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Ausgabe:

1964

Spalte:

267-269

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Pelletier, André

Titel/Untertitel:

Flavius Josèphe, adaptateur de la lettre d'Aristée 1964

Rezensent:

Weiß, Hans-Friedrich

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267

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 4

268

fUDAICA

Pelletier, Andre, S. J.: Flavius Josephe adapteur de la lettre
d'Aristee. Une reaction atticisante contre la Koine. Paris: Klinck-
sieck 1962. 360 S. 4° = Etudes et commentaires XLV. N. F. 60.—.

Zur Frage der Quellenbenutzung durch Josephus wie auch
zu den mit der Sprache und dem Stil des Josephus gegebenen
Problemen existiert bereits eine ganze Reihe von Untersuchungen1
. Hierbei ist man in der bisherigen Forschung zu im
wesentlichen übereinstimmenden Ergebnissen gelangt. Was das
Problem der „Sprache" des Josephus betrifft, so stimmt man
vor allem darin überein, daß Josephus in gewisser Hinsicht der
zu seiner Zeit verbreiteten sprachlich-puristischen Bewegung
des sogen. „Attizismus" zuzurechnen ist bzw. eine „attizisti-
sche Koine" schreibt2. Etwas schwieriger liegen die Dinge hinsichtlich
der Frage nach der Benutzung von Quellen durch
Josephus, und zwar vor allem auf Grund dessen, daß die von
ihm benutzten Quellenwerke zum weitaus größten Teil nicht
mehr erhalten sind.

Angesichts dessen ist es bemerkenswert, daß in der gesamten
bisherigen Forschung noch nicht der Versuch unternommen
worden ist, beide Fragen bzw. Probleme anhand einer
Schrift zu erörtern, die zu einer solchen Untersuchung geradezu
herausfordert: anhand des sogen. „Aristeasbriefes". Daran,
daß dieses Pseudepigraph hinsichtlich seiner Sprache der in der
Septuaginta vorliegenden Koine rtahesteht, besteht kein
Zweifel; ebensowenig ist aber auch daran zu zweifeln, daß
Josephus den Aristeasbrief bzw. gewisse Partien daraus im
12. Buch seiner „Altertümer" (§§ 12 ff.) als Quelle für seine
Darstellung der Ptolemäerzeit benutzt hat3.

Beide Fragen werden nunmehr in aller gebotenen Ausführlichkeit
vom Verf. in dem hier zu besprechenden Werk
erörtert. Das sachliche Gewicht der Untersuchung liegt dabei —
wie bereits im Untertitel zum Ausdruck kommt — auf der
Frage nach dem „Attizismus" des Josephus gegenüber der
„Koine" des Aristeasbriefes, also in erster Linie auf rein
sprachlichen Erörterungen. Die Ergebnisse, zu denen der Verf.
im Gange seiner Untersuchungen gelangt, bewegen sich —
aufs Ganze gesehen — durchaus im Rahmen dessen, was in
bezug auf die genannten Fragen bereits in der bisherigen Forschung
erarbeitet worden ist. Diese Feststellung beinhaltet
keineswegs eine Kritik an dem, was der Verf. erarbeitet hat.
Denn der eigentliche Wert — und wohl auch die Absicht — der
hier vorgelegten Untersuchungen besteht darin, daß der Verf.
das, was bisher bereits als Gemeingut der Josephus-Forschung
galt, anhand eines konkreten Beispieles zur Evidenz erhoben
hat. Die Bedeutung des Werkes sowohl für die Erkenntnis der
sprachlichen und sachlichen Eigenart des Aristeasbriefes als
auch für ein sachgemäßes Verständnis der entsprechenden
Partien aus den „Altertümern" des Josephus kann schwerlich
überschätzt werden. Im Rahmen einer Besprechung ist es unmöglich
, den ganzen Reichtum des hier ausgebreiteten Materials
wiederzugeben. Rez. muß sich deshalb begnügen, die
Grundlinien des Werkes sowie die Absicht des Verf.s zu verdeutlichen
.

Aufbau und Gliederung des Werkes sind im wesentlichen durch
den Gegenstand selbst gegeben. Die ersten zehn Kapitel — und damit
der Hauptteil des Buches (S. 17—206) — enthalten einen ausführlichen
— in erster Linie sprachlichen — Kommentar zum Aristeasbrief
(§§ 9 ff.) sowie zu Josephus, Ant. XII 12 ff. Es schließen sich

*) Zur Quellenbenutzung durdi Josephus vgl. etwa G. Hölscher,
Artikel „Josephus" in: Pauly-Wissowa RE IX, Sp. 1944 ff.; G. Stählin
, Josephus und der Aristeasbrief, ThStKr 102 (1930), S. 324—331,
sowie die daselbst (S. 324, Anm. 1 ) angeführte Literatur. — Zur
„Sprache" des Josephus vgl. die in der Bibliographie bei A. Pelletier,
S. 12 f., genannte Literatur; vgl. auch G. Hölscher, a.a.O., Sp. 1998.

2) Vgl. z.B. A. Debrunner, Geschichte der griechischen Spracheil:
Grundfragen und Grundzüge des nachklassischen Griechisch, Berlin
1954, S. 94. 99, sowie die hier (S. 99, Anm. 2) genannte Literatur.

s) G. Stählin, der in der Benutzung des Aristeasbriefes durch
Josephus einen „Typus antiker Quellenbenutzung" sieht (a. a. O.,
S. 325), beschränkt sich darauf, einige wenige inhaltliche Differenzen
zwischen dem Aristeasbrief und der „Paraphrase" des Josephus herauszustellen
.

vier Kapitel an, in denen — unter den Stidiwörtern „La grammaire",
„L'ordre des mots", „L'harmonie du 6tyle", „Les clausules" — das
zuvor ausgebreitete Material philologisch ausgewertet wird (S. 207
—249). Die „Conclusions" (S. 251—276) enthalten bereits sehr deutliche
Hinweise darauf, daß die Untersuchungen des Verf.s keineswegs
nur philologische Bedeutung haben. Besonders sei auch auf die
dem Werk beigegebenen sieben Exkurse hingewiesen, deren dritter
(,','Ayios en milieu diretien") und fünfter („La designation de l'Ancien
Testament en grec") in besonderer Weise das Interesse des theologischen
Lesers finden dürften. Ein ausgezeichnetes Hilfsmittel für die
Benutzung des Werkes stellen die „Appendices" (S. 307—360) dar,
vor allem eine synoptische Anordnung des Aristeas- und des entsprechenden
Josephus-Textes sowie schließlich eine Übersicht über das
vom Verfasser des Aristeasbriefes und von Josephus benutzte
Vokabular.

Das Ergebnis der Untersuchungen des Verf.s läßt sich folgendermaßen
zusammenfassen: Josephus hat sich bei der Benutzung seiner
Vorlage in Ant. XII 12 ff. nicht sklavisch an deren Text gehalten,
vielmehr stellt Ant. XII 12 ff. eine selbständige Bearbeitung bzw.
eine „Paraphrase" des Aristeasbriefes dar (S. 7. 251 f.); für die Textherstellung
und Textkritik des letzteren kann also der Text des
Josephus in Ant. XII 12 ff. nur mit Vorbehalt benutzt werden
(S. 263); hier stimmt des Verf.s Urteil ganz mit dem überein, was
seinerzeit bereits P. Wendland in seiner kritischen Ausgabe des
Aristeasbriefes (Aristeae ad Philoeratem epistula, Leipzig 1900,
S. IX. XXII) zu diesem Problem bemerkte. Weit wichtiger ist jedoch,
daß die Paraphrase des Josephus zugleich „une reaction atticisante
contre la Koine" beinhaltet. Da die Absicht des Verf.s ja gerade in
dem Nachweis dieser „reaction atticisante" besteht, wird man allerdings
an dieser Stelle eine kritische Frage an den Verf. nicht unterdrücken
dürfen: Bekanntlich teilt Josephus an einigen Stellen seiner
Schriften (vgl. Ant. I 7; XX 263; Bell. I 3 und besonders contra
Ap. I 50) mit, daß er selbst von Haus aus der griechischen Sprache
nicht mächtig war und sich — trotz aller eigenen Bemühungen (vgl.
besonders Ant. XX 263) — bei der Abfassung bzw. Übersetzung
seiner Werke ins Griechische sprachlicher Mitarbeiter bediente. Nidits
liegt näher als die Annahme, daß der „Attizismus" in der Sprache
des Josephus nicht auf diesen selbst, sondern auf eben diese Mitarbeiter
zurückgeht4. Auf diesen Tatbestand — oder vorsichtiger:
auf dieses Problem — geht der Verf. im Gange seiner Untersuchungen
mit keinem Worte ein. Freilich ist zu berücksichtigen, daß die mit
den genannten Stellen aufgeworfenen Fragen am Endergebnis der
LIntersuchungen des Verf.s kaum etwas ändern würden, zumal da der
„Attizismus" der Mitarbeiter des Josephus dessen eigenen Intentionen
durchaus entsprach. Denn — und dies wird durch das vorliegende
Werk in glänzender Weise bestätigt! — Josephus schrieb ja nicht aus
eigentlich historischen Beweggründen im Sinne des modernen Historikers
, sondern aus apologetischen und — wie der Verf. hinzufügt —
aus didaktischen Motiven. Insofern also kam der „Attizismus" seiner
sprachlichen Berater seiner eigenen Absicht voll und ganz entgegen,
da ja gerade dadurch seine Schriften dem gebildeten Leser seiner Zeit
empfohlen wurden. Hier kann man nur noch unterstreichen, was der
Verf. — im Anschluß an M. Croiset, Histoire de la Litterature grecque
V, Paris 1899, S. 337 f. — feststellt: „Josephe est precisement un de
ces historiens qui cerivent moins pour leurs compatriotes que pour
les Romains..." (S. 273; zur schriftstellerischen Absicht des Josephus
vgl. überhaupt S. 270 ff.). Es bedarf hier wohl kaum noch eines besonderen
Hinweises darauf, daß damit auch wieder die Frage nach
der historischen Zuverlässigkeit der Schriften des Josephus gestellt
wird. Mit Recht weist der Verf. in diesem Zusammenhang auch auf
den orthodox-pharisäischen Standpunkt de6 Josephus hin (S. 271 f.),
der ja ohne jeden Zweifel audi seine Darstellung des Judentums vor
der Tempelzerstörung beeinflußt hat. In dieser Beziehung ist es ja
für die apologetisch-didaktischen Absichten des Josephus in besonderer
Weise charakteristisch, wenn er die versdiiedenen Gruppierungen
innerhalb des Judentums als „Philosophenschulen" bezeichnet
(Ant. XVIII 11). Diese unhistorische Betrachtungsweise des Josephus
kommt auch in seiner Paraphrase des Aristeasbriefes zum Ausdruck.
In diesem Zusammenhange ist jedenfalls die Bemerkung des Verf.s zu
verstehen (S. 268): „Certains affaibli ssements viennent de ce que la
Paraphrase se place dans la perspective historique de l'epoque des

Flaviens....." (vgl. auch S. 269).

Die apologetisch-didaktische Absicht des Josephus wirkt
sich nun aber nicht nur hinsichtlich der historischen Darstellungsweise
aus, sondern auch in sachlicher Beziehung: Auch
in der Paraphrase des Aristeasbriefes findet sich bei Josephus
eine Fülle von terminologischen Anleihen aus dem Bereich der
hellenistisch-philosophischen Tradition, insbesondere aus dem
Bereich der Stoa. Der Verf. spricht in diesem Zusammenhang

4) Vgl. z.B. G. Hölscher, a.a.O., Sp. 193 5 f.