Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1964

Spalte:

265-266

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Waldow, Eberhard von

Titel/Untertitel:

Der traditionsgeschichtliche Hintergrund der prophetischen Gerichtsreden 1964

Rezensent:

Tannert, Werner

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

265

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 4

266

diesen Bericht über die Sünde" erzählt (S. 94). Endlich 6ehen die
Propheten die Sünde „nicht nur individuell; 6ie [die Sünde] ist
auch, und zwar wesensmäßig, sozial. Sie wird von einer Gesellschaft
, einem ganzen Volk, einer Kaste, einer sozialen Klasse
begangen" (S. 189). So gewiß Jesus sich, in der Nachfolge der
Propheten „zwischen die .Kollaborateure' und die .Widerständler
' gestellt, an die ureigene und paradoxe Dimension seiner
Sendung (hielt), die nicht national, sondern universell war, . . .
und zwar eben in dem Maße, in dem die Berufung des Volkes
Gottes eine universelle Berufung ist" (S. 195 f.), so gewiß „erklärt
er", aus einfachem Milieu hervorgegangen, „daß er mit
den Armen, den Betrübten, den Verfolgten, den Bedrückten eins
ist, und diese Einheit ist nicht nur bildlich oder moralisch gemeint
: sie ist sakramental, es handelt sich um die wirkliche
Gegenwart Jesu in jedem Menschen, der Opfer der Ungerechtigkeit
und bekümmert ist" (S. 198). Aber „genau wie Israel hat
auch die Christenheit mit den Götzen der Nationen, mit den
Gottheiten der Macht, der Fruchtbarkeit, der Beherrschung, des
Besitzes, mit den Geldmächten gehurt" (S. 201). In diesem
leidenschaftlichen Appell an das soziale Gewissen der Christenheit
klingt das Buch aus.

Das französische Original ist sprachlich noch schärfer geschliffen
als die Übersetzung, von deren Sprachgestalt die gegebenen
Zitate ein Bild vermitteln mögen. Bei manchen bibelkritischen
Bemerkungen blättert man noch einmal zurück auf
die Rückseite der Titelei und überzeugt sich, daß wirklich das
kirchliche Imprimatur gegeben ist!

Güttingen Johannes Hempel

Waldow, Eberhard von: Der traditionsgeschichtliche Hintergrund
der prophetischen Cerichtsreden. Berlin: Töpelmann 1963. VII, 53 S.
gr. s° = Beihefte z. Zeitschrift f. d. alttestamentl. Wissenschaft,
hrsg. v. G. Fohrer, H. 8 5. DM 10.—.

Die vorliegende Studie möchte über das formgeschichtliche
Problem der prophetischen GerichtsTeden hinaus durch eine
traditionsgeschichtlichc Fragestellung zu einem weiteren Verständnis
dieser viel diskutierten Gattung führen. Nach einer Einführung
in die Problemgeschichte (§ l) wird die zuletzt von Boecker
(Redeformen des israelitischen Rechtslebens, Diss. Bonn 1959)
vorgetragene Profangeschichtshypothese kritisch ausgewertet
(§ 2 Die prophetische Gerichtsrede und die profane Gerichtsverhandlung
— § 3 Die Rollenverteilung in den prophetischen
Gerichtsreden): „In sämtlichen prophetischen Gerichtsreden ist
Jahwe selbst der Richter, ganz gleich, ob er nun identisch ist
mit dem Ankläger oder mit dem Verteidiger" (S. 18). Diese
Identität aber setzt der Ableitung aus dem profanen Rechtsbereich
eine Grenze, insofern das sakrale Bild ohne profane
Parallele innerhalb israelitischer Rechtspraxis bleibt. So muß
weitergefragt werden nach den vorgegebenen Traditionen, welche
die Propheten nötigten, Jahwe als Richter mit einer der Rechtsparteien
zu identifizieren. Deshalb untersucht der Verf. den Inhalt
prophetischer Gerichtsreden auf dem Hintergrunde der
Bundestheologie (§ 4) und versucht, Anklagereden (§ 5) und
Verteidigungsreden (§ 6) im Rahmen der Bundesvorstellung darzustellen
. § 7 behandelt im Exkurs die Gerichtsreden bei Deu-
terojesaja. In 4 Punkten (§6, S. 41 f.) wird das Ergebnis der
Untersuchung zusammengefaßt: Nicht au6 dem Kultus (gegen
Würthwein) läßt sich die Form der prophetischen Gerichtsreden
erklären (l), sondern als Entlehnung aus profaner Gerichtspraxis
(2). Dabei legten es die in Rechtskategorien formulierten
Traditionen vom Jahwebund den Propheten nahe, die im Rechtsleben
gebräuchlichen Formen für ihre Gerichtsbotschaft zu übernehmen
(31. Diese Formen eröffnen die Möglichkeit, „das Volk
auf die Rolle festzulegen und es dafür zur Rechenschaft zu ziehen
, in die es sich als Gottesvolk durch seine Verschuldung
(Angeklagter) oder durch seine Anmaßung (Kläger) selbst begeben
hatte" (4). Damit ist der sachliche Hintergrund aufgewiesen
und die traditionsgeschichtliche Richtung angezeigt. Mehr
wird man von dieser Untersuchung in diesem Umfang nicht erwarten
dürfen. Hier liegt aber auch die Grenze dieser Studie,
deren Verf. offensichtlich von der formgeschichtlichen Arbeit
herkommt (cf. S. 11, Anm. 24). Sie vermag in einigen Punkten
die traditionsgeschichtliche Fragestellung nicht ganz unvoreingenommen
und differenziert genug durchzuführen. Für die
Weiterarbeit wird man fragen müssen: Ist innerhalb der Über-
lieferungsgeschichte nur nach solchen Traditionen zu suchen, die
in juristische Formen gebunden sind (S. 31)? Kommt es von
daher nicht allzu leicht zu einer von der Gattungsgeschichte beeinflußten
einseitigen Interpretation der traditionsgeschichtlichen
Inhalte? Jer. 2, 1—3 z. B. wird formal richtig als „Fremdverteidigungsrede
" angesprochen (S. 32). Aber worin sind Vergebungsbereitschaft
Jahwes und Neuanfang Israels inhaltlich begründet
? Von einer Rechtskategorie der Begnadigung steht an
dieser Stelle eben nichts. Vielmehr liegt hier eine Sonderform
der Erwählungstradition im Bilde der Brautzeit vor („Harmonietradition
" cf. Bach, Die Erwählung Israels in der Wüste, Diss.
Bonn 1952; Tannert, Jeremia und Deuterojesaja, Diss. Leipzig
1956). Ferner erscheint die durchgängige Berufung auf die
Bundesvorstellung zu allgemein, weil neben und hinter dem
berith-Verständnis noch eine Fülle von Überlieferungen zu vermuten
ist, die in die Bundestheologie eingearbeitet worden
sind. Schließlich wäre zu fragen, ob man jede Zweifelsfrage
Israels als Anklage und jede Klage gegenüber Jahwe als „juristischen
Selbstmord" (S. 37) bezeichnen muß. In dem von Begrich
nachgewiesenen älteren berith-Verständnis liegt bereits ein
Anhaltspunkt zur späteren Pervertierung eines genuin israelitischen
Bundesbegriffes durch kanaanäisches Rechtsdenken vor:
Weil Jahwe sich nur einseitig band, konnte das Volk klagen,
er habe die schalom-Zusage nicht eingehalten. Daß Israel klagt,
zeigt, daß es aus der späteren Sicht der Partnerschaft nicht mehr
die Größe des berith-gewährenden Souveräns sah. Darum zieht
Deuterojesaja David- und Noah-Bund (nirgends den Sinaibund)
als Vorbilder seiner Zukunftsbotschaft heran, überwindet damit
den verrechtlichten Bundesbegriff zur Zeit Jeremias und erreicht
noch einmal das ursprüngliche Verständnis der berith. —
Der Studie eignet der ernsthafte Versuch einer aufbauenden
Synthese von form- und traditionsgeschichtlicher Sicht. Dabei
sollte jedoch das proprium übcrlieferungsgeschichtlicher Aussage
weiter durchdacht werden.

Dresden Wernor Ta n n e r t

A u z o u, Georges: Als Gott zu unseren Vätern sprach. Geschichte
der Heiligen Schriften des Gottesvolkes. Übers, v. S. Loersch. Freiburg
-Basel-Wien: Herder [1963]. 400 S. 8°. Lw. DM 27.50.

Beirne, D.: A Note on Numbcrs 11,4 (Biblica 44, 1963 S. 201
-203).

D a h o o d, M.: Denominative rihham, "to coneeive, enwomb"

(Biblica 44, 1963 S. 204—205).
Fohre r, Georg: „Priesterliches Königtum", Ex. 19,6 (ThZ 19,

1963 S. 359—362).
Janssen, Enno: Qumran (VF 1960/62 S. 69—73).
Jeremias, J.: Qumran et la Theologie (NRTh 95. 1963 S. 674

—690).

Kraus, H.-I.: Umstrittene Bibel (VF 1960/62 S. 28—30).

Lella, A. di: Authenticity of the Geniza Fragments of Sirach

(Biblica 44, 1963 S. 171—200).
Porteous, Norman W.: The Present State of Old Testament

Theology (The Expository Times 75, 1963 S. 70-74).
Rad, Gerhard von: Theologie des Alten Testaments. Bd. 1: Die

Theologie der geschichtlichen Überlieferungen Israels. Unveränd.

Nachdruck d. 4 Aufl. Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1963]. 511 S. gr. 8°.

(s. Bespr. in ThLZ 1961,11, Sp. 801 u. 1961,12, Sp. 895.)
Schökel, L. Alonso. The Old Testament, a Christian Book (Biblica

44, 1963 S. 210—216).
Seeligmann, Isac Leo: Menschliches Heldentum und göttliche

Hilfe. Die doppelte Kausalität im alttcstamentlichcn Geschichtsdenken
(ThZ 19, 1963 S. 385—41 1).
Smend, Rudolf: Überlieferungsgeschichtliche Forschung (VF 1960/62

S. 3 5-42).

Snaith, John G.: The Importance of Ecclesiasticus [The Wisdom of

Ben Sira] (The Expository Times 75, 1963 S. 66—69).
Strohe 1, Albert: Wort Gottes und Mythos im Alten Testament

(Catholica 17, 1963 S. 180—196).
V i a n a, J. Enciso: Cömo se formö la primera parte del libro de los

Salmos? (Biblica 44, 1963 S. 129—158).
Waldow, Eberhard v.: Zur Traditionsgeschichte und Theologie des

Alten Testaments (VF 1960/62 S. 42—47).
Williamson, R.: Platonism and Hebrews (Scottish lournal of

Theology 16, 1963 S. 415—424).