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Ausgabe:

1964

Spalte:

13-16

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Tillich, Paul

Titel/Untertitel:

Auf der Grenze 1964

Rezensent:

Fischer, Hermann

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 1

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tretenden Phänomen J. Lindblom in seiner Stellungnahme „Zur
Frage des kanaanäischen Ursprungs des altisraelitischen Prophetismus
" (S. 89—104). Der Autor, der über dieses Phänomen inzwischen
eine umfangreiche Monographie vorgelegt hat, sieht
angesichts der allgemeinen Verbreitung des Ekstatikertums keine
zwingenden Gründe, in der Verwandtschaft der Züge israelitischer
und kanaanäischer nebi'im eine Abhängigkeit der ersteren
von den letzteren zu sehen.

Abschließend seien zwei systematische Themen erwähnt,
J. Hempel „Pathos und Humor in der israelitischen Erziehung'
(S. 63-81), der die pädagogische Note in der Weisheitsliteratur
des Alten Testaments nach Inhalt und Form unter dem genannten
Vorzeichen behandelt, und endlich M. Sekine „Schöpfung
und Erlösung im Buche Hiob" (S. 213-223), der das im Hiob-
Buch dargestellte Leid, ja, Leid überhaupt, als Bruch der
Schöpfungsordnung sieht, die nach Erlösung verlangt. Diese
kurzen, stichwortartigen Inhaltsangaben der einzelnen Aufsätze
können natürlich niemals genauer informieren und den
gesamten Gehalt dieser überaus reichen Festgabe ausschöpfend
dartun, dennoch zeigen sie, daß viele hervorragende Gelehrte
hierin mit ihren Forschungsergebnissen dem Jubilar ihre Verehrung
zum Ausdruck bringen möchten, ganz abgesehen von
all' denen, deren Arbeiten aus Raummangel nicht aufgenommen
werden konnten. Mögen nicht alle Aufsätze schlüssige, jeden
überzeugende Thesen vortragen, so zeigt sich doch an den
Autoren und der Vielseitigkeit der Themen, daß hier eine
Festschrift vorliegt, die der Würde und Bedeutung dessen entspricht
, dem sie gewidmet ist.

Halle/Saale Gerhard Wall i s

Till ich, Paul: Auf der Grenze. Aus dem Lebenswerk Paul Tillichs.
Stuttgart: Evang. Verlagswerk [ 1962]. 240 S., 1 Titelb. 8°. Lw.
DM 9.80.

Nach einer zwölfjährigen Periode der Verbannung (1933
- 1945) sind die Gestalt Paul Tillichs und sein Lebenswerk im
letzten Jahrzehnt in zunehmendem Maße der deutschen Theologie
und dem Geistesleben überhaupt zurückerobert worden.
Sinnfällig kommt das zum Ausdruck durch die Verleihung der
Goethe - Medaille in Frankfurt 1956, des Goethe - Preises in
Hamburg 195 8 und des Friedenspreises des deutschen Buchhandels
in Frankfurt 1962. Gleichzeitig mit diesen persönlichen Ehrungen
wird auch das literarische Werk Paul Tillichs dem deutschen
Publikum wieder erschlossen. Nachdem 195 5 (21956) der 1.,
1958 der 2. Band seiner „Systematischen Theologie" erschienen
und mit dem 3. abschließenden Band bald zu rechnen ist, werden
seit 1959 seine auf 11 Bände geplanten „Gesammelten
Werke" herausgegeben. Das alles zeigt das offenkundige Interesse
, das der Person und dem Werk Paul Tillichs entgegengebracht
wird.

Es ist deshalb nur dankbar zu begrüßen, wenn das Evangelische
Verlagswerk in Stuttgart, das die Herausgabe der „Systematischen
Theologie" und der „Gesammelten Werke" betreut,
nun in einem von Dr. Gotthold Müller besorgten Auswahl-Band
die originalen Gedanken dieses universal ausgerichteten Denkers
auch einer breiteren Leserschaft zugänglich macht. In einer
Reihe von Arbeiten, die weder nach zeitlichen noch nach sachlichen
(jedenfalls nicht erkennbaren) Gesichtspunkten geordnet
sind, wird der Leser in die Vielfalt der Probleme, denen Tillich
sich gewidmet hat, eingeführt. In dieser Mannigfaltigkeit der
Themen liegt zunächst etwas Verwirrendes, sie macht aber auch
den Reiz des Buches aus.

Der Band wird eingeleitet durch eine äußerst interessante
und großartig geschriebene autobiographische Skizze aus dem
Jahre 1936. Aufs glücklichste wird hier das autobiographische
Moment mit einer Entstehungsgeschichte der Bücher und Aufsätze
Tillichs bis zum Jahre 1936 kombiniert. Aus dem Leben
heraus wird die Entwicklung der Gedanken dargestellt. Dabei
ist die Überschrift „Auf der Grenze", auch als Titel des Budies
gewählt, für die spannungsgeladene persönliche und geistige
Entwicklung Tillichs charakteristisch. Sie hat sich vollzogen auf
der Grenze von Stadt und Land, der sozialen Klassen, von
Wirklichkeit und Phantasie. Theorie und Praxis, Heteronomie
und Autonomie, Theologie und Philosophie. Kirche und Gesellschaft
, Religion und Kultur, Luthertum und Sozialismus, Idealismus
und Marxismus und ihm die Themen seiner Arbeit an
die Hand gegeben. Aufschlußreich ist in diesen Ausführungen
— um nur diesen einen Punkt hervorzuheben — die Selbstdeutung
seiner theologischen Position. Tillich versteht sich
einerseits als Schüler seines Hallenser Lehrers Martin Kähler,
dem er die Einsicht in den alles beherrschenden Charakter der
Rechtfertigungslehre verdankt. Jeder menschliche Anspruch vor
Gott wird durch sie zerbrochen. Zugleich wird aber durch das
paradoxe Urteil, das den Sünder gerecht spricht, der Punkt gezeigt
, von dem aus menschliche Schuld und Verzweiflung überwunden
werden. „Die Interpretation des Kreuzes Christi als
der anschauliche Ort dieses Ja und Nein über die Welt wurde
und blieb der Inhalt meiner Christologie und Dogmatik im
engeren Sinne" (36). Auch im Hinblick auf das Problem des
historischen Jesus folgt Tillich widerspruchslos Kähler. „Nicht
der historische Jesus, sondern das biblische Christusbild ist das
Fundament des christlichen Glaubens" (37). Von solch einer
Position aus findet Tillich keinen Zugang zur liberalen Dogmatik
, die den gekreuzigten Christus durch den historischen Jesus
ersetzt und die Paradoxie der Rechtfertigung durch moralische
Kategorien auflöst (36). Verwirft Tillich auch die liberale Dogmatik
, so bekennt er 6ich andererseits gegen seine Hallenser
Lehrer Kähler und Lütgert zur gewaltigen historischen Leistung
der liberalen Theologen. Die Religionsgeschichtler Wellhausen
und Gunkel, dazu der Systematiker der religionsgeschichtlichen
Schule, Ernst Troeltsch, haben ihn entscheidend bestimmt. Schon
an diesem einen von vielen Punkten wird deutlich, wie schwer
sich Tillich einer bestimmten theologischen Richtung einordnen
läßt.

Dem autobiographischen Kurzbericht folgt eine am 9. Juli
1961 in Hamburg gehaltene Predigt über 2. Kor. 3, 5—6 „Die
Gegenwärtigkeit des göttlichen Geistes", die Tillichs Bemühen
zeigt, traditionelle theologische Begriffe in eine dem modernen
Menschen verständliche Sprache zu übersetzen.

Einige zentrale Partien über die Offenbarung (Originale
und abhängige Offenbarung), die Sünde (Entfremdung und
Sünde) und die Christologie (Das Neue Sein in Jesus dem
Christus als die Überwindung der Entfremdung) aus dem 1. und
2. Band der „Systematischen Theologie" lassen den neuen
Horizont sichtbar werden, in dem Tillich Theologie treibt,
drängen aber doch zum größeren Begründungszusammenhang in
der „Systematischen Theologie" selbst.

Ihnen schließen sich 2 Aufsätze aus dem Sammelband „Der
Protestantismus — Prinzip und Wirklichkeit" (Stuttgart 1950)
an: „Protestantische Gestaltung" (S. 89—109 ) und „Die protestantische
Verkündigung und der Mensch der Gegenwart"
(S. 110—126). Im ersten Aufsatz geht Tillich von dem Gegensatz
aus, der in dem Begriff einer „protestantischen Gestaltung"
liegt. Gestaltung bedeutet Schaffung einer Form, Protestantismus
bedeutet Protest gegen die Form. Beides schließt sich aber
nur scheinbar aus; im geschichtlichen Protestantismus, im Leben
der Kirche, im Bekenntnis, im Kultus sind Protest und Gestaltung
eine Einheit eingegangen. „Diese Einheit von Protest und
Gestaltung nennen wir die Gestalt der Gnade" (90), eine
„heilige Wirklichkeitsstruktur" (93). In erregender und manchmal
nicht unbedenklicher Weise zeigt Tillich, welche Bedeutung
die protestantische Gestaltung auf dem Gebiet der religiösen
Erkenntnis, des religiösen Handelns (Kultus) und der autonomen
Kultur hat. Hierbei kommt Tillich zu einer völlig neuen
Klärung des Verhältnisses von protestantischem Christentum
und Kultur, das weder im Sinne der Synthese (Kulturprotestantismus
) noch dem der Diastase (Kierkegaard und die „dialektische
Theologie") bestimmt wird. Der 2. Aufsatz arbeitet das
einigende Band zwischen dem protestantischen und dem modernen
, in profaner Autonomie lebenden Menschen heraus: beide
sind bestimmt durch das Erlebnis der menschlichen Grenzsituation
(114). Von da aus läßt sich die Aufgabe der protestantischen
Verkündigung dem modernen Menschen gegenüber
auf 3fache Weise charakterisieren: sie muß erstens auf das radikale
Durchleben der Grenzsituation dringen, zweitens von dem
Ja sprechen, das über den Menschen ergeht, der die Grenzsitua-