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Ausgabe:

1964

Spalte:

370-371

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bornkamm, Heinrich

Titel/Untertitel:

Luthers Lehre von den zwei Reichen im Zusammenhang seiner Theologie 1964

Rezensent:

Nygren, Anders

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369

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 5

370

einer Arbeit über den Investiturstreit wünschte man freilich auch eine
genauere Kenntnis der Papstgeschichte, insbesondere Gregors VII.
Ulimanns Buch ,,The growth of Papal Government in the Middle
Ages" (1955), das 1960 ins Deutsche übersetzt wurde (Die Machtstellung
des Papsttums im Mittelalter), ist offenbar unbekannt. Haller
wird mit seiner Darstellung Gregors VII. aus dem Jahre 1922 erwähnt
, aber sein 5 bändiges Hauptwerk ,,Das Papsttum" (1950/52 in
2. Auflage) wird nicht berücksichtigt. Ähnlich verfährt der Autor mit
£. Eichmann : Das 2-bändige Hauptwerk über die Kaiserkrönung im
Abendland (1942) bleibt unerwähnt, ein Aufsatz aus dem Jahre 1916
wird genannt I Bei Leo IX., den Kost mit gutem Grund erwähnt
(S. 141), wird nur pauschal auf Hauck verwiesen. Die angebliche Ähnlichkeit
der Sachsenbriefe mit Wendungen Gregors I. (S. 125/26) überzeugt
teils wenig, teils gar nicht; 60 ist man froh, daß der Autor von
den Gregorbriefen nur den 1. Band herangezogen hat. Auch in seinen
Urteilen zur Karolingerzeit ist Kost nicht gut beraten: Sowohl über
Karl d. Gr. (S. 87) wie über Alkuin oder Leo III. (S. 163) gibt es
einige neuere Literatur zu den angerührten Problemen. Mehrfach wird
aus älteren (wenn auch nicht veralteten) Ausgaben zitiert, so bei
Bedas Kirchengeschichte, Gregors Regula pastoralis und dem Heliand.

Trotz solcher kritischen Einwendungen wird man dem
Verfasser bescheinigen müssen, daß seine Arbeit das hält, was
sie im Titel ankündigt: Die Arbeit führt hinein in die Zeit
des Investiturstreites und läßt uns die Vorgänge der entscheidenden
Jahre von einem ganz bestimmten Blickwinkel aus
genauer erkennen. Zu Brunos Buch vom Sachsenkrieg hat Kost
eine interessante und vielfach anregende Deutung gegeben.

Rostock GnrtHaendlcr

Persson, Per Erik: Sacra Doctrina. En Studie tili förhällandet
mcllan ratio och revelatio i Thomas' av Aquino teologi. Lund:
Gleerup 1957. 329 S. gr. 8° = Studia Theologica Lundensia, 15.
Schw. Kr. 17.50.

Durch besondere Umstände ist Per Erik Pereson, Sacra Doctrina
bisher nicht in dieser Zeitschrift rezensiert worden.

Es ist eine zentrale theologische Frage, die der Verfasser
behandelt, nämlich die Frage des Verhältnisses zwischen ratio
und revelatio bei Thomas von Aquin. Das bedeutet, daß er
Thomas primär als Theologen behandeln will.

Wenn man einen Theologen behandelt, dessen Name mit
einer bedeutsamen philosophischen Schule unsrer Zeit, dem Neu-
thomismus, verknüpft ist, ist die Beschäftigung mit ihm bisher
naturgemäß in einer auffallenden Weise auf die philosophische
Problematik konzentriert gewesen. Im Bewußtsein dessen beginnt
Per Erik Persson 6eine Untersuchung mit Thomas' Eigenschaft
als magister in sacra pagina, und von da aus analysiert er
mit großer Geschicklichkeit und Sorgfalt die Ratio-revelatio -
Problematik bei Thomas. Der Ausdruck Sacra Doctrina ist als
Titel gewählt worden, weil er in sich sowohl die Gebundenheit
der Theologie an revelatio (Sacra Doctrina) als auch die entscheidende
Rolle, die die Ratio in und mit der Erkenntnisfunktion
der Theologie bekommt (Sacra Doctrina), zusammenfaßt
. Die Darstellung ist in drei Hauptteile geteilt: 1. Revelatio
und Sacra Doctrina, 2. Ratio und Revelatio in Sacra Doctrina
und 3. Ratio und Sacra Doctrina.

Sowohl die Menge bedeutungsvoller Beobachtungen in den
einzelnen Analysen als auch die dadurch aufgebaute Gesamt-
betrachtung der Theologie des Thomas bewirken, daß die Arbeit
Perssons als ein bedeutender Beitrag zur internationalen Thomasforschung
der letzten Jahrzehnte gewertet werden kann. Außerdem
ist Sacra Doctrina ein würdiger Beitrag zu der Reihe
theologisch-systematischer Arbeiten, die von der theologischen
Fakultät Lund ausgegangen sind.

Malmö Bcnkt-Erik Ben k t s o n

Naring, Nikolaus M.: Die Vätersammlung des Adhemar von Saint-

Ruf Valence (Schol. 38, 1963 S. 402—420).
Hürten, Heinz: Zur Ekklesiologie der Konzilien von Konstanz und

Basel (ThRv 59, 1963 S. 361—372).
Jolivet, Regis: De l'actualite de saint Thomas (Sciences Ecclesia-

stiques 15, 1963 S. 325—349).
Morisset, Paul: Prudcnce et fin selon saint Thomas (II) (Sciences

Ecclesiastiqucs 15, 1963 S. 439—458).
Roos, Heinrich: Ein unbekanntes Sophisma des Boetius de Dacia

(Schol. 38, 1963 S. 378-391).

KIRCHENGESCHICHTE: REFORMATIONSZEIT

Bornkamm, Heinrich: Luthers Lehre von den zwei Reichen im
Zusammenhang seiner Theologie. Gütersloh: Bertelsmann 1958. 29 S.
8°. DM 3.20.

Wenige Fragen der modernen Lutherforschung sind von so
zentraler Bedeutung wie die Frage von den zwei Reichen, bzw.
von den zwei Regimenten Gottes bei Luther — und wenige
Fragen sind so umstritten.

Bisweilen hat man darin das eigentliche Grundübel sehen
wollen, das mehr als alles andere zur Säkularisierung der letzten
Jahrhunderte beigetragen hat. Ja, man ist so weit gegangen,
Luther gerade auf Grund seiner Lehre von den zwei Reichen
oder Regimenten als Wurzel und Anlaß der Entwicklung zu bezeichnen
, die zum „Dritten Reich" mit seinen Schrecken führte.
Wir wollen hier nicht Namen für Vertreter dieser Auffassung
ausgraben, müssen aber mit Dankbarkeit an die beiden englischen
Forscher erinnern, die sie in der englisch sprechenden
Welt, die am meisten von dieser Auffassung infiziert war,
gründlich widerlegten und zum Schweigen brachten, Philip S.
Watson und Gordon Rupp.

In der Lutherforschung der letzten Jahrzehnte ist es immer
klarer geworden, daß Luthers Lehre von den zwei Reichen
keine beliebige Beigabe zur reformatorischen Anschauung, sondern
ein wesentlicher Teil derselben ist, und daß sie nichts mit
der Theorie späterer Zeiten von der „Eigengesetzlichkeit" des
sozialen und politischen Lebens, die aus ganz anderen Quellen
entsprungen ist, zu tun hat. Wenn es aber darum geht, den Sinn
der Lehre Luthers positiv darzustellen, gehen die Meinungen
noch immer auseinander. Eine gewaltige, fast unübersehbare
Literatur ist über dieses Thema herangewachsen und die Fäden
werden oft auf eine ziemlich verwirrende Weise zusammen gezwirnt
. Mit Recht hat Joh. Heckel vom „Irrgarten der Zwei-
Reiche-Lehre" gesprochen.

Es ist außerordentlich dankenswert, daß ein Lutherforscher
vom Range Heinrich Bornkamms sich vorgenommen hat, in diese
wichtige Frage Ordnung zu bringen. In einem Heft von weniger
als 30 Seiten gibt er mit souveräner Beherrschung einen Überblick
über die Problemlage im ganzen. Jeder Satz ist mit Inhalt
geladen und umfängt die umfassendsten und subtilsten Diskussionen
. Das merkwürdige ist aber, daß die Darstellung trotzdem
leicht zugänglich und spannend wirkt. Eine bessere Einführung
in diese Fragen ist sicher nicht zu finden.

Bornkamms Darstellung ist indessen weit mehr als eine
kritische Forschungsübersicht. Sie ist an entscheidenden Punkten
auch ein origineller Forschungsbeitrag. Wenn man auf etwas
Besonderes hinweisen will, könnte man auf seine Analyse der
Zwei-Reiche-Lehre Luthers vor dem Hintergrund und im Gegensatz
zu Augustins Distinktion zwischen civitas dei und civitas
terrena hinweisen. Augustins „eindimensionaler Zwei-Reiche -
Lehre" steht Luthers „dreidimensionale" gegenüber, Augustins
platonisch-ontologischer Auffassung steht Luthers theologische
gegenüber. Es ist Gott, der in den beiden Regimenten wirkt.
In beiden ist es Gottes eine, unteilbare Liebe, die handelt, aber
auf verschiedene Weise.

Das Wichtigste in Bornkamms Darstellung ist sein Versuch
, Luthers Lehre von den zwei Reichen in den Gesamtzusammenhang
seiner Theologie einzuordnen. „Luthers Lehre
von den zwei Reichen ist so vollständig mit seiner gesamten
Theologie verwoben, daß man die Fäden nach allen Seiten hin
verfolgen kann: zur Gottesanschauung, zur Lehre von der Schöpfung
und Erhaltung der Welt, zur Christologie, Eschatolögie,
zum Kirchenbegriff, Vernunftbegriff, Rechtsbegrifr usw." (S. 23).
Man versteht in der Tat nichts von Luthers Lehre von den
zwei Reichen, wenn man sie nicht in ihrem unauflöslichen
Zusammenhang mit Luthers Theologie überhaupt 6ieht. Die
Lehre von den zwei Reichen gibt der Dialektik des christlichen
Lebens Ausdruck, das sowohl in dem alten Äon wie auch in
dem mit Christus begonnenen neuen Äon gelebt wird. Es ist die
Dialektik zwischen dem Präsens des christlichen Lebens und
seinem Futurum, zwischen „schon" und „noch nicht in seiner
Vollendung". Hier steht Luther ganz auf paulinischem Boden.