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Ausgabe:

1964

Spalte:

427-429

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Maybaum, Ignaz

Titel/Untertitel:

Jewish existence 1964

Rezensent:

Gerber, Wolfgang E.

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 6

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von, wie die Arbeitsgemeinschaft ihrerseits das auf dem Kirchentag
Begonnene später weitergeführt hat: weil nicht fertige Lösungen
, sondern Impulse wichtig sind, damit das alte, früh abgebrochene
Gespräch wieder neu beginnen kann, darum sind die
von der Exegese zum Grundsätzlichen hingeführten Erwägungen
G. Härders hier von großer Bedeutung. Durch den Anhang mit
Dokumentensammlung, Bibliographie und Adressen (R. M.
Heydenreich, Erklärungen aus der evangelischen Kirche Deutschlands
und der Ökumene zur Judenfrage 1932—1961; H.H.Esser,
Literatur zu Judentum, Antisemitismus und christlich-jüdischem
Gegenüber; Organisationen und Institute im Dienste der Begegnung
mit den Juden; zuletzt eine Liste der Mitglieder der
Arbeitsgemeinschaft und ihrer Anschriften) wird der Band zu
einem unentbehrlichen Nachschlagewerk für alle, die an der
Zeitgeschichte und am Gespräch mit Juden interessiert sind.

Nachträge und Korrekturen: (S. 311) Freunde der Hebräischen
Universität Jerusalem in Stuttgart und Tübingen, Vorsitzende: Dr.
Norbert Moschytz und Prof. Dr. Fritz Martini, Stuttgart, Dr. Reinhold
Mayer, Tübingen; Geschäftsstelle: Stuttgart 1, Herdweg 60; letzte
Zeile (Eckenerstraße 16) ist falsch und darum ersatzlos zu streichen.
S. 313, Z. 13 muß es (statt Karlstraße 2) heißen: Hauffstraße 12.
Druckfehler finden sich S. 153, Z. 3; S. 140, Sp. 1, Z. 13, 32, 33, 39 ;
Sp. 2, Z. 11,24, 25; S. 141, Sp. 1, Z. 31.

Das Buch vom ungekündigten Bund ist ein kirchengeschichtliches
Zeugnis von weittragender Bedeutung. Was nämlich in
den Jahren des Vernichtungskampfes gegen das europäische Judentum
im Ansatz innerhalb der Bekennenden Kirche erfaßt
worden ist, das gilt es gegenwärtig nicht allein festzuhalten,
sondern auch weiterzutreiben und theologisch zu vertiefen. Seit
der in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Katastrophe
stehenden Neugründung des Staates Israel findet sich auch auf
jüdischer Seite mehr und mehr die Bereitschaft zu einem partnerschaftlichen
Gespräch mit dem Christentum, wie es seit der Zeit
des Neuen Testaments fast ganz verstummt war und auf dem
Kirchentag erstmals wieder in einer unerwartet großen Öffentlichkeit
gehört worden ist. Der Weg, der beschritten werden
muß, führt zur Bibel als der gemeinsamen Wurzel, nicht — wie
Gegner dieser Arbeit meinen — von diesem Grunde weg. Nicht
nur randhafte und für die Theologie belanglose Probleme, für
die allein einige Spezialisten zuständig wären, harren der Bearbeitung
; sondern eine grundsätzliche Neubesinnnung ist hier
notwendig, bei der zentrale theologische Entscheidungen fallen.
Denn über der Frage nach Israel und dem Verhältnis von Synagoge
und Kirche wird sich zukünftig nicht nur das gegenseitige
Verständnis, sondern vor allem auch das jeweilige Selbstverständnis
beider Gemeinden wandeln und neu darstellen.

Tübingen Reinhold Mayer

May bäum, Ignaz: Jewish Existence. London: Vallentine & Mitchell
[i960]. 192 S. 8°. Lw. 21 s.

Der Verfasser, der sich durch zahlreiche Publikationen
einen weithin geachteten Namen erworben hat, hat hier wiederum
ein außerordentlich anregendes und lesenswertes Buch vorgelegt
. Er unterscheidet den jüdischen, den schöpferischen, den
politischen Menschen. Den jüdischen Menschen beschreibt er
folgendermaßen: Das jüdische Volk ist ein levitisches Volk, ein
priesterliches Volk (Seite 16)... Was heißt jüdisch sein? Es ist
ein menschliches, nicht ein nationales Charakteristikum, das den
Juden zum Juden macht . . . Das jüdische Charakteristikum ist
eine Realität wie die Haut des Menschen, wie der Ausdruck
seines Gesichtes. Es ist nicht rassisch bedingt, obwohl es sich,
einmal vorhanden, auf die Enkel vererbt. Das jüdische Charakteristikum
ist: Abstammung von priesterlicher Existenz, die zuweilen
in Prophetie ihren Höhepunkt erreicht. — Der Jude ist
gegenwärtig in der Welt, aber er ist nicht von der Welt . . .
(Seite 108). Den schöpferischen Menschen (creative man) umschreibt
er so: Er sucht seinen eigenen Ruhm, nicht den Ruhm
Gottes (Seite 16)... Er 6teht unter dem Gesetz unentrinnbarer
Notwendigkeit, nicht unter dem Gesetz, das Gerechtigkeit und
Liebe umfaßt. Er ist gehorsam dem Ideal, das sein Werk lenkt
und ihm gegenüber keine Gnade kennt, er ist nicht gehorsam
Gott (Seite 121). Er kennt — sehr oft wenigstens — keine wahre
Menschlichkeit, weder sich noch seiner Umgebung gegenüber.

Der Verfasser zitiert mit Zustimmung G. B. Shaw: Der wahre
Künstler läßt seine Frau hungern, seine Kinder barfuß gehen,
seine Mutter bis ins hohe Alter arbeiten (Seite 73). Den politischen
Menschen charakterisiert er in dieser Weise: Er verfügt
über Macht und kann weder Priester noch Prophet sein. Der
politische Mensch ist zu Hause im kollektiven Bereich. Die
ganze Wirklichkeit ist ihm unbekannt (Seite 120). Der Verfasser
legt dann dar, daß der Platz des jüdischen Menschen die Familie
sei. Er schreibt: Der Familienvater ist Priester, ein Priester ohne
Kirche und kirchliches Amt, Dogma und konfessionelle Organisation
, sein Heiligtum ist die Familie, seine Aufgabe ist, Frau
und Kinder zu beschützen, er schafft einen Raum, in dem Liebe,
Treue und wechselseitige Hilfe sich entfalten. Der Familienvater
ist Priester, der Prophet und Gesetzgeber werden kann.
Als Prophet schärft er das moralische Gewissen. Als Gesetzgeber
schafft er ein Gesetz, das Gerechtigkeit und Liebe umfaßt
(Seite 118 ff.). Weiter führt er aus, daß der Platz des jüdischen
Menschen nicht der kulturelle Bereich sei. Doch legt er andererseits
dar, daß sich der jüdische Mensch dem Kulturellen gegenüber
nicht zu distanzieren braucht, sondern sich in zweierlei
Weise betätigen könne. Er könne erstens dem schöpferischen
Mensdien dienen und ihm zur Seite treten, ihm Wärme und
Güte bringen, außerdem das, was der schöpferische Mensch
übersieht, die Botschaft vom Ruhme Gottes (Seite 116). Und
er könne zweitens die Werke des schöpferischen Menschen in
einer schöpferischen Synthese vereinigen (Seite 71 ff.). Der Verfasser
glaubt schöpferische Synthese nachweisen zu können
bei Maimonides, weil er auf Ideen islamischer Denker zurückgreift
, bei Spinoza, weil er Descartes mit jüdischer Religionsphilosophie
kombiniert, bei Karl Marx, weil seine Theorie
deutsche Philosophie, französische Wirtschaftstheorie und
englischen Empirismus zugrunde legt, außerdem bei Gustav
Mahler und Albert Einstein. Schließlich distanziert sich der
Verfasser von Bestrebungen, die den jüdischen Menschen in ein
politisches Fahrwasser abzudrängen suchen. Er weist darauf hin,
daß die Geschichte des jüdischen Volkes nur zwei staatenbildende
Perioden kannte, die davidische und die makkabäische
(Seite 15), und führt aus, daß die jüdische Geschichte von den
Zionisten mißverstanden würde, wenn sie in ihr nur eine Geschichte
der Verfolgung und Sklaverei sähe. Auch gegenüber
dem Staate Israel hat der Verfasser Bedenken. Er meint: Der
jüdische Mensch kann außerhalb des Staates Israel in einer unpolitischen
Atmosphäre leben, im Staate Israel lebt er in einer
politischen Atmosphäre, außerhalb des Staates Israel gilt Staatsangehörigkeit
nicht als Religion, im Staate Israel muß die Staatsangehörigkeit
Religion sein. Der Verfasser schreibt endlich: Es
ist leichter, ein Jude außerhalb des Staates Israel als innerhalb
des Staates Israel zu ein, weil die Bedingungen der Diaspora
günstiger sind, um Privatleben und Unabhängigkeit gedeihen
zu lassen.

Den Ausführungen des Verfassers kann man eine scharfe
Konsequenz der Gedankenführung nicht absprechen. Trotzdem
fordern sie an einigen Stellen zu einem gewissen Widerspruch
heraus. 1. Es dürfte zunächst mißlich sein, das jüdische Volk als
priesterliches oder levitisches Volk zu bezeichnen. Solche Verallgemeinerungen
wirken leicht vergröbernd. Ähnlich mißlich
wäre es, wollte man das deutsche Volk als ein Volk der Dichter
und Denker, das französische als rationalistisches, das englische
als gewerbetreibendes usw. verstehen. 2. Weiter ist es
meines Erachtens wenig überzeugend, den schöpferischen Menschen
in der Weise zu beschreiben, wie das der Verfasser tut.
Es gibt Beispiele, die das Gegenteil seiner Erörterungen bezeugen
, von Künstlern, die beim Schaffen nicht ihren, sondern den
Ruhm Gottes suchten. 3. Auch in der Beschreibung des Familienvaters
und der Familie dürfte der Verfasser den Bogen etwas
überspannt haben. Wie soll es möglich sein, daß ein Familienvater
Priester, Prophet, Gesetzgeber usw. ist? Der Verfasser hat
hier ein Bild entworfen, daß die Wirklichkeit doch etwas unsachgemäß
wiedergibt. 4. Zum Begriff der schöpferischen Synthese
ist zu sagen: a. Er wirkt etwas unklar. Es wird keineswegs
völlig deutlich, was darunter zu verstehen sei, b. auch
wenn die Beobachtung richtig ist, daß Maimonides, Spinoza usw.
nicht eigentlich, sondern nur synthetisch schöpferisch waren, ist