Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1964

Spalte:

281-283

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Hamann, Johann Georg

Titel/Untertitel:

Fünf Hirtenbriefe das Schuldrama betreffend 1964

Rezensent:

Koepp, Wilhelm

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

281

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 4

282

sehen Natur- und Gnadenordnung" (S. 216). So wird bei der
Begründung des päpstlichen Primats erst Aristoteles, danach die
Bibel zitiert (S. 213). „Kernpunkt seiner Widerlegung ist die
Verteidigung des Papsttums. Die Mittlerscliaft des Papstes verteidigt
Heinrich mit 2 rationalen Argumenten. Das erste ist die
Parallelität von Seinsordnung und Kirchenordnung, die beide
hierarchisch aufgebaut sind; das 2. gründet sich auf das praktische
Funktionieren von Kirche und Staat. Die biblischen
Argumente dienen der Erhärtung" (S. 229). Immer wieder betont
G., wie „die in Kirche und Gesellschaft waltende Ordnung
ein Abglanz der von Gott in Subordination und Subsidiarität
geplante Weltordnung ist" (S. 240). Solche Betrachtungsweise
war aber unhaltbar: „Heinrich von Gorkums Festhalten an
idealisierenden Einheitsgedanken hat etwas vom Anbellen des
Mondes" (S. 241). Noch ungleich kritischer urteilt Weiler über
den Traktat gegen die Hussiten: Es handelt sich „um eine Art
Verteidigung des alten Systems, . . . die jedoch wenig Lebensnähe
und Wirklichkeitssinn verrät. Starr und doktrinär wie sie
ist, verkennt sie, was ihre Gegner innerlich aufrührt" (S. 249).
Jedes Disputieren mit den Hussiten wird abgelehnt; G. fordert
den Krieg gegen die Hussiten, die Fürsten sollten handeln wie
einst die Makkabäer oder Karl d. Gr. (S. 255). Weiler verweist
darauf, daß es „zum Glück in diesen Jahren auch noch andere
Stimmen" gegeben habe (S. 256).

Das 7. Kapitel behandelt Fragen praktischer Theologie:
Finanzielle Probleme, Ehchindernisse, Exorzismus. Der Traktat
„De superstitiosis quibusdam causis" ist für die Frömmigkeit
des späten Mittelalters aufschlußreich (S. 269—73). Das Auftreten
der Jungfrau von Orleans hat G. zu einer (höchst vorsichtigen
) Schrift veranlaßt (S. 275—77). Seine Arbeit De justo bello
ist bedeutsam, weil sie u. a. von Hugo Grotius zitiert worden
ist (S. 278/79). Weiler schließt mit einem 8. Kapitel: „Der
Thomismus in der Spätscholastik". G. wird als „Wegbereiter
der großen Thomasrenaissance des 16. Jahrhunderts" bezeichnet
(S. 300); auch ihm gebührt das „Verdienst, nachmaligen Koryphäen
wie Cajetan" den Thomismus überliefert zu haben
(S. 149). Weiler 6ieht aber auch die Grenzen Gorkums: „Zweifellos
ist Heinrich von Gorkum eine Gestalt von niedrigerem
Range und geringerer geistiger Kraft als Wilhelm von Ockam
oder Jean Gerson. Aber als Vertreter einer bedeutenden
restaurativen Bestrebung verdient er eine Aufmerksamkeit, die
ihm bisher versagt blieb" (S. 305). Die Arbeit ist vor allem
deshalb als nützlich zu empfehlen, weil sie in umfangreiches,
bisher weithin unbekanntes Quellenmaterial Einblick gewährt.

Rostock Gert Hacnd ler

Gauss, J.: Anselm von Canterbury und die Islamfrage (ThZ 19,

1963 S. 250—272).
Godel, Willibrord: Irisches Beten im frühen Mittelalter (ZkTh 85,

1963 S. 261—321).
Pesch, Otto M.: Frcihcitsbcgriff und Frcihcitslehre bei Thomas von

Aquin und Luther (Catholica 17, 1963 S. 197—244).

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Hamann, Johann Georg: Fünf Hirtenbriefe das Schuldrama betreffend
. Einführung und Kommentar von Sven-Aage Jorgensen.
Kopenhagen: Munksgaard i. Komm. 1962. 195 S. gr. 8° = Histo-
risk-filosofiske Mcddclclser, udg. af Dct Kongelige Danske Vidcn-
skabernes Selskab, Bind 39, nr. 5.

Dieses starke Heft ist ein positiv wie negativ erfreulicher
Beitrag zur modernen Hamannforschung. Der Text gibt den
von W. Bochlich Euphorion Bd. 50 nicht weiter nachgeprüften
Nadlcrtcxt, II, S. 351—374, mit Abweichungen nach einem
Erstdruck. Die rein literaturgeschichtliche Beleuchtung
Hamanns ist eigentlich nur hier bei dieser ganz in diesem
Rahmen liegenden Broschüre Hamanns, den „5 Hirtenbriefen
das Schuldrama betreffend", 1793, gegeben.

Sonst behandeln Hamanns Schriften konkret veranlaßte
allgemeine Gegenwartsfernen mit dem Ziel einer verborgenen
Auswirkung für die Gottcsoffenbarung im alten biblischen
Sinn mit neuesten Mitteln. Sie durchstreifen alle möglichen
Gebiete, die antike Religionsgeschichte, die biblische Exegese

und Typologie, die modernste Volkswirtschaft, modernste
Philosophien, antike Theologien, sprachgeschichtliche Problematik
, Literaturkritik, Psychologie, Erbauungsliteratur. Von
keinem dieser Gebiete her kann man ihn ganz verstehen. Man
kann es auch nicht von der Literaturgeschichte aus.

Hamann ist zu diesem Thema der 5 Hirtenbriefe gekommen
, weil sein sehr geschäftiger Jugendfreund Lindner,
Rektor der Domschule von Riga, sich vorgesetzt hatte, das
Wiederaufleben der Schuldramen in einer neuen Art, als eine
neue Gattung, sich zur Aufgabe seines Lebens zu machen. Die
Briefe 6ind also genau genommen eine Gelegenheitsbroschüre.
Jorgensen zieht die Grenzen der Betrachtung sehr genau und
eng; reine Scheidung zwischen den Disziplinen der Geisteswissenschaft
sind immer zu empfehlen. Er weist auch auf das,
was jenseits seiner literaturgeschichtlichen Untersuchung liegt,
genau hin, bes. im Zuge der Überarbeitung von 1961, die er
der 1957 geschriebenen Dissertation zuteil werden ließ. Im
ersten reichlichen Teil der Arbeit finden wir so eine große
„Einführung" vorweg über den jungen Hamann als Literat
bis zu den Hirtenbriefen 1763. Es folgt ein ausgezeichneter
Kommentar und Erläuterung der 5 Briefe selbst. Der dritte
Teil gibt noch einen inhaltreichen „Nachtrag" mit 6 sehr verschiedenen
Exkursen, die die Arbeit aus 6ich heraussetzte, und
die zu einer Gesamtbearbeitung Hamanns hinfuhren möchten.

Die „Einführung" setzt bei der Hofmeisterzeit der 1750er
Jahre im Baltikum ein, zumal bei der Londoner Zeit und
ihren Erlebnissen und Existenzerfahrungen. Weiter geht sie
nicht zurück; die Daphnezeit, von der wir doch auch einiges
wissen, bleibt unberücksichtigt und also das gewonnene Allgemeinbild
nicht ohne Lücken. Große Sicherheit gewinnt die
Darstellung erst im literaturwissenschaftlichen Sektor bei der
Schilderung von Hamanns Vernunftkritik; seine Bekehrung ist
auch intellektuell; die frühe Verbindung Hamanns mit dem
englischen Empirismus wird unterstrichen: es gibt keine eine
allgemeine Vernunft! Vielmehr ist die Kernfrage die „Frage
nach der Sprache". „Vernunft ist Sprache". Die Darstellung
dieser Gedanken Hamanns über Gleichnis, Bild, Figur,
Zeichen, Allegorie, Namensgebung, Sexualmetaphorik, Heilsgeschichte
, Turbatverse und Typologese steht gut auf dem
neuesten Stand der Forschung. Mit der Aesthetica in nuce sind
alle Ereignisse Offenbarung als typologische Geschehnisse auf
Christus hin und von Christus her. Was einmal wirklich gewesen
war, ist nur Vorfrage; darüber liegt eine existentielle
Mythologie der realen Herablassung Gottes in Christus.
Dies Bild des Sektors des literaturgeschichtlichen Hamann mit
seinem Herausgang ins Religiöse ist sehr klar. Unsicher wird
es dort, wo die Grenzen angegangen werden. In den kleineren
Einzelabschnitten der Einführung wird zwar immer wieder,
bald sehr treffend, bald fraglicher der Zusammenhang von
Religion-Bibel-Theologie einerseits und Kultur-Literatur-Sturm
und Drang andererseits angepeilt; die dreifache sprachliche
Offenbarung Gottes in Natur, Geschichte, Bibel wird ausgezeichnet
dargelegt (sie hat übrigens 6ehr alte Traditionen).
Aber noch immer wird nicht genug betont, wie sehr dies in der
asketischen oder Erbauungsliteratur seiner eigenen Tage
Hamann unmittelbar überkommen war. Verfasser weiß wohl
aus zweiter Quelle vom Mittelalter; aber die große asketische
Literatur der Konfessionskirchen nach der Reformation bis
mitten in die Aufklärung scheint ihm verborgen. Dafür weiß
er desto besser literaturgeschichtlich über Mimesis und imitatio
in der Poesie der Hamannzeit Bescheid, wenngleich das
Hamann nur im Vorbeigang interessiert hat. Auch nach Jorgensen
zeigt Hamann im Grunde nur eine religiöse Polemik gegen
die Aesthetik der Aufklärung: nur bleibt das Nähere dazu
ziemlich verhangen. Das Aufkommen des Empirismus, des
Realismus, der Psychologisierung, der Geschmacks- und Wirkungsästhetik
wird glänzend geschildert, Hamanns Kampf
gegen Mendclsohns Geschmacks- und Schönheitsideen vorzüglich
erhellt und Hamanns biblischer Realismus mit der Natur
als Gottesrede all der Schönmalerei entgegenstellt. Der
frömmigkeitsgeschichtliche Hintergrund dieser ganzen Polemik
leuchtet auch einen Augenblick richtig auf: „Jedes Phänomen
ist eine Wand, hinter der ER steht!" Aber der Schritt da her-