Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1964

Spalte:

371-372

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Staedtke, Joachim

Titel/Untertitel:

Die Theologie des jungen Bullinger 1964

Rezensent:

Koch, Ernst

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

371

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 5

372

„Es geht ja eben darum, wie Gott die todverfallene Welt noch
am Leben erhält, nachdem der andere Äon in Christus schon
mitten in ihr angebrochen ist" (S. 26).

Auf Grund von widrigen Umständen erhält dieses Buch,
das seit langem hätte besprochen sein sollen, erst jetzt seine
Anmeldung in der ThLZ. Es hat aber während dieser Zeit nichts
von seiner Aktualität verloren. Durch seine knappe, bis zum
Rande mit Inhalt gefüllte und tiefgehende, aber gleichzeitig
leichtzugängliche Darstellung eines für die Lutherforschung zentralen
Themas ist Bornkamms Buch von bestehendem Wert und
verdient ein erneutes Studium.

Lund Auders N y g rc n

Staedtke, Joachim: Die Theologie des jungen Bullinger. Zürich:
Zwingli Verlag 1962. 312 S. 8° = Studien z. Dogmengesohichte u.
systematischen Theologie, hrsg. v. F. Blanke, A. Rieh, O. Weber,
Bd. 16. Kart. sfr./DM 24.-.

Das Erscheinen dieser Arbeit kann nur mit freudiger Aufmerksamkeit
begrüßt werden; nicht nur deshalb, weil sie ein
neues Kennzeichen dafür darstellt, daß die Bullingerforschung
endlich in Gang zu kommen scheint. Liegt doch mit ihr nach
den Einzeluntersuchungen von Hollweg über Bullingers Dekaden

(1956) und von P. Walser über die Prädestinationslehre Bullingers

(1957) abgesehen von einzelnen kleineren Arbeiten und Aufsätzen
die erste Gesamtdarstellung der Theologie Bullingers in
neuerer Zeit zumindest für einen begrenzten Zeitraum des
Lebenswerkes des Nachfolgers Zwingiis vor. Dazu kommt, daß
St. die fast völlig unbekannten, zum größten Teil ungedruckten
Frühschriften Bullingers zur Grundlage seiner Arbeit und
durch reichliche Zitierung auch im Wortlaut bekannt gemacht
hat. Das allein verdient schon Dank und Anerkennung, zumal
wenn man die teilweise schwierige Lesbarkeit der Handschrift
Bullingers kennt. Darüber hinaus bietet der umfangreiche Anhang
: „Der Quellenbefund" eine gründliche bibliographische
Grundlegung für das Schrifttum Bullingers im behandelten Zeitraum
(bis 1528) mit vielen wertvollen Einzelhinweisen. Wichtig
und, soweit ich sehe, bisher in der neueren Bullingerforschung
alleinstehend ist die Untersuchung der Voraussetzungen der
Theologie Bullingers. St. findet sie, ausgehend vom Bildungsgang
des jungen Bullinger, maßgeblich in der niederrheinischen
Devotio Moderna und nur zum geringeren Teil im Humanismus
. Ein Erbe der Devotio Moderna sind etwa der „ausgesprochen
ethische Skopus der Theologie Bullingers", ferner gewisse
Züge eines platonischen Dualismus und ein ausgeprägter Bibli-
zismus. Hinzu kommt als prägendes Erbe für Bullingers Denken
der Einfluß der Alten Kirche. St. kann formulieren, Bullinger
sei „der denkbar schärfste Antimarcionit" geworden. Die ire-
näische Föderaltheologie wurde für ihn von ganz großer Bedeutung
, von Augustin ganz zu schweigen. Denn hier tauchen
wieder die für uns noch immer sehr undurchsichtigen Probleme
des spätmittelalterlichen Augustinismus auf. Ferner findet St.
beim jungen Bullinger auch Einflüsse Luthers. Vielleicht ist der
Einfluß Luthers hier und da ein wenig zu stark gezeichnet.
Nicht immer führt die Parallele in der Gedankenführung auch zu
gleichen theologischen Ergebnissen in der einzelnen theologischen
Position.

Auch im weiteren Verlauf der Arbeit wird stets Bullingcr
mit seinen Zeitgenossen verglichen. Dabei werden Unterschiede
zu Zwingli (etwa S. 226, Anm. 32) und Gegensätze zu Melan-
chthon (S. 181) notiert. Auch Wandlungen bei Bullinger selbst
treten ins Blickfeld (vgl. S. 140 und 164).

Der eigentlichen Darstellung der Theologie ist ein Abschnitt
über „Das reformatorische Erkenntnisprinzip" vorausgeschickt
, in dem dargelegt ist, in wie 6tarkem Maße Bullingers
Theologie Schrifttheologie sein will, und zwar nicht im Sinne
einer abstrakten Vorschaltung eines formalen Schriftprinzips,
sondern als Gehorsamsakt innerhalb der Vorgegebenheit des
einen Bundes Gottes mit den Menschen. Wichtig und interessant
sind hierbei auch die Ausführungen St.s über Bullingers
Auslegungsmethode.

Es würde zu weit führen, an dieser Stelle St.s Darstellung
der Theologie Bullingers, die von der Gotteslehre über die

Christologie zur Sakramentslehre, Ekklesiologie und Eschatolo-
gie führt, in allen Einzelheiten zu besprechen. Bemerkenswert
ist, daß St. allenthalben eine antipaganistisch-spiritualistische
Tendenz findet, die sich gelegentlich mit platonisierenden Motiven
mischt. Auch fällt ihm auf, daß Bullinger seine Theologie
kaum irgendwo dialektisch konzipiert. Als besonders gelungen
kann der Abschnitt über „Das Sein Gottes" bezeichnet werden.
Hier wird die eigentümliche Färbung der Theologie Bullingers
besonders gut herausgearbeitet, was insofern in der Sache begründet
ist, als in der Gotteslehre die Theologie Bullingers in
nuce enthalten ist bzw. hier alle entscheidenden Weichen gestellt
werden (auch P.Walser hat ja 1957 „Die Prädestination
bei Heinrich Bullinger im Zusammenhang mit seiner Gotteslehre
" monographisch darstellt!). St. kommt im Verlauf seiner
Arbeit zu wichtigen und interessanten Einzelergebnissen.
So z. B. muß es nunmehr als nachgewiesen gelten, daß bereits
1525 ( ! ) von Bullinger ein Bundesschluß Gottes mit Adam ( ! )
vertreten worden ist (S. 228 f.).

St. kennt selbst die Grenzen seiner Arbeit (vgl. S. 206),
und so bleibt e6 nicht aus, daß manche Frage unbeantwortet
bleibt, was keinesfalls ein Tadel gegenüber dem ausgezeichneten
Werk sein soll. Offen bleibt etwa die in der Literatur immer
wieder einmal diskutierte Frage nach einem möglichen Einheitspunkt
in der Theologie Bullingers, auf den hin alles bezogen
ist. Daß er in Bullingers Christologie liege, überzeugt nach der
Lektüre von St.s Buch nicht immer ganz, zumindest kann diese
Frage nicht so einlinig beantwortet werden. Zu denken gibt
jedenfalls die Disposition der Darstellung St.s: „Die Lehre von
Gott" — „Die Christologie" — „Das Leben mit Christus". Unter
der letzteren Überschrift werden die Lehre vom Heiligen Geist,
die Ekklesiologie, die Sakramentslehre und die Eschatologie
behandelt, obwohl in der Überschrift nicht unmittelbar erkennbar
ist, daß es sich hierbei um die Thematik des 3. Artikels
des Apostolicum handelt, um die Pneumatologie. Darauf kann
entgegnet werden, daß Bullingers Theologie in allen ihren
Passagen wesentlich Pneumatologie ist, ohne daß das jeweils
besonders betont werden müßte. In der Tat spricht dafür sehr
viel.

Hier und da hätte man sich eine ausführlichere Interpretation
gewünscht, so etwa zu einem für Bullinger so wichtigen
Problem wie dem Verhältnis von Wassertaufe und Geisttaufe
bzw. äußerer und innerer Taufe (S. 233 f.). Daß es auch beim
jungen Bullinger eine Rolle spielt und von St. auch deutlich
gesehen worden ist, zeigt S. 232, Anm. 24. Ein wenig zu sehr
in der Schwebe bleibt auch die Darstellung des Verhältnisses
von Christologie und Pneumatologie auf S. 207. Auch darf
wohl nicht übersehen werden, daß Bullingers Berufung auf die
Schrift, der „Gehorsamsakt", der am Anfang seiner Theologie
steht, zugleich bereits Interpretation der Schrift ist (S. 52, vgl.
S. 80 und 98/99).

Der über weite Strecken hin schwierige Text weist wenig Druckfehler
oder Versehen auf. Dem Rez. sind nur die folgenden aufgefallen
: S. 8, Abs. 3, Z. 1: Zentralbibliothek. S. 35 letzte Zeile: energia
statt enargia? S. 47, Anm. 27: Veronika Günther. S. 81, Anm. 5: Ist
hier wirklich Adam gemeint? Oder handelt es sich hier nicht um eine
Exegese von Rö. 4,1? S. 126, Abs. 2, Z. 7: Verständnis. S. 138, Abs.2,
Z. 2: „sich" streichen. S. 249, Abs.2, Z. 3: wirklich con6cquti? oder
consequuti? — Ob der erste Satz S. 158, Abs.2 so uneingeschränkt
stehen bleiben kann, nachdem Walter Tappolet, Das Marienlob der
Reformatoren, Tübingen 1962 (bes. S. 274 ff.), erschienen ist, i«t wohl
fraglich. — Der Leser wäre gewiß dankbar, wenn er mittels einer
kurzen hinweisenden Erklärung aus dem Schweizerischen Idiotikon erführe
, was „einsprentzlen" (S. 243, Abs.2, Z. 4) bedeutet. — Das
Bild von der Einheit aus vielen Körnern dürfte seine Wurzel 6chon in
Didache IX 4 haben (S. 254, Anm. 71).

Man wird sagen können, daß alle künftige Arbeit an
Bullinger sich mit St.s Interpretationen wird eingehend beschäftigen
und auseinandersetzen müssen. Dem Verfasser gebühTt
großer Dank für eine gründliche und abgerundete Leistung.

Körner/Thiir. Ernst Koch