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Ausgabe:

1964

Spalte:

418-419

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Haussig, H.W.

Titel/Untertitel:

Wörterbuch der Mythologie ; Die alten Kulturvölker 1964

Rezensent:

Rudolph, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 6

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noch jünger sein als diese relativ späten mandäisdien Schriften.
Nun ist aber der Anfang wie auch das Ende des Dokuments,
wie aus dem neumandäischen, von der Verfasserin schlecht übersetzten
(S. 36, Z. 15) Kolophon (s. unten) ersichtlich ist, eine
Abschrift keines ursprünglichen, sondern eines ausdrücklich als
„neu" bezeichneten Teils einer älteren Kopie. Die Urschrift der
Agende konnte denn von den letztgenannten Schriften älter
sein, da hier wenigstens über den Anfang und das Ende des
Dokuments die Nicht-Autentizität der Vorlage ausdrücklich bestätigt
wird. Jüngere Kopisten könnten ja die Namen späterer
Schriften nachgetragen haben. Dadurch wird uns auch dieser
Schlüssel zur Feststellung eines Terminus post quem weggenommen
.

Die Veröffentlichung der Faksimiles mandäischer Rollen
und ihr Anpassen an die normale Buchform verursacht gewisse
technische Schwierigkeiten. Bei mehreren kann der Text wegen
ihrer Form und besonders zahlreicher Illustrationen nicht auf
normale Buchseiten verteilt werden. Daher sind die früher in
Studi e Testi 151 ( : Diuan Abatur) und 176 ( : Diuan Haran
gauaita und Diuan masbuta) von der Verfasserin veröffentlichten
Rollen als Beilagen gefaltet erschienen, und ihre zuletzt
unter dem Titel „A Pair of Nasoraean Commentaries" (Leiden -
E.J.Brill 1963) erschienenen Rollen (-.Alma risaia rba „Der
erste Makrokosmos" und Alma risaia zuta „Der erste Mikrokosmos
") sind wiederum als Beilagen gerollt (also der ursprünglichen
Handschriftenform entsprechend) in einer zylindrischen
Hülle beigegeben. In ihrer Veröffentlichung „The Thousand and
Twelve Questions" (Berlin, Akademie-Verlag 1960) wurde zwar
der faksimilierte Text einer langen Rolle auf Seiten verteilt,
ist aber wiederum nur als eine schwer handliche Beilage erschienen
. Der Priesterkonsekrationstext ist also die einzige mandäische
Rolle, die in einer handlichen Buchform von zweispaltigen
Seiten (S. 48—38) veröffentlicht wurde. Bei der Reproduktion
des Faksimile kam es aber zu einem technischen
Versehen: die letzte Zeile jeder Spalte wird nochmals als die
erste der folgenden wiederholt. Außerdem ist die ganze linke
Spalte der S. 48 eine Wiederholung der letzten drei Zeilen des
Textes wie auch des ganzen Kolophons".

Die Übersetzung ist mit Lady Drowers üblicher Routine
durchgeführt. Da aber die vom priesterlichen Autor gebrauchten
Tempora zur besseren Veranschaulichung der Verbindung der
mythischen himmlischen Zeremonie mit der irdischen vom Perfekt
zum Imperfekt und gelegentlich zum Imperativ variieren,
hat die Übersetzerin durchgehend ein einfaches historisches
Präsens, bzw. Futur zu gebrauchen versucht. Darauf hat sie auch
den Leser aufmerksam gemacht.

In gewissen Fällen hat sie aber auch die Personen verwechselt,
z.B. upasuk iahbitulia (sie, Z. 105) "and they (those in the hui)
respond" (S. 5 : 10) statt „und ihr sollt dazu respondieren"; ähnlicherweise
urmulh 'niana kulaikun (Z. 106) „and all of them hymn him"
(S. 5:12) statt „und respondieret ihm alle von euch"; abatar d_-rami-
tulh hazin 'niana (Z. 124 f.) „after others have recited this hymn"
(S. 6:25) st. „nachdem ihr ihm dieses Responsorium gebet"; asimiun
'Ih 'daikun (Z. 329) „they lay their hands on . . ." (S. 14:15) st.
..leget eure Hände auf. . ." Obwohl dadurch der Sinn nicht sehr leidet,
wäre es doch zu empfehlen, von der ursprünglichen Person und Form
nicht abz uweichen.

Größere Schwierigkeiten hatte die Übersetzerin mit dem neumandäischen
Kolophon (S. 48 unt.), dessen Übersetzung mehrerer Berichtigungen
bedarf, mn hda sarh aualdh uakirdh hadta kdib hua
heißt nicht „from a sarh belonging to his father (?) (walidh) and
'ts latter part was newly written" (S. 36:15), sondern „von einem
Sarh (: Kommentar), dessen Anfang (I) und Ende neu geschrieben
war". Das Wort aualdh „sein Anfang" (d.h. Ar. awwal + neumandäische
enklitische Partikel d" + pers. Suffix der 3. P. Sg. -h)
darf keinesfalls zu ualidh (Ar. wä/id) „sein Erzeuger, Vater" emen-
diert werden, da es ein Gegensatz von akirdh ( : Ar. ähir + Partikel
<f + Suff, -h) „sein Ende" ist.

8) Bei meinem Verweisen auf die Zeilen des Textes lasse ich die
wiederholten Zeilen unberücksichtigt, 60 daß die angegebenen Nummern
den ursprünglichen Zeilen in der Handschrift entsprechen.

*) In meinem „Handbook of Classical and Modern Mandaic"
§ 106b (zuletzt im Druck bei Walter de Gruyter, Berlin) habe ich
den Gebrauch dieser spezifisch neumandäischen enklitischen Partikel
erörtert.

Der Satz sah zadah b'uhra 'ktih akandit ma^lum latama
heißt nicht „they say that Shah Zadah was 'kitia (?) on the road
(b'uhra, or „at last") — how no-one rightly knows (S. 37:5f.), sondern
„man sagt, daß der Prinz (Persisch sähzädah) auf einer Reise
ist ( I), (aber) es ist noch nicht bestätigt worden". Das falsch gelesene
und mißverstandene neumandäische 'ktih (auszusprechen e^(r) ist kein
Rätsel, sondern das häufigste neumandäische Wort: „ist". Es ist vom
klassischen 'ka (auszusprechen ekka) „es gibt"10 entstanden, das von
Nöldeke als < r*PN +ND erklärt wurde11. Die enklitische Partikel d9
wird dann in diesem Wort regressiv assimiliert und mit aufgehängtem
Personalsuffix (e^/i „er ist", e%tax Mask. „du bist", exlex Fem.
„du bist", exte „ich bin" usw.) gebraucht12.

Ebenso ist im folgenden Satz „And the governor of Persia was
Nasreddin-Shah" (S. 37:7) das Verb zu „ist" zu korrigieren, da es
zur Zeit des Kopisten keine Vergangenheit war, und irgendein Hinweis
auf die Vergangenheit in dem Satz fehlt.

Doch vermindern diese Fehler keineswegs den Wert der
sonst geglückten Übersetzung des Dokuments. Das Neumandäische
, die Sprache der mandäisdien Kolophone, wird nur noch
von den südpersischen Mandäern gesprochen; von den irakischen,
mit denen die Verfasserin in ständiger Verbindung war, konnte
sie den modernen Dialekt nicht mehr lernen. Die neumandäischen
Kolophone sind auch meistens zu kurz, als daß man sich von
ihnen ein klares Bild dieser Sprache machen könnte. Meine
(Anm. 9) erwähnte, vor acht Jahren geschriebene Mandäische
Grammatik, in der dieser moderne Dialekt zum ersten Mal berücksichtigt
wird, ist noch immer nicht veröffentlicht. Unter diesen
Umständen muß leider diese lebende Sprache vorläufig den
Forschern weiter unbekannt bleiben.

Mit der Veröffentlichung, Übersetzung und ihrem Versuch
um Lösung der religionsgeschichtlichen Probleme dieser Agende
der mandäischen Priesterkonsekration hat die Verfasserin eine
der letzten Lücken unserer Kenntnisse der mandäischen Literatur
und Rituale geschlossen, wofür sich ihr die Forschung zu großem
Dank verpflichtet fühlt.

Berlin Rudolf M a c u c h

,n) Ibid. § 36C

") Th. Nöldeke, Mandäische Grammatik 42 : 19.
•■') Mein „Handbook" (Anm. 9), § 294.

Haussig, H. W.: Wörterbuch der Mythologie hrsg. I. Abt.: Die
alten Kulturvölker. 1. —4. Lfg. Stuttgart: Klett [1962]. 567 S. m.
Ktn., 28 Taf. gr. 8°.

Nachdem sich die Religionswissenschaft endlich zu einer
klaren Scheidung zwischen Religion(sgeschichte) und Mythologie
durchgerungen hatte (etwa seit Anfang des 20. Jhdts.), war die
Beschäftigung mit der Mythologie als weithin suspekt angesehen
worden. Erst als die ethnologische Forschung die Bedeutung
von Mythos und Mythologie für das religiöse Leben wieder
neu erkannte (Br. Malinowski, K. Th. Preuß, A.E.Jensen u.a.),
trat auch in der rcligionswissenschaftlichen Arbeit ein Wandel
in der Beurteilung des Mythos ein (vgl. die Arbeiten von
W. F. Otto, K. Kerenyi, M. Eliade, G. Dumezil)1. Für die protestantische
Theologie wurden diese Probleme erst in jüngster
Zeit wieder durch das sog. „Entmythologisierungsprogramm"
R. Bultmanns aktuell. Es zeigte sich und zeigt sich noch heute,
daß in dieser Diskussion die wenigsten der daran beteiligten
Theologen eine Ahnung von dem in der Religionswissenschaft
und Ethnologie bearbeiteten diesbezüglichen Material besitzen.
Vielfach führte man die Debatte um den Sinn des Mythos und
der Mythologie nur abstrakt. Wenn R. Bultmann sagt, daß der
Mythos „vom Unweltlichen weltlich, von den Göttern menschlich
" redet2, so ist dagegen von religionshistorischer Seite nichts
einzuwenden, wenn man sich bewußt ist, daß es sich dabei um
eine philosophische (existentiale) Interpretation der Bedeutung
des Mythos handelt. Welche Funktion Mythos und Mythologie
in den frühen und heute noch intakten Kulturen haben, darüber
können uns nur Religionisgeschichte und Völkerkunde Auf-

*) Vgl. jetzt die „Forschungsgeschichte der Mythologie" von
Jan de Vries, Freiburg/München 1961 (orbis Academicus).

2) Kerygma und Mythos I. Herausg. v. H. W. Bartsch, Hamburg
1948, S. 23 mit Anm. 2 und S. 135 ff.