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Ausgabe:

1964

Spalte:

379-383

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Diepen, Herman M.

Titel/Untertitel:

La théologie de l'Emmanuel 1964

Rezensent:

Süss, Théobald

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379

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 5

380

«eine Begriffe und Bilder von Gott opfert und in ihrer Richtung weiter
glaubt.

Ich breche ab. Eine orientierende Inhaltsskizze kann den
Reichtum im einzelnen, die Weite des Blickes und die Tiefe der
Analysen nicht wiedergeben. Erst der II. Band könnte zeigen,
ob und wie die Spannung zwischen natürlicher Theologie und
Offenbarungsglaube, zwischen absoluter Bindung und relativen
Begriffen, zwischen moderner Profanität und Sakralität als Element
jeder Realität durchgehalten werden kann. Es scheint, als
müsse das biblische und reformatorische Verständnis Gottes
und der Welt die Hauptspannung zwischen Gott selbst und dem
abtrünnigen Menschen, ihre faktische und theoretisch reflektierte
Lösung aber allein in Christus, d. h. in Gottes rechtfertigendem
Handeln sehen. Der hier vorgelegte erste Band
jedenfalls legt den Grund einer christlichen Weltanschauungslehre
, ohne Jesus Christus zu erwähnen.

Rostock Heinrich B e ii ck e r t

Diepen, Dom HM., O.S.B.: La Theologie de l'Emmanuel. Les

Lignes maitresses d'une Christologie. Bruges: Desclee de Brouwer
[i960]. XVI, 321 S. 8° = Textes et Stüdes Theologiques.

Es ist nicht leicht, über das Buch des Benediktiners Dom
Diepen zu berichten. Es ist sozusagen bis an den Rand gefüllt
mit einer theologischen Wirklichkeit, die sich dem unvorbereiteten
evangelischen Theologen wie eine neue, unbekannte Welt
darbietet. Der Zugang dazu ist auch durch die Form der Darstellung
nicht erleichtert, denn der Verfasser gibt nicht eine
Einleitung für Außenstehende, sondern diskutiert mit Berufsgenossen
über Theorien, die offensichtlich auch mancher katholische
Theologe nur schwer zu überschauen und zu beurteilen
vermag.

Zum Beispiel der erste Teil des Werkes, „L'appropriation
christologique", S. 1—47, wird als Propädeutik bezeichnet; in
Wirklichkeit werden hier die Grundelemente der vom Verfasser
vorgeschlagenen Lösung skizziert, ehe der Leser deutlich Einblick
in die behandelten Probleme bekommt. Der zweite Teil,
„L'existence humaine du Christ", S. 49—158, führt nach einem
kurzen historischen Überblick auf die Höhe schwierigster metaphysischer
Erörterungen über die Frage, ob der menschlichen
Natur Christi ein eigenes Sein oder Existieren zuzusprechen sei.
Der dritte Teil, „La Psychologie humainie du Christ", S. 159
— 293, behandelt die etwa seit Beginn unseres Jahrhunderts in
der katholischen Theologie aufgebrochene Frage, wie im Zusammenhang
mit der metaphysischen Grundlage der Christo-
logie die psychologische Wirklichkeit des geschichtlichen Christus
zu deuten ist. Dieses Problem, sagt der Verfasser einleitend
, sei noch schwieriger als die bis dahin erörterten, besonders
weil die Angaben der Offenbarung spärlicher sind und der
Theologe mehr noch als sonst „dialektisch" arbeiten muß. Dennoch
schien uns das Studium dieses dritten Teils leichter, weil
der Verfasser hier geschichtlich vorgeht und durch Darstellung
und Kritik der Ansichten verschiedener Vorgänger zu seiner
eigenen Theorie hinführt.

Erst beim mehrmaligen Durcharbeiten des Werkes, beim
Verfolgen der Begriffe und Theorien durch seine verschiedenen
Abschnitte hindurch hat sich uns sein reicher Gehalt erschlossen.
Wir versuchen, so gut es uns möglich ist, davon zu berichten,
ohne daß wir das Gefühl hätten, seinen Sinngehalt ganz durchdrungen
zu haben.

Diepen bezeichnet seine Christologie als „theologie de l'Emmanuel
", in Andeutung an Jes. 7, 14. Im 5. Jahrhundert beanspruchte
jede der damals miteinander ringenden Christologie« diesen Titel.
Auch heute stehen dieselben Richtungen einander gegenüber, aber
die Nachfolger der alten Antiochener überlassen den Begriff Immanuel
ihren Gegnern. Ihre Auffassung tritt bei Diepen unter dem Namen
„Theologie des Assumptus Homo" auf; als ihr Hauptvertreter erscheint
der Franziskaner Deodat de Basly (gestorben 1937).

Der Verfasser beansprucht mit seiner Christologie des Immanuel
die Tradition der Konzilien von Ephesus und Chalcedon, wie sie vor
allem in den Theologien Kyrills von Alexandrien, des Johannes
Damascenus und des Thomas von Aquin umfassenden Ausdruck gefunden
hat, wieder aufzunehmen und ihrem Geist entsprechend die
heute neu auftauchenden christologisdien Fragen zu beantworten.
Das wesentliche Anliegen derselben ist eine „herabsteigende" Christologie
, „une christologie descendante" (S. X), also eine Theologie der
Kondeszendenz, wie Bezzel sagen würde. Ehe von einem assumptus
homo geredet werden kann, ist zu betonen, daß der assumens selber
zu uns Mensdien gekommen ist und sich in einem der Unsern gegenwärtig
gemacht hat. Erst auf Grund dieser Voraussetzung kann auch
von der Erhöhung eines Menschen zu Gott in der rediten Weise
geredet werden.

Die Darstellung einer Theologie des Immanuel enthält eine
doppelte Aufgabe, eine historische und eine systematische oder, wie
der Verfasser sagt, eine positive und eine spekulative.. Es gilt einerseits
den Nachweis zu führen, daß sie den wahren Intentionen der
großen Konzilsentscheidungen, der patristischen und der scholastischen
Theologie entspricht. Andererseits müssen diese Intentionen neu
interpretiert werden, um ihren eigentlichen Sinn klar herauszuarbeiten
und vorhandene Mißverständnisse, die die theologische Lage
verwirren, auszuschalten. Der „Baslismus", wie Diepen sagt, erfreut
sich nämlich bei den katholischen Theologen einer gewissen Beliebtheit
, auf Grund von zwei Fehlurteilen. Man versteht die christolo-
gische Grundthese des Thomas von Aquin in einer bestimmten Weise,
die monophysitisch gefärbt ist und deshalb viele Theologen abschreckt
. Man weicht, auf diesem Punkt wenigstens, auf die Position
des Duns Skot aus, unterscheidet aber diese nicht klar von den durch
Deodat de Basly verbreiteten Anschauungen.

Daraus ergibt sich für unseren Verfasser der Plan einer „Theologie
de l'Emmanuel" in zwei Bänden, mit den zwei Untertiteln :
I. „L'option fondamentale en Christologie", christologische Grundentscheidung
; II. „Les lignes maitresses d'une Christologie", die
Hauptlinien der Christologie. Aus verschiedenen Gründen wurde der
Verfasser veranlaßt, das zweite Werk zuerst zu vollenden und zu
veröffentlichen. Er nennt, neben praktischen Gründen, „des instances
autorisees", worunter offensichtlich das Drängen hierarchisdi übergeordneter
Stellen zu verstehen ist (S. XI). Dem entspricht, was wir
im Schlußwort hören : der Verfasser empfiehlt seine entscheidende
Schlußfolgerung dem bevorstehenden Konzil zu einer dogmatischen
Lehrentscheidung. Die Frage, ob es zum Inhalt der Offenbarung gehört
, daß Jesus nichts von sich selbst tut, könne heute in positivem
Sinn entschieden werden; kein katholischer Theologe bestreite mehr
die „Definibilität" (definibilite) dieses Satzes als Dogma des kirchlichen
Glaubens (S. 292). Diese Äußerungen zeigen auf jeden Fall, in
wie hohem Maß der Verfasser und seine nächste Umgebung von der
Wichtigkeit und Überlegenheit der von diesem vertretenen Sache
überzeugt sind.

Diepen behandelt also hauptsächlich zwei Fragen. Im zweiten
Teil bemüht er sich durch dogmengeschichtliche und systematischspekulative
Erörterungen festzustellen, ob der menschlichen Natur
innerhalb der Personeinheit Jesu Christi ein eigenes menschliches
Sein zuzusprechen ist. Im dritten Teil erörtert er das erst in unserem
Jahrhundert, offensichtlich unter dem Druck der historischen Forschung,
in der katholischen Theologie lebendig gewordene Problem de«
menschlichen Bewußtseins Jesu: wie Jesus als Mensch seiner Gottheit
bewußt sein konnte. Die Entscheidung in der ersten Frage bedingt
die Entscheidung in der zweiten Frage, gemäß dem öfters angeführten
Grundprinzip: agere sequitur esse (vgl. etwa S. 176, 192, 237), insofern
das Bewußtsein als Aktivität anzusehen ist.

Im alleemeinen gilt für die Gegenstände der Vernunft bei Thomas
der Grundsatz: unum ens, also unum esse, also una essentia
(oder forma). Das letzte Glied dieses Schlusses fällt bei Christus weg,
weil bei ihm zwei Naturen, duae essentiae miteinander vereinigt sind.
Das erste Glied dagegen gilt unverkürzt: als einheitlicher Seiender
hat Christus auch ein einheitliches Sein. Diesen Satz hat der kirchliche
Thomismuf von seinem Stifter übernommen, aber er zieht daraus
eine diesem selbst fremde Folgerung. Weil in Christus nur ein
einziges und einheitliches Sein festgestellt werden kann, und weil
dieses natürlich das der göttlichen Natur eigene Sein ist, so steht
ihm kein eigenes menschliches Sein oder Existieien zu. Die menschliche
Natur in Christus existiert durch Teilhabe an der Existenz der
göttlichen Natur, sie wird geradezu emporgerissen zur göttlichen Natur
und existiert so durch ein fremdes Existieren. Wie in der Ekstase
der Mensch Anteil an Erkenntnis und Wille Gottes gewinnt, so vollzieht
sich in Christus eine Art Seinsekstase. Diepen redet daher von
der Theorie der „extase de l'ctre", die dem Thomismus eigentümlidi
ist, und die er als Fehlinterprctation des historischen Thomismus und
zugleich als gefährliche Lehrverirrung bekämpft.

Die Gefahr besteht darin, daß diese Theorie ein Gefälle zum
Monophysitismus und zur Vermischung der zwei Naturen Christi hat.
Sie besagt nämlich, daß die menschliche Natur durch die Gottheit zur
Existenz „aktuiert" wird. Nun enthält der Begriff der Aktuierung
einer Wesenheit zum Existieren gewisse Gesetzmäßigkeiten, wonach
eine gegenseitige Einflußnahme stattfindet. Nicht bloß wird die
Wesenheit zum konkreten Sein aktuiert, sondern auch das aktuicrende
Sein wird durch die Wesenheit auf eine bestimmte Gestalt des Seins