Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1964

Spalte:

383-385

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kasper, Walter

Titel/Untertitel:

Die Lehre von der Tradition in der Römischen Schule 1964

Rezensent:

Hennig, John

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

383

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 5

384

wir schon geredet. Als etwas Verwandtes wird sie auch die
Anknüpfung an Kyrill und seinen Begriff der appropriatio begrüßen
. Andererseits wird reformierte Theologie ßich durch die
Art angesprochen fühlen, wie die Transzendenz Gottes betont
und jegliches Verwischen der Grenzen zwischen Schöpfer und
Geschöpf abgewehrt wird. Das drückt sich vor allem in der Abgrenzung
gegenüber der Thomasdeutung der Billotschule und
gegenüber der Gefahr des Monophysitismus aus. Sicher wird
die eingeleitete Klärung der katholischen Christologie auch den
theologischen Schulen der reformatorischen Kirchen Anlaß zu
neuer christologischer Besinnung geben.

Unser persönliches Interesse wendet sich besonders den
wenigen Stellen zu, wo das Stichwort „Phänomenologie" fällt
(S. 80, 107 u. 169). Diepen protestiert gegen die Billotschule,
wenn diese ein menschliches Sein Christi nur im phänomenologischen
, nicht im ontologischen Sinn anerkennen will. Diese
Entgegensetzung von Phänomenologie und Ontologie ist der
husserlschen Phänomenologie fremd, die gerade den Anspruch
erhebt, mit der phänomenologischen Methode ontologische Aussagen
zu klären und zu begründen. Dabei findet allerdings eine
Sinnwandlung des Begriffes der Ontologie statt. Wir möchten
daran erinnern, in wie starkem Maß die Husserlschule dazu
beigetragen hat, ontologisches Denken in unserer Zeit zu erneuern
. Diese ganze Problematik der husserlschen Phänomenologie
ist unserm Verfasser fremd. Seine große Denkleistung
vollzieht sich ganz und gar im Rahmen des traditionellen und
scholastischen Begriffes von Ontologie. Es scheint uns aber, daß
die husserlsche Phänomenologie einen wichtigen Beitrag leisten
könnte zur historischen und systematischen Klärung der christo-
logischen Gedankengänge Luthers.

Wir erinnern hier an das, was wir in der ThLZ, Oktober
1957, S. 741 im Anschluß an eine Stelle aus Luthers Vorlesung
über den ersten Johannesbrief (WA 20, 602-604) ausgeführt
haben. Luther unterscheidet zwei christologische Gesichtspunkte:
Christus in substantia und Christus in objectum positus; oder
Christus ab intra und ab extra. Das bedeutet nichts anderes als
das, wovon wir hier reden: eine ontologische Christologie im
traditionellen Sinn und eine phänomenologische Christologie im
husserlschen Sinn. Zu klären wäre die Frage nach dem Verhältnis
dieser zwei Methoden. Und die Christologie Diepens, mit
ihrer Klärung und Fortführung der ontologischen Christologie,
sollte dazu wohl einen Beitrag geben können.

Rittershoffen Theobald Süss

K ss per, Walter: Die Lehre von der Tradition in der Römischen
Schule (Giovanni Perrone, Carlo Passaglia, Clemens Schräder). Freiburg-
Basel-Wien: Herder 1962. XVI, 447 S. gr. 8° = Die Überlieferung
in der Neueren Theologie, hrsg. v. J. R. Geiselmann, Bd. V. Kart.
DM 35.-.

Unter „Römischer Schule" wird die Folge von Dogmatik-
professoren am Collegium Romanum vom Beginn der Tätigkeit
Perrones über Passaglia mnd Schräder bis zum Tode Kardinal
Franzelins, also der Zeitraum von 1835 bis 1876, verstanden.
In der durch Geiselmann angeregten und geleiteten systematischen
Durchforschung der Traditionslehre seit dem Tridentinum
ist K.s Darstellung aus drei Gründen interessant:

1. Die eminente Bedeutung der Römischen Schule und insbesondere
ihrer Traditionslehre für die Bulle Ineffabilis (231 ff.) und
die Definition des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis sowie
für das erste Vaticanum (402 ff.) wird eingehend nachgewiesen, und
das Wiederaufleben des Interesses an dieser Lehre im Zusammenhang
mit der Definition des Dogmas von der Assumptio und dem zweiten
Vaticanum wird beleuchtet.

2. Die Römische Schule wird in die Geschichte der katholisdien
Dogmatik 6eit dem Tridentinum bis zur Gegenwart einerseits und in
da9 katholische und gesamteuropäische Geistesleben um die Mitte des
19. Jahrhunderts (Einfluß politischer Verhältnisse z.B. 324) eingeordnet
.

3. Auf diesem breiten Hintergrund wird durch geduldiges Studium
weithin in Vergessenheit geratener, z. T. entlegener oder bisher praktisch
unbenützter Quellen (wie etwa der lithographierten oder sogar
nur handschriftlichen Thesen Passaglias seit 1839 oder von Kollegnachschriften
) nachgewiesen, welchen Mißverständnissen die Römische
Schule bislang ausgesetzt gewesen ist, keineswegs nur von H. Rückert

oder K. Barth, die sie als Illustration „zunehmender Perversion" hinstellten
(hierzu bes. 347 f.), sondern auch von katholischen Autoren,
die ihr z.B. Überbetonung der Exegese vorwarfen (363, 381). Es handelt
sich bei K. nicht um eine Ehrenrettung, sondern um sorgfältig
ausgewogene Beurteilung auch im Lichte der Nachwirkung und der
heutigen Problematik wie durch Congar, Geiselmann, Pieper, K. Rahner,
Skydsgaard, Söhngen u. a. entworfen. Wer das (v. K. kaum erwähnte)
Zerrbild kennt, das von Perrone besonders im Zusammenhang mit dem
Streit um den Güntherianismus nördlich der Alpen verbreitet war, der
wird die Darlegungen K.s über die Verpflichtung der Römischen Schule
an Möhler und über Perrones weithin persönlichen Beziehungen zu
Newman zu den erstaunlichsten Punkten in diesem Buche zählen.

Die gründliche Arbeitsweise K.s geht nicht nur aus dem
Quellen- und Literaturverzeichnis, den Anmerkungen und Registern
hervor, sondern auch aus der ungewöhnlich bedachten
Dokumentierung der Grundbegriffe etwa: Neuscholastik (15),
Ultramontanismus (49), Corpus Christi mysticum (103f., 285f.),
Dogmenentfaltung (112, 307), regressive Methode (115), Oico-
nomia (204), Kanon (207), spekulative und organische Theologie
(221, auch hier wäre an Günther zu erinnerni gewesen),
locus theologicus (263), Ursakrament (28 3), Selbstüberlieferung
(284), Typus (323) usw., vor allem natürlich des Grundbegriffs
„Tradition" (42, 273, 315 f.; Synonyma: 294).

Aus der Fülle beiläufiger theologiegeschichtlicher Nachweise
nenne ich nur den zur Verpflichtung Perrones an Thomas
Stapleton (Principiorum fidei doctrinalium
demonstratio methodica, Paris 1582) und die Brüder
Walenburch (Tract. gener. de controversiis
fidei, Köln 1670), ferner die Mitteilungen über den Aufenthalt
der römischen Theologen in Devonshire während der
Revolution 1848 (37, 218) sowie den Bezug auf den Luzerner
Theologen Gügler, den Karl Werner „einen der anziehendsten
und ganz eigenartigen Erscheinungen auf dem Gebiete der neuzeitlichen
katholischen Literatur" nannte. Durch diese Breite
der Anlage im Historischen und Systematischen ist K.s Buch
eine ausgezeichnete Einführung in das ganze Problem in Vergangenheit
und Gegenwart.

Die Traditionslehre ist nicht nur eine entscheidende Unterscheidungslehre
, sondern gewann im Laufe des 19. Jahrhunderts
an Weite durch die vom naturwissenschaftlichen und geschicht6-
philosophischen Entwicklungsbegriff ausgelöste Problematik. Die
Begegnung zwischen Theologie und moderner Wissenschaft
vollzog sich hier merkwürdig unberührt von der Neuscholastik
und in einem für die üblichen Vorstellungen erstaunlich engen
Kontakt mit geistigen Bewegungen nördlich der Alpen. Man
hätte z. B. kaum vermutet, daß Passaglia Herder und Lowth
verarbeitete. In der Römischen Schule vollzog sich insbesondere
die Umwandlung von der Theologie des Spätbarocks zu der
der Gegenwart durch Aufnahme von Impulsen aus Romantik
und Restauration, ein Wechsel im geistigen Klima, langsamer
aber tiefer und dauerhafter als anderwärts. K. bemerkt mit
Recht, daß in diesem Zusammenhang mehr, als es bisher gerade
in der Geschichte der katholischen Theologie der Fall war, die
persönlichen Schicksale betrachtenswert sind. Ein Mann wie
Passaglia, der sich in den nationalen Freiheitskampf stürzte, ist
keineswegs die Ausnahme.

„Es geht kaum an, die gegenseitigen Angriffe zwischen der
.römischen' und der .deutschen' Theologie im letzten lahrhundcrt nur
als bedauerliche oder gar bewußte und böswillige Mißverständnisse
darzustellen. Beide Richtungen der Theologie sind tatsächlich charakterisiert
durch eine je verschiedene Einstellung zur Tradition . .
Auf beiden Seiten wurde vielfach das relative Recht der anderen
Methode verkannt (397)."

Die Richtigkeit dieses Urteils wird daran deutlich, daß in
der Römischen Schule am Traditionsbegriff ein selten beachteter
Zug herausgearbeitet wurde, nämlich der personale. Wenn in
„Der Protestantismus und die Glaubensregel" (Regensburg 1855)
Perrone sagt: „Eine Tatsache kann durch nichts anderes bewiesen
werden als durch das Zeugnis, durch die Angaben dessen,
der sie kennt", so wird vorgezeichnet, was wenige Jahre nach
Franzelins Tod Dilthey als die Grundlage der Lehre vom Verstehen
bezeichnen sollte, merkwürdigerweise ja gerade im Bezug
auf die Geschichte, wo nur die Toten zu uns sprechen.
Passaglias These I au6 dem Jahre 1856 besagt: Probatio-