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1964

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Neues Testament

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 6

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Abschnitt, der die „frommen Werke" fernab aller Lohnmoral und
Werkgerechtigkeit in einer wirklich dem Evangelium gemäßen Weise
auslegt. 4. „Der .Gerechte' verfehlt Gott" (63—76). Die Gleichnisse
vom Richter und von der Witwe Lk 18, 1—8, vom Pharisäer und
Zöllner Lk 18,9—14, die Gastmahlrede Lk 14,7—14, die Parabel vom
Sklaven Lk 17, 1—10, das Gleichnis von den verlorenen Söhnen Lk
15, 25 ff., sie alle führen „die Haltung des Menschen, vor Gott Positionen
beziehen zu wollen, ad absurdum" (69). Denn: „Wer Positionen
vor Gott aufrichtet, der handelt aus einer falschen Sorge heraus, der
Sorge, die meint, das Heil selbst schaffen zu müssen" (76). 5. „Das
zuvorkommende Heilshandeln Gottes" (76—97) wird herausgearbeitet
am Gleichnis von den zwei Söhnen Lk 15,11 ff., an der Spruchgruppe
vom Schätzesammeln Lk 12, 33 ff. : Mt 6, 19 ff. 33, an der Parabel vom
großen Gastmahl Mt 22, 1—14; Lk 14, 16—24, am Wort von der
Vergewaltigung der Basilcia Mt 11,12 = Lk 16,16, von den Eunuchen
Mt 19, 11 f., vom Kind Mk 10, 15 und vom „fremden" Mammon
Lk 16,9. „Gott kommt dem Menschen in all seinem Tun zuvor,
seine Gabe ist zuerst da. . . Darum erklärt sich, warum Jesus kaum
von .Lohn' und niemals von Vprdicnst redet" (97).

Zum Zweiten Teil: Der Unbedingtheit der Motivierung
der ethischen Weisungen J;su entsprechen nun auch ihre „Verwirk-
lichungsweisen", von denen N. im zweiten Teil 6einer Arbeit die
wesentlichen herausarbeitet: Gehorsam (101—113), Liebe und Dankbarkeit
(114—124), Buße und Kindwerden (125—140), die in den Seligpreisungen
angesprochenen Seins- und Verhaltensweisen (141 — 169),
Entsagung allem Besitz gegenüber (170—185), Nachfolge (186—214)
und Wachsamkeit (215—234). Das „Unnormale", das Übermaß, das
mit diesen Verhaltensweisen verbunden ist, die „ethische Überforderung
" ist wiederum Signatur jenes Fundierungszusammenhangcs: Gott
wendet sich den Menschen in seinem Sohne ganz zu — so soll auch
«ie Entscheidung des Menschen für ihn eine ganze sein. Auffallend
■st, daß N. dem Begriff des „Kindwerdens" (Mk 10, 15) gegenüber
dem der Umkehr (Mkl,15) „die entscheidende Rolle" „als Einlaßbedingung
für die Basilcia" zumißt (132). Denn das Kind steht für
•.reine Rezeptivität" (136). Es ist zu keiner Leistung fähig, so wenig
wie die Armen, die Trauernden und Verfolgten der Seligpreisungen.
„Der Mensch muß erst den Boden unter den Füßen verlieren, er muß
die gewohnten Fragen nach Leistung und Tun vergessen, er muß den
Raum verlassen, in dem er sich auskennt und der ihm lieb geworden
■st, wenn er Gott selbst gewinnen will. Gott selbst ist dann seine
einzige Möglichkeit" (18 5).

Wir haben absichtlich in breiten Zitaten referiert, um einen
Eindruck von der stilistisch wie theologisch-sachlich gleicherweise
treffsicheren Diktion des Verfs. zu vermitteln. Überhaupt
liegt in der zusammenfassenden Interpretation, dort, wo er
— die diffizilen hist.-krit., traditionsgeschichtlichen und religionsgeschichtlichen
Fragen hinter sich lassend — nur noch den Text
deutet, die eigentliche Stärke seines Buches. Wäre dieses Buch
als eine Auslegung der synoptischen Überlieferung geschrieben
, verdiente es — abgesehen von verschiedenen Einzelinterpretationen
, die in jedem Falle anfechtbar sind (z. B. die
Auslegung der Parusiegleichnisse S. 215 ff., die Deutung der
Basileia als „eschatol. Willensbereich" S. 174 u.a.) — weitgehende
Zustimmung. Gelingt es doch dem Verf., die synoptischen
Weisungen Jesu in ihrer „Konzentrierung . . . auf ein bestimmtes
Verhalten", das bedingt ist „durch die erfüllte Stunde und
ihr großes Angebot der Liebe Gottes" (177), als einheitliches
Ganzes („Basileia-Ethik") verständlich zu machen. Aber das
Buch will ja mehr sein. Es will ja die „Jesuslehre" explizieren.
Es will ein historisches Buch sein — und kann doch der dogmatischen
Prämissen nicht entsagen. Damit stehen wir bei
seiner eigentlichen Schwäche: es trägt für die geschichtliche
Fragestellung wenig aus. Der notwendigen Unterscheidung von
ipsissima vox Jesu und Gemeindebildung sieht sich N. enthoben
durch den (katholischen) Inspirationsbegriff, demzufolge
„auch und nur die Gestalt eines Jesuswortes, wie es in der
jetzigen Form der Evangelien überliefert ist, . . . inspiriertes
Wort" ist (9). Zwar weiß der Verf., daß Mt. Mk und Lk den
Stoff nicht stumpf tradiert haben, sondern theologisch variiert
weitergaben. Er macht bei seinen synoptischen Vergleichen von
dieser Erkenntnis häufig Gebrauch. Aber die Möglichkeit sachlicher
Variationen bleibt ausgeschlossen. Die „Jesusüberlieferung"
ist qualitativ anders als andere „geistige. Überlieferung" (10).
Aufgrund dieser dogmatischen Vorentscheidung muß sich N.
eine wirklich geschichtliche Fragestellung versagen. Das führt
zu bedenklichen historischen Verzeichnungen und Simplifizierungen
. Daß er z. B. die Parusieverzögerung als Problem der Ur-
kirche gar nicht zu werten weiß, ja, sie geradezu negiert (227 f.),
ist bedenklich. Daß ein Gespräch mit Conzelmanns Lukasstudien
fehlt, verwundert sehr, um so mehr, als eine Vorliebe
für lukanische Texte offenkundig ist. Schlimm ist aber das
ganz selbstverständliche Fehlen einer Differenzierung zwischen
„dem Anruf des geschichtlichen Jesus" (182) und dem Kerygma
der Urgemeinde, zwischen historischem Jesus und Christus des
Glaubens. Als wäre die synoptische Jesusüberlieferung nicht
von Ostern her entfaltet! So wird, was als Herausarbeitung
einer Theologie der Urgemeinde Bewunderung verdiente, als
„Jesuslehre" zu einer historisch und theologisch fragwürdigen
Konstruktion. Ist der Satz: „Die personale Entscheidung für
Jesus ist im Endgericht das Entscheidende" (199) als Fazit der
ethischen Weisungen des historischen Jesus möglich?
Ist dem wirklich so, daß „die tiefste Antwort auf die Frage nach
dem .Leben' . . . nicht auf dem Hinweis" liegt, „daß es einen
Schatz im Himmel gibt, sondern auf dem Anruf des geschichtlichen
Jesus an den Menschen: sich an seine Person zu binden"
(182)? Der Urgemeinde, die Jesus als den Auferstandenen
glauben gelernt hat, waren solche Theologumena selbstverständlich
. Wer sie jedoch für den historischen Jesus reklamieren
will, muß dann auch Antwort geben auf die Frage, warum Jesus
nirgendwo in den synoptischen Evangelien Glauben an seine
Person fordert, niemanden auf seinen Namen tauft und keine
vom alten Gottesvolk klar geschiedene Jesusgemeinschaft gründet.

Noch in einer anderen Hinsicht ist die geschichtliche Fragestellung
merkwürdig gehemmt. N. ist für religionsgeschichtliche
Vergleiche aufgeschlossen. Die Qumranfunde, das Rabbinat,
gelegentlich auch die gnostischen Funde von Nag Hamadi werden
zur Interpretation herangezogen. Aber das Interesse haftet
einseitig an der Herausstellung der Unterschiede zur „Jesuslehre
". Die Vermutung liegt nahe, daß eine apologetische Tendenz
mit im Spiel ist: Unableitbarkeit der Weisungen Jesu ist
Indiz für ihre Absolutheit.

Doch soll mit diesen grundsätzlichen Einwänden nicht behauptet
werden, das Buch verfahre mit den Texten ganz und
gar dogmatisch. Eine gute Strecke weit trägt es der unabdingbaren
hist.-krit. Forschung Rechnung. Die Untersuchung verdient
als Beitrag eines katholischen Gesprächspartners in der
Synoptikerexegese große Beachtung.

Niederweimar/Marburg Erich Gräfler

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