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Ausgabe:

1964

Spalte:

288-290

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Edel, Reiner-Friedemann

Titel/Untertitel:

Heinrich Thiersch als ökumenische Gestalt 1964

Rezensent:

Hornig, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 4

288

von Werner Tanner: „Evangelischer Kirchenbau im der Schweiz"
(S. 333—335), die wohltuend zurückhaltenden Äußerungen von
Ina Lohr: „Protestantische Kirchenmusik" (S. 417 f.), die gute
Darstellung von Willy Keller: „Protestantismus und Literatur"
(S. 327-333).

Die Oekumenisdhe Weite des Buches kommt zum Ausdruck
in den Berichten über den Reformierten Weltbund, von
dessen Generalsekretär M. Pradervand, der betont, daß der
Weltbund selber mehrmals deutlich gegen die Tendenz zum
Konfessionalismus Stellung genommen habe, und über den
Oekumenischen Rat der Kirchen von Eduard Wildbolz (S. 127
— 137), der einen guten Einblick in dessen Geschichte und
Gegenwartsprobleme gibt. — Konzentriert, gerecht und selbstkritisch
ist die Arbeit von Rudolf Pfister über die Römischkatholische
Kirche in der Schweiz (S. 507—522). Es wird nicht
verschwiegen, daß die Gegenreformation ihre Erfolge auch
„viel Glaubenslauheit und Unsicherheit" auf reformierter Seite
verdankte. Man erfährt Interessantes über die Wirksamkeit von
Absolutismus und Aufklärung im schweizerischen Katholizismus
des 18. Jahrhunderts. Knapp und objektiv wird über Sonderbund
und Kulturkampf berichtet. Der katholische Beitrag zur
Sozialpolitik durch Theodosius Florentini und Kaspar Decurtins
wird gewürdigt. Aus Geschichte und Gegenwart bekommt man
einen guten Einblick in die imponierende Organisation und
Tätigkeit des Katholizismus in der Schweiz. Man könnte höchstens
fragen, ob diese Aufgabe besser einem katholischen Bearbeiter
übertragen worden wäre; aber es ist doch keineswegs
sieher, ob wir dann denselben Aufschluß bekommen hätten über
das, was Nichtkatholiken interessiert. — Die Christkatholische
Kirche in der Schweiz (S. 522—529) ist von einem ihrer Theologen
, Otto Gilg, dargestellt worden. Mit Bedauern und nicht
ohne Temperament stellt er fest, daß der Papst „der Gefangene
seiner dogmatischen Eingekreistheit" sei und, wenn er zu einer
„wirklichen Oekumenizität" zurückfinden wollte, „sich mit
einem die dogmatische Barrikade von 1870 niederlegenden
Freiheitsakt vom römisch-unfehlbaren Boden lösen" müßte. Er
betont und belegt, daß es den Christkatholiken um die Alte
Kirche gehe, daß sie sich darum auch im besonderen trotz ihrer
zahlenmäßigen Schwäche als „Vermittlungsglied" zwischen verschiedenen
Kirchen und als „Protestanten aus Katholizismus"
verstehen.

Breiten Raum nehmen die Darstellung von Struktur, Aufbau
und Leben der Kirche ein. Es gibt ja nicht eine evangelische
Kirche in der Schweiz, sondern deren 19, dazu die Auslandschweizergemeinden
, die Methodistenkirche und die Evangelische
Gemeinschaft, sie alle zusammengeschlossen im Schweizerischen
Evangelischen Kirchenbund (S. 111—122), einzelne auch verbunden
durch das „Konkordat" über die gegenseitige Zulassung
und gemeinsame Prüfung der Pfarrer, dargestellt (S. 160—164)
von Bruno Baischeit. Hier fällt die große Vielfalt der kirchlichen
Verhältnisse in der Schweiz besonders auf. Manchen Verfassern
sind gute, knappe Darstellungen des Wesens ihrer Kirche
gelungen, auch gute Einblicke in deren Geschichte und Werden.
Einzelne Gestalten werden mit wenigen Strichen der Vergessenheit
entrissen, z.B. der Appenzeller „Weberpfarrer" Howard
Eugster-Züst (S. 22). Allerlei Merkwürdigkeiten und eigenartige
Verhältnisse kommen zum Vorschein, etwa der Evangelische
Große und Kleine Rat (die evang. Mitglieder der staatlichen
Legislative und Exekutive) in Graubünden (S. 52) oder
die verwirrende Vielfalt der Ordnungen im Kanton Freiburg
(S. 38 f.). Das Verhältnis zum Staat variiert zwischen der völligen
Freikirche (Genf) und fast ungebrochenem Staatski rchentum
(Bern, Zürich, Waadt). In der Waadt gibt es neben der Eglise
nationale die Eglise libre, die sich durch eine bemerkenswerte
Opferfreudigkeit auszeichnet: ca. 5000 Glieder bringen jährlich
über Fr. 500000.— für die Zentralkasse ihrer Kirche auf, wozu
noch die Aufwendungen für das Leben der Gemeinden und anderes
kommen (S. 81). Die Kirchen sind durchwegs bekenntnisfreie
Volkskirchen; aber einige Berichterstatter betonen, mit
Recht, daß sie sich deshalb nicht „überhaupt zu nichts bekennen
" (S. 34). Verschieden ist die Wiederwahl der Pfarrer geregelt
; einige Kantone, z. B. Zürich, kennen die obligatorische
Wiederwahl durch die Stimmberechtigten alle 6 Jahre; andernorts
kann eine bestimmte Anzahl periodisdi oder jederzeit eine
Abstimmung über das Verbleiben eines Pfarrers in der Gemeinde
verlangen.

Neben einem grundlegenden und zusammenfassenden Artikel
von Eduard Schweizer über „Die Gemeindedienste im
Neuen Testament" (S. 139—143) bringen die Abschnitte über
Mission, Diakonie, Erziehung und eine Vielzahl kirchlicher
Organisationen und Verbände viel Wissenswertes. Im Vorbeigehen
erfährt man auch allerlei Merkwürdiges, z. B.: auf dem
Höhepunkt der Grippeepidemie im Spätherbst 1918 wurden
allenthalben Gottesdienste und Versammlungen verboten, während
die Wirtshäuser ruhig offen blieben (S. 478); 1919 hat die
Berner Regierung während der Maul- und Klauenseuche die
landeskirchlichen Gottesdienste geduldet, jedoch die der Freikirchen
und Gemeinschaften verboten (S. 479).

Zahlreiche statistische Angaben (S. 497—505) sind sorgfältig
bearbeitet, so daß sie interessante Einblicke vermitteln.

Wertvoll ist die Zeittafel (S. 531-538) von Rudolf Pfister.
Auf dem knappen Raum wurde nicht nur viel untergebracht,
sondern Ereignisse und Persönlichkeiten werden auch gut gewichtet
, z. B. im Anfang des 20. Jhdts. Kutter und Ragaz.
Schade, daß nicht wenigstens hier sichtbar gemacht wurde, daß
auch die schweizerische Kichengeschichte nicht erst 1519 beginnt
, indem in dieser gedrängten Form das Wichtigste von den
Anfängen an vermerkt worden wäre.

Kritisch wäre zu bemerken, daß leider etwas viel Druckfehler
, stilistische und sprachliche Flüchtigkeiten, auch sachliche
Versehen und Ungenauigkeiten stehen geblieben sind. Gehäuft
sind diese Mängel in dem an sich nützlichen „Verzeichnis der
Gottesdiensträume der reformierten Kirchgemeinden" (S. 5 39
— 554): die alphabetische Reihenfolge ist nicht konsequent, es
hat Lücken (einzelne, Ra-Ri fehlt überhaupt), geographische
Irrtümer, falsche Schreibweise von Ortsnamen. Es fehlt also ein
wenig am „finish" und an der Praezision, die schweizerischen
Erzeugnissen sonst nachgerühmt werden.

Unsern Dank für das Buch, die große Arbeit, die dahinter
steht, und die gute Orientierung, die es bietet, soll das nicht
mindern!

Gelterkindf n/Schweiz Peter Wn 11 e r

Edel, Reiner-Friedemann, Dr. theol.: Heinrich Thiersch als oekume-
nische Gestalt. Ein Beitrag zum oekumenischen Anliegen der katholisch
-apostolischen Gemeinden. Marburg/Lahn: Edel [1962]. 389 S.,
1 Titelb. 8° = Oekumenische Texte und Studien, 18. Kart. DM
9.80; Lw. DM 12.80.

Die vorliegende Arbeit verfolgt einen doppelten Zweck:
Darstellung und Erläuterung des ökumenischen Anliegens der
kath.-apostolischen Gemeinden aus ihren eigenen Schriften und
Schilderung von Heinrich Thiersch (1817—85) als Pionier ökumenischer
Haltung auf Grund der Quellen.

Das Literaturverzeichnis, das mit erstaunlichem Fleiß gearbeitet
ist und hinter dem eine außerordentlich mühevolle Forschertätigkeit
steht, umfaßt: I. Gedruckte Schriften von Heinrich Thiersch (5 S.);
II. Gedruckte deutschsprachige Schriften der katholisch-apostolischen
Gemeinden (2 5 S.); III. Fremdsprachliches, Akten, Handschriftliches der
Gemeinden (6S.); IV. Ergänzend zu den Quellen benutzte gemeindefremde
Literatur (6 S.). So ist die hier geleistete Bibliographie über
dieses Gebiet bisher einzig dastehend in ihrer Fülle und zugleich kritischen
Sichtung. So wurden Nachforschungen angestellt, „welche der
oft anonym gedruckten Schriften (der kath.-apostol. Gemeinden) auf
ihre Gründer und Führer zurückgehen und welche in den Gemeinden
nur geringe oder keine Autorität beanspruchen können..." (S. 13).

Der Verfasser konfrontiert die Bewegung der kath.-apost.
Gemeinden mit ihrer Umwelt und den theol. Zeitströmungen,
er zeigt die Position von H. Thiersch auf, ferner die Schau anderer
Konfessionen vom Blickpunkt der kath.-apost. Gemeinden
und „das Selbstverständnis der kath.-apost. Gemeinden in ökumenischer
Sicht". Der Verfasser hält „eine persönliche, grundsätzlich
wohlwollende Einstellung zum Stoff und zu den Gemeinden
als Grundvoraussetzung für nötig.. ." (S. 15).

Biographisches über Thiersch: Als Sohn des bekannten Altphilologen
Friedrich Th., außerordentlich in den alten Sprachen bewandert
(sprach geläufig Lat. 0. Griech.), trieb eingehende Schrift-
studien (Habilitationsschrift über den Vergleich des hebr. AT mit der