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Ausgabe:

1964

Spalte:

279

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Eggers, Hans

Titel/Untertitel:

Zwei Psalter aus dem 14. Jahrhundert 1964

Rezensent:

Hennig, John

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279

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 4

280

Eggers, Hans: Zwei Psalter aus dem 14. Jahrhundert (Dresden
Ms M 287 und Hamburg in Scr. 142) und drei verwandte Bruchstücke
aus Sdileiz, Breslau und Düsseldorf. Berlin: Akademie-Verlag
1962. CXVIII, 280 S. gr. 8° = Deutsche Texte des Mittelalters,
hrsg. v. d. Dt. Akademie d. Wi6sensch. zu Berlin, Bd. LIII. DM 49.—.

In der 1892 von W. Walther vorgeschlagenen und bis heute
nicht ersetzten Einteilung der 24 hochdeutschen Einzelversionen
und Gruppen bilden die hier behandelten Hss. mit dem 1944
von Hellenius herausgegebenen Wegelebener Psalter und dem
noch nicht edierten, nur in Hellenius' Auszügen zugänglichen
Text in Leipzig UB 23 fol. die als 19. Pßalter bezeichnete
Gruppe. Die Dresdner Hs. und die Bruchstücke in der Gymnasialbibliothek
von Schleiz — der älteste Text in dieser Gruppe —
sind verloren.

Die Veröffentlichung der 5 Grundtexte in Parallelspalten
ist von zwei Apparaten begleitet: 1. Lesarten aus der Vulgata
an Stellen, wo diese für das Verständnis der deutschen Übersetzung
von Interesse sind, 2. hs.liche Überlieferung, wo die
Ausgabe davon abweicht.

Die Einleitung bietet nach einer Beschreibung der Grundhss.
eine Untersuchung des Verhältnisses dieser Texte zur Tradition
(Siglenverzeichnis S. XXXI f.) und der sieben Texte der 19
Gruppe zueinander (Stemma S. CVI, Vergleich mit früheren Versuchen
S. CVIII), insbes. Abweichungen der deutschen Überlieferung
von der Vulgata (XXXIII) und Beobachtungen zur
Übersetzungstechnik (XLIX).

Es ergibt sich, daß der 19. Psalter a) um den lat. Grundtext
wenig besorgt ist und dessen Abweichungen von der Vulgata
kaum berücksichtigt, b) den deutschen Wortlaut zu glätten
und verständlicher zu machen gesucht und in dieser Hinsicht
Notker zum Vorbild genommen hat, c) in seinem Archetypus
dem 12. Jhdt. angehört (ob dem nieder- oder hochdeutschen
Bereich, wäre durch eine wortgeographische Untersuchung auszumachen
), d) in seiner Stellung in der Gesamttradition erst zu
bestimmen wäre, wenn die Stellung der Interlinearversionen
(Millstätter, Windberger, Trierer, Wiggertsche u. Altnaederfrän-
kische und der noch nidit edierte in Wolfenbüttel 146,2 extrav.)
zueinander und zu Notker untersucht worden ist, e) hinsichtlich
6einer Verwandtschaft mit dem südwestfälischen und Leidener
Psalter über E. Roth hinaus weiter bestimmt werden kann,
und zwar auch durch gemeinsame Ableitung vom altniederfrän-
kischen und Trierer Psalter, f) im Trebnitzer Psalter (ed.
P. Pietsch 1881) eine „reaktionäre Neubearbeitung" erfahren hat.

Gegen Hellenius nimmt E. an, daß der Zug im 12. bis
14. Jhdt. zur Durchsetzung der Vulgata als des kanonischen
Bibeltextes 60 stark war, daß Vulgatalesarten, die in der
Psalmentradition mit lat. Varianten konkurrieren, als Neuerungen
zu betrachten sind, wobei die Neuerer gleichzeitig das
deutsche Wort „fester an das lat. Leitseil" nahmen. S. CX—
CXVI: Verzeichnis der in der Einleitung erörterten Psalmenstellen
.

Nur eine grundsätzliche Bemerkung: S. XXIX wird unter
möglichen „Quereinflüssen" „die große gottesdienstliche Bedeutung
der Psalmen" erwähnt. „Mindestens einen lat. Text werden
die meisten der gelehrten geistlichen Schreiber im Gedächtnis
gehabt haben, den sie — mit allen Möglichkeiten der Variation
durch Sonderüberlieferung und durch Gedächtnisfehler -
als authentisch gelernt ihren schriftlichen Vorlagen vorziehen
konnten." Aus der gegenwärtigen Erfahrung mit dem neuen
liturgischen Psalmentext könnte man hier viel schärfer formulieren
: Jeder ältere Geistliche kennt einen lat. Text des Psalters
auswendig. Im Mittelalter bedurften Übersetzer wohl kaum der
schriftlichen Vorlage des lat. Textes. Die Untersuchung der liturgischen
Überlieferung des Psalmentextes wäre im Hinblick auf
Untersuchungen wie die vorliegende besonders erwünscht.

Basel JohnHennig

Weiler, A. G., Dr.: Heinrich von Gorkum (f 1431). Seine Stellung
in der Philosophie und der Theologie des Spätmittelalters. Deutsch
von F. Stoks. Hilversum: Brand; Einsiedeln-Zürich-Köln: Benziger
1962. VI, 343 S., 1 Titelb. gr. 8°. Kart. hfl. 19.50.

Das Buch setzt ein mit einer These von E. Gilson, wonach
sich in „keinem Aspekt des mittelalterlichen Geschichtsbilde«

während der letzten 50 Jahre ein so tiefgreifender Wandel vollzogen
habe wie in dem des philosophischen und theologischen
Denkens. Die Zahl der neu entdeckten Texte ist so groß, daß
die mittelalterliche Scholastik, noch vor gut einem halben Jahrhundert
in den Augen der Gelehrten eine graue Uniformität,
heute den Anblick einer wirren Fülle zerstreuter historischen
Daten bietet...". Dabei bleibt eine Fülle spätmittelalterlicher
Scholastiker, die noch fast unbekannt sind. Zu ihnen gehört
Heinrich von Gorkum, ein niederländischer Theologe, der den
Thomismus vertrat. Weiler will Folgendes: „Eine Analyse von
Heinrichs Werken soll zeigen, wieviel falsche Kritik das fast
allgemein anerkannte, negative Urteil über die Spätscholastik
in sich schließt, wieviel Wertvolles der von ihm geförderte
Thomismus enthält ..." (S. 79). Solche Analyse wird im
2. Hauptteil geboten (S. 107 — 305), nachdem der 1. Hauptteil
über G.s Leben und Werke unterrichtet.

Gorkum begegnet in Pariser Universitätsakten: 1397 Examenskandidat
, 1398 Lizentiat, bis 1402 Magister artium, 1410 Prokurator,
1411 Rezeptor. Die These, G. sei 1413 Rektor gewesen, hält Weiler
für unbewiesen (S. 33). G. wurde in französische Bürgerkriegsereignisse
hineingezogen und von Auswirkungen des Konstanzer Konzils
betroffen. 1419 überreichte er Papst Martin V. eine Bittschrift als
Mitglied einer Pariser Universitätsdelegation. 1419 — 31 wirkte er in
Köln, wo er 1420 zum Doktor der Theologie promoviert und unmittelbar
darauf zum Rektor gewählt wurde. G. erscheint neben Nikolaus
von Cues als Gutaditer in einem Streit in Bacharach 1424/26
(S. 46/47). 1424 wurde G. Vizekanzler der Kölner Universität; er behielt
dieses Amt ebenso bis zu seinem Tode 1431 wie ein Pfarramt,
das er 1426 übernahm. Den alten Streit, ob G. Karmeliter oder Franziskaner
gewesen sei, entscheidet Weiler mit dem Satz: „Heinrich von
Gorkum ist Weltgeistlicher gewesen, und zwar bis an seinen Tod"
(S. 12). Das ausführliche 2. Kapitel unterrichtet — ohne wesentlidi
Neues zu bringen — über das scholastische Milieu in Köln und den
Wegestreit (S. 56—83). G. galt als „Thomistarum coloniensium mo-
narcha" (S. 73), Köln als Hochburg des Thomismus: „Von hier aus
sind zahlreiche thomistische Lehrer über die deutschen Universitäten
ausgeschwärmt" (S. 75). Aristoteles wurde in Köln „fast seliggesprochen
" (S. 76). Das 3. Kapitel bringt einen Überblick über die Werke
Heinrichs (S. 84—104); zahlreiche philologische Spezialfragen werden
erörtert.

Weilers Analyse der Werke beginnt mit den Kommentaren
und Lehrbüchern (S. 107—37); G. war stark von didaktischen
Interessen geleitet und wollte „den Universitätsunterricht mit
besseren Texten und Kommentaren der großen scholastischen
Denker versehen" (S. 119). Am bedeutendsten ist G.s Compen-
dium Summae Theologiae; es ist der erste Kommentar zur
Summe des Thomas. Martin Grabmann hat diese Arbeit G.s
zum Neudruck empfohlen, weil sie „ein didaktisch vortreffliches
Hilfsmittel für das Thomasstudium" sei (S. 131). Die Thomisti-
schen Traktate (5. Kapitel, S. 13 8—95) zeigen die starke Abhängigkeit
G.s von seinem Meister. Weiler will in gewissen
Grenzen auch „von selbständigem Durchdenken und Ausbauen
des thomistischen Gedankenguts" (S. 139) sprechen, doch sieht
er schon einen „persönlicheren Zug" G.s, wenn dieser an einer
Stelle auf Anselm von Canterbury verweist, an der Thomas es
nicht getan hatte (S. 142). Eher zeigt sich eine gewisse Eigenständigkeit
in G.s Schrift De sacramento altaris et efficacia
missae, in der er bestimmte Fragen eines Geistlichen „nach
bestem Vermögen aus thomistischer Sicht heraus beantwortet"
hatte (S. 161). Lehrreich ist Weilers Vergleich der Gorkumschen
Prädestinationslehre mit den Auffassungen des Petrus Lombar-
dus, Alexander von Haies, Bonaventura, Duns Scotus, Ockam,
Gregor von Rimini und Peter d'Ailly. Weiler kommt zu der
Feststellung, daß viele Nominalisten „trotz ihrer abweichenden
philosophischen Auffassungen in theologischen Problemen der
thomistischen Lehre sehr nahe kamen" (S. 191).

Am interessantesten ist das 6. Kapitel „Zeitgenössische
Probleme" (S. 196—256). In der nur handschriftlich überlieferten
Lectura super Evangelium setzt sich G. mit Wicliff und Hus
auseinander. Seine Polemik beruht auf der Liste verurteilter
Sätze, die das Konstanzer Konzil zusammengestellt hatte; die
Werke von Wicliff und Hus selbst hat Gorkum nicht gesehen
(S. 207). Weiler betont aber, daß G. sich zunächst um ein sachliches
Verständnis vor allem Wicliffs bemüht habe. Gorkum s
Widerlegungen beruhen immer wieder „auf der Parallele zwi-