Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1964

Spalte:

253-255

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Neotestamentica et patristica 1964

Rezensent:

Michaelis, Wilhelm

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

253

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 4

254

Auch in der Tendenz unterscheidet sich der Verfasser der
Acta Pauli von Lukas und seinem Werk. Gewiß ist es schwer,
eine theologische Konzeption der Acta Pauli herauszuarbeiten.
Denn die Acta Pauli sind kein theologischer Traktat, sondern
eine Erbauungsschrift, die nicht die theologische Diskussion
fördern sollte, sondern die Gemeinde erbauen und unterhalten
wollte. Man kann also kein theologisches System aus den Acta
Pauli herauslesen (wie es etwa Fr. Loofs getan hat, der die AP
als Quelle für eine Geistchristologie ausgewertet hat'5). Man muß
vielmehr der literarischen Eigenart der Acta Pauli entsprechend
darauf verzichten, unerlaubte Systematisierungen vorzunehmen,
und sich damit begnügen, gewisse theologische Tendenzen aufzuzeigen
, die sich manchmal sogar zu widersprechen scheinen.

Die christliche Verkündigung ist für den Verfasser der
Acta Pauli Predigt von der Enthaltsamkeit und der Auferstehung
. Dabei wird die Auferstehung denen als Ziel und Lohn
verheißen, die sich rein bewahren, von den Gütern dieser Welt
abwenden und ihr Heil im Jenseits bei Gott suchen. D.h. aber:
der Verfasser macht den Apostel zum Herold eines sehr schlichten
und auf ein paar Formeln reduzierbaren Gemeindeglaubens,
der sehr klare Positionen gegen die gnostische Spekulation,
gegen die Ablehnung des Alten Testamentes, gegen die Leugnung
der Auferstehung und gegen jegliche Aufweichung der
Ethik bezogen hat. Man wird daher dem Werk kaum gerecht
wenn man in ihm eine bestimmte Christologie im Sinn späterer
dogmatischer Entscheidungen sucht. Weder doketische Christologie
noch Logoschristologie finden sich hier, wohl aber der
Glaube, daß Jesus Christus der Herr der Gemeinde, der Welt,
des Lebens und des Todes sei. Gegen jegliche spekulative Gno-
sis hat sich der Verfasser — und er steht da nicht allein, son-

55) Fr. Loofs, Theophilus von Antiochien adversus Marcionem
(TU 46), 1930, S. HS—157.

dern bringt doch den Glauben seiner Gemeinde zum Ausdruck
— auf einen im Alten Testament wurzelnden Moralismus
und auf die überwältigende Hoffnung auf das zukünftige Heil
zurückgezogen.

Dadurch aber, daß er Paulus zum Sprecher dieses Christentums
macht, hat er versucht, den Apostel den Ketzern zu entreißen
. Es ist ja bekannt, wie sehr sich Gnostiker und andere
auf Paulus berufen haben56. So streitet Irenaeus heftig gegen die,
die behaupten, „Paulus allein, dem das Geheimnis der Offenbarung
anvertraut wurde, habe die Wahrheit erkannt"57. Der
Verfasser der Paulusakten bemüht sich, durch sein Werk den
Apostel für das kirchliche Christentum zurückzugewinnen. Er
hat 6ein Werk „aus Liebe zu Paulus" geschrieben, wie wir von
Tertullian erfahren58. Er hat es aber auch aus Liebe zur Kirche
und aus Eifer für den Glauben an Gottes Heilshandeln in
Christus geschrieben. Daß er in seinem Eifer dann dem Apostel
oft so wunderbare Taten zuschreibt, ist nicht überraschend, wenn
man bedenkt, welches literarische Genus er benutzt5".

Für uns sind die Acta Pauli eine unschätzbare Quelle für
die Situation des kleinasiatischen Christentums am Ende des
2. Jhdts., das mit dem Glauben, den der Verfasser vertritt, den
Kampf gegen die Gnosis bestanden hat. Es lohnt sich, mit diesem
Werk eingehend sich zu befassen.

56) Vgl. W. Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten
Christentum, 1934, S. 215—230.

57) Irenaus, Adv. haer. III 13, 1.
5S) Tertullian, De Baptismo 17.

5B) Vgl. dazu oben Sp. 250f. Die Frage des literarischen Genus wird
von E. Petersen in dem oben Anm. 41 genannten Aufsatz völlig übergangen
. Das ist m. E. einer der Gründe für die falsche Datierung,
Deutung und religionsgeschichtliche Einordnung der Paulusakten und
der anderen apokryphen Apostelgeschichten durch Peterson.

ALLGEMEINES, FFSTSCHRIFTEN

[Call mann, O.:] Neotestamentica et Patristica. Eine Freundesgabe
, Herrn Professor Dr. Oscar Cullmann zu seinem 60. Geburtstag
überreicht. Leiden: Brill 1962. XIX, 330 S., 1 Titelbild gr. 8°
= Suppl. to Novum Testamentum, VI. Lw. hfl. 3 5.—.

Das große und unbestrittene Ansehen, das sich Cullmann
auf seinen beiden Arbeitsgebieten, der Wissenschaft vom NT
und der Erforschung der Geschichte der alten Kirche, gleichermaßen
erworben hat, spiegelt sich darin, daß diese Festschrift
in 2 Teile, „Neotestamentica" (mit 20 Beiträgen) und „Patristica
" (mit 9 Beiträgen), zerfällt. Der ökumenische Zug hingegen
, der iro-Wirken des Jubilars in den letzten Jahren immer
stärker hervorgetreten ist, hat (begreiflicherweise) kaum einen
Niederschlag in diesem Werk finden können (vgl. etwa S. VII.
212 und die Mitarbeit katholischer Gelehrter). Herausgeber ist,
wie noch nicht das Titelblatt erkennen läßt, sondern erst das
von ihm unterzeichnete, für den Jubilar sehr ehrenvolle Vorwort
S. VII'VTII, W. C. van Unnik. Die Beiträge haben im
Durchschnitt einen Umfang von 9—12 Seiten, einige sind kürzer
(bis zu 6, 5. 4 Seiten), andere länger (bis zu 19, 21, 22 Seiten
). Auf das Vorwort folgt zunächst, der Seitenzählung nach
noch außerhalb der Festschrift stehend, eine von Dr. W. Rordorf
bearbeitete „Bibliographia Cullmanniana" ( S. IX—XIX). Der
Leser wird für sie ebenso dankbar sein, wie ihn das beigegebene
Bild Cullmanns erfreuen wird. Über den Inhalt der Festschrift
mag die folgende, notgedrungen kurz gehaltene Übersicht
orientieren.

Im Teil „Neotestamentica" (S. 1—239) ist fast die Hälfte der
Beiträge Problemen der synoptischen Evangelien gewidmet.
Die Reihe wird eröffnet durch zwei Untersuchungen grundsätzlicher
Art, die zudem verwandten Fragen gelten. Arnos N. Wilder, Form-
history and the oldest tradition (S. 3—13) setzt sich kritisch mit
neueren Äußerungen zum Thema auseinander, besonders mit B. Ger-
hardsson und E. Fuchs. Auch W. D. Davies. Reflections on a Scandi-
navian approach to ,The Gospel tradition' (S. 14—34) nimmt Gerhards-
son aufs Korn, daneben Riesenfeld. Ed. Schweizer, Anmerkungen zur
Theologie des Markus (S. 35—46) legt zahlreiche Beobachtungen zum
spezifischen Wortschat- in den redaktionellen Abschnitten bei Mk vor

und versucht daraus Einblicke in die besondere Theologie des Mk zu
gewinnen. Die folgenden Beiträge sind dann einzelnen synopt. Abschnitten
oder Stellen gewidmet. Voran steht H. Riesenfeld, Vom
Schätzesammeln und Sorgen — ein Thema urchristlicher Paränese. Zu
Mt 6, 19—34 (S. 47—56): verfolgt das Thema des Mt-Abschnittes
durch das NT (und die Apost. Väter) und stößt damit auf den Zusammenhang
zwischen urchristlicher Paränese und Evangelientradition.
*• Jeremias, Die Deutung des Gleichnisses vom Unkraut unter dem
Weizen (S. 59—63) bietet dankenswerte Ergänzungen zu seiner Auslegung
von Mt 13,31—43 in seinem Gleichnisbuch5, S. 70— 72.

Hering, Zwei exegetische Probleme in der Perikope von Jesus in
Gethsemane (S. 64—69) tritt erstens dafür ein, daß in Mk 14, 38
Par. ursprünglidi „damit i c h nicht in Anfechtung falle" gemeint gewesen
sein müsse, und verfidit zweitens die These, in Mk 14, 34 Par.
sei an die Möglichkeit gedacht, daß Gott Jesus im Garten Gethsemane
sterben lassen könne, um ihm so den Tod am Kreuz zu ersparen
. W. Eltester, „Freund, wozu du gekommen bist" (S. 70—91)
ventiliert den Wortlaut von Mt 26, 50 erneut nach allen Seiten (vgl.
jedoch Theol. Zeitschr. 1961 S. 225 f.) und meint, es liege eine
Ellipse vor, bei der „das möge geschehen" zu ergänzen sei. P. Benoit,
Les outrages ä Jesus Prophete (S. 92—110) schält aus Mk 14, 65 Par.
zwei Verspottungsszenen heraus, eine von Seiten der Juden, die Jesus
als Hohepriester und Prophet galt, und eine von Seiten der Römer,
die sein Königtum betroffen habe.

An der Spitze der kleinen Reihe von Beiträgen, die dem J o h.-
E v. gelten, steht der unveränderte, auch nicht durch Anmerkungen
ergänzte Abdruck eines Radio-Vortrages von K. G. Kuhn, Johannesevangelium
und Qumrantexte (S. 111—122). F.-M. Braun, Saint Jean,
la Sagesse et l'histoire (S. 123—133) läßt die Probleme seines Themas
ausmünden in das heilsgeschichtliche Schema von Cullmanns „Christus
und die Zeit". C. H. Dodd, The prophecy of Caiaphas (S. 134—143)
kommt zum Ergebnis, in Joh. 11, 47—53 liege ein Stück sehr alter
judenchristlidier Überlieferung vor. J. A. T. Robinson, The signifi-
cance of the foot-washing (S. 144—147) behauptet eine Verbindung
von Joh. 13 mit Mk 10, 32—45, so daß die Fußwaschung mit der
Leidenstaufe der Jünger in Beziehung stünde. Der Beitrag, der als einziger
der Apostelgeschichte gewidmet ist, nämlich Ph. H.
Menoud, „Pendant quarante jours" (S. 148—156), führt unter freimütiger
Korrektur früherer Äußerungen des Verfassers zu Apg 1, 3
zur Klärung wichtiger Einzelheiten.

Unter den Beiträgen, die die Paulusb riefe betreffen, steht
voran die Untersuchung von S. Lyonnet, „Tu ne convoiteras pas"