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Ausgabe:

1964

Spalte:

17-20

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Die koptisch-gnostische Schrift ohne Titel aus Codex II von Nag Hammadi im Koptischen Museum zu Alt-Kairo 1964

Rezensent:

Rudolph, Kurt

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t? Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 1

unser Verf. einen solchen Sitz vor? Als hieroi logoi können die
Romane nicht angesehen werden; dazu tritt der religiöse Gehalt
zu sehr in den Hintergrund; auch die sittliche Haltung ist
für diesen Zweck vielfach ungeeignet.

Ein Urteil zu Gunsten der Mysteriendeutungen des Verfs.
wäre an manchen Stellen vielleicht zu erwägen, wenn die
Romane den Gang einer Mysterienhandlung in richtiger Reihenfolge
wiedergäben. Das ist aber nicht der Fall. Dann müßte man
B. auf eine doppelte Taufe der Psyche schließen (S. 15 und 23,
entsprechend Apul. V 3, 1 und 25, 1 f.).

Ich hoffe, mit diesen Bemerkungen nicht mißverstanden zu
werden. Ich weiß, daß in der alten Welt heilige Schriften gern
als mehrdeutig angesehen werden. Ich handelte davon mit
S. Morenz in unserer gemeinsamen Arbeit „Heilige Schriften'
!953 und ergänzte das dort Gesagte durch Bemerkungen über
den Homerdeuter Herakleitos in der Festschrift für Sommerlath
(Bekenntnis zur Kirche 1960). Aber darnach darf sich der Ausleger
nur richten, wo bestimmte Anhaltepunkte gegeben sind.
Gegen unseren Verf. darf ich darauf hinweisen, daß sich Jesus,
wenn überhaupt, nur ganz selten der Allegorie bediente. Seine
Gleichnisse sind hier nicht zu nennen: sie sind ja von vornherein
als Gleichnisse erkennbar (zu S. 57, Anm. 3).

Obwohl ich der Beweisführung des Verfs. glaube grundsätzlich
widersprechen zu müssen, bin ich dankbar für den gebotenen
reichen Stoff. Er bietet eine Topik des griechischen Romans
. Sie ist nicht vollständig; es fehlt, was zu den Mysterien
von vornherein keine Beziehung hat; es wäre wohl auch nötig,
wenigstens zum Vergleiche eine Topik der bürgerlichen Lustspiele
hinzuzufügen (Menandros usw.). Wir lernen dabei Erzählungsformen
kennen, die hier und da auch für das Neue Testament
wichtig sind. Und wir werfen Blicke auf das Alltagsleben
des Menschen in der alten Welt, von dem die Geschichtsschreiber
nur selten etwas enthüllen.

Dazu ist das Buch des Verfs. voller wertvoller Einzelbemerkungen
. Et entdeckt in der Geschichte von Amor und
Psyche Motive, die einander widerstreiten, und schließt daraus,
daß hier zwei getrennte Überlieferungen zusammengeflossen
sind (S. 66). Er spricht über Scherz und Ernst in der Religion,
wenigstens in ein paar Andeutungen (S. 86 ff.). Religionsgeschichtlich
wertvoll ist. was er über Julians eigene Darstellung
seines Lebenslaufes sagt (322ff. zu Julian orat. VII S. 227c usw.).
Dazu viele andere Stellen.

Einige Abbildungen und Tafeln weniger bekannter Denkmäler
sind beigegeben, vor allem zu der Geschichte von Amor
und Psyche.

Ahrenshoop Johannes L e i po! d t

B ö h I i g, Alexander, u. Pahor Labib: Die koptisch-gnostische
Schrift ohne Titel aus Codex II von Nag Hammadi Im Koptischen
Museum zu Alt-Kairo, hrsg., übers, u. bearb. Berlin: Akademie-
Verlag 1962. 132 S., 1 Taf. 4° = Deutsche Akademie d. Wissenschaften
zu Berlin. Institut für Orientforschung, Veröff. Nr. 58.
Kart. DM 42.50.

Aus den 1945 oder 1946 in Ägypten, offenbar bei Nag
Hammadi, entdeckten 13 gnostischen Papyrusbänden, deren
Bedeutung den Rollen vom Toten Meer entspricht, ist bisher
nur ein Bruchteil zugänglich. Erst kürzlich hat Martin Krause -
Kairo den Fund noch einmal einer gründlichen Durchsicht
unterzogen und konnte die bisherigen Angaben von Puech und
Doresse wesentlich verbessern1. Die Herausgabe dieser Texte
ist durch verschiedene widrige Umstände verzögert worden.
Abgesehen von einem Band fotokopierter Seiten und Schriften
(aus Codex I u. II), den der Direktor des Koptischen Museums
in Alt-Kairo. Prof. Dr. Pahor Labib, herausbrachte (1956), und
auf den mehrere Übersetzungen zurückgehen5, sowie von dem

*) Der kopt. Handschriftenfund bei Nag Hammadi. Umfang und
Inhalt, in: Mitt. d. Dt. Archäol. Inst. Abt. Kairo, Bd. 1 8, 1962,
S. 121 — 132.

■) Vgl. ThLZ 83. 1958. 481—96 (J. Leipoldt, Das Thomasevangelium
); ib. 661—670 (H. M. Schenke, Das Wesen der Archonten);
84, 1959, 1—26 (H. M. Schenke. Das Evangelium nach Philippus); ib.
243—256 (Schenke. „Vom Ursprung der Welt", d. s. die ersten

(sog.) „Evangelium der Wahrheit" aus dem Codex Jung (1956,
mit Suppl. 1961)3, ist bisher nur eine vorläufige mehrsprachige
Studienausgabe des Thomasevangeliums erschienen (1959). Die
vorliegende Edition von A. Böhlig und P. Labib ist also streng
genommen die erste große offizielle Bearbeitung eines Textes
der Kairoer Codices, der die der drei Versionen des Apokry-
phon des Johannes von M.Krause und P. Labib folgt (1962).
Damit scheint also zunächst das Eis gebrochen!

Die vorliegende Arbeit enthält eine kurze Beschreibung
der Handschrift (Hs) und ihrer Sprache (13—18), eine ausführliche
Inhaltsangabe (19-35 v. A. Böhlig), Text mit gegenüberstehender
Übersetzung, sowie (unter dem Strich) einen
einführenden Kommentar (36-109 v. A. Böhlig) und schließlich
mehrere Indices (110—132). Eine fotokopierte Handschriften-
seite (Tafel 174 f. = Cod. II 126 f.) ist beigegeben.

Der Text, aus Codex II, p. 97, 2-127, 17 = Tafel 145
.—175 der Zählung von Labib (die der Edition zugrunde gelegt
ist), ist ohne Titel überliefert und stellt auch keine einwandfreie
Abschrift dar, weswegen Hrsg. eine Rekonstruktion der
koptischen Vorlage unserer Hs. versucht hat, also eine text-
kritische Ausgabe schuf. Die Sprache ist ein mit achmimischen
und subachmimischen Elementen durchsetztes 6ahidisches Koptisch
(15 ff.). Als Sprache des Originals muß jedoch sicherlich
Griechisch angenommen werden (Belege S. 17). Die bisherigen
Bezeichnungen der Hs. mit Apokalypse oder Offenbarung sind
falsch. Es ist ein „Traktat, der zeigen soll, daß das Chaos nicht
der Uranfang ist" (19), er ist also polemisch (gegen die grie-
diische Auffassung, wie sie Hesiod dargestellt hat) ausgerichtet.
Wir haben eine gnostisdie Theo-, Kosmo- und Anthropogonie
vor uns, die offenbar verschiedene Überlieferungen dieser Art
verarbeitet. B. spricht daher m. R. von einer „Kompilationsfreudigkeit
" und hat auch versucht, bereits eine Quellenscheidung
vorzunehmen (27 ff.). Dabei wird allerdings zu betonen
sein, „daß man mit diesen Quellen nicht literarisdi abgeschlossene
Stücke vor sich hat, sondern Traditions- bzw. Lehrstücke
, die jeweils im Rahmen eines größeren Werkes für
dessen Gesamtlinie zurecht gemacht werden konnten, wenn
dabei auch noch Sprünge zu sehen sind" (30). Diese Worte
können m. E. als Leitsatz für alle derartigen Quellen- oder
literarkritischen Untersuchungen an gnostischen Texten dieser
Art gelten. Rez. kann das jedenfalls aus seiner Beschäftigung
mit den mandäischen Texten nur bestätigen. Daß wir durch
unsere Hs. einen wichtigen derartigen Traditionsstrom zusammengefaßt
vor uns haben, lehrt ein Vergleich mit der vorhergehenden
Schrift im Codex II, der „Hypostase der Archonten
" (HA); sie verarbeitet die gleichen Überlieferungen, ordnet
sie aber anders und gibt sie gekürzt wieder. Wie B. bemerkt
hat, zeigt unsere Schrift aber einen zielbewußteren Aufbau (81).

Das Grundgerippe, sozusagen der Kristallisationsfaden,
dieser Traditionen ist die biblische Urgeschichte. Wir haben es
letztlich mit einer gnostischen Paraphrase der drei ersten
Kapitel der Genesis zu tun; also ein lehrreiches und kühnes
Beispiel gnostischer Bibelexegese, die in ihrer Art ja immer
wieder verblüffend ist. Gerade für die in der Forschung der
letzten Zeit sich immer mehr durchsetzende Erkenntnis von
der Bedeutung des Spätjudentums für die Ausbildung der frühen
Gnosis ist unser Traktat eine wichtige Quelle. Besonders auffällig
sind in dieser Hinsicht die wiederholt auftretenden Anklänge
an die uns im Henochbuch greifbaren Überlieferungen
(s. 34, 65,-93, 97, 103, 105 ff.)4. Man findet in 153, 20 ff.
geradezu Israel als ein himmlisches Wesen geschildert und als
..Mensch, der Gott sieht" ('isrä'häel) interpretiert (cf. 54).
Auch an anderen Stellen ist ersichtlich, daß mindestens ein
Teil der vorliegenden Traditionen auf Kreise zurückgeht, die

14 Tafeln, 145—158, des insgesamt 31 Tafeln umfassenden Werkes,
das zur Besprechung vorliegt).

a) Vgl. dazu zuletzt: J. E. Menard, L'Evangile de Verite. Rc-
troversion grecque et commentaire, Paris: Letouzey k Ane, 1962.

*) Vgl. auch A. Böhlig, Religionsgcschichtliche Probleme aus einer
Schrift von Nag Hammadi, WZ Halle, Ges.-Sprachw. X, 1961, 132=;
—1328, spez. 1326. Zu berücksichtigen ist jetzt das Material dazu,
was R. M. Grant, Gnosticism and Early Christianity, N. Y. 1959, vorlegt
(bes. S. 15 ff.; 39—69).