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Ausgabe:

1964

Spalte:

206-208

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Hillerbrand, Hans J.

Titel/Untertitel:

Die politische Ethik des oberdeutschen Taeufertums 1964

Rezensent:

Fast, Heinold

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 3

206

Überblick über die Engelvorstellungen des Spätjudentums zeigt,
daß vielmehr von hier die stärksten Anregungen ausgegangen
sind. Die Frage, auf welchem Wege spätjüdische Motive in die
koptischen Engelvorstellungen eingegangen sind und inwieweit
sie umgebildet wurden, also das eigentliche religionsgeschichtliche
Problem, wird leider nicht behandelt, wie der Verf. einer
entwicklungsgeschichtlichen Darstellung überhaupt skeptisch
gegenübersteht (Vorwort). Wie ertragreich eine derartige
Betrachtungsweise auf diesem Gebiete sein kann, hat H. J.
Polotsky methodisch vorbildlich an der Transformation eines
jüdischen Schutzgebetes für die Nacht gezeigt, das bei den Kopten
in der gleichen formalen Struktur wiederkehrt, hier aber
eine jenseitig-cschatologische Funktion erhält (Le Museon 49,
1936, p. 231-243, bes. p. 242 f.). - So fragt sich der Leser
auch, warum gerade in der koptischen Kirche so massive Engelvorstellungen
begegnen. Der Biblizismus der Kopten (p. 5, 7,
!30) wirkt doch weniger als Motiv als vielmehr als Regulativ.
Ist der Monophysitismus wirklich so leichterhand abzuweisen
(P- 4)? Die Ausführungen über die Griechische Kirche heben
sehr gut heraus, daß der Grieche wesentlich mehr Spekulationen
anstellt als der praktischer veranlagte Kopte. Die wenigen, aber
Prägnanten Bemerkungen über islamische Engelvorstellungen
(Verf. wollte auf das Gebiet nur hinweisen — p. 124) differenzieren
wiederum nicht genug das religionsgeschichtliche Problem
direkt jüdischen oder christlich-koptischen Einflusses. Mit koptischen
Einflüssen ist unbedingt zu rechnen, da ja eine der
Frauen Mohammeds eine Koptin war.

Dem Verf. ist es in der Tat gelungen, „einen sicheren
Grundstein zu legen". Eine frömmigkeitsgeschichtliche Untersuchung
, zumal auf dem Boden der orientalischen Kirchen, darf
das entwicklungsgeschichtliche Moment jedoch nicht vernachlässigen
. Dann erst erhalten wir Frömmigkeitsgeschic/iie und
nicht nur Beschreibung.

Halle/Saale Peter Nagel

Doutreleau. Louis: Le „De Spiritu Sancto" de Didyme et ses
editeurs (Recherches de Science Religieuse LI, 1963 S. 383—406).

Padberg. Rudolf: Vom gottesdienstlichen Leben in den Briefen des
Ignatius von Antiochien (Theologie u. Glaube 53, 1963 S. 337—347).

Perl er, Othmar: Recherches sur le „Peri Pascha" de Meliton (Recherdies
de Science Religieuse LI, 1963 S. 407—421).

KIRCHEN GESCHICHTE: REFORMATIONSZEIT

Weber, Gottfried: Grundlagen und Normen politischer Ethik bei
Melanchthon. München: Kaiser 1962. 41 S. gr. 8° = Theologische
Existenz heute, hrsg. v. K. G. Steck u. G. Eichholz, N. F. Nr. 96.
DM 2.50.

Was ist das Spezifikum christlicher Ethik? Diese Frage bewegt
den Verf. in erster Linie. Melanchthons Haltung zur
Widerstandsfrage wird deswegen untersucht, weil der Verf.
paradigmatisch zeigen möchte, was das Besondere einer christlichen
Ethik ist. Da es nach Weber der christlichen Ethik nicht
um Ordnungen und Strukturen, sondern immer nur um das
..aktuell entscheidungsvolle Handeln" geht, streift er Melanchthons
System der politischen Ordnungen nur kurz. Politische
Entscheidungen muß der Untertan nur dann treffen, wenn es
um das Recht zum Widerstand gegen die Obrigkeit geht.

Der Verf. hat die interessante Beobachtung gemacht, daß
Melanchthon bis 15 30 auf die Frage nach dem Widerstandsrecht
ausdrücklich eine christliche Antwort gibt, derzufolge Gott
allein das Recht zusteht, gegen die Obrigkeit einzuschreiten.
Erst später räumt er ein gewisses Widerstandsrecht ein. Er argumentiert
nun jedoch nicht mehr biblisch, sondern naturrechtlich
; er verweist weniger auf die Forderung des Gehorsams als
auf die möglichen Folgen. Die Belege sind vollständig gesammelt
und gut interpretiert. Leider fehlt bei der Frage nach den
inneren Gründen für diesen Wandel in Melanchthons Haltung
der Hinweis auf den Augsburger Reichstag 15 30. Das Nein des
Kaisers zur Reformation drängte doch die Evangelischen in die
Situation des permanenten (passiven) Widerstands. Die Bejahung
des Widerstandsrechts war zur Lebensfrage geworden.

Noch eine zweite Anmerkung: Für Melanchthon selbst war

gewiß die christliche und die naturrechtliche Argumentation
nicht so grundsätzlich unterschieden, daß man daraus die Existenz
zweier verschiedener, sich ausschließender Gedankensysteme
folgern kann. Die christliche Sittlichkeit war für Melanchthon
nie Gegensatz zum Natürlichen, sondern immer deren
Überhöhung und Erfüllung. Schließlich bleibt noch die Frage zu
stellen, ob das Spezifikum christlicher Ethik vom Verf. richtig
gesehen ist. Der Satz „Eine speziell christliche Ethik weist ihre
spezielle Christlichkeit aus durch den Grad, in dem sie den
Glauben an ein aktuelles Eingreifen Gottes in die Geschichte
zum Prinzip, zum Axiom erhebt" (S. 41) ist weder historisch für
Melanchthon ganz richtig, noch ist er systematisch haltbar. Hier
wird ja gerade der Ernst der Entscheidung durch die Erwartung
eines fast mirakelhaften Eingreifens Gottes aufgegeben. Auch
durch diese kritischen Überlegungen soll gezeigt werden, wie
notwendig die Lektüre dieser Studie ist und wie sie zur Auseinandersetzung
mit den angeschnittenen Fragen zwingt.
MUl,d,en Adolf Sperl

Hillerbrand, Hans Joachim: Die politische Ethik des oberdeutschen
Täufertums. Eine Untersuchung zur Religions- und Geistesgeschichte
des Reformationszeitalters. Leiden - Köln : Brill 1962.
XIV, 84 S. gr. 8° = Beihefte d. Zeitschrift f. Religions- u. Geistesgeschichte
VII. Kart. hfl. 12.—.

Das Thema, das sich Hillerbrand für seine wissenschaftliche
Erstlingsarbeit gewählt hat, war aus mehreren Gründen fällig.
Nach einer langen Reihe von Quellenpublikarionen und biographisch
-historischen Untersuchungen ist die Täuferforschung im
Begriff, zur dogmengeschichtlichen Auswertung überzugehen.
Die Frage nach der politischen Ethik der Täufer schiebt sich
dabei in den Vordergrund. Erstens war die täuferische Haltung
gegenüber der Obrigkeit damals das größte Ärgernis. Zweitens
könnte sich hier auch nach dem Selbstverständnis der Täufer
der Kern des Gegensatzes zwischen Täufertum und Reformation
verbergen. Drittens wendet man sich nach den vielen Kontroversen
über die reformatorische Staatsethik neugierig einer
eventuellen täuferischen Alternative zu.

Hillerbrand hat seine Aufgabe mit Fleiß und Sorgfalt gelöst
. Der erste Hauptteil über die täuferische Auffassung vom
Wesen der Obrigkeit behandelt Ursprung, Aufgaben und Grenzen
der Obrigkeit in täuferischer Sicht. Der zweite Teil untersucht
die praktische Stellungnahme der Täufer in den Fragen
des Gehorsams, der Bekleidung obrigkeitlicher Ämter, des
Kriegsdienstes, der Eidesleistung und des Steuerzahlens. Als das
..Wesen der täuferischen Anschauung" wird eine Dreireichelehre
( !) herausgeschält, die unterscheidet zwischen dem Reich
Christi, der Welt als Gottesordnung und der Welt als Inbegriff
des Dämonischen. Von ihr aus erklären sich nicht nur die
täuferischen Stellungnahmen zu den einzelnen Problemen, sondern
auch jener immer wieder auftauchende scheinbare Widerspruch
zwischen der Anerkennung der Obrigkeit und der Ablehnung
eigener Verantwortung in ihr. Die politische Ethik der
Täufer stellt somit „nicht ein bunt zusammengewürfeltes Spektrum
von Auffassungen, sondern ein systematisches und wohl-
gerundetes Gebilde" dar (81).

Das Verdienst der Arbeit liegt darin, gerade diese Einheitlichkeit
täuferischer Theologie im Verlauf der Untersuchung
eines zentralen Themas nachgewiesen zu haben. Dabei geht
Hillerbrand nicht von einem bereits dogmatisch gefüllten Begriff
von „Täufertum" aus, sondern steckt sich weite Grenzen,
indem er als Merkmal des „Täuferischen" lediglich die Bejahung
der Gläubigentaufe annimmt. Auch ist er sich der durch
persönliche, geographische und zeitliche Verschiedenheiten bedingten
Variationsbreite bewußt, wenn er schreibt, „daß von
einer bis in die Einzelheiten gehenden theologischen Übereinstimmung
aller Täufer keine Rede sein kann" (4). Daß ein solches
Urteil mit Bedacht ausgesprochen wird, zeigt die Vollständigkeit
der reichlich zitierten Quellen, die aus gedrucktem
und ungedrucktem Material zusammengetragen wurden und
denen Hillerbrand sogar einzelne bisher unbekannte Stücke
beifügen konnte. Trotzdem gelangt er zu dem Ergebnis, „daß
es eine Obrigkeitsanschauung gegeben hat, die nicht nur Tein
zahlenmäßig von den meisten Täufern vertreten worden ist,