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Ausgabe:

1964

Spalte:

258-259

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Stieglecker, Hermann

Titel/Untertitel:

Die Glaubenslehren des Islam 1964

Rezensent:

Paret, Rudi

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 4

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der Totemismus, das Höchste Wesen, mythische Urzeitwesen
und Heilbringer, die Ahnenverehrung sowie der Götterglaube
besprochen. Der nächste große Abschnitt über den Mythus
(S. 124-160) enthält folgende Teile: der Mythus in ethnologischer
Sicht, die Schöpfergestalten, der Schöpfungsvorgang, Urzeit
und Sintflut, der Ursprung des Todes, die Veränderungen
am Ende der Urzeit, der Ursprung der einzelnen Wirtschaftsformen
, die Herkunft des Feuers, der Ursprung des Geschlechtslebens
, der Ursprung der Sitten, Riten und Institutionen. In
dem dritten großen Kapitel über den Kult (S. 161-234) werden
der Kultort, die Objekte des Kultes, die Kultmittel, die Kult-
personen, die Initiation und die Bedeutung der Bünde im Kult,
der Totenkult sowie der Kult im Kulturwandel abgehandelt.
Ein kürzerer Abschnitt über Symbol und Ornament (S. 23 5—245)
enthält Ausführungen über das Ornament in ethnologischer
Sicht, die biomorphen sowie die geometrischen Ornamente als
Symbole. Abschließend wird etwas über Zahlensymbolik gesagt
und ein Ausblick gegeben, in dem auf Einwirkung der auf
hochkulturlichem Boden hervorgegangenen Mystik sowie auf die
durch Europäisierung und Christianisierung bewirkten Veränderungen
eingegangen wird. Literaturverzeichnis und Sachregister
beschließen das Buch.

Gegenüber den anderen Darstellungen in der „Symbolik
der Religionen" zeigt diese Arbeit Herrmanns einen mehr als
doppelt so großen Umfang1. Dies erklärt sich aus dem breitangelegten
Unterbau (Glaube, Mythus). Ob alles, was dort ausgeführt
wird, zum Verständnis des Themas notwendig ist, mag
gefragt werden. Durch die angewandte Methode ist das Buch
über seinen Titel zu einer Darstellung der Religionen der Naturvölker
hinausgewachsen.

Es ist nicht leicht, für alle Erscheinungen eine eindeutige
Definition anzuwenden. Was versteht man unter „heilig", ein
Prädikat, das Plätzen eignet, an denen sich Kultorte befinden
(S. 161)? Mit dieser Bezeichnung verbinden sich Vorstellungen
aus höheren Religionen, die mindestens z. T. den Naturvölkern
fremd sind. Vielleicht entspricht die Bezeichnung „Tabu" mehr
dem Sachverhalt. Ebenso könnte man fragen, ob Eidechsen und
Schlangen bei manchen afrikanischen Völkern wirklich göttliche
Verehrung genießen (S. 238). Uralte Tierverbundenheit
oder mythologische Vorstellungen mögen zu einer Verehrung
dieser Tiere geführt haben. Diese braucht aber nicht mit der
göttlicher Wesen identisch zu sein.

In Einzelheiten kann man bisweilen anderer Meinung als
der Verfasser sein. So wird der Hochgott zwar oft als alter,
gütiger Mann dargestellt, ob er aber gern mit „Vater" oder
„Großvater" angeredet wird (S. 67), ist mir mindestens für
Afrika zweifelhaft. Richtig ist, daß er weithin amythisch ist
(S. 100), fraglich aber, ob er durch den Ahnenkult in den Hintergrund
gedrängt wurde (S. 109). Das Höchste Wesen hat wahrscheinlich
niemals im Kult eine größere Rolle gespielt. Ich
würde dieses aus dem Wesen des Hochgottes heraus erklären,
der mehr der rationalen Sphäre der Menschen zuzuordnen ist.
M. E. hat daher auch kaum eine besondere Scheu oder Ehrfurcht
vor ihm bestanden, die zu Umschreibungen seines Namens geführt
haben (S. 68). Wenn Benennungen auf seinen Wohnsitz
vorliegen, so ist dies eher als Ausfluß der Farblosigkeit dieses
Wesens zu verstehen2. Und daß er fast nirgendwo bildlich dargestellt
ist (S. 163), scheint mir auch nicht mit einer Scheu,
sondern mit seiner Bedeutungslosigkeit in der religiösen Praxis
zusammenzuhängen. — Bei der Besprechung der Kultpcrsonen
wird grundsätzlich zwischen dem Zauberer, „dessen Wirksamkeit
auf seiner Macht über die Geister beruht", und dem Priester
unterschieden, „der sich seiner Abhängigkeit von der Gottheit
bewußt ist und sich ihrem Wirken unterwirft" (S. 171/72).
Hier dürfte die Ansicht des Verfassers mitsprechen, der die
Dämonen mit Manavorstellungen in Verbindung bringt und in
ihnen „nichtanimistische Lebewesen bzw. Personifikationen"
sieht (S. 32). In der Regel versteht man aber unter Dämonen

') Parets Symbolik des Islam umfaßt z. B. nur 96 Seiten.

*) In manchen Bantusprachen scheint eine lokative Bezeichnung
des Höchsten Wesens primär zu sein. Aus ihr entwickelte sich sekundär
die personale.

Geister, die der Gottheit bisweilen sehr nahestehen. Auch hier
würde sich eine genaue Definition der Bezeichnungen für Kultpersonen
empfehlen. Sie würde den Machtmittelkundigen, den
Medizinmann, den Zauberer, den Priester und für einige Gebiete
auch den Propheten umfassen müssen.

Der kurze Überblick hat gezeigt, wie inhaltsreich das Buch
ist und wie es an manchen Stellen zur Diskussion auffordert.
Der Inhalt ist, wie gesagt, umfassender, als der Titel vermuten
läßt. Ob man dies als Vorteil oder Nachteil empfindet, bleibe
dem Leser überlassen.

Marburg/Lahn Ernst Du m ma n n

Stieglecker, Hermann: Die Glaubenslehren des Islam. 4. Lfg.
(Schluß). Paderborn-München-Wien: Schöningh [1962]. XXIV S. u.
S. 561—834. gr. 8°. DM 20.—.

Über die drei ersten Lieferungen von Hermann Stieglecker,
Die Glaubenslehren des Islam, ist in ThLZ 1961, 824—826 u.
1962, 503 f. berichtet worden. Mit der nunmehr erschienenen
vierten Lieferung ist das ganze Werk — mit einem Umfang von
insgesamt 8 34 Seiten — abgeschlossen. Behandelt werden in dieser
Schlußlieferung folgende Themen: Der Glaube; die Sünde;
Nafs und Ruh; Awliyä' und Karämät; die Malä'ika; die Ginn;
der Iblis; die Eschatologie (dogmatisch und apologetisch). Ein
Namen- und Sachregister mit phonetischer Schrift erleichtert die
Benutzung des gesamten Werkes und ermöglicht nunmehr auch
eine Verifizierung der im Text nur ungenau angegebenen
Quellen. Damit wird ein in ThLZ 1961, 825 vorgebrachter
Einwand entkräftet. Nebenbei bemerkt lautet der Titel des viel
zitierten Werkes von 'Abdarrahmän al-Gaziri, wie von H.
Stieglecker auch noch brieflich bestätigt wird, Taudih (nicht
Tauhid) al-'Aqä'id. Die Angabe in Zirikli's Al-A'läm ist demnach
zu verbessern. Der von Stieglecker zitierte Bagagizadeh
ist nicht mit dem bei Brockelmann Suppl. II 506 genannten
gleichnamigen Autor identisch, mag vielmehr um die Jahrhundertwende
gelebt haben, da er (nach brieflicher Mitteilung
Stiegleckers) seine Bibelzitate einer Londoner Bibelausgabe vom
Jahr 1848 und einer Beiruter Bibelausgabe vom Jahr 1884 entnommen
hat. Damit entfällt auch der Einwand in ThLZ 1961,
826 unten.

H. Stiegleckers Berichterstattung über die islamischen Glaubenslehren
bleibt bis zum Schluß objektiv, ausführlich und gründlich
. Im Abschnitt „Nafs und Ruh" könnte man allerdings beanstanden
, daß die spätere Vermengung der beiden Begriffe bei
den Theologen auf die Berichterstattung über „Die Lehre des
Koran über Nafs und Ruh" (S. 657 f.) verflachend gewirkt hat.
Überhaupt nicht angeführt ist die bekannte Koranstelle Sure
12, 5 3, wo von der Seele (nafs) ausgesagt wird, daß sie gebieterisch
nach dem Bösen verlangt (inna n-nafsa la-ammäratun
bis-sü'i). Genauere Angaben über die Bedeutung des koranischen
Begriffs „Geist" (rüh, nicht nafs) sind zu finden in Thomas
O'Shaughnessy, The Development of the Meaning of
Spirit in the Koran, Rom 1953.

An Einzelheiten sind zu berichtigen: Zu S. 701: Der Ausdruck
Malak (Engel) ist im Arabischen sicher Lehnwort und nicht erst aus
der Wurzel l'k gebildet. Die Übermittlung erfolgte wahrscheinlich
über den Umweg des Äthiopischen ( Arthur J e f f e r y, The Foreign
Vocabulary of the Qur'än, Baroda 1938, S. 269 f.). Zu den Namen
der beiden Grabesengel (S. 732: „Munkar heißt: unbekannt und Nakir:
Verleugnung"): Nakir bedeutet in Wirklichkeit ähnlich wie Munkar
°twa „mißfällig", „widerwärtig".

In einem Nachwort (S. 809 f.) bringt H. Stieglecker zum
Ausdruck, daß sein Buch eigentlich einem christlich-apologetischen
Ziel dient. „Wir müssen auf Grund einer zutiefst greifenden
Kenntnis der islamischen Lehren und der psychologischen
Verfassung des gläubigen Muhammedaners unseren christlichen
Dogmen neue Aspekte abgewinnen, Schwächen unserer
bisherigen Beweisführung, die uns bei unseren islamischen Studien
aufdämmern, ausklammern und eine völlig neue Apologetik
aufbauen, die dem Geist des Islam und den tausendjährigen
Gedankengängen der Muhammedaner Rechnung trägt." Das
ändert nichts an der Tatsache, daß die Berichterstattung objektiv
genannt zu werden verdient. Dem Verfasser sei für die