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Ausgabe:

1964

Spalte:

214-215

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Mühlen, Heribert

Titel/Untertitel:

Der Heilige Geist als Person 1964

Rezensent:

Dilschneider, Otto A.

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 3

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daß es in der Botschaft des „Spätpaulinismus" „auf die Christus-
herrechaft selber" ankommt, „die die Überwindung aller Mächte
und Gewalten ist, die Durchsetzung der Gottesherrschaft und
des Gottesreiches im ganzen Kosmos" (S. 32 f.).

Dieses Programm führt nun Dilschneider aus, indem er
einerseits die theologischen Substanzen und Gehalte der großen
Themenkreise des Kolosserbriefes ins Licht zu stellen
sucht bei sofortiger und unmittelbarer Herstellung der Gegenwartsbezüge
. Das verleiht dem Buch eine ungemeine Lebendigkeit
und Aktualität (insbes. die Abschnitte „Die Wirklichkeit
der Mächte heute", S. 67-97, und „Die Morphologie der Existenz
als Sein-in-Christo", S. 191-198), aber auf Kosten der
Präzision und durchsichtigen Geschlossenheit. Vieles bleibt hier
geistvoller Vorgriff und kommt über das Aphoristisch-Fragmentarische
nicht hinaus.

Dilschneider geht es aber nicht nur darum, die Universalität
und Aktualität dessen, was er unter spätpaulinischer Botschaft
versteht, herauszustellen, sein besonderes Bemühen zielt
mehr noch dahin, „den Weg zu finden von der Sprache des
Apostels zur Sprache unserer Zeit". Die Sprache wird für ihn
überhaupt „das bedeutsamste Problem des Paulinismus" (S. 21).
Entsprechend seiner Unterscheidung zwischen Spät- und Früh-
Paulinismus, der indessen in der Spätform immer mitenthalten
■st, differenziert er zwischen zwei Sprachbereichen beim Apostel
. „Wo Paulus von Gerechtigkeit vor Gott, von Rechtfertigung
aus Glauben redet, bewegt er sich in der Sprache und
Denkform des alten Israels. Wo aber Vorstellungen auftreten,
wie das „Sein-in-Christo" und „Leib Christi", da bewegt er
sich im Sprachkreis der hellenistischen Gnosis" (S. 22). Die
zwei Sprachbereiche sind zwar für Dilschneider bei Paulus nicht
einfach voneinander geschieden, „weil sie es in der Umwelt
des Diasporajudentums naturgemäß auch nicht waren". Aber
während im Römer- und Galaterbrief der erste Sprachkreis prä-
valiere, so im Epheser- und Kolosserbrief der zweite (ebd.).
Es stellt sich die Frage, wie das paulinische Zeugnis von „Leib
Christi" und „Sein-in-Christo" anders als in der heute nicht
mehr nachvollziehbaren mythologisch - gnfostischen Aussagegestalt
zur Sprache gebracht werden könne.

Mit dieser Fragestellung, durch die er sich von jedem
„repristinierendem Konfessionalismus" wie auch vom „vulgären
Barthianismus" abgrenzen will, nimmt Dilschneider bestimmte
„Motivschichten" des Bultmannschen Entmythologisierungs-
programms auf (S. 5 3 ff.), vorab die Negation des „Offenbarungspositivismus
". Doch sucht er wieder eigene Wege zu beschreiten
und auch den „Neo-Liberalismus" zu vermeiden. Im Anschluß
teils an Jaspers und teils an Buess verficht er mit guten
Gründen „ein Fortwirken des Mythos und seiner gestalterischen
Kräfte bis in die Gegenwart hinein" (S. 56). Nicht eine ent-,
sondern eine „transmythologische Interpretation" (S. 57) sei
darum geboten, „die das paulinisch-mythologische Reden auf
die Erscheinungsformen des Mythos heute beziehe" (S. 59),
wobei Dilschneider in erster Linie an die modernen Ideologien
denkt (S. 8 5-97).

In den beiden Hauptabschnitten „Christus und die Welt"
und „Christus Pantokrator und die Kirche" wird nun der Versuch
unternommen, das Verständnis der Kirche als „Leib
Christi" und dasjenige der christlichen Existenz als „Sein-in-
Christo" dem heutigen Menschen faßbar zu machen, wobei aus
der Soziologie stammende Verstehensmodelle als Interpreta-
mente in Vorschlag gebracht werden: das Modell der „Gruppen-
Persönlichkeit" bzw. des „Personalgebildes" auf der einen
Seite (S. 115 ff.) und das Modell der „Rolle" auf der anderen
Seite (S. 170 ff.). Insbesondere wie Dilschneider mit Hilfe der
Rollenverteilung unter Aufnahme von Anregungen Kierkegaards
das „Sein-in-Christo" heutigem Verstehen nahe bringt, ist eine
originale Leistung und eröffnet überraschende Aspekte. Inwiefern
es sich hier aber um die Ausführung des Programms einer
transmythologischen Interpretation handelt, ist mir nicht richtig
klar geworden.

Dieses gegen viele Fronten fechtende, bewußt nichtkonformistische
und auch in seiner Terminologie oftmals befremdlich
eigenwillige Buch wird gewiß auf Kritik stoßen. Schon die

Grundlagen geben zu vielen Fragen Anlaß. Ist die These vom
„Spätpaulinismus" so wirklich haltbar? Handelt es sich bei
Kol. 1, 15—20 um eine systematisch geschlossene christologische
Konzeption? Diesen Versen liegt doch, wie heute allgemein
anerkannt ist, ein Hymnus zugrunde, von dem die in den
kommentierenden Zusätzen des Kolosserbriefverfassers sich aussprechende
Theologie differiert (E. Schweizer, Die Kirche als
Leib Christi in den paulinischen Antilegomena, ThLZ, Jhg. 86/
1961, Sp. 214 ff.). Gibt überhaupt der Kolosserbrief das her.
wa6 der Systematiker Dilschneider aus ihm entfaltet? Hätte es
hierfür nicht einer exegetisch breiteren Basis bedurft? Man darf
aber die kritischen Fragen nicht überspannen. Der Verfasser
erhebt ja nicht Anspruch, ein geschlossenes und abgerundetes
Konzept zu einer oekumenischen Theologie vorzulegen, er
spricht vielmehr bescheiden von „Fragmenten" einer solchen
(S. 228). Als Fragment verstanden hat das Buch mit seinen
kühnen Vorstößen, mit seiner ungescheuten Aufdeckung der
konfessionalistischen, personalistischen und auch existentfalisti-
schen Verengung der Christusbotschaft in Vergangenheit und
Gegenwart sowie durch viele frappante Einsichten und Durchblicke
starkes Gewicht. Und es wäre kein gutes Zeichen, wenn
diese vielleicht unbequeme Stimme in der heutigen Diskussion
nicht gehört würde.

Zürich Arthur Rieh

Mühlen, Heribert: Der Heilige Geist als Person. Beitrag zur Frage
nach der dem Heiligen Geiste eigentümlichen Funktion in der Trini-
tät, bei der Inkarnation und im Gnadenbund. Münster/W.: Aschen-
dorff [1963]. XI, 322 S. gr. 8° = Münsterische Beiträge zur Theologie
, hrsg. v. H. Volk, H. 26. Kart. DM 42.—; Lw. DM 44.—.

Der Verfasser ist Dozent für Dogmatik an der Phil.-Theol.
Akademie zu Paderborn. Die Arbeit bringt nach einer Einleitung
vier Kapitel: I. Versuch einer phänomenologischen Erschließung
des Verhältnisses von Person zu Person. II. Die personale
Funktion des Hl. Geistes in der Trinität. III. Die personale
Funktion des Hl. Geistes bei der Salbung Jesu. IV. Die
personale Funktion des Hl. Geistes im Gesamtvorgang unserer
Begnadung.

Das Ziel der umfangreichen Darstellung bezeichnet der
Verfasser mit folgendem Satz: „Das Grundanliegen der Untersuchung
ist die Frage nach einem personalen Namen des Hl.
Geistes" (S. 156). Dieses Ziel bemüht sich der Verfasser dadurch
zu erreichen, daß er besondere personale Kategorien für
die Trinität herausarbeitet, um dann innerhalb dieser Trinität
wiederum eine personale Kategorie für den Hl. Geist zu gewinnen
. „Es geht also nur darum, auf Kategorien hinzuweisen,
mit deren Hilfe im Rahmen der traditionellen Lehre vom
HI. Geist die personale Eigentümlichkeit des HI. Geistes unserem
Glaubensverständnis nähergebracht werden könnte" (S. 136).

Folgerichtigerweise muß sich daher der Verfasser zunächst
einmal mit dem Person-Begriff selber auseinandersetzen, da
dieser ja für die gesamttrinitarische Aussageweise entscheidend
ist. Selbstverständlich vermag der katholische Theologe dabei
nicht die Tradition, insbesondere die Scholastik, aus dem Auge
zu verlieren. Der eigentliche Ansatz aber zur Herausarbeitung
personaler Kategorien ist in dem dialogischen Verhältnis von
Ich und Du zu erblicken, wie wir es von Ferdinand Ebner,
Martin Buber usw. her kennen (S. 56). Dieses Ich-Du-Verhältnis
bietet die Möglichkeit zu analoger Deutung des Gott-Sohn-
Verhältnisses. Schon bei diesem Denkansatz wird die eigentliche
systematische Leistung des Verfassers erkennbar, die sich
nunmehr aber in der Fortführung dieser Ausgangsstellung auf
die personale Struktur des Hl. Geistes hin in originaler Weise
vervollständigt.

Diese Ich-Du-Beziehung als Analogon für das Vater-Sohn-
Verhältnis wird weitergeführt und gleichsam zu einem Abschluß
gebracht in einem Wir oder einer „Wir-Vereinigung".
Und mit diesem „Wir" oder mit dieser „Wirvereinigung" 6oll
die besondere personale Kategorie des Hl. Geistes angezeigt
werden. — Wir haben es also mit zwei personalen Kategorien
zu tun: „Das Verhältnis von Vater und Sohn zueinander im
Urmodus des Ich-Du" und „Das Verhältnis von Vater und Sohn
zum Hl. Geist im Urmodus des Wir" (S. 167/68) — „Vater und