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Ausgabe:

1964

Spalte:

263-265

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Tresmontant, Claude

Titel/Untertitel:

Sittliche Existenz bei den Propheten Israels 1964

Rezensent:

Hempel, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 4

264

lesung" (S. 367—368) —, die sonst photomechanische Reproduktionen
der „Appendixes" der zweiten englischen Ausgabe darstellen
, sind die englisch abgefaßten Anmerkungen ins Deutsche
übertragen; 3) Ebenso ist das Verzeichnis der Tafeln, die ebenfalls
aus dem englischen Original übernommen sind, eine Übersetzung
der „List of the Plates" ins Deutsche; 4) Die Sach-,
Namen- und Stellen-Register (S. 371—395) sind völlig der
Übersetzung angepaßt, also ganz neu gearbeitet; 5) Hinzugefügt
ist auf S. 396—398 ein chronologisch geordnetes Verzeichnis
der Schriften Paul Kahles aus den Jahren 1898—1961 mit Angabe
der Seiten des vorliegenden Buches, auf denen sie genannt
werden; 6) S. 399—402 bringen aus der Feder Rudolf
Meyer's herrührende Nachträge, die zumeist auf neueste Literatur
hinweisen.

In seiner Vorbemerkung bittet der Herausgeber um Verständnis
für einige Inkonsequenzen im Satz. Aber bei diesen bedarf es solch
einer Bitte eigentlich ebensowenig wie bei sonstigen kleinen Unebenheiten
, die dem Leser auffallen könnten. Denn in den wenigen
Fällen, da dergleichen vorkommt, verschwinden diese Anstöße ganz
von 6elbst. Das gilt etwa von der unten auf S. 337 stehenden, im Ich
Kahles gehaltenen Bemerkung: „Die vorstehende Übersetzung der
Novelle Justinians ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit Prof.
F. Schulz, meinem einstigen Bonner juristischen Kollegen", die der
Leser sofort dahin transponieren wird: „Die der vorstehenden Übersetzung
zugrunde liegende englische Übersetzung der Novelle Justinians
. . .", oder von der Setzung des Namens (A. Murtonen) an das
Ende der Anmerkungen von S. 365 — 366, die so verstanden werden
kann, als ob die Gesamtheit dieser Anmerkungen von Murtonen
herrühre, während nach Ausweis der diesem Namen auf S. 338 der
englischen Ausgabe zugewiesenen Stelle nur der letzte Absatz dieser
Anmerkungen auf Murtonen zurückgeht und dieser Tatbestand bei
näherem Zusehen sich dem Leser auch alsbald offenbaren wird. Auch
die der englischen Übersetzung "The man of the precious things"
entsprechende Wiedergabe des in Mose's ben Aser Liede vom Weinstock
vorkommenden nTTIttTI "C"1*? mit „Der Mann der Kostbarkeiten"

(S. 92) stört kaum, wird vielmehr von dem Leser stillschweigend in
„Der Liebling" oder dergleichen geändert werden. So hat Rudolf
Meyer mit seinen Helfern Hans-Friedrich Weiß und Jutta Körner dem
englischen Original eine seiner würdige, es in Einzelheiten gar übertreffende
deutsche Parallelausgabe an die Seite gestellt und es dadurch
auch dem deutschen Leser leicht gemacht, Kahles Werk, das auf
weite Sicht für den Urtext und die alten Übersetzungen der
hebräischen Bibel jedenfalls insofern maßgebend bleiben wird, als es,
wenn auch nicht alle da aufbrechenden Fragen endgültig gelöst, so
doch den Zugang zu dem hier in Betracht kommenden Textmaterial
eröffnet, die von ihm gestellten Probleme aufgezeigt und schon dadurch
zu ihrer Lösung wesentlich beigetragen hat, gründlich zu studieren
.

Ilalle/Saale Otto E i B fei d t

Tres montan t, Claude: Sittliche Existenz bei den Propheten Israels
. Übers, von H. P. M. S c h a a d. Freiburg/Br. - Basel -Wien:
Herder [1962]. 204 S. 8°. Lw. DM 16.80.

In seinen beiden Teilen, von denen der erste (Die biblische
Metaphysik, S. 7—58), wie der Verfasser S. 161 selbst erklärt,
zwei ältere Arbeiten (Essai sur la pensee hebraique, Paris 1953
und Etudes de metaphysique biblique, Paris 1955) zusammenfaßt
und der zweite (Die Sittenlehre der Propheten Israels, S. 59
—204) das eigentliche Thema des Bandes behandelt, ist der
Hauptgegner, gegen den sich die volle Leidenschaft des Autors
richtet, der Mythos. In immer neuen Wendungen — heute am
150. Geburtstag des Künstlers habe ich nicht ohne Schmunzeln
von dem „tragischen und wagnerianischen Reiz" gelesen, der die
griechische Mythologie, samt den „christlichen Gnostikern, der
jüdischen Gnosis der Kabbala" und weiter „Böhme, Schelling
und Hegel" erfüllt (S. 28) — wird der Schöpfungsgedanke gegen
jeden Glauben an eine Aseität der Welt, an die Weltentstehung
aus Theomachie und Theogonie, an einen vorzeitlichen Fall der
Seelen in die Leiber und alle verwandten Vorstellungen abgegrenzt
und zugleich seine Übereinstimmung mit der Wirklichkeit
betont. Natürlich verkennt auch Tr. nicht, daß viele der
biblischen Einzelvorstellungen von der Schöpfung „naiv",
„falsch" sind — wo dann die Grenze zwischen falschen und
richtigen Vorstellungen in den „inspirierten" Texten verläuft,
bleibt im einzelnen unausgesprochen — aber die unmythologische
„Struktur" der biblischen Metaphysik wird klar herausgestellt.

Das abschließende Bild gewinnt dann folgende Züge: „Die positiven
Wissenschaften, die Wissenschaft und die Lektüre des
heiligen Textes zeigen sich so in dialektischer Beziehung zueinander
: das Zwiegespräch zwischen den positiven Wissenschaften
und der biblischen Hermeneutik zwingt diese, die Ungültigkeit
bestimmter Vorstellungen, bestimmter bildlicher Darstellungen
zu erkennen, während der inspirierte Text den christlichen
Wissenschaftler und Philosophen davor bewahrt, ihre Entdeckung
des Wirklichen in den Kategorien einer heidnischen, pantheisti-
schen Philosophie zu interpretieren, zu der sich der menschliche
Verstand allzu spontan hingezogen fühlt. Die Entdeckung der
positiven Wissenschaft betrifft das Wie der Schöpfung, die uns
die Bibel und die Überlieferung lehrt. Dieses Wie konnte nicht
durch die Offenbarung mitgeteilt werden. Es muß durch die
Arbeit und die wissenschaftliche Forschung des Menschen entdeckt
werden."

Nicht minder ist der zweite Teil gegen den Mythos gerichtet
, etwa gegen jene 6chon erwähnten Glaubensgedanken von
einem Sturz der Seelen in die Leiber. Die Sünde ist kein vorzeitliches
oder vormenschliches Ereignis, sondern „die Sünde des
Menschen folgt dieser Schöpfung erst nach" (S. 64), während
die Schöpfung selbst „die Frucht eines freiwilligen und gesegneten
Entschlusses ist, ein Werk, das als sehr schön und sehr gut
beurteilt wird" (ebenda). Ist aber — im Unterschied namentlich
von den ausführlich gegebenen indischen (und verwandten griechischen
) brahman-ataicm-Spekulationen — der einzelne Mensch
Geschöpf Gottes und das heißt zugleich Gegenstand seiner
Liebe, so ist damit die wesentlichste sittliche Forderung der
Propheten Israels wie der Bibel überhaupt gegeben: die Liebe
zu dem anderen Menschen, in erster Linie zu dem Menschen,
der dieser Liebe in besonderem Maße bedürftig ist, der Arme,
der Sklave. Zwar wäre „der menschliche Verstand von Natur
aus (nicht) unfähig, den Schöpfergott oder die natürlichen Forderungen
der Gerechtigkeit von der Schöpfung aus zu erkennen",
tatsächlich aber ist nur „in Israel der menschliche Verstand zur
Erkenntnis Gottes und zur Unterscheidung der Forderung der
Gerechtigkeit den Menschen gegenüber und in Gegenwart Gottes
gelangt" (S. 8 3). Sie konnte nur hier auftauchen, weil „die
vollkommene Forderung nach Gerechtigkeit dem Menschen gegenüber
nur im Rahmen einer . . . Weltschau auftauchen (kann),
die dem Menschen eine solche Würde und einen solchen Wert
zuerkennt, daß er die Ordnung der Natur radikal transzendiert:
dem Menschen gegenüber ist nicht alles beliebige erlaubt" (S. 84).
Von diesen Grundgedanken aus wird nun das sittliche Bild der
Ur- und Abrahamsgeschichte sowie das ethische Fordern der
einzelnen Propheten vorgeführt, ohne daß dabei exegetisch oder
biblisch-theologisch wesentlich neue Momente herausträten. Auf
drei Momente muß aber abschließend hingewiesen werden: Der
Zusammenhang, in dem für Tr. „die Erkenntnis Gottes und die
Übung der Gerechtigkeit . . . miteinander verknüpft" sind (S. 98).
Am Beispiel der Kindesopfer wird dieser Zusammenhang besonders
evident: Für die Gesetzgebung und Prophetie des AT gilt:
„Das Idol ist nichts, es ist ein von Menschenhand geschaffener
Mythus, und Israel opfert den Menschen nicht den Todesgötzen,
den Mythen des Nichts" (S. 128), eine Haltung, die freilich nicht
von Anfang an gegenüber den heidnischen Sitten vorhanden
war, sondern das Ergebnis eines Entfaltungsprozesses, eines
„humanistischen Realismus" ist (ebenda). Bi6 heute freilich ist
die Darbringung der Söhne — an die nationalistischen, imperialistischen
, rassistischen Idole — irr der christlichen Kirche nicht
zu Ende. „Heute warten die Völker im allgemeinen, bis ihre
Kinder zwanzig Jahre alt sind und schicken sie erst dann ins
Feuer und lassen sie massakrieren" (S. 103). Das zweite wichtige
Moment i6t dieses, daß Tr. den als Folge der Sünde geltenden
Tod nicht in dem physiologischen Tod zu sehen vermag,
der sich nach Gen 2, I7ff. „aus unserer natürlichen Situation (ergäbe
), aber Absicht des Schöpfers ist es gewesen, uns dieses
natürliche biologische Gesetz überwinden zu lassen, wenn
die Sünde uns nicht hätte in die Ordnung der Natur zurücksinken
lassen" (S. 161 Anm.). Ja, „wahrscheinlich ist der Bericht
über die Sünde in der jahwistischen Fassung nachträglich
hinzugefügt worden", während „ein früherer Grundbericht die
Schöpfung des Menschen und seine Rückkehr zum Staub ohne