Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1964

Spalte:

389-391

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Hammelsbeck, Oskar

Titel/Untertitel:

Volksschule in evangelischer Verantwortung 1964

Rezensent:

Surkau, Hans Werner

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

389

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 5

390

REL1G10NSPKDAGOGIK

Eberhard, Otto: Evangelischer Unterricht und Reformpädagogik. Ein

Beitrag zur Geschichte der Rcligionspädagogik seit der Jahrhundertwende
. München: Evang. Presseverband für Bayern [1961]. 40 S.
gr. 8°. DM 3.80.

Rezensent darf hinweisen auf eine Besprechung (ThLZ
1959, Nr. 12) der schönen und abgeklärten Abschiedsgabe des
hochbetagten ehrwürdigen Verfassers: Abendländische Erziehungsweisheit
(1958). Nun hat der 88jährige Verfasser noch
einmal das Wort ergriffen und in einem schmalen Heftchen
über sein ganzes reiches pädagogisches Lebenswerk, wie er
sagt, einen ,, Schwanengesang" gesungen, — sicherlich vor
allem deshalb, weil er sein eigentliches Anliegen von der
Gegenwart nicht immer im rechten Sinne aufgenommen und
verstanden finden mußte. Rechte evangelische Unterweisung und
Erziehung muß beides vereinen: Dienst am Evangelium und
Dienst an der anvertrauten Jugend. Erst wenn das Wort Gottes
in lebendigem Widerhall beantwortet wird, ereignet es sich vollständig
und kommt es zu seinem wirklichen Ziele. Alle
evangelische Erziehung und Unterweisung steht damit in einem
Doppelaspekt. Sie lebt ganz aus Glaubensgnade und wagt darum
alle „weltliche", erziehende methodische Mühe, die sich
irgendwie bietet, — in „Fleiß aus Gnade", in Taktik aus
Liebe. D. Otto Eberhard, Jahrzehnte hindurch als Schulrat und
Oberstudiendirektor und als führender Mann der „Gesellschaft
für evang. Pädagogik", als Verfasser einer ungemein zahlreichen
pädagogisch-theologischen Literatur, ist durch die Betonung des
Arbeitsschulgcdankens im Religionsunterricht in den ersten drei
Jahrzehnten des Jahrhunderts ein sehr bekannter Mann geworden
. Man täte ihm aber Unrecht, wenn man ihn, gerade um
des Arbeitsschulgedankens willen, in die Haltung des damaligen
Kulturprotestantismus historisch einbezöge. Seine pädagogisch
-theologische Selbständigkeit i6t, von den Einseitigkeiten
gewisser Überspannungen der dialektischen Theologie
her, nicht immer richtig gesehen worden. Das gibt dem Verfasser
wohl das gute Recht, in seinem „Schwanengesang" noch
einmal so etwas wie einen polemischen Strauß auszufech-
ten. Es ist eine allzu vereinfachende Darstellung, wenn man
dem liberalen Kulturprotestantismus nun eine „methodenfreie"
Wortunterweisung in der evangelischen Pädagogik gegenüberstellt,
und es bekümmert D. Eberhard, daß die alten methodischen
Fehler sich in erneuerter Spirale wiederholen sollen. Seine
Lebensarbeit gäbe Anregung genug, das echte Ineinander von
theozentrischer urid anthropozentrischer Pädagogik zu sehen;
die ganze Fülle des Evangeliums befreit zur ganzen Weite
jeder neu sich erschließenden „Gegenwartsmethode".

Für uns im Bereiche der DDR sind diese vom Verfasser
hier behandelten Spannungen nicht mehr eigentlich aktuell, gerade
deswegen aber ist das Anliegen des Verfassers uns wertvoll
und wichtig. Kirchliche Erziehung und Unterweisung, die
nicht im Gottesdienstgeschehen gegründet ist und nicht vom
Handeln lebendiger Gemeinde getragen wird, wird von selbst
illusorisch; nur in dieser lebendigen Ganzheit kann sie überhaupt
bestehen, und Beschäftigung mit diesem alten Meister des
Erziehungsdenkens kann uns dabei stärken und belehren.

Pönitz bei Leipzig Friedrich H a u fr*

Hammclsbeck, Oskar: Volksschule in evangelischer Verantwortung
. Bochum: F. Kamp [1961]. 167 S. kl. 8° = Kamps pädagogische
Taschenbücher, hrsg. v. H.Heinrichs u. H. Mühlmcyer, Bd. 7: Allgemeine
Pädagogik. Kart. DM 3.80.

Das Buch ist als Gegenstück zu dem gleichzeitig ausgegebenen
Band von Adolf Heuser „Die katholische Schule" gedacht
und zeigt schon im Titel den anderen Ansatz des Verfassers.
H., der kürzlich von der Bonner Theologischen Fakultät zum
D- theol. promoviert wurde, faßt „aus 25 Jahren Nachdenken
und 15 Jahren Erfahrung" seinen aus früheren Veröffentlichungen
(vgl. ThLZ 81/1956, Sp. 240-242) bekannten Standpunkt
hier noch einmal zusammen. Ging es ihm bisher jedoch um die
Freiheit der Schule von bildungspolitischen und ideologischen
Überfremdungen, so wird hier die evangelische Verantwortung

für die Schule in der heutigen Lage beschrieben, ohne der Alternative
Gemeinschafts- oder Bekenntnisschule anheimzufallen.

H. sieht die Stellung der Schule heute „neben einem öffentlichen
Leben, das dem Nihilismus nähergerückt ist als der stabilen
Überlieferung" (11) und fragt, „wie uns das Evangelium
bindet und befreit" (12). Er will „Mut machen, evangelisch und
ein evangelischer Lehrer im .Vorletzten' zu sein, in der Schule
humanistischen Herkommens in Kultur und Fortschritt für morgen
... im freien Dienst für eine freie Schule, zwischen den
Katastrophen unseres Jahrhunderts von den Endversen im
Alten und Neuen Testament her uns der nüchternen Aufgabe
des Tages anzunehmen" (155). Die Alternative Bekenntnisoder
Gemeinschaftsschule ist für die evangelische Verantwortung
bedeutungslos. Beide Schulformen sind an der für beide
geltenden „Notwendigkeit zu messen" (8); „wir wollen den
Jugendlichen zum Menschsein helfen, die morgen der Welt
ohne Geborgenheit ausgeliefert sein werden" (ll). Die evai>
gclische Bekenntnisschule kann als „zu schützendes Gegenüber
zur harten Hand des politischen Katholizismus" auch bejaht
werden; sie bekommt aber ihr eigentliches Schwergewicht erst
in kircheneigenen Beispielschulen. In den Gemeinschaftsschulen
muß sich evangelische Verantwortung als Minderheitenschutz
bewähren, indem sie ideologischem Eindringen widersteht. In
diesem Sinn ist der evangelische Lehrer nötig, der „seine
missionarische Aufgabe auf das Zeugnis des Evangeliums ohne
Anmaßung beschränkt" (149). „Vom Evangelium her" oder
„von Christus her steht alles Erziehen in der gefallenen Welt
im Zeichen dieser Diakonie, im Dienst am einzelnen, jeweils
anvertrauten Menschen" (61). An Pestalozzi, von dem ein
„Kapitel der Dankbarkeit" handelt, zeigt H., wie „erzieherische
Verantwortung in die evangelische hineinwächst. Unsere evangelische
Verantwortung für die Schule wäre ohne Pestalozzis
Vermächtnis wie ohne Fleisch und Blut" (124).

Mit den Rengsdorfer Thesen von 1950 ist für H. jeder
Religionsunterricht an das biblische Evangelium gebunden und
kann daher nur Evangelische Unterweisung sein. Religionsunterricht
hat nach seinem eigenen Seitistverständnis andere
didaktische Bezüge als die Offenbarung des Heilshandelns
Gottes in Jesus Christus (39, 49). Jeder Lehrer aber kann bevollmächtigt
werden, evangelische Unterweisung zu erteilen, der
„sich aufrichtig bemüht, im Zusammenhang mit der der Gemeinde
Christi geschenkten Erkenntnis des biblischen Wortes
dem Evangelium in der Schule zu dienen" (5. These). Die Bevollmächtigung
des Lehrers provoziert seine Mündigkeit; sie
ist dieselbe wie die des Theologen, eigenständig und verschieden
von ihr durch die seelsorgerliche Anforderung der Schulklasse
. Seine didaktische Aufgabe ist zu beschreiben als filtrierendes
und auswählendes Bemühen, den Offenbarungsgehalt des
Evangeliums „annehmbar" zu machen (47). Während er in der
Didaktik sachgebunden ist, ist er in der Methodik persönlich
engagiert; „er muß mehr ein Methodiker sein als eine Methode
haben" (57). „In der dreiheitlichen Bewegung der Heilsoffenbarung
von Verkündigung, Lehre und Seelsorge — von
Gott her auf den Menschen zu — enthält die Seelsorge das
methodische Element... So geht es im kritischen Ja zu Schule
und Bildung, zu Volk und Gesellschaft, zu Vaterland, Staat
und Kultur um die immerwährende Zuwendung der Liebe Gottes
zum einzelnen Menschenkind. Das heißt seelsorgerliche
Methode" (60). Der Katechismus ist zur Exemplifizierung der
biblischen Geschichte notwendig; aber da der Katechismus nur
erklärt, muß er immer wieder neu umgeschrieben werden; jede
Katechismus-Orthodoxie ist abzulehnen, aber — ein wichtiger
Hinweis — uns fehlen Katechismuspredigten in der Gemeinde.
Für den Schulgottesdienst, der als einübendes Lernen erforderlich
ist, fordert H. die Mitverantwortung von Lehrern, Eltern
und auch Schülern in einem Schulpresbyterium. Die Kirche aber
müsse die „demütige Anstrengung" auf sich nehmen, die Gemeinden
auch als Hausgemeinden zu engagieren" (97).

Im abschließenden Kapitel interpretiert H. als mitverantwortlicher
Verfasser das Schulwort der EKD-Synode von 1958
als Bekenntnis der Kirche zu einem „freien Dienst an einer
freien Schule" und lehnt restaurative Schulpolitik ab, weil uns
der Kirchenkampf „den Segen der Freiheit in der Ohnmacht