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Ausgabe:

1964

Spalte:

208-209

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Die Reformation in Breslau I 1964

Rezensent:

Delius, Hans-Ulrich

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 3

208

sondern die sich auch als die dem Wesen des Täufertums am
nächsten kommende Ansicht beschreiben läßt" (5). Ausnahmen
wie Hubmaier, denen ein eigenes Kapitel gewidmet ist (46 ff.)
und die auch zwischendurch berücksichtigt werden, können
daran nichts ändern. Die täuferischen Quellen zeigen „eine
weitgehende Konstanz, die es erlaubt, das Täufertum des sechzehnten
Jahrhunderts, zumindest was seine bekenntnismäßige
Ausprägung anlangt, als theologische Einheit zu betrachten" (5).
Auch wenn es nur für den oberdeutschen Raum gelten sollte,
dem die Arbeit gewidmet ist, wäre diese Feststellung ein wichtiges
Ergebnis.

Zu manchen Einzelheiten lassen sich kritische Fragen stellen
, die jedoch den erfreulichen Gesamteindruck nicht beeinträchtigen
. Wenn Hillerbrand glaubt, bei den Täufern von
einem Dualismus von „innerem Menschen" und „äußeren Dingen
" sprechen zu können, und behauptet, die Täufer hätten
nicht wie die Reformatoren den engen Zusammenhang zwischen
„innerem" Glauben und „äußerlicher" Ausübung erkannt (S.
17—20), so ist das m. E. eine starke Verzeichnung, wenn nicht
gar Verkehrung der Positionen. Widerspricht Hillerbrand damit
nicht auch seiner eigenen These von der Sichtbarkeit der Gemeinde
bei den Täufern (S. 80)? — Die Unterscheidung Hillerbrands
zwischen „Glaubensfreiheit" (Freiheit der Religionsausübung
) und „Toleranz" (Anerkennung der religiösen Anschauung
des Nächsten) scheint mir in der von Hillerbrand vorgeschlagenen
Weise nicht sehr glücklich zu sein (S. 21 f.). Sachlich
hat Hillerbrand mit seiner Unterscheidung recht. Aber
seine Begrifflichkeit stammt aus der Aufklärung und ist an
einem unevangelischen Wahrheitsbegriff orientiert. Danach wären
nicht nur die Täufer intolerant, sondern jeder, der mit einem
Wahrheitsanspruch an den andern herantritt, sicherlich auch
Jesuß von Nazareth. — Für verfehlt halte ich auch den Versuch
S. 45, die Entwicklung der täuferischen Einstellung zur Obrigkeit
in Zürich ca. 1524 zu skizzieren. Es wird sich bei gewissenhafter
Überprüfung einfach nicht halten lassen, was Hillerbrand
von den Täufern in ihren allerersten Anfängen noch vor Einführung
der Erwachsenentaufe schreibt, daß nämlich ihr Drängen
auf eine Trennung der wahren Christen von den Gottlosen
„unzweifelhaft von Motiven Thomas Müntzers abhängig" war
und daß sie im Verfolg derartiger Gedanken — ähnlich wie
Müntzer — auf den Plan verfielen, „die wahrhaft Frommen sollten
entsprechend auch die politische Herrschaft an sich reißen".
Erst Zwingiis Widerstand habe sie zu einer tiefgreifenden Besinnung
gebracht, die sie vom Weg Müntzers wegführte. Man
kann weder vom „gemeinsamen Ansatzpunkt" bei Müntzer
und den Zürcher Täufern sprechen, noch eine täuferische Hinwendung
zur Bergpredigt einfach auf Karlstadt und Erasmus
zurückführen. Karlstadt zitierte viel lieber Moses als Jesus.
Erasmus war sicher einflußreicher, aber mehr über Zwingli als
direkt. Die Abhängigkeit der Täufer von Zwingli wird von
Hillerbrand unterschätzt.

Fragt man sich, welche weiterführenden Probleme sich aus
der Arbeit Hillerbrands ergeben, so drängen sich der Täuferforschung
zwei Aufgaben auf. Die erste ist historischer Natur.
Nach dem Gesamtüberblick von Hillerbrand dürfte es geraten
sein, noch einmal ins Detail zu steigen und die Stellung der
Täufer zur Obrigkeit von Jahr zu Jahr, von Ort zu Ort, von
Strömung zu Strömung zu verfolgen. Es müßte die Sorge einer
solchen Arbeit sein, jedes einzelne Glaubenszeugnis und jede
Aussage zu dem Thema auf ihre Tragweite hin zu untersuchen
und so auf Grund gewissenhafter Interpretation zu einer noch
abgewogeneren, nuancenreicheren Darstellung zu gelangen. Ich
meine nicht, daß uns ein solches Unternehmen hinter das Ergebnis
der Arbeit von Hillerbrand zurückführen müßte, indem
es die Einheit der täuferischen Theologie wieder auflösen würde.
An dem Ergebnis Hillerbrands ist vielmehr festzuhalten. Aber
es läßt sich der Reichtum der von Hillerbrand gesammelten Belege
durch eine Einzelinterpretation noch viel weiter entfalten.
Auch die „Ausnahmen" würden dabei in ihrer Bedeutung für
die Herausbildung eines „eigentlichen" Täufertums ausgiebiger
berücksichtigt werden können. Es wäre ein lohnendes Unternehmen
.

Lohnend auch für die theologische Seite der Sache. Hier
liegt die zweite weiterführende Aufgabe. Die These Hillerbrands
von dem letztlich systematischen Charakter und von der Abgerundetheit
des täuferischen Denkens ist revolutionärer, als es
aus der Arbeit selber hervorgeht. Das Täufertum wäre nicht
nur eine frömmigkeitsgeschichtlich beachtenswerte Größe, sondern
eine ernstzunehmende Alternative zur reformatorischen
Theologie. In seiner politischen Ethik käme das in besonderem
Maße zum Ausdruck. Ob die täuferische Position dabei gerade
als eine Art Dreireichelehre am besten dargestellt ist, mag zur
Debatte stehen. Aber in dieser Richtung sollte weitergearbeitet
werden. Wodurch wurde eine solche Alternative nötig? War
sie überhaupt nötig? Was war ihr theologisches Fundament?
Und vor allem: Wieso kam sie seinerzeit gar nicht zur vollen
Entfaltung, und in welcher Richtung wäre eine solche Entfaltung
heute denkbar? Wenn es sich wirklich bei den Täufern
um eine homogene und in diesem Sinne verantwortliche Theologie
gehandelt haben sollte, wird man diesen Fragen nicht
entgehen. Die Arbeit Hillerbrands ist ein starkes Votum für
eine solche Aufgabenstellung.

Emden Hcinold Fast

Kretschmar, Georg: Die Reformation in Breslau. L Ausgewählte
Texte vorgelegt u. eingeleitet. Ulm/Donau: Verlag „Unser Weg"
1960. 125 S. m. 4 Abb., 1 Kte. 8° = Quellenhefte z. ostdeutschen
u. osteuropäischen Kirchengesdiichte, H. 3/4. Kart. DM 15.80.
Bedingt durch die sich in den letzten Jahren mehrenden
Untersuchungen zur Reformationsgeschichte einzelner Städte
und dem hier wachsenden Interesse der Forschung legt der
Hamburger Kirchenhistoriker Georg Kretschmar den ersten Teil
von Quellen zur Geschichte der Reformation in Breslau vor. Es
ist geplant, im Laufe der nächsten Jahre weitere Hefte zur Geschichte
der schlesischen Kirche erscheinen zu lassen.

Aus den zahlreichen Dokumenten bietet K. eine Auswahl,
deren Zusammenstellung man als überaus gelungen bezeichnen
kann. Sie vermittelt dem Leser einen guten Einblick in die
Problematik der Zeit, die Vorgeschichte der Reformation sowie
ihre Entwicklung und Weiterführung. K. unterscheidet drei Phasen
: Die Zeit vor der Reformation und der Humanismus in
Schlesien, die Anfänge der ev. Bewegung in Breslau sowie die
hohe Zeit der Reformation, in der Johannes Heß als Pfarrer an
der Magdalenenkirche wirkte. Der allgemeinen Entwicklung folgend
, fügt K. seiner Sammlung eine deutsche Übersetzung bei
und ermöglicht so auch dem Nichtfachmann die unbeschwerte
Benutzung. Die Übersetzung, bei der sich K. nach Möglichkeit
auf bereits Vorhandenes stützt, bietet ein modernes, leicht lesbares
Deutsch.

Großen Wert hat K. auf die zahlreichen Anmerkungen gelegt
. Quellenpublikationen ohne eine sorgfältige Kommentierung
sind heute nicht mehr denkbar, ja, als wertlos zu betrachten.
Hier liegt das besondere Verdienst des Bearbeiters, der die
Texte durch seine zahlreichen Anmerkungen erst fruchtbringend
zu einer Breslauer Reformationsgeschichte in Dokumenten benutzbar
macht. Bei verschiedenen deutschen Texten aus dieser
Zeit des Frühneuhochdeutschen hätte man allerdings gern bei
den jetzt nicht mehr gebräuchlichen Wörtern einen erklärenden
germanistischen Hinweis gehabt.

Abschließend sei noch eine Frage erlaubt. Sämtliche von K. vorgelegten
Texte sind bereits an anderer Stelle gedruckt. Lediglich bei
zwei Briefen ist nochmals die Handschrift verglichen worden, was zur
Notierung zahlreicher, nicht unwesentlicher Varianten gegenüber dem
Drude führte. Ist es heute wirklich zweckmäßig, bereits gedrucktes
Quellenmaterial erneut vorzulegen? In den Archiven liegen zahlreiche
sehr wichtige ungedruckte Quellen zur Reformationsgeschichte, die nur
auf eine Edition warten. Gewiß sind viele der damaligen Monographien
, Zeitschriften oder auch Drucke des 16. Jahrhunderts den Benutzern
von heute nicht ohne weiteres zugänglich; sie werden sich
aber in jedem Fall bei beharrlicher Arbeit finden lassen. Die bereits
erwähnte sehr sorgfältige Kommentierung ist hier schon der schwerwiegendere
Punkt — doch rechtfertigt er allein die erneute Vorlage
derartiger Quellen?

Damit soll jedoch keineswegs das Verdienst und die Notwendigkeit
dieser Publikation geschmälert werden, lenkt sie