtum hingegen um experiri und deside-
rare. Der Scholastik kommt Wissenschaft im strengen Sinne sowie
Spekulation zu, dem Mönchtum dagegen die Kontemplation 60wie das
Gott-Suchen. Bis in die literarischen Gattungen hinein lassen sich nach
L. diese Unterschiede verfolgen. Die Mönche pflegten besonders
Gattungen wie den Brief, den Dialog sowie in bestimmten Formen auch
eine Geschichtsschreibung (S. 172; 179); demgegenüber gehören die
Quaestionen-Literatur sowie die Summen der scholastischen Theologie
an. Weiter haben die Vertreter der monastischen Theologie, insbesondere
etwa Bernhard, die Begriffsbildungen der Scholastiker oftmals
nicht übernommen (S. 225), so daß sich auch in der verwendeten Terminologie
Unterschiede zeigen.

Mit diesen Feststellungen will L. die scholastische Theologie
keineswegs abwerten. Er betont, daß es im Grunde nur eine einzige
Theologie gibt (S. 246); freilich seien doch die Arten des Erkennens
verschieden (S. 253). Man könne scholastische und monastische Theologie
etwa in der Weise einander zuordnen, wie Clemens von Alexandrien
„Glaube" und „Erkenntnis" zueinander ins Verhältnis gesetzt
habe (S. 243 u. ö.). Bildung sei dem Mönchtum durchaus nicht fremd
gewesen; nur handle es sich bei ihm um einen „eschatologischen
Humanismus" (S. 164). Immerhin betont L. doch, daß die monastische
Theologie, sehr im Unterschied zur scholastischen, das Erbe der
Patri6tik lebendig bewahrt habe, wie sie auch eine größere Nähe zur
Schrift beibehalten habe.

Die These L.s, der A. M. Landgraf vor seinem Tode noch
im wesentlichen zugestimmt hat (S. 213,2; 302), ist derart umfassend
begründet und durchgeführt, daß man ihr grundsätzlich
seine Zustimmung nicht versagen kann. Zudem hat L. aus
seinen umfangreichen Quellen- und Handschriftenstudien eine
solche Fülle wissenswerter Details beigebracht, daß man das auch
in stilistischer Hinsicht hervorragende Buch nur mit größtem
Gewinn liest. Man wird in Zukunft vor allem bei der Behandlung
der Dogmengeschichte des Frühmittelalters auf L.s Untersuchungen
Rücksicht nehmen müssen.

Gleichwohl müssen einige kritische Fragen gestellt werden,
die nicht sowohl L.s These im ganzen als vielmehr manche gefährlichen
Verallgemeinerungen betreffen, vor denen L. zwar im
Vorwort selbst warnt (S. 7), die aber später von ihm nicht als
solche kenntlich gemacht worden sind. Gewiß kommt keine
Geschichtsdarstellung ohne Typisierungen aus. Aber es ist doch
nötig, Recht und Grenze der Unterscheidung zwischen monasti-
scher und scholastischer Theologie schärfer zu bestimmen.

Zunächst bedarf L.s These, daß das patristische Erbe im Mönchtum
lebendig fortexistiert habe, der Einschränkung. Wie er selbst sagt,
hat man im Frühmittelalter vor allem Origenes gelesen. L. stellt geradezu
die Regel auf, daß, „wo da6 Mönchtum reformiert wurde, auch
Origenes wiederauflebte" (S. 110). Gewiß waren auch andere Kirchenväter
in den Klöstern bekannt, aber vorwiegend doch asketische und
mystische Schriften, auch was Augustin betrifft. Es war ein sehr einseitiges
Erbe aus der Patristik, das in der monastisdien Theologie des
Frühmittelalters rezipiert wurde. Etwa die antipelagianischen Schriften
Augustins, aber auch diejenigen über die Sakramente sind gerade
nicht von der monastisdien, sondern von der scholastischen Theologie
aufgenommen worden.

Sodann müßte wohl innerhalb des Typus der monastischen Theologie
noch sehr viel genauer differenziert werden. Gewiß ist sie generell
durch einen mystisch-kontemplativen Zug charakterisiert. Aber
nicht nur das Ausmaß dieses Momentes ist verschieden, sondern auch
das monastische Ideal als solches. S. dazu B. Loh6e, Mönchtum und
Reformation — Luthers Auseinandersetzung mit dem Mönchsideal des
Mittelalters, 1963.

Drittens, die Unterscheidung zwischen monastischer und scholastischer
Theologie läßt sich eigentlich für keine Epoche so glatt durchführen
, wie es bei L. geschieht. Was Anselm betrifft, der ja nicht nur
Mönch war, sondern zugleich mit Recht als Vater der Scholastik gilt,
so scheint L. selbst einige Zweifel gehabt zu haben, wo er ihn einordnen
soll. Dank der monastischen „Glut", die er bei ihm auch in
seinen theologischen Werken findet (S. 222), meint er jedoch, ihn noch
für die monastische Theologie beanspruchen zu können. Freilich kann
doch L.s Behauptung, daß sich bei Bernhard „ebenso" wie bei Anselm
Wissenschaft und Mystik vereinigen (S. 243), nicht überzeugen. Anselm
paßt eben sichtlich in das Schema monastische oder scholastische
Theologie nicht hinein.

Viertens, aber auch die Epoche von 750— 850, in welcher nach
L. die monastische Theologie ihre erste Ausgestaltung erfahren hat,
ist nicht so eindeutig mystisch-kontemplativ. Mit keinem Wort weist
L. auf die Debatte über das Abendmahl hin, die von Paschasius
Radbertus, Ratramnus u. a., die gerade Mönche waren, geführt wurde.
Wo soll man denn diesen sogen. 1. Abendmahlsstreit einordnen? Und
wohin paßt ein Gottschalk?

Schließlich bedarf auch L.s These, daß die monastische Theologie
eine größere Nähe zur Schrift bewahrt habe als die scholastische, der
Modifizierung. Zwar zeigt sich die Eigenart der monastischen Theologie
, wie L. darlegt, gerade auf dem Gebiet der Exegese und der
Predigt. Aber es ist doch auch hier ein sehr einseitiges Erbe, das man
im Mönchtum aufnahm. Ganze Bereiche wie etwa die Ekklesiologie
oder die Sakramentslehre sind doch von der Scholastik viel eingehender
rezipiert und erörtert worden.

Diese kritischen Fragen sollen das Recht einer Unterscheidung
zwischen monastischer und scholastischer Theologie nicht
bestreiten. Diese Differenzierung ist vielmehr fruchtbar, weil sie
bestimmte Seiten der frühmittelalterlichen Kirchen- und Dogmengeschichte
in neues Licht rückt. Aber vor einer unkritischen
Übernahme dieser Unterscheidung muß gewarnt werden.

Einige kleinere sachliche Irrtümer seien genannt: S. 100 die Behauptung
, daß die scholastischen Kommentare das Hohelied nach seinem
Literalsinn erklären; S. 284 die Behauptung, daß Jesus selbst und
alle neutestamentlichen Schriftsteller sich eines rhetorischen Redestils
bedienen (s. dagegen E.Norden, Antike Kunstprosa II, S. 480 ff.).
Hamburg Bernhard Löhse

y

Jayne, Sears: John Colet and Marsilio Ficino. London: Oxford
University Press 1963. IX, 172 S., 6 Taf. 4°. Lw. 45 s.

„John Colet ist ein Mann, von dem wir mehr schreiben als
wir wissen", mit Recht darf der Verfasser des Buches dies im
Hinblick auf das Ergebnis seiner Untersuchung sagen. Acht größere
Biographien Colets, darunter zwei kritische Monographien
in unserem Jahrhundert, ein Dutzend Essays und vier Dissertationen
sind erschienen. Alle diese Studien benutzen das gleiche
Material: die dürftigen Nachrichten über Colet bei Erasmus und
die wenigen Schriften Colets. Seine Zeitgenossen meinten, Colet
habe überhaupt keine Werke geschrieben. Erst im Jahre 1874
wurden seine Bibelkommentare entdeckt. Der Verfasser unseres
Buches, ein Amerikaner, hat nun im All Souls College in Oxford
eine Kopie der Erstausgabe der Briefe des Marsilio Ficino
(Venedig 1495 ) entdeckt, welche Eigentum Colets war. Der
Band hat in der Handschrift Colets je einen Brief Ficinos an
Colet und Colets an Ficino. Der Band, obwohl Epistolae tituliert
, enthält nicht nur Briefe Ficinos, sondern auch dessen philosophische
und theologische Traktate. Das Wichtigste und für
die Coletforschung Weiterführende sind die Marginalien Colets,
im ganzen 5000 Worte, zu den theologischen Traktaten. Zwar
waren die Marginalien seit 1869 bekannt, aber erst 1952 sind
sie „wiederentdeckt" und nunmehr der Coletforschung zugänglich
gemacht worden. Auf Grund der Marginalien ist es möglich
, erhebliche Korrekturen in den bisherigen Darstellungen
des Lebens und Wirkens Colets vorzunehmen. Es steht fest, daß
Colet bei seinem Italienaufenthalt in den Jahren 1493—96 keine
persönliche Begegnung mit Ficino hatte. Wohl aber beginnt,
allerdings kaum vor 1494, seine Korrespondenz mit Ficino.
Nach England zurückgekehrt hält Colet in Oxford Vorlesungen
über den Römerbrief. Hierbei benutzte er für die Kapitel 1 — 5
noch die alte scholastische Methode und zeigte wenig Interesse
für den Piatonismus. Anschließend bearbeitete er seinen Kommentar
zur Genesis, wobei er den Kommentar des Pico della
Mirandola, genannt Heptaplus, benutzte. In seinem Genesiskommentar
hat nun Colet, wenn auch Pico nicht sklavisch folgend
, die neue Methode des Piatonismus, die Bibel auszulegen,
angewendet. Die gleiche Methode benutzte er nun bei der Auslegung
von Rom. 1—11. Der Verfasser meint nun, daß Colet
nunmehr angeregt war, platonische Studien zu treiben, und daß
dieser Periode eine der von Colet mitgeteilten Briefe Ficinos
sowie die Exzerpte aus Pseudo-Dionysius Areopagita de eccle-
siastica Hierarchia angehören. Es wird ferner deutlich, daß Colet
damals von der Epistolae-Ausgabe Ficinos Kenntnis nahm.
Colet gebrauchte bei der Auslegung von Rom. 6—11 frühe