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Ausgabe:

1964

Spalte:

303-304

Kategorie:

Psychologie, Religionspsychologie

Autor/Hrsg.:

Frankl, Viktor E.

Titel/Untertitel:

Das Menschenbild der Seelenheilkunde 1964

Rezensent:

Müller, Alfred Dedo

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303

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 4

304

Ratzinger, Joseph: Das geistliche Amt und die Einheit der Kirche

(Catholica 17, 1963 S. 165—179).
S i m o n i n, Th.: Prädestination, prescience et liberte (NRTh 9 5,

1963 S. 711—730).
Stählin, Wilhelm: Gibt es ein Lehramt in der evangelischen Kirche?

(Quatember 27, 1962/63 S. 112—117).
Torrance, T. F.: Das Problem der theologischen Aussage heute

(ThZ 19, 1963 S. 318—337).
Vajta, Vilmos: Die theologische Arbeit in Helsinki (Lutherische

Monatshefte 2, 1963 S. 502—505).

PSYCHOLOGIE UND RELIGIONSPSYCHOLOGIE

F r a n k 1, Viktor E.: Das Menschenbild der Seelenheilkunde. Drei Vorlesungen
zur Kritik des dynamischen Psychologismus. Stuttgart:
Hippokrates-Verlag [1959]. 128 S. 8°. Kart. DM 6.80.

Diese Vorlesungen sind ganz der Kritik am Menschenbild
des dynamisdien Psychologismus gewidmet, von dem Fr. alle
früh eren Formen der Psychotherapie beherrscht findet. Kritik
bedeutet nicht einfach Ablehnung. Auch Fr. sieht in Freud den
„Pionier", das „Genie" der Ps.-Th., dem das Verdienst zukommt
die „Sinnfrage" überhaupt gestellt zu haben. Seine
Grenze liegt darin, daß er sie als Kind seiner Zeit, der „viktoria-
nischen Plüschkultur" stellt und beantwortet. Adlers Verdienst
ist es, daß er in sein Menschenbild das biologische (Organminderwertigkeit
) und das soziologische (Geltungs- und Machtkomplex
) Moment einbezogen hat. C. G. Jung ist es hoch anzuredinen
, daß er in den frühen Jahren des Jahrhunderts die Neurose
als „das Leiden der Seele, die nicht ihren Sinn gefunden
hat" zu verstehen wagt. Der Fehler aller dieser Formen der Ps.-
Th. liegt in ihrem grundsätzlichen immanenten Psychologismus,
demzufolge der Mensch nur von unten „getrieben", statt von
oben „gezogen" wird — (von Werten, vom Sinn, von Gott). So
fehlt auch im Jungschen Menschenbild die „überpsychologische
Instanz" der „Person" (v. Gebsattel), die das Chaos der kollektiven
unbewußten Antriebe, der Archetypen, ordnen und verwerfen
oder annehmen kann. Nur mit einem gewissen Staunen
könne man fragen, wie Theologen „dieses konsequente Hereinnehmen
jeder Transzendenz in die psychologische Immanenz
übersehen und überzeugte Junganhänger 6ein können" (18).

Demgegenüber geht es Fr. um die unverkürzte Wirklichkeit
des ganzen Menschen. Der „wahre Mensch" ist mehr
als der „Homunkulus" der Psychotherapie, der nur die Resultante
eines Kräfteparallelogramms aus Ich, Es und Überich oder
ein Produkt aus Trieben, Umwelt und Erbe ist (109). Der Erkenntnisanspruch
Fr.s liegt darin, daß die von ihm vertretene
neue Form der Ps.-Th., die Existenzanalyse und Logotherapie,
die Wirklichkeit des Menschen umfassender und tiefer
sehen läßt. So kommen nun der bloßen psychologischen Ableitung
der Neurose gegenüber nicht nur ihre „noogenetische",
sondern auch ihre „somatologische" Komponente mit neuen
therapeutischen Möglichkeiten in Sicht. Es ist verfehlt, „die
Störungsquellen" „einseitig und ausschließlich ins Psychologische
zu lokalisieren". Auch „die naturale Bedingung der Möglichkeit
der geistigen personalen Existenz des Menschen" will gesehen
sein (29). Neben der A u s w e i t u n g des Horizontes wird so
eine radikale Vertiefung des Sinnbegriffes gewonnen.
In der Angst- und Zwangsneurose zeigt sich demgemäß, daß
nicht der direkte Kampf gegen das Symptom, sondern nur ein
von der „Person des Patienten" ausgehender „Einstellungswandel
, eine personale Umstellung" hilft (34). Ebenso hilft in der
Sexualneurose keine forcierte Intention oder Reflexion der
Sexuallust, sondern nur das Prinzip der „paradoxen Intention",
deren Urbild Fr. in 1. Könige 3 findet: Salomo erbittet sich
von Gott Weisheit und bekommt nicht nur Weisheit, sondern
auch Reichrum und Ehre, gerade weil er sie nicht intendiert hat.
Es hilft zuletzt nur die „Wiederherstellung eines Urvertrauens
zum Dasein, aus welchem zentralen Punkt heraus letzten Endes
allein die Phobie und Urangst kuriert werden können" (40 f.).

In dem so verstandenen Sinnproblem sieht sich Fr. zur Anerkennung
des Transzendenzcharakters der menschlichen Existenz
gezwungen. Die „existentielle Frustration", „das Gefühl der Sinnlosigkeit
der eigenen Existenz" läuft heute in der Aetiologic

neurotischer Erkrankungen jeder anderen Motivierung den Rang
ab. Die sexuelle oder soziale Frustration sind demgegenüber nur
sekundäre Symptome. Das Pendeln zwischen Not und langer
Weile (Schopenhauer), der Versuch, „das existentielle Vakuum
durch Motorenlärm und Geschwindigkeirsrausch zu übertönen"
(50), die in der Automation liegende Gefahr des modernen
Menschen, sich selbst nach dem Modell der Maschine oder wie
im Biologismus, Psychologismus und Soziologismus der Zeit nach
der Formel: der Mensch ist „nichts anderes als..." zu verstehen
, sind nur Abwandlungen derselben Grundgefahr, anstelle
des wahren Menschen, „den der Psalmist noch paulo minor
Angelis" genannt hat, das „homunkulistische Menschenbild"
„nihilistischer Wissenschaftler und Philosophen" treten zu lassen,
von dem aus nur ein Schritt bis zu den „Gaskammern" von
„Auschwitz, Treblinka und Maidanek" führt (47 f.). Dieser Gefahr
gegenüber hilft auch die Parole der „Selbsterfüllung und
Selbstverwirklichung" nicht, die sich „nur per effectum", aber
nicht „per intentionem" (57), also nur im Mut zur Transzendenz
erreichen lassen. Der Homo sapiens umfaßt nicht nur den Homo
faber, den schaffenden, und den Homo amans, den erlebenden,
begegnenden und liebenden, sondern auch den Homo patiens,
den leidenden Menschen, dessen Lebenslinie sich nidit mehr
zwischen Erfolg und Mißerfolg, sondern zwischen Erfüllung und
Verzweiflung bewegt, die „einer anderen Dimension" angehören
. So allein gewinnt auch das Kranksein seinen Sinn. „Er
ist jedoch nicht in der Immanenz zu 6uchen, sondern in der
Transzendenz zu finden. Er ist ein Übersinn, das heißt, er geht
über alles menschliche Sinnverständnis hinaus" (72). Deshalb
sind die „Einstellungswerte", um die es im Leiden geht, allen
anderen Werten vorgeordnet. „Die höchste Würde des Menschen
ist das Leiden" (Hermann Cohen) (61). In alledem ist der Arzt
zur Seelsorge verpflichtet — mindestens an den Menschen, die
an der „Abwendung der abendländischen Menschheit vom Seelsorger
zum Nervenarzt" teilnehmen —, ohne daß er damit den
Unterschied zwischen priesterlicher Seelsorge, die es mit dem
„Seelenheil" und der Ps.-Th., die es mit der „seelischen Heilung"
zu tun hat, verwischen dürfte und immer im Wissen darum, daß
die Religion zwar nicht per intentionem, wohl aber per effectum
„psychohygienisch, ja, psychotherapeutisch wirksam wird, indem
sie dem Menschen eine Geborgenheit und eine Verankerung
sondergleichen ermöglicht, die er nirgendwo anders fände, die
Geborgenheit und die Verankerung in der Transzendenz, im Absoluten
" (55).

Diese an vielen Beispielen durchgeführte Kritik am dynamischen
Psychologismus setzt die Darstellung der eigenen Position Frankls in
seinen früheren Schriften voraus. Es seien genannt:

Die Psychotherapie in der Praxis. Eine kasuistische Einführung
für Ärzte. Wien: Deuticke 1947.

Der unbedingte Mensch. Metaklinische Vorlesungen. Wien: Deuticke
1949.

Der unbewußte Gott. 2 Aufl. Wien: Amandus-Verl. (1948—1949).

Homo patiens. Versuch einer Pathodizee. Wien: Deuticke 1950.

Logos und Existenz. Drei Vorträge. Wien: Amandus-Verl. 1951.

Ärztliche Seelsorge. 6 Auflagen. Wien: Deuticke (1946—1952).

Pathologie des Zeitgeistes. Rundfnnkvorträge über Seelenheilkunde
. Wien: Deutidee 1955.

Theorie und Therapie der Neurosen. Einführung in Logotherapie
und Existenzanalyse. Wien: Urban und Schwarzenberg 1956.

Alle diese Schriften können der theologischen Beachtung nur dringend
empfohlen werden.

Leipzig Dcdo Müller

Leist, Fritz: Der Mensch im Bann der Bilder. Verführung oder
Geleit? München: Manz [1962]. 181 S. 8°. Lw. DM 14.80.

Der Titel des Buches umfaßt keineswegs die ganze Fülle
dessen, worum es hier geht, nämlich um nichts Geringeres als
um eine Grundbesinnung auf die metaphysische Situation des
heutigen Menschen. Ausgehend von der Zwiespältigkeit moderner
Bildüberflutung durch die Massenmedien wird die Frage nach
dem Welt-bild gestellt, sodann nach den Bildern von Mann
und Frau in Sage und Dichtung. Die Bildspradic der Träume
wird erörtert, aber auch die anthropologische Bedeutung von
Fest und Feier. Dabei ergibt sich, daß wir in einer paradoxen
Situation leben: die Bildüberflutung ergibt eine Verkümmerung