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Ausgabe:

1964

Spalte:

378-379

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Guardini, Romano

Titel/Untertitel:

Religion und Offenbarung 1964

Rezensent:

Beckert, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 5

378

ein, des Gegensatzes zwischen Einheit und Mannigfaltigkeit und
zwischen Notwendigkeit und Zufall, und mit den beiden letzteren
, der Notwendigkeit und dem Zufall, können wir uns nicht
genügen lassen. Wir müssen ein Prinzip der Einheit haben, das
die individuellen und kontingenten Gedanken transzendiert;
denn sonst können wir den notwendigen Phänomenen der
Wissenschaft kein Fundament der Einheit geben oder die gegenseitige
Übereinstimmung unter den einzelnen Geistern oder
Intelligenzen wirklich erklären.

Die Folge davon ist, daß wir die Existenz der transzendentalen
Subjektivität als Grundlage der Einheit und Notwendigkeit
innerhalb des wahren Gebietes behaupten müssen, und es
ist denn auch eine historische Tatsache, daß „der menschliche
Gedanke sich immer jenseits und am Veto des Empirismus vorbei
bewegt". Man muß also zwischen Sinn und Sinnlosigkeit
wählen, und der Rezensent kann hier wiederum auf seine
eigene Religionsphilosophie verweisen, die Gott als letzten
philosophischen Sinngrund betrachtet — oder wie der Dominikaner
Pater Sertillanges es ausdrückte: man muß wählen zwischen
Gott und dem Nichts, Dieu ou Rien. Wenn wir die Existenz
Gottes als das Letzt-Fundierende annehmen, wird er la
Verite premiere oder la Pensee Subsistante. Er wird Le Grand
Tout, le Soi oder L'Esprit Universel; aber als solcher ist er
auch notwendig, wenn wir vermeiden wollen, daß eine Moral
des Verantwortlichseins nicht nur eine Fiktion ist, sondern sie
als ein wirkliches Faktum wünschen.

Wenn wir die Wahl haben zwischen einem Mystizismus
des Geistes, der zum Pantheismus führt, und dem Mysterium
vom Schöpfergott des Theismus, so wählt Robert den letzteren,
weil dieses die beste Erklärung sowohl für die gewisse Überzeugung
von Wahrheit und Werten als auch für die menschliche
Freiheit gibt. Pater Robert unterstreicht nachdrücklich, daß er
es vorgezogen hat, einen Theismus mit einem Schöpfergott zu
wählen statt einen Monismus des Geistes oder ein transzendentales
Ego, das nur der Ausdruck für die Einheit der individuellen
Eg06 sein soll, und dies ist auch der Grund, weshalb er
Husserls Philosophie ablehnt, den er sonst in so vielen Stücken
bewundert. Der Fehler sei, daß Husserl nicht hinreichend tran-
szendicre, können wir wohl sagen. Erich Przywaia hat
sonst eigentlich Husserls Philosophie als den Weg zurück zum
katholischen Denken charakterisiert. Sie 6ei die Heimkehr des
nicht-katholischen Geisteslebens zu der verlassenen Kathedrale
der alten Philosophie. Sie sei nicht nur der Wille zum Objekt
und zur Wesenheit, sondern auch der Wille zu Gott. Przywara
denkt hier intentionaler als Pater Robert, der sich an die litera
scripta bei Husserl hält, und in diesem Falle Tedet man dann
nicht von Gott auf dieselbe Weise wie in der katholischen
Philosophie und bei Pater Robert selbst.

Das Buch ist ein gutes Zeugnis davon, was die belgische
Religionsphilosophie heute zu leisten imstande ist. Es ist der
Anlage nach systematisch und historisch referierend, und von
einem rein religionsphilosophischen Gesichtspunkt aus kann man
das ein Minus nennen. Es wäre interessanter gewesen, eine
ganz selbständige philosophische Darstellung des Problems zu
lesen, wenn es auch natürlich von thomistischen Voraussetzungen
, von denen kein Dominikaner 6ich freimachen kann, hätte
sein müssen. Aber das wäre kein gerechter Einwand gegen das
Buch, denn der Titel sagt ja deutlich, welcher Zweck verfolgt
worden ist, nämlich einen Bericht zu geben über etwas in der
Gegenwart. Das Buch heißt nämlich nicht approche de l'auteur
• • • , sondern approche contemporaine d'une affirmation de
Dieu, und als ein solches soll es gelesen werden und ist es wert
*■ lesen, auch abgesehen davon, daß Philosophie besser auf
Französisch als auf Dänisch oder Deutsch geschrieben wird.

Kopenhagen SflrenHolm

ockmühl, Klaus: Die Gottesbeweise der Philosophie (VF 1960/62.
S. 143-148).

üchel, Wolfgang: Entropie und Finalität — sinnfreic und sinn-
tragende Unwnhrscheinlichkeit (Sdiol. 38, 1963 S. 361—377).
orvarth. Tibor: L'atheisme contemporain et le retour ä la meta-
phy6ique (Sciences Ecclcsiastiques 15. 1963 S. 467—478).

H u b b e 1 i n g, H. G.: 1s the Christian God-conception philosophi-

cally inferior? Assen: van Gorcum 1963. 53 S. 8°.
Jonas, Hans: Zwischen Nichts und Ewigkeit. Drei Aufsätze zur Lehre

vom Menschen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1963]. 78 S.

8" = Kleine Vandenhoeck-Reihe 165. Kart. DM 2.80.
Labhart, Alexis: Erbleiden und Krankheit als Schicksal (Universi-

tas 18, 1963 S. 1181—1189).
Lötz, Johannes Bapt.: Person und Ontologie (Sdiol. 38, 1963 S. 335

-360).

Moltmann, Jürgen: Die „Weltoffenheit" des Mcn6chen. Zur neueren
philosophischen Anthropologie (VF 1960/62, 115—134).

Schweitzer, Carl G.: Zur Methode der Hegel-Interpretation.
Eine Entgegnung auf Karl Löwiths „Hegels Aufhebung der christlichen
Religion" (NZSTh 5, 1963 S. 248—262).

Seim, Jürgen: Bloch unter den Propheten (VF 1960/62, S. 134—143).

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Guardini, Romano: Religion und Offenbarung. [. Bd. Würzburg:
VVerkbund-Verlag 1958. 228 S. 8°. Lw. DM 11.80.

Die Anzeige dieses Buches erscheint so spät, weil der Rezensent
auf das Erscheinen des II. Bandes hoffte und wartete.
Nach Auskunft des Verlages ist ein weiterer Band jedoch noch
nicht in Aussicht. Immerhin zeigt auch der erste Band für sich,
entstanden aus Vorlesungen vor Hörern aller Fakultäten in
Berlin, Tübingen und München, eine relativ geschlossene Problematik
, deren Behandlung genau auf der von dem bekannten
Verfasser erwarteten Linie liegt.

Es handelt sich um die Grundlegung einer „christlichen
Weltanschauungslehre", in der sich zwei Motive spannungsreich
durchdringen: Eine Entfaltung des Bildes der Wirklichkeit von
ihrem religiösen Element her im Lichte der Offenbarung und die
Unableitbarkeit der Offenbarung und des Glaubens.

Der 1. Band enthält den ersten Teil des geplanten Ganzen unter
der Überschrift: „Die unmittelbare Religion". Der Verf.
versucht „das Ganze des religiösen Lebens in den Blick zu bekommen",
wie es sich von der Offenbarung her zeigt. Dabei stellt sich heraus,
daß jedes natürliche religiöse Phänomen „im Advent" steht, d. h. auf
seine Erfüllung in der Offenbarung angelegt ist. Dennoch lehrt der
Verf. nicht einen unmittelbaren Übergang von der Religion in den
christlichen Glauben. Vielmehr mündet „die religiöse Erfahrung
" — so ist das 1. Kapitel überschrieben — in eine Wertambivalenz
und Fragwürdigkeit, in der sie Anteil an der Fragwürdigkeit der
menschlichen Existenz überhaupt hat. Von daher ist es notwendig,
Kriterien, Maßstäbe der Unterscheidung und Regeln der Reinigung für
religiöse Erfahrung zu gewinnen. Nachdem das 2. Kapitel die Formen
der „Gestaltung des religiösen Erfahrens" als mythische
Religiosität, als Religiosität der geistigen Verantwortung, der
Einswcrdung, der Vermischung und als negative Verarbeitung des Religiösen
dargestellt hat, stellt das 3. Kapitel — „Religion und
Theorie" — nun ausdrücklich die Frage nach den Kriterien: „Sind
wir bereditigt, das unmittelbare religiöse Erlebnis als Erfahrung göttlicher
Wirklichkeit anzusehen?"

Die reformatorische Ablehnung einer Erkenntnis Gottes von der
Welt her wird zurüdegewiesen, die theoretische Erfassung des Religiösen
im Sinne der Wahrheit gegen allen radikalen Irrationalismus behauptet
. So geben die traditionellen Gottesbeweise das Gliederungsprinzip
für den Gedankengang. Religiöse Erfahrung ist falsch, wo sie
dem Begriff der absoluten Urheberschaft widerspricht (kosmologischer
Gottesbeweis), wenn sie die planmäßige Hinordnung aller Wirklichkeit
auf ein letztes absolutes Ziel mißachtet (teleologischer Gottesbeweis),
wenn sie die Wahrheit6erkcnntnis nicht in einem absoluten Sinn gegründet
sieht (ontologischer Gottesbeweis) und wenn sie die Verantwortung
nicht in der absoluten Instanz verankert weiß (moralischer
Gottesbeweis). Die mensdilidie Person kann überhaupt nur auf die
absolute Pereon hin bestehen.

Nun ist einerseits der theoretische Gedankengang der Gottesbeweise
von logische Evidenz, wenn sich nicht philosophisdie Vorentscheidungen
querstellen und die seelische Haltung nicht relativistisch
ist. Anderseits muß erst lebendige Erfahrung hinzukommen, soll die
logische Evidenz zu persönlidier Überzeugung werden. Dementsprechend
wird auch der Gottesbegriff entfaltet. Das Ineinander von objektiver
Gott- und Welterkenntnis und subjektivem Innewerden wirkt sich hier
so aus. daß unter Anwendung des Analogieprinzips (Unähnlidikeit in
der Ähnlichkeit) der theoretische Gottesbegriff dem Aussagenden aus
der Hand genommen wird und in den absoluten Gott hinein entschwindet
, wobei nur die „Sinnriditung" erhalten bleibt. Der „Überschritt
" vom endüdien Seienden ins Absolut-Heilige ist möglich, weil
die endliche Welt ihren Grund in Gott hat. aber nur wenn der Mensch