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Ausgabe:

1964

Spalte:

204-205

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Müller, Caspar Detlef G.

Titel/Untertitel:

Die Engellehre der koptischen Kirche 1964

Rezensent:

Nagel, Peter

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203

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 3

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die Grundsätze Augustins deutlich werden, sondern auch ihre
Verwirklichung im Leben. So ergeben sich beste Möglichkeiten
für eine unbefangene Würdigung. Ich verstehe, daß der Verf.
auf die genaue Datierung der in Betracht kommenden Briefe
besonders Gewicht legt. Ich berühre damit einen Tatbestand,
der für die Darstellung des Verfassers bezeichnend ist: er bemüht
sich, gerecht zu urteilen, so, daß er alle Umstände berücksichtigt
, die in Betracht kommen. Das ist nicht immer einfach,
und nicht überall ist ein sicheres Ergebnis zu erzielen. Aber
dann bemüht sich der Verf., die notwendigen Fragezeichen zu
setzen.

Das drastischste Beispiel: wer Augustin gelesen hat, kennt
die sog. Circumcellionen, eine politisch-religiöse (donatistische)
Widerstandsbewegung, die im lateinischen Afrika damals eine
wesentliche Rolle spielte. Hier schickt der Verf. seiner eigenen
Darstellung eine umfangreiche kritische Würdigung der Quellen
voraus. Augustin lehnt diese Bewegung von vornherein ab; die
spätere Forschung folgt vielfach dem angesehenen Kirchenvater.
In dem vorliegenden Buche lernen wir, daß in der Tat die
Circumcellionen manches taten, was vom christlichen Standpunkte
(also dem eigenen Standpunkte der Circumcellionen)
nicht zu rechtfertigen ist; aber im ganzen ist ihr Kampf berechtigt
, als ein Kampf gegen das Unrecht, das ihnen widerfuhr.
Hier sieht der Forscher schärfer, der die Geschichte der Gegenwart
mit Bewußtsein erlebt; er wird den Widerstand der
Circumcellionen nicht nur grundsätzlich für gerecht halten,
sondern zugleich bedauern, daß für diese Seite der Frage
Augustin und die anderen katholischen Schriftsteller kein Verständnis
haben. Auch die damalige Zeit war eine Übergangszeit
. Noch gab es Sklaven und Colonen nebeneinander. Aber
dem heutigen Forscher ist klar, daß es mit der Sklavenwirtschaft
zu Ende ging, und daß die feudale Gesellschaftsordnung
sich mehr und mehr durchsetzte. So gibt es Anzeichen einer
verbreiteten Gärung. Die Kirche im strengen Sinne hält sich
hier noch fern. Aber die Klöster beziehen, wo sie die Möglichkeit
haben, zuweilen eine freiere Stellung. Pachom nimmt geflüchtete
Sklaven nicht auf. Aber im lateinischen Afrika kommt
es vor, in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts, daß
Sklaven, die aus einem vandalischen Haushalte flüchten, in
einem Kloster Aufnahme finden. Man läßt sie dort nicht in
Ruhe. Aber eine der Geflüchteten, Maxima, taucht einige Zeit
später als Vorsteherin eines Frauenklosters auf.

Ich habe aus dem reichen Inhalt, der überall quellenmäßig
belegt ist, nur ein Stück herausgegriffen. In dieser Weise ist
das Ganze bearbeitet. Mit besonderer Freude habe ich die ausführliche
Würdigung des Ambrosius gelesen. Auch hier wird,
im Anschluß an frühere Arbeiten (H. v. Campenhausen), deT
erfolgreiche Versuch unternommen, gerecht zu urteilen. Weiter
wird z. B. die Laufbahn des Bonifatius, comes von Afrika, eines
Bekannten Augustins, eingehend dargestellt: auch dies ein lehrreicher
Tatbestand aus der Zeit der Völkerwanderung; man
sieht mit Befremden, in welchem Maße das Römerreich damals
durch Machenschaften der Hofgesellschaft sich selbst in Gefahr
bringt. Nach Noricum führt uns eine Arbeit über Severin, den
Apostel von Noricum. Hier ist lehrreich zu sehen, wie der Verf.
die Legenden, die die einzigen Quellen sind, „entmythologisiert
".

Auf all diesen Gebieten ist zunächst solide Einzelforschung
geboten. Sie wird vom Verf. geleistet. Aber er versteht auch
zusammenzufassen. Am Anfang des Bandes steht ein wertvoller
Aufsatz über Spätantike und Geschichte der alten Kirche. Hier
werden viele richtige Linien gezogen, die man anerkennen muß.
Die katholische Kirche verändert sich innerlich, besonders seit
sie vom Staate begünstigt wird. Das macht sich z. B. darin
geltend, daß die Standesunterschiede wieder eine Rolle spielen,
die in der frühen Kirche verschwunden sind. Die Bischöfe sind
einflußreiche Herrscher geworden, die in manchen Fällen größere
Macht haben, als die Vertreter des Staates; sie sind nicht mehr
in dem Maße Seelsorger wie vorher. Die Nächstenliebe büßt
einen Teil der Bedeutung ein, die sie im Leben des Alltags besaß
. Auch die Drohungen, die die Völkerwanderung mit sich
brachte, halfen nicht zum Einsehen. Die katholische Kirche bestand
zwar Not und Gefahr, hätte sie aber wohl noch besser
überwunden, wenn sie eine wirkliche gesellschaftliche Einheit
gewesen wäre.

Ahrenshoop Johannes Lei p o 1 d t

Müller, C. Detlef G.: Die Engellehre der koptischen Kirche. Untersuchungen
zur Geschichte der christlichen Frömmigkeit in Ägypten.
Wiesbaden: Harrassowitz 1959. XII, 324 S. gr. 8°. DM 40.—.

Das Interesse an der koptischen Sprache und Literatur ist
in den letzten Jahren erheblich gewachsen, vor allem bedingt
durch die Funde von Nag Hammadi, die der koptischen Sprachwissenschaft
und der Gnosisforschung stärkste Anregungen gegeben
haben. Gegenüber der Fülle von Literatur, die namentlich
dem letzteren Thema gewidmet wurde, nimmt sich die
Zahl der Beiträge zur christlich-koptischen Kirche bescheidener
aus. Im Jahre 1959 aber sind zwei Bücher über die koptische
Kirche erschienen, die diesem Mangel spürbar abhelfen. Während
Maria Cramers „Das Christlich-koptische Ägypten
einst und heute" einen schönen Gesamtüberblick von den Anfängen
bis zur Gegenwart gibt, hat sich Müller dem Spezial-
thema der Engelverehrung und -Vorstellungen zugewandt, um
„an einem konkreten Punkte . . . einen sicheren Grundstein
zu legen" (p. VII). Erfreulich ist, daß Verf. zahlreiche unveröffentlichte
Texte einbeziehen konnte, deren Edition wir bald
von ihm erwarten können.

Die besondere Quellenlage bringt es mit sich, daß der
Quellenteil (p. 135—317) und die Indices (p. 318—324) einen
größeren Raum einnehmen als die eigentliche Darstellung. Dieser
systematische Teil (p. 3—132) führt zuerst die Erzengel
Michael, Gabriel und Raphael vor, jeweils nach ihrem Vorkommen
in der Liturgie, in erzählenden Texten und in der Magie.
Dann folgt die Darstellung der übrigen Erzengel und Engel, der
Cherubim und Seraphim sowie der vier geistlichen Tiere und
der 24 Ältesten aus der Johannesapokalypse, die für den Kopten
besondere Engelklassen sind. Der Quellenteil ist nach dem
gleichen Prinzip angelegt und gibt Zeugnis, mit welcher Sorgfalt
der Verf. die Texte deutet.

Wir erfahren über die Einsetzung der Erzengel, über die die Kopten
genau unterrichtet sind; über ihre Stellung in der himmlischen
Hierarchie; über ihre Stellung zu Gott, zu Christus und zu den Menschen
und über ihre eschatologische Funktion. Auch über das Aussehen
der Engel machten sich die Kopten vielerlei Gedanken. Gern
werden die Erzengel mit alttestamentlichen Szenen in Verbindung gebracht
, Apostel und Heilige erfreuen sich ihres besonderen Schutzes,
in der Todesstunde stehen sie dem Märtyrer bei. Streitbar schreitet
Michael gegen den Götzendienst ein, Kirchen und Kapellen werden
ihm geweiht, bei Beschwörungen und Exorzismen gilt sein Name als
besonders wirksam, so auch beim Liebeszauber und bei Krankenheilungen
. Michael ist zweifellos die wichtigste Gestalt. Die übrigen
Erzengel stehen ihm an Bedeutung kaum nach, aber sie sind weniger
profiliert. Oft erscheint die Mahnung, gute Werke im Namen der Erzengel
zu verrichten, da sie Fürbitte bei Gott am Gerichtstage einlegen
. In Zaubertexten sind ihre Namen auch auswechselbar, wie sich
ja die Funktionen der Erzengel oft überschneiden. An der Siebenzahl
wird aber streng festgehalten. Die einfachen Engel, über deren Vielzahl
der Index der Engelnamen Auskunft gibt, unterscheiden sich von
den Erzengeln im wesentlichen nur hinsichtlich ihres niederen Ranges
in der himmlischen Hierarchie.

Nur schade, daß der Verf. die Mönchsliteratur nicht mit
verwertet hat! Schon die Apopthegmata patrum enthalten vielfältiges
Material. Auch des Zusammenhanges von Vita ange-
lica und Vita ascetica ist nicht gedacht, obwohl hier ein zentrales
Motiv der altchristlichen Askese vorliegt. Schöne Beispiele
für das Verhältnis der Engel zu den Heiligen finden sich
auch in der koptischen Kunst.

Das Kapitel über „Die Vorbilder der koptischen Vorstellungen
über die Engel und ihr Weiterwirken" (p. 8 8—129) behandelt
nacheinander das Alte Ägypten, das Spätjudentum, die
Griechische Kirche (warum im religionsgeschichtlichen Teil?) und
den Islam. Vom Alten Ägypten sind keine unmittelbaren Anregungen
auf die koptischen Engelvorstellungen ausgegangen
(p. 101), in der Jenseitstopographie (im Zusammenhang der
eschatologischen Funktionen der Engel) hingegen ist altägyptischer
Einfluß besonders anschaulich (p. 96 ff.). Der gedrängte