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Ausgabe:

1964

Spalte:

271-273

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Brandenburger, Egon

Titel/Untertitel:

Adam und Christus 1964

Rezensent:

Michel, Otto

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271

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 4

272

Janssen, Enno: Judaica (VF 1960/62 S. 74—77).
Jasper, Gerhard: Der Pharisäismus in neuer Sicht (PB1 103, 1963
S. 482—487).

Mayer, Reinhold: Die Judenfrage — eine Christenfrage? (DtPfrBl
63, 1963 S. 6—8).

Pfisterer, Rudolf: Der Antijudaismus in der Christenheit (Dt
PfrBl. 62, 1962 S. 592—596).

NEUES TESTAMENT

Brandenburger, Egon: Adam und Christus. Exegetisdi-religions-
gesdiichtliche Untersuchung zu Rom. 5,12 — 21 (1. Kor. 15). Neukirchen
/Moers: Neukirchener Verlag der Buchhandlung des Erziehungsvereins
1962. 302 S. gr. 8° = Wissenschaftl. Monographien
zum Alten u. Neuen Testament, hrsg. v. G. Bornkamm u. G. v. Rad,
7. Bd. DM 25.-; Lw. DM 28.—.

Die hier aus der Schule G. Bornkamms vorgelegte Dissertation
grenzt sich einerseits gegen die Forschung ab, die den
paulinischen Text mit spätjüdischen Prämissen zu erklären versuchen
(Rabbinat, Apokalyptik, Hellenismus), anderseits gegen
W. Schmithals (Die Gnosis in Korinth, 1956, Exkurs: „Der erlöste
Erlöser", S. 82—134), von dem gesagt wird: „Wahrscheinliches
und Mögliches wird nicht genügend differenziert und
mit vagen Hypothesen und geradezu phantastischen Konstruktionen
vermischt. Außerdem ist der Stand der Diskussion in
der betreffenden Literatur kaum beachtet" (S. 12, Anm. 7).
Nach Ansicht unseres Verfassers ist das 6pätjüdische Material
durch die Einbeziehung der hellenistisch-orientalischen und besonders
gnosti6chen Gedankenwelt zu ergänzen. Der Anthropos-
Mythos der Gnosis muß nach Meinung des Verfassers bei der
Exegese neutestamentlicher Partien mit in Rechnung gestellt
werden.

In einem ersten Hauptteil wendet sich E. Br. religionsgeschichtlichen
Spezialuntersuchungen über Sündenherrschaft und
Strafverhängnis zu. Im Unterschied von anderen Auslegern will
er in 4. Esra zwischen dem „bösen Sinn", dem „bösen Samen"
(= der Saat) und dem „Herzen des Menschen" (= der Saatstätte)
deutlich unterscheiden (vgl. 4,28—30; 9,31—37). Man darf
nicht annehmen, daß das „böse Herz" von Anfang an mit dem
jezer hara identisch ist (vgl. 4, 30). Wichtiger ist der Versuch,
zwischen den jüdischen Traditionen, die zwar vom Verhängnis
der Sünde und des Todes wissen, aber dies Verhängnis niemals
konsequent und einheitlich theologisch ausziehen, und dem
dualistisch-gnostischen Denken eine Verbindung herzustellen:
Adam wird „Haupt" eines Stammes, die Menschen sind „Sklaven
" der Sünde, stehen unter dem „Zwang" des Sündigen-
Müssens und unter der Herrschaft von „Mächten" (Mandaica,
Pistis Sophia). „Weniger ausgeprägte Frühformen solcher
Adamspekulationen wird man bereits im Umkreis Philos sowie
de6 Paulus vorauszusetzen haben" (S. 67). Damit ist die entscheidende
Grundrichtung der Untersuchung gegeben
, die auf den Zusammenhang zwischen Paulus und seinen
gnostischen Gegnern achten will. Die Gegner des Apostels in
Korinth nehmen die Existenz zweier Anthropoi an; für sie ist
der geistliche Adam-Anthropos nach Qualität und seinsmäßigem
Rang wichtiger als der leiblich-irdisch gebundene der
Schöpfung. Paulus teilt Sprache und Vorstellung mit seinen
Gegnern, unterzieht aber dies Denken einer bestimmten
Korrektur.

Es ist für E. Br. wichtig, daß die Berührung mit dem Dia-
tribenstil in l.Kor. 15, 35 (äUä tQÜ Tig) keineswegs besagt,
daß diese Fragen fiktiv 6ind und ohne Kenntnis der Thesen des
Gegners gebildet 6ind. Die Sätze, daß Paulu6 eine höchst oberflächliche
Kenntnis der häretischen Eschatologie verrate, und daß
die Argumentation des Apostels offensichtlich verfehlt sei
(W. Schmithals, ähnlich R. Bultmann), werden von unserem
Verf. ausdrücklich aufgegeben (S. 73, Anm. 2). Richtig ist zwar
das Schwergewicht, das auf l.Kor. 15, 46 fällt („Zuerst das
Geschöpfliche"): der Apostel betont die zeitliche Ordnung im
Gegensatz zu den Schwärmern, die dem Geistlichen den Vorrang
geben wollen. Aber hier setzt doch bei mir ein grundsätzlicher
Widerpruch ein: es geht im ganzen Zusammenhang
von 1. Kor. 15 doch um den Übergang zu ganz anderen Kategorien
und Denkformen, die von den Gnostikern nicht mehr
erreicht werden können: Paulus kämpft hier um die Erneuerung
und Vollendung der Menschheit im eschatologischen Sinn. Die
restitutio der Menschheit ist der Apokalyptik wichtig geworden
. Die Gnosis in Korinth ist doch nichts anderes als eine
das Christentum zersetzende Schwärmerei.

Damit soll nun nicht die religionsgeschichtliche Frage in
ihrem Ernst und in ihrem, theologischen Gewicht außer acht
gelassen werden. Der eigentliche Grundansatz der paulinischen
Christologie liegt allerdings in Kreuz und Ostern, also unmittelbar
im Heilsge6chehen selbst, was oft verkannt wird. Die
Adam-Haggada, um die es typologisch in 1. Kor. 15 und
Rom. 5, 12—21 geht, wird wohl weithin von den Exegeten
zugestanden; offenbar hat Paulus sie spurweise aufgenommen.
Auf sie hatte H. J. Schoeps in der Auseinandersetzung mit
E. Käsemann gelegentlich hingewiesen („Urgemeinde, Judenchristentum
, Gnosis" 1956, 42): „die altjüdische guf-Vor-
stellung, daß Adam wie Christus als Anfänger der Menschheit
,Seelenbehälter' 6eien, liegt für Paulus wahrscheinlich viel
näher als die gnostische Gewandmystik". Über das angeblich
tannaitische Alter der guf-Vorstellung setzt sich E. Br. mit
anderen Exegesen und religionsgeschichtlichen Argumentationen
auf S. 142, Anm. l auseinander. Aber diese Positionen
genügen E. Br. nicht und werden von ihm
mit Schärfe bekämpft. Er macht auf den dualistischen
Gegensatz aufmerksam, der zwischen den beiden
Existenzweisen besteht und auch in außerchristlichen Texten
nachgewiesen werden kann. Auf keinen Fall darf man diesen
gnostischen Hintergrund verkennen, denn diesem Dualismus
entspricht die Vorstellung der „Erlösung": sie schließt das
Einswerden mit dem himmlischen Anthropos, das „Tragen"
seiner Gestalt und das „Anziehen" 6eines Gewandes in sich.
In der Auseinandersetzung mit E. Käsemann („Leib und Leib
Christi" 1933), der von kosmologischen Voraussetzungen ausgegangen
war, will E. Br. die anthropologischen Komponenten
des Mythos stärker herausstellen (S. 151 ff.): die Erlösung der
Menschheit hängt aufs engste mit dem Erlöserleib und dem
Urmenschdenken zusammen.

In einem zweiten großen Hauptteil wendet sich dann der
Verfasser den exegetischen Einzelproblemen von Rom. 5, 12—21
zu. Wichtig ist ihm, daß Rom. 5, 13—14 und 7, 7—13 nicht
aufeinander bezogen werden dürfen: der erste Zusammenhang
spricht heilsgeschichtlich-menschheitlich, der zweite behandelt
die historisch nicht faßbare „Urgeschichte" des Menschen. Der
er6te Abschnitt enthüllt die Sünde als Verderbensmacht; der
zweite Abschnitt zeigt, wie auch der unter dem Gesetz stehende
Mensch von der Macht der Sünde erfaßt wird. Die antithetische
Adam-Christus Typologie stand durch den „Entsprechungsgedanken
" (S. 68 ff. 241) im Bannkreis eines gnostischen Ur-
motivs. Auf keinen Fall dürfen wir Paulus ausschließlich aus
jüdisch-apokalyptischen Motiven heraus verstehen (S. 245).
Das Gesetz ist in die Macht der Sünde geraten und muß sie zu
ihrer höchsten Steigerung und Machtentfaltung treiben, aber
Gesetz und Sünde müssen doch zugleich der Gnade Gottes
dienen (S. 253). Die religionsgeschichtliche Position E. Br.'s
wird klar und konsequent durchgeführt: ihre Analyse ergibt eine
eigenartige Brechung verschiedener, ja gegensätzlicher Grundelemente
(vgl. das Ergebnis S. 247: „gnostische, apokalyptische
und doch auch juristisch-kultische Sprache und Vorstellung in
einander" — man beachte die eigentümliche Anordnung). Bei
einer weiteren Diskussion über Rom. 5, 12—21 wird aber diese
Grundposition E. Br.'s Beachtung finden: sie will Lücken ausfüllen
, die in der exegetischen Diskussion offen geblieben sind.
Gut finde ich die anhangsweise durchgführte Auseinandersetzung
mit A. Nygren und K. Barth („Christus und Adain
nach Rom. 5." Theol. Studien 35, 1952). Hier kann E. Br.
ohne religionsgeschichtliche Hemmung die ungebrochene Position
gegen jede Nähe einer gnostischen Vorstellung durchhalten
(S. 278).

Sollte die Bultmannschc Konzeption der urchristlichen
Gnosis, die von E. Käsemann 1933 weiter entfaltet wurde, sich
wissenschaftlich durchhalten, dann wird sie in der Neufassung